BT-Drucksache 16/1066

Treibhausgasemissionen bei Dienstreisen ausgleichen - Vorbildfunktion der öffentlichen Hand erfüllen

Vom 28. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1066
16. Wahlperiode 28. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,
Cornelia Behm, Hans Josef Fell, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Sylvia Kotting-Uhl,
Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Treibhausgasemissionen bei Dienstreisen ausgleichen – Vorbildfunktion
der öffentlichen Hand erfüllen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Nationale Klimaschutzprogramm der Bundesregierung von 2005 betont,
dass „die öffentliche Hand und insbesondere die Bundesregierung auch im Rah-
men des Klimaschutzprogramms ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und bei
den eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten systematisch auf den Aspekt der Kli-
marelevanz achten muss“ (Nationales Klimaschutzprogramm 2005, Sechster
Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe, Bundestagsdrucksache 15/5931).
Der Flugverkehr spielt hierbei eine gewichtige Rolle. Die Emissionen von
Treibhausgasen sind im Flugverkehr im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern
besonders hoch. Hinzu kommt, dass die klimaschädigende Wirkung der Emis-
sionen in höheren Lagen der Atmosphäre um das Zwei- bis Vierfache größer ist
als in Bodennähe.

Eine Möglichkeit zur Reduzierung von Treibhausgasen im Luftverkehr ist die
Einführung einer Kerosinsteuer oder vergleichbarer Instrumente. Der Deutsche
Bundestag hat sich zuletzt 1997 fraktionsübergreifend für eine Besteuerung von
Flugbenzin ausgesprochen, jedoch konnte bisher weder international noch EU-
weit eine Einigung über eine Kerosinsteuer erzielt werden. Die Besteuerung des
Flugverkehrs ist grundsätzlich aber dringend erforderlich, da er in hohem Maße
ökologisch schädliche Folgewirkungen hat: Er schädigt nicht nur das Klima in
besonderer Weise, sondern sorgt auch durch Lärm- und Schadstoffemissionen
für eine erhebliche Beeinträchtigung von Umwelt und Gesundheit.

Aufgrund der bislang nicht erfolgten Einführung solcher Instrumente ist eine
aktive Vorbildfunktion der öffentlichen Hand von besonderer Bedeutung. Bisher
können die Verwaltungen der bundes- und landeseigenen Behörden eine Sen-
kung der Treibhausgasemissionen bei Dienstreisen lediglich durch eine Redu-
zierung der Reisen erzielen. Gleichwohl gibt es verschiedene Modelle und Bei-

spiele gelungener Kompensation der Treibhausgasemissionen bei Flugreisen.
So hat die britische Regierung beschlossen, ab April 2006 die Emissionen un-
vermeidbarer Flugreisen mit freiwilligen Klimaschutzabgaben zur Finanzierung
von Treibhausgasreduzierungen in Klimaschutzprojekten zu kompensieren.
Auch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat im vergange-
nen Jahr ein solches Programm für alle Dienstflüge eingeführt. Die GTZ unter-
stützt damit Klimaschutzprojekte, die nach international gültigen Abkommen,

Drucksache 16/1066 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

wie dem Regelwerk des Kyoto-Protokolls (Artikel 12 Clean Development
Mechanism – CDM, Artikel 6 Joint Implementation – JI), oder etablierten inter-
nationalen Standards wie dem Gold Standard der internationalen Umweltorga-
nisationen zertifiziert worden sind. Der Gold Standard wurde unter Führung des
World Wide Fund For Nature (WWF) und unter Mitarbeit von Wissenschaftlern
entwickelt. Er ist ein unabhängiges Referenz- und Benchmark-System, das eta-
bliert wurde, um die ökologische Integrität von JI- und CDM-Projekten zu erhö-
hen. Auch der 30. Evangelische Kirchentag in Hannover 2005 sorgte mit einem
ähnlichen Programm für den Ausgleich der Emissionen bei den Flügen der Teil-
nehmer. Im Rahmen von „Green Goal“ hat sich die FIFA verpflichtet, bei der
Fußballweltmeisterschaft in Deutschland CO2-Emissionen von Flügen durch die
Förderung von Klimaschutzprojekten, vor allem in Afrika, auszugleichen. Ge-
eignete Verfahren existieren bereits. So können Flugemissionen mit einem Pro-
gramm berechnet werden, das im Rahmen des Forschungsprojekts „Klima-
bewusst fliegen“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit erstellt und vom Umweltbundesamt geprüft wurde. Die daraus her-
vorgegangene Initiative „atmosfair“ ist eine gemeinnützige GmbH, die im Mai
2005 gegründet wurde. Sie gibt Flugpassagieren die Möglichkeit, freiwillig für
die von ihnen verursachten Klimagase zu zahlen. Das Geld wird zum Beispiel in
Solar-, Wasserkraft-, Biomasse- oder Energiesparprojekte investiert, um dort die
Menge Treibhausgase einzusparen, die eine vergleichbare Klimawirkung hat
wie die Emissionen aus dem Flugzeug. Finanziert werden Projekte in Entwick-
lungsländern. Die Projekte werden kontrolliert von Gremien und technischen
Organisationen, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls entstanden sind.

Nach der geltenden Rechtslage des Bundesreisekostengesetzes werden nur die
notwendigen Reisekosten erstattet. Die bestehenden Haushaltstitel für Dienst-
reisen können nicht als Rechtsgrundlage für die Internalisierung externer Kosten
des Flugverkehrs herangezogen werden. Weil derzeit eine haushaltsrechtliche
Grundlage für die Einführung von Klimaschutzbeiträgen fehlt, sind Änderungen
des Bundesreisekostengesetzes bzw. der landesrechtlichen Reisekostenregelun-
gen und die Einführung eines gesonderten Haushaltstitels im Haushaltsgesetz
erforderlich.

Das Aufkommen für die Ausgleichsprojekte zum Klimaschutz beträgt schät-
zungsweise fünf Prozent der Reisekostentitel. Diese Kosten können durch Rea-
lisierung der erheblichen Einsparpotentiale haushaltsneutral erbracht werden.
Die größten Kosteneinsparpotentiale bei Dienstreisen ergeben sich durch die
Substitution von Reisen durch Telekommunikation und durch ein systematisier-
tes Travel Management System. Die technischen Entwicklungen der letzten
Jahre haben verschiedene Anwendungen hervorgebracht, die effiziente Kom-
munikation auch ohne Reisen ermöglichen. Studien des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung von 2003 gehen davon aus, dass auch in Unternehmen
bis zu 20 Prozent der bei Dienstreisen geflogenen Personenkilometer durch mo-
derne Kommunikationsformen ohne Beeinträchtigung der Qualität ersetzt wer-
den können.

Mit der raschen Einführung eines solchen Programms zur Kompensation von
Treibhausgasemissionen bei Dienstreisen durch die Förderung von Klima-
schutzprojekten würden Bundesregierung und Bundesbehörden eine öffentliche
Vorbildfunktion übernehmen und ihre Glaubwürdigkeit als starker Akteur im in-
ternationalen Klimaschutz erhöhen. Angesichts der anhaltenden ökologischen
Belastung durch den Flugverkehr ist politisches Handeln dringend geboten. Ak-
tive Klimaschutzpolitik heute entlastet auch die öffentlichen Haushalte, die
schließlich für die Folgen des Klimawandels aufkommen müssen, und schafft
größere Handlungsspielräume für die nachfolgenden Generationen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1066

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die nötigen rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sämtliche
Bundesministerien und -behörden in die Lage versetzt werden, die durch
Flugdienstreisen verursachten Treibhausgasemissionen durch die Förderung
von Klimaschutzprojekten ausgleichen zu können. Die Dienstherren der
Bundesverwaltung werden verpflichtet, Klimaschutzbeiträge zur Kompensa-
tion der Treibhausgasemissionen von Dienstreisen ihrer Mitarbeiter zu leis-
ten. Entsprechendes soll für die Verwaltungen der Verfassungsorgane gelten;

2. die Klimaschutzbeiträge durch Effizienzsteigerung und Substitution bei den
Dienstreisen zu finanzieren und damit haushaltsneutral zu gestalten.

Berlin, den 28. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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