BT-Drucksache 16/10564

Auswirkungen der neuen Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug - Bilanz nach einem Jahr (Stand 30. September 2008)

Vom 13. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10564
16. Wahlperiode 13. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Ulrich Maurer und der
Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der neuen Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug – Bilanz
nach einem Jahr (Stand 30. September 2008)

Auf einer Tagung des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften (iaf
e. V.) und der Türkischen Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland am
25. September 2008 in Berlin wurden die Auswirkungen der seit Ende August
2007 geltenden neuen Einschränkungen des Ehegattennachzugs dargestellt, be-
wertet und debattiert.

Cornelia Spohn vom iaf e. V. konstatierte, dass die langen Wartezeiten infolge
der neuen Sprachanforderungen mit viel menschlichem Leid verbunden seien:
„Die Menschen sind empört über die staatlichen Eingriffe in ihr Privatleben, sie
sind verzweifelt über hinhaltende oder unklare Angaben der Behörden, sie sind
wütend über die langen Trennungszeiten und sie verlieren das Vertrauen in
rechtsstaatliches Handeln“, heißt es in der Broschüre des iaf e. V. über Erfah-
rungen mit der Verschärfung beim Ehegattennachzug („Haben Sie noch eine
Idee?“, S. 3). In das Recht auf freie Partnerwahl und den Schutz der Familie
werde massiv eingegriffen. Ein „Nutzen“ in Bezug auf die behauptete Verhin-
derung von Zwangsverheiratungen sei nach einem Jahr „nicht zu erkennen“,
der „Schaden“ der Neuregelung hingegen sei „zahlreich belegt“, heißt es dort.
„Die Sprachanforderung bekämpft nicht die Zwangsheirat, sondern erschwert
den Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland. Frauen, die sich tatsächlich in
Gewaltsituationen befinden, erfahren dabei kein Unterstützungs- und Hilfsan-
gebot. Ihre Zwangslage bleibt durch diese Regelung unberührt. (…) Den
Frauen würde somit eher geholfen sein, wenn sie zeitnaher in die Bundesrepu-
blik Deutschland einreisen könnten. Diese Neuregelung jedoch setzt sie länger
der Kontrolle der dortigen Familie aus und belässt sie damit in ihrer Gewalt-
situation“ (ebd., S. 36).

Hiltrud Stöcker-Zafari vom iaf e. V. veranschaulichte eine besonders desinteg-
rative Auswirkung der Neuregelung am Beispiel eines eingebürgerten Griechen
mit doppelter Staatsangehörigkeit. Dieser denkt daran, die deutsche Staatsange-
hörigkeit wieder aufzugeben, weil er dann als (nur) griechischer Staatsangehö-
riger den Freizügigkeitsbestimmungen der Europäischen Union gemäß seine
Frau aus der Dominikanischen Republik auch ohne vorherigen Sprachnachweis

in die Bundesrepublik Deutschland nachholen könnte. Die so genannte Inlän-
derdiskriminierung (für Unionsbürger/Unionsbürgerinnen gelten bessere Be-
dingungen als für Deutsche) führt zu absurden Ungleichbehandlungen in der
Praxis und in Einzelfällen auch dazu, dass Deutsche vorübergehend im euro-
päischen Nachbarland ihren Wohnsitz nehmen, um dort als EU-Angehörige
ihre Ehegatten ohne zusätzliche behördliche Schikanen nachziehen lassen zu
können.

Drucksache 16/10564 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Prof. Dr. Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschen-
rechte, legte dar, dass die Neuregelung der Sprachanforderungen vor der Ein-
reise „eindeutig nicht verhältnismäßig“ sei und für bestimmte Gruppen (etwa
Analphabeten) sogar einen „de-facto-Ausschluss“ vom Recht auf Familien-
zusammenleben bedeute: Vor ihnen baue sich „keine Hürde, sondern eine
Wand“ auf. Durch die gesetzlichen Einschränkungen würden nicht nur Ein-
zelne ausgrenzt, sondern die „Gesamt-Glaubwürdigkeit der Integrationspolitik“
gefährdet. Auch die deutsche Staatsangehörigkeit verliere im Übrigen an Wert,
weil in bestimmten Konstellationen (Sozialhilfebezug, Verbindungen zum Aus-
land) nunmehr selbst Deutschen ein Nachzug ihrer Ehegatten verweigert wer-
den könne. So seien „Staatsbürger 1. und 2. Klasse“ geschaffen worden.

Dr. Hans-Peter Uhl (CSU) bezeichnete sich auf der Tagung als „treibende Kraft
dieser Regelung“ und verteidigte sie: „Integration heißt deutsch lernen“.
600 Wörter seien lediglich „erbärmliches Mittelmaß“ und ließen sich „auch
ohne Strom und ohne Goethe-Institut“ auf der ganzen Welt („vom Nordpol bis
zum Südpol“) anhand eines „Pamphlets“ erlernen. Auf die besondere Situation
von Analphabeten und die fehlende Härtefallregelung hin angesprochen ant-
wortete er: „Wollen Sie die Masseneinwanderung von Analphabeten?“. Es gebe
ein „nationales Interesse, keine Analphabeten in Deutschland zu haben“.
Lediglich die so genannte „Inländerdiskriminierung“ sah er kritisch: Er würde
seine „Hand nicht dafür ins Feuer legen“, dass dies „vor Gericht“ Bestand
hätte.

Auch Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD) bekannte sich zu der Neuregelung: „Wir
[die SPD] haben die Regelung gewollt“, „das Gesetz wirkt“. Während er einer-
seits erklärte: „Ich bin ein Täter, kein Opfer“, behauptete er anderseits: „Wir
wollen auf gar keinen Fall die Menschen quälen, niemanden“. Die nur 50-pro-
zentige Bestehensquote beim Sprachtest weltweit (ohne vorherigen Sprachkurs
beim Goethe-Institut) bezeichnete er dessen ungeachtet als „beachtlich“.

In der Broschüre des iaf e. V. wird eine Betroffene mit folgenden Worten zitiert
(S. 26): „Das ist doch unmenschlich. Wollen die Verantwortlichen dies nicht se-
hen und verstehen? Ich bin am Ende. Deutschland ist ein demokratisches Land,
so heißt es immer. Aber wen ich heirate, will der Staat entscheiden, denn auf
diese Weise gehen die Ehen kaputt. Wir sind auch kurz davor. Kann sich die
Regierung nicht vorstellen, wie es ist verheiratet zu sein, sich zu lieben und
trotzdem gezwungen zu werden getrennt zu leben? Jeden Tag depressiv zu
werden, darauf habe ich keine Lust und Ausdauer mehr. Ich weiß nicht mehr
weiter …“.

Konkrete Erfahrungsberichte machen deutlich, dass die Zusage etwa von
Staatsministerin und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration,
Flüchtlinge und Integration, Prof. Dr. Maria Böhmer, niemand würde gehin-
dert, zum Ehegatten zu ziehen, und die geforderten Sprachkenntnisse ließen
sich in drei Monaten erwerben (Plenarprotokoll 16/144, S. 15188), sich in der
Praxis häufig als unzutreffend erweist. Dies bestätigen auch die statistischen
Angaben der Bundesregierung zum Rückgang der erteilten Visa zum Ehegat-
tennachzug. Der Vergleich des 1. Halbjahres 2007 mit dem 1. Halbjahr 2008
(d. h. vor und nach der Gesetzesänderung) ergibt für die vier Hauptherkunfts-
länder – Türkei, Kosovo, Russland und Thailand – einen Rückgang der erteil-
ten Visa um 35 bis 42 Prozent (vgl. Antwort des Auswärtigen Amtes vom
8. September 2008 auf die schriftlichen Fragen der Abgeordneten Sevim
Dag˘delen 5 bis 7 auf Bundestagsdrucksache 16/10215). Die Bundesregierung
geht offenkundig davon aus, dass die gesetzlichen Einschränkungen des Ehe-
gattennachzugs eine dauerhafte und nicht nur vorübergehende Wirkung haben.
In einer „Hintergrundinformation“ des Bundesministeriums des Innern „zum

Berichterstattervorschlag – Durchführung von Integrationskursen nach der In-
tegrationskursverordnung“ (ohne Datum) heißt es: „Grund hierfür [Rückgang

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10564

der integrationskursberechtigten Neuzuwanderer] ist ein weiterer Rückgang
des Familiennachzugs infolge der geforderten einfachen Sprachkenntnisse für
nachziehende Ehegatten. Für 2009 wird mit einer Stabilisierung der Anzahl der
Neuzuwanderer insgesamt auf diesem niedrigen Niveau gerechnet“.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Visa zum Ehegattennachzug wurden im 3. Quartal des Jahres 2008
erteilt (bitte auch die Vergleichswerte für das 3. Quartal 2007 und das
2. Quartal 2008 und den jeweiligen prozentualen Rückgang oder Anstieg be-
nennen)?

a) Wie lauten die entsprechenden Angaben zu den 15 stärksten Herkunfts-
ländern, differenziert nach Ländern (bitte in absoluten und relativen Zah-
len)?

b) Wie lauten die entsprechenden Angaben zu den 15 stärksten Herkunfts-
ländern, differenziert nach Zuzug zu Deutschen/Nicht-Deutschen/Ehe-
frauen/Ehemännern?

c) Wie viele Visa zum Ehegattennachzug wurden im 1. Halbjahr 2007 bzw.
im 1. Halbjahr 2008 erteilt, und wie lauten die jeweiligen Veränderungen in
Prozent (bitte nach allen 185 Visumsstellen differenziert angeben; die um-
fassende Datenabfrage ist erforderlich, weil die Bundesregierung in bis-
herigen Antworten nicht bereit oder in der Lage war, jenseits der
15 herkunftsstärksten Länder die Zahlen der einzelnen Vertretungen so zu-
sammenzuzählen, dass Angaben zu Ländern und nicht zur Visumsstellen
gemacht werden; vgl. Bundestagsdrucksache 16/10198, Antwort zu Fra-
ge 2 und Antwort vom 8. September 2008 auf die schriftlichen Fragen 5
bis 7 auf Bundestagsdrucksache 16/10215)?

2. Wie lautet die gesonderte Statistik des Auswärtigen Amts zum Sprachnach-
weis beim Ehegattennachzug für die zehn Hauptherkunftsländer (gemessen
am Stand des 2. Quartals 2007; vgl. Anlage 2 zu Bundestagsdrucksache
16/9137) für das 3. Quartal 2008 (bitte auch die Vergleichswerte für das
2. Quartal benennen)?

3. Wie erklärt sich die Bundesregierung den exorbitanten Rückgang – wenn
auch auf niedrigem absolutem Niveau, aber immerhin im zweistelligen Be-
reich – der erteilten Visa zum Ehegattennachzug in den Vertretungen Rio de
Janeiro um 91 Prozent, Seoul um 87 Prozent und Bischkek (Kirgisien) um
71 Prozent im Vergleich der ersten Halbjahreswerte 2007/2008 (vgl. Bun-
destagsdrucksache 16/10198, Anlage 1)?

4. Geht die Bundesregierung – in Kenntnis der Tatsache, dass die Visumszah-
len nach dem Einbruch im 4. Quartal 2007 im 1. und 2. Quartal 2008 wieder
angestiegen sind, dass aber zugleich die Zahlen der erteilten Visa zum Ehe-
gattennachzug immer noch deutlich unterhalb der Werte von vor der Geset-
zesänderung liegen, insbesondere bezogen auf die 15 bzw. noch stärker auf
die vier stärksten Herkunftsländer – davon aus, dass die Neuregelung der
Sprachanforderungen vor Einreise zu einem dauerhaften Rückgang des Ehe-
gattennachzugs führt (bitte begründen)?

a) Wenn nein, wie ist dies vereinbar mit der in der Vorbemerkung zitierten
Hintergrundinformation des Bundesministeriums des Innern zu der Kos-
tenkalkulation für Integrationskurse im Jahr 2009, die von einer „Stabili-
sierung“ auf dem „niedrigen Niveau“ des Jahres 2008 ausgeht?

b) Wie bewertet sie diese Entwicklung und entspricht der allgemeine Rück-
gang der erteilten Visa zum Ehegattennachzug der Intention der gesetz-

lichen Neuregelung?

Drucksache 16/10564 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

c) Geht die Bundesregierung insbesondere davon aus, dass der zahlen-
mäßige Rückgang – auch konkret in Bezug auf die Türkei – in etwa dem
Anteil von Zwangsehen im Rahmen des Ehegattennachzugs entspricht,
und wenn nein, hält sie die Sprachanforderungen vor der Einreise nach
wie vor für ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Zwangsheiraten
(bitte begründen)?

d) Wie bewertet sie die gesetzliche Neuregelung insgesamt vor dem Hinter-
grund, dass empirisch nachvollziehbare Angaben dazu, ob sie dazu bei-
trug, Zwangsverheiratungen zu verhindern, nicht gemacht werden kön-
nen, während zugleich z. B. der Verband iaf e. V. darauf hinweist, dass
sich im Gegenteil die Neuregelung sogar negativ für die Opfer von
Zwangsverheiratungen auswirkt, weil sie länger in der Gewaltsituation
und der Kontrolle der Familie vor Ort ausharren müssen und erst zeitlich
verzögert Zugang zu Integrationskursen und Beratungs- und Hilfsange-
boten in der Bundesrepublik Deutschland erhalten?

e) Wie bewertet sie die gesetzliche Neuregelung insgesamt vor dem Hinter-
grund, dass das Ziel einer Förderung der Integration nicht erreicht wird,
weil die Betroffenen im Ausland wesentlich länger benötigen, um
Sprachkenntnisse zu erwerben, weil sie damit auch später in die hiesige
Gesellschaft integriert werden und weil insgesamt die Identifikation mit
der hiesigen Gesellschaft erschwert wird, wenn sich die Betroffenen von
Beginn an aufgrund der als Diskriminierung empfundenen Behördener-
fahrungen als nicht gewollt oder unerwünscht fühlen (vgl. Broschüre des
iaf e. V., S. 36)?

f) Wie bewertet sie die gesetzliche Neuregelung insgesamt vor dem Hinter-
grund, dass nach Angaben des iaf e. V. zunehmend (oft hoch qualifi-
zierte) Deutsche über ihre Auswanderung nachdenken bzw. diese auch
vollziehen, weil sie sich infolge der mit der Neuregelung verbundenen
(Inländer-)Diskriminierung und erlebten Gängelung nicht mehr mit die-
sem Staat identifizieren können?

g) Wie bewertet sie die gesetzliche Neuregelung insgesamt vor dem Hinter-
grund, dass die derzeitige „Inländerdiskriminierung“ für eingebürgerte
Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit einen Anreiz bietet, ihre
deutsche Staatsangehörigkeit wieder aufzugeben (vgl. Broschüre des
iaf e. V., S. 31 f.)

5. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass auf der in der Vorbemerkung ge-
nannten Tagung es immer noch als eines der entscheidenden Probleme in der
Praxis beschrieben wurde, dass die Bearbeitung von Visumsanträgen zum
Ehegattennachzug häufig von der Vorlage eines Sprachzertifikats abhängig
gemacht wird, obwohl Sprachkenntnisse auch anders nachgewiesen werden
können, angesichts ihrer Antwort auf die Frage 9 auf Bundestagsdrucksache
16/10052, wonach es hierfür „keine Anhaltspunkte“ gebe, und welche kon-
kreten Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen oder plant sie,
um solche weisungswidrigen Praktiken künftig auszuschließen – oder mit
welchen Gründen zieht sie gegebenenfalls die Angaben von Fachverbänden
wie dem iaf e. V. in Zweifel?

6. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass das Argument,
Zwangsverheiratete hätten in der Bundesrepublik Deutschland keinen Zu-
gang zu Integrationskursen (etwa, weil sie an einem Integrationskursbesuch
gewaltsam oder unter Druck gehindert würden), insbesondere in Hinblick
auf die besonders hohe tatsächliche Teilnahmequote bei zur Integrations-
kursteilnahme verpflichteten Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderern aus
der Türkei (vgl. Bundestagsdrucksache 16/9137, Anlage 3), aber auch ange-

sichts des vorhandenen aufenthalts- und sozialrechtlichen Sanktionsinstru-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10564

mentariums in solchen Fällen nicht zutreffend ist, und wenn nein, warum
nicht?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung Angaben von Betroffenen bzw. von
Beratungspersonen auf der in der Vorbemerkung benannten Tagung,

a) wonach das Goethe-Institut in Bogota eingeräumt habe, dass der Sprach-
test zeitweilig zu schwer gewesen sei und deshalb bei einer Wiederho-
lungsprüfung „nur“ eine Gebühr in halber Höhe erhoben wurde?

b) wonach die mit dem Spracherwerb verbundenen hohen Kosten zu erhöh-
ten Abhängigkeiten und gefestigten ungleichen Machtverhältnissen zwi-
schen deutschen Ehemännern und (nachziehenden) Ehefrauen führen
können, weil Frauen nach der Einreise dann damit unter Druck gesetzt
werden können, wie viel Geld die Männer für sie haben ausgeben müs-
sen?

c) wonach es bereits die Vorsprachesituation in den Botschaften häufig ver-
hindere oder erschwere, Sprachkenntnisse auch ohne entsprechendes Zer-
tifikat nachweisen zu wollen (Brüllen durch Trennscheiben; Sprechanla-
gen)?

8. Welche Gründe sprechen dagegen oder dafür, mit einem Sprachvisum nach
§ 16 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in die Bundesrepublik
Deutschland befristet einzureisen, hier einen Sprachkurs zu besuchen – we-
sentlich kostengünstiger als im Ausland und mit Unterstützung der Ehegat-
ten –, die Kenntnisse über A1 hier zertifizieren zu lassen, dann auszureisen
und mit dem entsprechenden Visum zum Ehegattennachzug wieder einzurei-
sen?

a) Falls die Bundesregierung ein solches Verfahren ablehnt oder für unzu-
lässig hält, wie wäre dies zu begründen angesichts des Umstandes, dass
auch bei diesem Verfahren der Spracherwerb des geforderten Niveaus vor
der endgültigen Einreise gesichert und damit der Gesetzeszweck erfüllt
wäre?

b) Falls sie ein solches Verfahren befürwortet und für sinnvoll hält, wird sie
die deutschen Botschaften im Ausland entsprechend anweisen, solche
Visa zum Zweck des Spracherwerbs in der Bundesrepublik Deutschland
auch zu erteilen, weil andernfalls mit Ablehnungen unter Hinweis auf das
eigentlich erforderliche Visum zum Ehegattennachzug gerechnet werden
müsste (bitte begründen; vgl. iaf-Broschüre, S. 20)?

c) Hält die Bundesregierung ein solches Verfahren für einen „Visumsmiss-
brauch“ bzw. insbesondere aus dem Grund für unzulässig, weil eigentlich
ein Visum für den Ehegattennachzug benötigt würde – aber worin läge
dann der Missbrauch, wenn doch jeweils der gesetzlich vorgesehene
Zweck erfüllt wäre (bitte begründen)?

9. Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass etwa die Hälfte aller Sprachtest-
teilnehmerinnen und -teilnehmer weltweit den Test „Start Deutsch 1“ nicht
besteht, wenn zuvor kein Sprachkurs der Goethe-Instituts besucht wurde,
sondern die Sprachkenntnisse an anderen Sprachkursträgern angeeignet oder
im Selbststudium erlernt wurden (vgl. Bundestagsdrucksache 16/10198,
Antwort zu Frage 6)?

a) Lässt sich in Anbetracht dieses Umstandes die Einschätzung aufrechter-
halten, die geforderten Sprachkenntnisse seien im Regelfall in etwa drei
Monaten zu erwerben (bitte begründen)?

b) Ist in Anbetracht dieses Umstandes die Einschätzung, etwa von Dr. Hans-

Peter Uhl (siehe Vorbemerkung), realistisch, in der ganzen Welt ließen

Drucksache 16/10564 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sich die geforderten Sprachkenntnisse mühelos auch ohne die Hilfe der
Goethe-Institute erwerben (bitte begründen)?

c) Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass durch die erheb-
liche Differenz zwischen den Bestehensquoten mit und ohne vorherige
Sprachkursteilnahme an Goethe-Instituten die Betroffenen zumindest
indirekt unter Druck gesetzt werden, einen teuren Sprachkurs an einem
Goethe-Institut zu belegen, um möglichst schnell mit ihren Ehepartnern
zusammen leben zu können?

d) Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der erheblichen
Differenz zwischen den Bestehensquoten mit und ohne vorherige
Sprachkursteilnahme an Goethe-Instituten die Schlechter- bzw. Un-
gleichbehandlung von Staatsangehörigen aus Ländern, in denen keine
Goethe-Institute existieren bzw. von Personen, die in weiter Entfernung
zu einem Goethe-Institut leben?

e) Wie hoch ist der prozentuale Anteil derjenigen, die ein Visum zum Ehe-
gattennachzug beantragen, Sprachkenntnisse nachweisen müssen und
zuvor keinen Sprachkurs eines Goethe-Instituts besucht haben (bitte ge-
gebenenfalls auch Schätzungen angeben)?

10. Welches waren die jeweils 20 Länder, in denen die Bestehensquoten für die
Prüfung „Start Deutsch 1“ an Goethe-Instituten weltweit am höchsten bzw.
am niedrigsten waren, und wie waren dort jeweils die entsprechenden Quoten
(bitte differenzieren nach vorheriger Sprachkursteilnahme oder nur Prü-
fungsteilnahme; Wiederholung der Frage 7b auf Bundestagsdrucksache
16/10113, die wegen der Sommerschließungspausen an den meisten Goethe-
Instituten im Ausland zunächst nicht beantwortet werden konnte)?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung den finanziellen Nachteil, der sich für
den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ehegatten daraus ergibt,
dass erst nach der Einreise des Partners/der Partnerin die Lohnsteuerkarte
gewechselt werden kann (in einem in der Broschüre des iaf e. V. konkret
benannten Beispielsfall wird dieser Verlust auf 2 280 Euro bei sechsmona-
tiger Wartezeit beziffert; zudem können finanzielle Mehrbelastungen, die
durch das Getrenntleben und die Finanzierung der Sprachkurse im Ausland
anfallen, steuerlich nicht geltend gemacht werden)?

12. a) Warum verweist die Bundesregierung einerseits zur Begründung der
Einschränkung des Ehegattennachzugs durch Sprachanforderungen vor
der Einreise auf die Niederlande und Frankreich, wo ähnliche Regelun-
gen getroffen wurden, verweigert aber andererseits eine Bewertung von
Entscheidungen in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Großbritan-
nien, die ausdrücklich erst nach der Einreise den Erwerb von Sprach-
kenntnissen zu verlangen (vgl. KNA-Meldung vom 24. Juli 2008 und
Bundestagsdrucksache 16/10198, Antwort zu Frage 9b)?

b) Von welchen anderen europäischen Ländern weiß die Bundesregierung,
dass sie Einschränkungen des Ehegattennachzugs durch die Bedingung
eines Spracherwerbs vor der Einreise vornehmen wollen, und in wel-
chem Stadium befinden sich dort jeweils die entsprechenden Pläne?

13. Wie bewertet die Bundesergierung das Urteil des Europäischen Gerichts-
hofs in der Sache Metock (C-127/08), und welche Konsequenzen zieht sie
hieraus?

a) Wird sie insbesondere die deutsche Rechtslage und Praxis der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) anpassen – zumindest, bis
gegebenenfalls die Freizügigkeitsrichtlinie oder die Rechtsprechung des

EuGH geändert wird –, und wenn ja, wann und wie, und wenn nein,
warum nicht, und warum hält die Bundesregierung die Entscheidung des
EuGH nicht für verbindlich?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/10564

b) In welcher Weise wird die Bundesregierung eventuell versuchen, das Ur-
teil vom EuGH noch einmal überprüfen zu lassen (wie von ihrem Staats-
sekretär in der Innenausschusssitzung vom 24. September 2008 angedeu-
tet)?

c) Wird die Bundesregierung gegebenenfalls im Rat auf eine Änderung der
EU-Freizügigkeitsrichtlinie drängen, und wenn ja, was hat sie diesbezüg-
lich womöglich bereits unternommen?

d) Wie schätzt die Bundesregierung die Erfolgschancen einer solchen Ände-
rung ein (müsste sie einstimmig erfolgen?), und stimmt sie insbesondere
der von Dr. Hans-Peter Uhl auf der in der in der Vorbemerkung benann-
ten Tagung geäußerten Einschätzung zu: „Schäuble wird sagen: Wir
ändern das. Die anderen werden sich zwar sträuben, aber wie lange?“?

e) Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung in dem besagten Verfahren in
ihrer Stellungnahme dargelegt hat, dass die Freizügigkeitsrichtlinie auch
deshalb so ausgelegt werden müsse, wie sie es nach Auffassung des
EuGH nunmehr als unzulässig bezeichnet werden muss, weil ansonsten
die Benachteiligung Deutscher als nicht gerechtfertigt angesehen werden
könne, und folgert hieraus nicht zwingend, nach der Entscheidung des
EuGH bzw. zumindest, solange sie rechtlich Bestand hat, generell oder
zumindest in Bezug auf den Nachzug zu deutschen Staatsangehörigen auf
den Nachweis von Sprachkenntnissen im Ausland verzichtet werden
muss?

14. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Bericht der Eu-
ropäischen Kommission zum Familiennachzug, insbesondere aus der darin
enthaltenen Feststellung, dass Kosten für Sprachtests und -kurse nicht dazu
führen dürften, dass Familien mit niedrigem Einkommen ausgegrenzt wer-
den (dpa, 8. Oktober 2008)?

15. Wie ist der – in Einzelfällen extrem hohe – finanzielle und zeitliche Auf-
wand zum Erlernen einfacher deutscher Sprachkenntnisse im Ausland und
der damit verbundene Eingriff in das Recht auf Zusammenleben der Ehe-
gatten zu rechtfertigen angesichts des Umstandes, dass die Betroffenen
dann nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ohnehin noch
einmal einen regulären, mindestens 600-stündigen Integrations- bzw.
Sprachkurs besuchen müssen und die im Ausland mühsam erworbenen
Sprachkenntnisse im Regelfall nicht einmal ausreichen, um die Teilnahme
an einem verkürzten 400-stündigen Intensivkurs zu ermöglichen (so die
Sachinformation des Bundesministeriums des Innern vom 19. September
an den Abgeordneten Roland Claus, Antwort zu Frage 5)?

a) Muss den Betroffenen der Spracherwerb im Ausland vor diesem Hinter-
grund nicht wie eine Verhöhnung und unnötige Quälerei erscheinen?

b) Und wie lauten die Antworten der Bundesregierung zu den beiden vor-
herigen Fragen, wenn bedacht wird, dass ein Volkshochschulkurs zur
Erreichung des Sprachniveaus A1 in der Bundesrepublik Deutschland
z. B. 48 Euro kostet, während z. B. in Jamaica mit Kosten in Höhe von
beispielsweise über 1 500 Euro (Kursgebühren, Miete, Verpflegung für
den Zeitraum des Kurses) gerechnet werden muss, wie in der Broschüre
des iaf e. V. bezogen auf einen konkreten Fall ausgeführt wird (S. 15)?

16. Entspricht die Verhinderung der Einwanderung von Analphabeten nach
Auffassung der Bundesregierung einem legitimen nationalen Interesse
(bitte begründen)?

a) Wenn ja, rechtfertigt dieses Ziel eine Einschränkung in das Recht auf

Zusammenleben der Ehegatten dergestalt, dass eine jahrelange oder so-
gar dauerhafte Trennung die Folge ist (bitte begründen)?

Drucksache 16/10564 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Wenn nein, weshalb gibt es dann keine Härtefallregelung für Analpha-
beten, um diesen ein Zusammenleben mit ihren Ehepartnern in der Bun-
desrepublik Deutschland in einer absehbaren Zeit zu ermöglichen (bitte
begründen)?

c) Wie beurteilt es die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, dass
Voraussetzung für die Teilnahme an einem Deutschkurs an einem Goe-
the-Institut oftmals eine höhere Schulbildung und die Beherrschung der
lateinischen Schrift ist und/oder keine Kurse für Analphabeten vorgese-
hen sind, so dass der Erwerb der geforderten deutschen Sprachkennt-
nisse faktisch unmöglich ist oder Jahre dauert (vgl. die Broschüre des
iaf e. V. , S. 17 f. und die in der Vorbemerkung zitierten Ausführungen
von Prof. Dr. Heiner Bielefeldt)?

17. Kann nach Auffassung der Bundesregierung der Erwerb und Nachweis ein-
facher Deutschkenntnisse im Ausland auch als ein „Indikator für Integra-
tionsfähigkeit“, d. h. als „Test“ dafür, ob die Betroffenen bereit und/oder
fähig sind, sich in der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren, gewertet
werden (bitte begründen; Abgeordnete einer Regierungsfraktion rechtfer-
tigten in der Innenausschusssitzung vom 25. Juni 2008 die Neuregelung
insbesondere mit diesem Argument)?

18. Wieso hält es die Bundesregierung für zumutbar und verhältnismäßig,
wenn Ehepartner über viele Monate oder gar Jahre voneinander getrennt le-
ben müssen und Kosten von im Einzelfall mehreren Tausend Euro für den
Spracherwerb zusätzlich zu den übrigen Kosten des Visumsverfahrens auf-
bringen müssen, obwohl die Betroffenen nach der Einreise dann ohnehin
noch einmal den regulären Sprach- bzw. Integrationskurs besuchen müssen
(vgl. die Beispiele in der iaf-Broschüre S. 25 ff.; die Antwort der Bundes-
regierung zu Frage 12a und 12b auf Bundestagsdrucksache 16/7288 enthält
lediglich die allgemeine Angabe, dass die Bundesregierung den „Nachweis
einfacher Deutschkenntnisse“ für „zumutbar und verhältnismäßig“ hält,
nicht aber die Gründe für diese Auffassung und auch keine gesonderte Be-
gründung für Fallkonstellationen, in denen es zu einer längeren Trennungs-
zeit und zu erhöhten finanziellen Aufwendungen kommt)?

19. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass nach der Broschüre des iaf e. V.
(S. 16 f.) in der Praxis völlig uneinheitliche Anforderungen an die Vorlage
eines Hochschulabschlusses zur Befreiung vom Nachweis deutscher
Sprachkenntnisse zu gelten scheinen (z. B.: nur master, keine bachelor-Ab-
schlüsse, nur Hochschulabschlüsse in Deutsch, nur Hochschulabschlüsse in
Deutschland, nur Hochschulabschlüsse von Hochqualifizierten sollen ge-
nügen usw.), und welche Ausführungsbestimmungen oder Kriterien genau
gelten diesbezüglich nach Auffassung der Bundesregierung?

20. Wie bewertet es die Bundesregierung, dass nach der Broschüre des iaf e. V.
(S. 17) in einem Beispielsfall eine an sich sprachbegabte Thailänderin ins-
gesamt 800 Stunden Sprachunterricht nehmen musste, um den Sprachtest
über das Niveau A1 bestehen zu können – d. h. mehr Stunden, als im Re-
gelfall in der Bundesrepublik Deutschland für den Erwerb des Niveaus B1
vorgesehen sind?

21. Mit welcher Begründung wird der Nachweis deutscher Sprachkenntnisse
auch von über 60-jährigen Ehegatten verlangt, obwohl in diesem Alter of-
fenkundig nicht von einer Zwangsheirat auszugehen ist und die Betroffe-
nen z. B. aufgrund der Rente des Lebenspartners nicht werden arbeiten
müssen (vgl. einen Beispielsfall in der iaf-Broschüre, S. 17)?

22. Warum gibt es keine Ausnahmeregelung für Krisenregionen (z. B. Irak), so

dass Betroffene zum Teil gezwungen sind, Sprachkenntnisse in einem
Drittstaat zu erwerben (vgl. iaf-Broschüre, S. 22 f.)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/10564

23. Ist die Bundesregierung bereit, durch entsprechende Anweisungen an die
Botschaften sicherzustellen, dass es in Fällen einer Personensorge für ein
deutsches Kind nicht zu Trennungszeiten kommt, die nicht nur unzumut-
bar, sondern auch völlig „unnötig“ sind, weil ein Anspruch auf Einreise
ohne nachgewiesene Deutschkenntnisse spätestens dann besteht, wenn das
Kind den Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland genommen hat,
und inwieweit würden auch noch ungeborene Kinder/Schwangere in eine
solche Regelung zum Schutz der Kinder und zur Wahrung ihrer Rechte auf
die Erziehung beider Elternteile einbezogen (bitte begründen; vgl. auch iaf-
Broschüre, S. 23 f.)?

24. Wie rechtfertigt die Bundesregierung durch die Notwendigkeit des Sprach-
erwerbs bedingte längere Trennungszeiten angesichts des Umstandes, dass
nach deutschem Scheidungsrecht eine Ehe nach einem Jahr des Getrennt-
lebens als „zerrüttet“ gilt, und kann die Bundesregierung ausschließen,
dass den Betroffenen eine lange Trennungszeit im Visumsverfahren nach-
teilig ausgelegt wird (etwa wegen angeblich mangelnder Schutzwürdigkeit
der nicht gelebten Ehe)?

25. Sieht die Bundesregierung angesichts der negativen praktischen Erfahrun-
gen mit der Neuregelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug
nach einem Jahr, wie sie z. B. in der Broschüre des iaf e. V. dokumentiert
sind, die Notwendigkeit, die Neuregelung zurückzunehmen, und wenn
nein, warum nicht, und mit welchen Gründen bestreitet die Bundesregie-
rung gegebenenfalls die vom iaf e. V. dokumentierten negativen Aus-
wirkungen der Neuregelung?

Berlin, den 10. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.