BT-Drucksache 16/10675

Gefährdung von Bienen und Wildinsekten in Deutschland

Vom 17. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10675
16. Wahlperiode 17. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Hans-Josef Fell,
Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, Bärbel Höhn, Dr. Anton
Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gefährdung von Bienen und Wildinsekten in Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland bewirtschaften 82 000 Imker nur noch etwa
700 000 Bienenvölker. Für die wenigsten Imker lohnt sich eine Haupt- oder
Nebenerwerbstätigkeit. Etwa 95 Prozent der Bienenzüchter betreiben die Imke-
rei als Hobby in ihrer Freizeit.

In der Landwirtschaft sind 80 Prozent der Kulturpflanzen auf die Bestäubungs-
leistung der Honigbienen angewiesen. Nach Angaben des Deutschen Imker
Bundes (DIB) beträgt der volkswirtschaftliche Wert der Bestäubungsleistung
allein in der Bundesrepublik Deutschland ca. 2 Mrd. Euro jährlich.

Trotz der hohen ökologischen und ökonomischen Bedeutung der Imkerei haben
die Imker in der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Probleme zu bewälti-
gen. So starben im Sommer 2008 in Süddeutschland 11 500 Bienenvölker und
damit 500 Millionen Bienen an dem als Saatgutbeize ausgebrachten Insektizid
Chlothianidin. Betroffen waren 700 Imker. Neben diesem besonders drasti-
schen Fall von Bienensterben infolge einer akuten Pestizidvergiftung sind aber
bereits seit Jahren hohe Verluste von Bienenvölkern festzustellen, die offenbar
auf mehrere Ursachen zurückzuführen sind. Neue Krankheiten schädigen die
ohnehin durch schrumpfende Biodiversität, flächenhaften Pestizideinsatz, kli-
matische Veränderungen und Parasitenbefall geschwächten Bienen.

Im Rahmen der Zulassung wird zwar auch die Bienengefährlichkeit von Wirk-
stoffen und von Pestiziden geprüft. Die Methodik wird jedoch nicht den An-
forderungen an eine nachhaltige Risikoanalyse gerecht. Untersuchungen auf
die langfristige Wirkung von chemischen Substanzen auf den Bienenstock als
Gesamtorganismus fehlen vollständig. Dadurch kommt es immer wieder zu
diffusen Vergiftungserscheinungen, deren Ursachen oft ungeklärt bleiben. Sie
erhöhen jedoch die Empfindlichkeit der Bienen gegenüber anderen Schad-
wirkungen.

Aber auch der Gentechnikeinsatz in der Landwirtschaft stellt eine existenzielle
Bedrohung der Imker dar. Per Gerichtsbeschluss vom 30. Mai 2008 wurde der
Honig des bayrischen Imkers Karl-Heinz Bablok aufgrund gentechnischer

Verunreinigung durch den Pollen von Bt-Mais aus dem Versuchsanbau der
bayerischen Staatsregierung zu Sondermüll. Aber auch anderswo in der Bun-
desrepublik Deutschland müssen Imker ihre Standorte verlassen, um ihren
Honig vor der Verunreinigung durch Pollen von gentechnisch veränderten
Pflanzen zu schützen. Darüber hinaus fehlt es an unabhängiger Forschung – vor
allem an ökotoxikologischen Untersuchungen – hinsichtlich der Auswirkungen
des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen auf Bienen.

Drucksache 16/10675 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Bienengesundheit

1. Sind aus Sicht der Bundesregierung in den letzten Jahren erhöhte Verluste
von Bienenvölkern zu verzeichnen?

Wie haben sich die Zahlen in den Jahren von 1990 bis heute verändert?

2. Was sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Ursachen für erhöhte
Verluste von Bienenvölkern in den letzten Jahren?

3. Welche Schädlinge und Parasiten schädigen die Bienen in der Bundesrepu-
blik Deutschland?

4. Was tut die Bundesregierung dafür, die Ausbreitung dieser Arten in der
Bundesrepublik Deutschland zu hemmen?

5. Welche Schädlinge und Parasiten, die derzeit in der Bundesrepublik
Deutschland noch nicht auftreten, könnten künftig für die Bienen in der
Bundesrepublik Deutschland gefährlich werden, sofern ihre Ausbreitung
nicht verhindert wird?

6. Was tut die Bundesregierung dafür, um die Einwanderung dieser Arten in
die Bundesrepublik Deutschland zu verhindern?

7. Wie ist die Forschung im Bereich Bienengesundheit auf Bundes- und
Landesebene organisiert (mit Bitte um Aufschlüsselung nach Ländern), mit
welchen Mitteln ist sie ausgestattet, und an welchen Themen wird konkret
erforscht?

8. Sieht die Bundesregierung Verbesserungsbedarf bzgl. der bundesweiten
Bieneninstitute zur Erlangung von mehr Effizienz, und wenn ja, wie steht
sie zu der Forderung der Einrichtung einer zentralen Bienenforschungs-
anstalt?

9. Wer trägt welchen Anteil zur Finanzierung des Bienenmonitorings bei?

10. Hält die Bundesregierung die Einführung eines einheitlichen „Sachkunde-
nachweis für Bienenhaltung“ für ein sinnvolles Instrument für effizientere
Wissensvermittlung und Aufklärung über Bienenkrankheiten und Behand-
lungsmethoden, und wenn ja, welche Rolle kann sie bei der Einführung
eines solchen „Bienenführerscheines“ spielen?

II. Bienen und Pestizide

11. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Schädigung von Honigbienen
durch den regelmäßigen Pestizid- und insbesondere den Insektizideinsatz
auf ca. 50 Prozent der Landesfläche ein?

12. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung Hinweise für einen allgemeinen
Rückgang von Wildinsekten?

13. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Schädigung von Wildinsekten
durch den regelmäßigen Pestizid- und insbesondere den Insektizideinsatz
auf ca. 50 Prozent der Landesfläche ein?

14. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob der Einsatz von Pestiziden
die Honigbienen in der Weise schwächt, dass Bienenschädlinge – wie z. B.
die Varroa-Milbe – dadurch verstärkte Schäden an Bienenvölkern verur-
sachen?

15. Welche Auswirkungen auf Honigbienen und Wildinsekten sind durch die
ordnungsgemäße Ausbringung von Neonikotinoiden auf landwirtschaft-

lichen Nutzflächen zu befürchten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10675

16. Gibt es Hinweise darauf, dass die Ausbreitung des Maiswurzelbohrers
durch die Saatgutbeizung mit Neonikotinoiden tatsächlich gestoppt werden
kann, und wenn ja, welche?

17. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Miss-
erfolge bei der Bekämpfung des Maiswurzelbohrers in den bayrischen
Landkreisen Deggendorf und Passau?

18. Mit welcher Begründung wurde Clothianidin in Italien inzwischen ver-
boten, und warum kommen die Behörden des Bundes hinsichtlich der Be-
wertung dieses Insektizids zu einer anderen Bewertung als die italienischen
Behörden?

19. Welche Wirkungen haben Neonikotinoide wie Clothianidin beim Men-
schen?

20. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass sämtliche möglichen Exposi-
tionswege (z. B. Abrieb und Staub bei der Aussaat, verlorenes Saatgut am
Feldrand und im Wendebereich der Sämaschine, Aufschwemmen des Saat-
gutes bei starken Regenfällen, Aufnahme des Wirkstoffes durch die
Pflanze) bei der Zulassung von Pestiziden berücksichtigt werden?

21. Wie stellt die Bundesregierung sicher (z. B. durch Veröffentlichung der
Studien, die bei der Zulassung eingereicht werden), dass die Entscheidun-
gen über die Zulassung von Pestiziden von Dritten nachvollziehbar sind?

22. Was tut die Bundesregierung in Brüssel, um sich für eine verbesserte
Berücksichtigung der Bienengesundheit bei der Zulassung von Pestizid-
wirkstoffen und von Pestiziden einzusetzen?

23. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die von der
BEEgroup Würzburg entwickelte verbesserte Risikobewertung von Pesti-
ziden durch Leistungstests für Honigbienen?

24. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass bei der Zulassung erteilte
Bienenschutzauflagen in der landwirtschaftlichen Praxis (z. B. „nach Be-
endigung des Bienenfluges“ oder „nicht in die Blüte spritzen“) auch ein-
gehalten werden?

25. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die in den landwirt-
schaftlichen Betrieben tatsächlich im Einsatz befindliche Aussaattechnik?

26. Welche Aufmerksamkeit widmet das aus Bundesmitteln mitfinanzierte
Bienenmonitoring den Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die
Gesundheit der Honigbienen?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Belastun-
gen durch Pestizide für Honigbienen und Wildinsekten für das Pflanzen-
schutzrecht?

28. Hält die Bundesregierung die Schutzbestimmungen des Pflanzenschutz-
rechtes für Honigbienen und Wildinsekten für ausreichend?

29. Welche Änderungen hält die Bundesregierung im Pflanzenschutzrecht für
erforderlich, um die Auswirkungen von Pestiziden auf Honigbienen und
Wildinsekten zu vermindern?

30. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang Forderun-
gen, die Bewertung der Bienengefährlichkeit und der Einflüsse auf Wild-
insekten bei der Zulassung von Pestizidwirkstoffen und von Pflanzen-
schutzmitteln stärker zu berücksichtigen als bisher?

31. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Forde-

rung, die Ausbringung von Pestiziden aus der Luft zu verbieten, um die
Streuverluste bei der Pestizidausbringung zu vermindern?

Drucksache 16/10675 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

32. Welche weiteren technischen Vorschriften für die Pestizidausbringung hält
die Bundesregierung für angebracht, um die Streuverluste bei der Pestizid-
ausbringung zu vermindern?

III. Bienen und Gentechnik

33. Welche rechtlichen Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Urteil des Verwaltungsgerichtes (VG) Augsburg vom 30. Mai 2008, wo-
nach Honig, der mit MON810-Pollen verunreinigt ist, nicht verkehrsfähig
ist?

34. Plant die Bundesregierung, Schutzvorschriften für Imker im Gentechnik-
recht zu verankern, vor allem hinsichtlich einer Verunreinigung des Honigs
mit in der EU nicht für den Lebensmitteleinsatz zugelassener gentechnisch
veränderter Organismen (GVO)?

Wenn nein, warum nicht, und mit welchen anderen Maßnahmen will die
Bundesregierung Imker vor zukünftigen Verunreinigungen mit nicht in der
EU für den Lebensmittelzweck zugelassenen gentechnisch veränderten
Organismen schützen?

35. Mit welchen ökonomischen Folgen für die Landwirtschaft rechnet die
Bundesregierung, sollte die Zahl der Imker weiterhin abnehmen und viele
Imker infolge eines möglichen vermehrten Anbaus von gentechnisch ver-
änderten Pflanzen in der Landwirtschaft die Imkerei einstellen oder ver-
lagern?

36. Hält die Bundesregierung es für sinnvoll, sich wie vom Bundesminister für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, im
bayerischen Wahlkampf angekündigt in einigen Regionen der Bundesrepu-
blik Deutschland für den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft aus-
zusprechen (z. B. Bayern) und in anderen Teilen (z. B. Ostdeutschland)
nicht?

Welche Auswirkungen hätten regionale gentechnikfreie Regionen auf die
Situation und Rechtslage der Imker?

37. Im Rahmen welcher aktuell laufenden Forschungsprojekte (aufgeteilt nach
Haushaltstitel, Gesamtfördervolumen und Fördervolumen pro Jahr sowie
beteiligte Forschungsgruppen/Zuwendungsträger) werden die Konsequen-
zen eines Anbaus von gentechnisch verändertem Mais MON810 für Imker
untersucht – z. B. hinsichtlich des Eintrags von Pollen in den Honig oder
hinsichtlich der Ausbreitung des Pollens durch Bienen?

38. Im Rahmen welcher aktuell laufender Forschungsprojekte (aufgeteilt nach
Haushaltstitel, Gesamtfördervolumen und Fördervolumen pro Jahr sowie be-
teiligte Forschungsgruppen/Zuwendungsträger) werden ökotoxikologische
Auswirkungen des in den Bt-Pflanzen wie MON810 produzierten Proteins
auf Bienen untersucht?

39. Welche Aufmerksamkeit widmet das Bienenmonitoring den Auswirkungen
gentechnisch veränderter Pflanzen auf die Gesundheit der Honigbienen?

40. Welche Konsequenzen hinsichtlich der Abstandsregelungen in der Gen-
technik-Pflanzenerzeugungsverordnung (GenTPflEV bzw. Verordnung
über die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter
Pflanzen) zieht die Bundesregierung daraus, dass laut einer kürzlich veröf-
fentlichten Studie (Umweltwiss Schadst. Forsch.; Springer Verlag 2008)
eine Pollendeposition von MON810-Pollen bis zu einem Abstand von
1 000 m festgestellt wurde und der Anteil an MON810-Pollen in den
Pollenhöschen der Bienen je nach Standort und Entfernung vom Anbaufeld

7 bis 49 Prozent betrug?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10675

Plant die Bundesregierung u. a. aufgrund dieser Ergebnisse, in die Gen-
technik-Pflanzenerzeugungsverordnung Regelungen aufzunehmen, die so-
wohl den Schutz der Imker als auch die Pollendeposition durch Bienen bei
der Bemessung der Abstandsregelung berücksichtigt?

41. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass das Saatgut des gen-
technisch veränderten Mais MON810 trotz der der Pflanze innewohnenden
insektiziden Wirkung in der Praxis gebeizt wird, und wenn ja, welche Beiz-
mittel werden in diesen Fällen eingesetzt?

IV. Förderung der Imkerei

42. Wie kann aus Sicht der Bundesregierung die Berufs- und Hobbyimkerei
wirksam so gefördert werden, dass die Anzahl von Berufs- und Hobby-
imkern und die Anzahl der von ihnen gehaltenen Bienenvölkern wieder
steigt?

43. Sieht die Bundesregierung finanzielle Anreize, wie beispielsweise die Ein-
führung einer Bestäubungsprämie, als geeignetes Mittel an, um die Berufs-
und Hobbyimkerei zu fördern?

44. Hält die Bundesregierung die momentane Förderung der Berufs- und
Hobbyimkerei für ausreichend, oder sieht sie die rückläufigen Zahlen die-
ses Berufszweiges als Zeichen für eine nichtzielführende Förderung an?

Berlin, den 17. Oktober 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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