BT-Drucksache 16/10774

Beobachtung einer Hauptverhandlung gegen Antimilitaristen vor dem Kammergericht Berlin durch das Bundeskrimininalamt

Vom 3. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10774
16. Wahlperiode 03. 11. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Beobachtung einer Hauptverhandlung gegen Antimilitaristen
vor dem Kammergericht Berlin durch das Bundeskriminalamt

Vor dem Kammergericht Berlin findet derzeit ein Verfahren statt, in dem meh-
rere Angeklagte beschuldigt werden, als Mitglieder einer angeblichen „mili-
tanten gruppe“ versucht zu haben, Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden.

Die Hauptverhandlung wird vom Bundeskriminalamt (BKA) beobachtet. In
einem Schreiben des BKA an das Berliner Kammergericht, das während des
Verfahrens verlesen wurde, heißt es, die Beobachtung geschehe „zu Informa-
tionszwecken“. Neben Aus- und Fortbildungszwecken soll die Beobachtung
„aber auch als Grundlage für die Unterrichtung der Leitung des BKA und der
politischen Entscheidungsträger dienen“. Es sollten auch Lageerkenntnisse,
„z. B. Resonanz des Umfeldes der Beschuldigten“ und Erkenntnisse „aus dem
Bereich des linken Spektrums“, gewonnen werden. Außerdem geht es dem BKA
darum, „möglicherweise mit der Verhandlung in Verbindung stehende Aktionen
sympathisierende(r) Personen/Gruppen zu bewerten und entsprechend zu rea-
gieren“.

Diese Sätze lassen deutlich erkennen, dass das BKA alle, die das Verfahren be-
suchen und vom BKA als „links“ klassifiziert werden, für verdächtig hält. Die
Betroffenen müssen demzufolge damit rechnen, dass in Lageberichten an die
BKA-Leitung und an „politische Entscheidungsträger“ ihre Prozessteilnahme
erwähnt und ihre Daten in entsprechenden Amts- und Falldateien gespeichert
werden. Das lässt Verstöße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbst-
bestimmung befürchten, davon abgesehen drängt sich der Verdacht auf, dass
Prozessbesucher/Prozessbesucherinnen und allgemein Freunde und Bekannte
der Beschuldigten eingeschüchtert werden sollen.

Die Fragesteller können nicht erkennen, warum das BKA pauschal und ohne
konkreten Verdacht Erkenntnisse „aus dem Bereich des linken Spektrums“
gewinnen sollte. Gemeinhin wird das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)
für derartige Zwecke, wo es um die Beobachtung linker Zusammenhänge geht,
in Anspruch genommen. Dies haben die Fragesteller wiederholt als illegitime
Diffamierung linker Gruppen kritisiert. Besser wird das allerdings nicht, wenn
nun das BKA diese Aufgabe übernimmt.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf welcher Rechtsgrundlage handelt das BKA hier?

Drucksache 16/10774 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Inwiefern hat die Bundesregierung auf das Bundeskriminalamt eingewirkt,
das genannte Verfahren zu beobachten, und welche Absichten sind damit
verbunden?

3. Welche Erkenntnisse verspricht sich das BKA von der Beobachtung des
Prozesses?

4. Welche „politischen Entscheidungsträger“ sind gemeint, die über das Ver-
fahren unterrichtet werden sollen?

5. Welche Informationen sind bislang in Zusammenhang mit der Prozess-
beobachtung diesen „politischen Entscheidungsträgern“ oder der Leitung
des BKA zugegangen?

6. Woher nimmt das BKA seine Einschätzung, es könne in Zusammenhang mit
dem Prozess zu „Aktionen“ kommen, und welche Art von „Aktionen“ sind
gemeint?

7. Besteht nach Einschätzung der Bundesregierung die konkrete Gefahr, dass
es während der Hauptverhandlung zu strafbaren Handlungen kommt, die in
die Zuständigkeit des BKA fallen, und wenn ja, welche konkreten Tat-
sachen liegen dieser Einschätzung zugrunde?

8. Sollte keine konkrete Gefahreneinschätzung vorliegen, warum wird dann
das BKA überhaupt damit beauftragt, ohne konkreten Verdacht Erkennt-
nisse „aus dem linken Spektrum“ zu gewinnen?

Wäre dies aus systemimmanenter Sicht nicht eine Aufgabe des Bundes-
amtes für Verfassungsschutz?

9. Was genau ist mit „Resonanz des Umfeldes der Beschuldigten“ gemeint?

Bezieht sich dies auf Äußerungen während der Verhandlungen oder auf
weitere Resonanzen, und wenn ja, welche?

10. Wie genau wird das „Umfeld“ der Beteiligten definiert, und auf welcher
Grundlage sollen die BKA-Beamten entscheiden, wer von den Prozess-
besuchern zum „Umfeld“ gehört?

a) Wurden die gegenwärtigen und früheren Bundestagsabgeordneten, die
bislang das Verfahren besucht haben, ebenfalls zum „Umfeld“ gezählt?

b) Inwiefern sollen durch das BKA Erkenntnisse zu Angeklagten, Zeugin-
nen und Zeugen, Zuschauerinnen und Zuschauern sowie Journalistinnen
und Journalisten erhoben werden?

11. Ist das BKA oder eine andere Bundesbehörde (welche) berechtigt, auf die
Fotokopien zuzugreifen, die von den Ausweisen der Prozessbesucher/
Prozessbesucherinnen angefertigt werden (falls ja, bitte die Ermächtigungs-
grundlage angeben)?

12. Hat das BKA bereits in der Vergangenheit Hauptverhandlungen beobachtet,
und wenn ja, wie oft, und um welche Verfahren handelte es sich hierbei
(bitte die genaue Zahl und zumindest die Anklagepunkte nennen)?

13. Wurden bereits anlässlich früherer Verhandlungsbeobachtungen „politische
Entscheidungsträger“ unterrichtet, und wenn ja, um welche Personen bzw.
Inhaber welcher Ämter handelte es sich hierbei?

In welchen Verfahren ist dies vorgekommen, und welche Informationen
sind dabei übermittelt worden?

14. Nehmen Nachrichtendienste des Bundes beobachtend an der Verhandlung
teil, und wenn ja, welche, und warum?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10774

15. Wie bewertet die Bundesregierung die einschüchternde Wirkung der Be-
obachtung des Verfahrens durch das BKA auf andere Prozessbesucher/
Prozessbesucherinnen, die nun befürchten müssen, alleine aufgrund ihrer
Anwesenheit im Gerichtssaal Objekt der Beobachtung durch das BKA zu
werden, und wie verträgt sich dies mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit
von Gerichtsverfahren?

Berlin, den 22. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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