BT-Drucksache 16/10657

Beurteilung des "Witikobundes" durch die Bundesregierung

Vom 16. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10657
16. Wahlperiode 16. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Petra Pau und der Fraktion
DIE LINKE.

Beurteilung des „Witikobundes“ durch die Bundesregierung

Der Witikobund wurde 1948 von ehemaligen Anhängern der in den 30er Jahren
in der Tschechoslowakei von Konrad Henlein geführten Sudetendeutschen
Partei gegründet, die als fünfte Kolonne des NS-Regimes fungierte. Die meis-
ten Gründungsmitglieder des Witikobundes waren ehemalige Angehörige der
NSDAP oder der SS gewesen.

„Der Witikobund versteht sich als ,nationale Gesinnungsgemeinschaft‘, als
geistige Elite, die dazu berufen ist, die Vertriebenenverbände auf eine völkisch-
deutschnationale Linie auszurichten. […] Der Witikobund will keine Massen-
organisation sein, sondern arbeitet nach Art einer konspirativ abgeschotteten
Kaderorganisation.“ (Jens Mecklenburg: Handbuch Deutscher Rechtsextremis-
mus, Berlin 1996, 364 f.). Auf diese Weise hat der Witikobund erheblichen
Einfluss innerhalb der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Obwohl dem Witi-
kobund nur schätzungsweise 1 000 Mitglieder angehören, bestand zumindest
bis zur Jahrtausendwende die Bundesversammlung der nach eigenen Aussagen
250 000 Mitglieder starken Sudetendeutschen Landsmannschaft zu über fünf-
zig Prozent aus Witikonen. Am Sudetendeutschen Tag 2008, an dem zahlreiche
Politiker von CDU/CSU wie der Staatssekretär beim Bundesminister des Inne-
ren, Peter Altmaier, und der bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein
Grußworte hielten, beteiligte sich der Witikobund mit einer im offiziellen Pro-
gramm angekündigten Vortragsveranstaltung.

Im Witikobund tummeln sich zahlreiche Mitglieder und Funktionäre rechts-
extremer Vereinigungen. Seit den 60er Jahren bestehen enge Beziehungen zur
NPD, die offenbar andauern. Im März 2007 wählte der Witikobund Baden-
Württemberg einen ehemaligen NPD-Landtagskandidaten zum Vorsitzenden.
Im Jahr 2000 schloss die wegen rechtsextremer Umtriebe aus der „Landsmann-
schaft Ostpreußen“ ausgeschlossene „Junge Landsmannschaft Ostpreußen“ mit
dem Witikobund ein Kooperationsabkommen.

Entsprechend finden sich im Witikobrief immer wieder revanchistische und
gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtete Äußerungen. Die
tschechische Republik wird wegen ihres Festhaltens an den Benes-Dekreten als
„moralisch verkommen“ diffamiert: „Ein Staat, der wie die Tschechische Repu-

blik nicht bereit ist, Räuber und Mörder zu verurteilen, ist kein Rechtsstaat. So
ein Staat ist ein Krebsgeschwür im Herzen Europas, steht außerhalb der
Völkergemeinschaft und darf […] auf keinen Fall in die EU aufgenommen
werden.“ (Herbert Krause: Sudetendeutsche Opfer klagen an!, in: Witikobrief,
3–6/2002, S. 8–9, zit. Nach Stephan Braun/Danile Hörsch: Rechte Netzwerke,
eine Gefahr, 2004, S. 39).

Drucksache 16/10657 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Zum 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus heißt es in
Witikobrief 2/08: „Nein, der 8. Mai war kein Tag der Befreiung – angesichts
des unermesslichen Leids, angesichts der Millionen Toten, Verwundeten,
Geschändeten und Verhungerten, angesichts des Völkermordes an 15 Mio.
Deutschen ist dies für uns vor allem ein Tag der Trauer und der Erinnerung.“

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der PDS zur Einschätzung des Witiko-
bundes erklärte die Bundesregierung Ende 2001: „Das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz (BfV) hat eine Verdichtung von tatsächlichen Anhaltspunkten
für rechtsextreme Bestrebungen festgestellt.“ (Bundestagsdrucksache 14/7865
Antwort zu Frage 1).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit hält die Bundesregierung an ihrer Ende 2001 zu der Antwort auf
eine Kleine Anfrage der PDS getroffenen Einschätzung fest, wonach beim
Witikobund „eine Verdichtung von tatsächlichen Anhaltspunkten für rechts-
extreme Bestrebungen festgestellt“ wurden?

2. Inwieweit werden die „Witikobriefe“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz
auf Anhaltspunkte für rechtsextreme Bestrebungen ausgewertet?

3. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob seit dem Jahr 2002 NS-
Verbrechen durch Autoren des „Witikobriefes“, auf Veranstaltungen des
Witikobundes oder durch Funktionäre des Witikobundes geleugnet oder re-
lativiert wurden, und wenn ja, welche?

4. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, ob die rechtsextreme Propa-
gandaformel der „Kriegsschuldlüge“ seit 2002 durch den Witikobund und
den Witikobrief verbreitet wird bzw. wurde, und wenn ja, welche?

5. Hat die Bundesregierung Kenntnisse über antisemitische Äußerungen durch
Autoren des Witikobriefs, auf Veranstaltungen des Witikobundes oder durch
Funktionäre des Witikobundes?

6. Welche verfassungsschutzrelevanten Kenntnisse hat die Bundesregierung
über eine Zusammenarbeit bzw. einen Kontakt zwischen dem Witikobund
und rechtsextremen Parteien bzw. Verbänden oder eine Durchdringung des
Witikobundes durch Funktionäre solcher Verbände und Parteien?

7. Welchen Einfluss haben Witikonen nach Erkenntnissen der Bundesregie-
rung auf die Sudetendeutsche Landsmannschaft?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Teilnahme von Peter Altmaier,
Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Inneren, am
Sudetendeutschen Tag im Mai 2008 angesichts der Tatsache, dass auch der
Witikobund offiziell am Programm beteiligt war?

9. Ist der „Witikobund e. V.“ aus Mitteln des Bundeshaushaltes (gegebenen-
falls auch über die Bundeszentrale für politische Bildung, den Bund der
Vertriebenen, die Sudetendeutsche Landsmannschaft oder Einrichtungen der
Vertriebenenverbände) seit dem Jahr 2002 bezuschusst worden (bitte detail-
liert nach Jahren und Aktivitäten auflisten)?

Berlin, den 15. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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