BT-Drucksache 16/10563

Biosicherheitsforschung nur zur Einschätzung ökologischer Risiken durch transgene Pflanzen

Vom 13. Oktober 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10563
16. Wahlperiode 13. 10. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Eva Bulling-Schröter, Heike Hänsel und
der Fraktion DIE LINKE.

Biosicherheitsforschung nur zur Einschätzung ökologischer Risiken durch
transgene Pflanzen

Die Diskussion um die Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen ist nach
wie vor heftig und kontrovers. Trotz bekannter ökologischer Risiken wird auch
in der Bundesrepublik Deutschland das Inverkehrbringen (kommerzieller An-
bau), die Freisetzung (Forschungsanbau) und der Handel mit gentechnisch ver-
änderten Pflanzen politisch vorangetrieben. Die lang- und kurzfristigen Aus-
wirkungen gentechnisch veränderter Pflanzen auf angrenzende landwirtschaft-
liche Kulturen, auf Wildpflanzen und -tiere, das Bodenleben, Wasserorganis-
men sowie Insekten – einschließlich Honigbienen – sind komplex und müssen
nach dem Vorsorgegrundsatz systematisch untersucht und kritisch bewertet
werden.

Das EU-Zulassungsverfahren für transgene Pflanzen schreibt den antragstellen-
den Unternehmen die Untersuchung nur weniger der aufgeführten Organismen
und Lebensgemeinschaften vor. Langzeitstudien z. B. zur Verfütterung bei
Nutztieren werden nicht gefordert. Stattdessen wird ein so genanntes Nach-
monitoring vorgeschrieben, das sich jedoch auf die vorab erfolgte Risikobewer-
tung bei der Zulassung beschränkt. Eine vorsorgeorientierte Risikoabschät-
zung, eine Risikobewertung und ein Risikomanagement scheitern an der feh-
lenden validen Datengrundlage. Daher ist ein öffentlich finanziertes und von
wirtschaftlichen Interessen unabhängiges Forschungsprogramm unverzichtbar,
das sich auf das öffentliche Interesse an Kenntnissen über die kurz- und lang-
fristigen Risiken durch transgene Pflanzen konzentriert.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert aktuell in
einer dritten Phase die Biosicherheitsforschung. In der ersten Phase von 2001
bis 2004 wurden 40 Projekte und in der zweiten Phase von 2005 bis 2008
24 Projekte gefördert. Aktuell läuft die dritte Phase von 2008 bis 2011. Dabei
sollen einerseits Vorhaben mit erheblichem Forschungsbedarf und andererseits
Vorhaben, die Fragestellungen der öffentlichen Diskussion berücksichtigen, im
Fokus stehen. Diese Vorgaben lassen sich jedoch in der aktuellen Forschungs-
phase nicht wiederfinden.
Die vom BMBF geförderten Projekte stehen in der Kritik nicht ausschließlich
Risikoforschung zum Inhalt zu haben. Es gibt Grund zur Annahme, dass die öf-
fentlich finanzierte Sicherheitsforschung aufgrund personeller Überschneidun-
gen (z. B. mit Lobbyverbänden) nicht ausreichend unabhängig ist und zudem
im Bereich der Agro-Gentechnik teilweise als steuerfinanzierte Produktent-
wicklung betrachtet wird. In der Fachzeitschrift „Gen-ethischer Informations-
dienst (GID)“ war bereits im Februar/März 2005 zu lesen, dass diese Art der

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Sicherheitsforschung eher als Produktentwicklung zu verstehen sei. „Bei der
Agro-Gentechnik“, so war nachfolgend im „GID“ Nr. 174 (Februar 2006) zu
lesen, „wird die Produktentwicklung, das bedeutet sicheres und einwandfreies
Saatgut herzustellen, über Steuergelder als Sicherheitsforschung finanziert“.
Die Vergabe der Projekte wurde als intransparent bezeichnet.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Agro-Gentechnik sind die
Tierversuche. Zahlreiche Tiere werden für die Giftigkeitsprüfung und für die
Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Europäischen Union in
Versuchen verwendet. Abgesehen davon, dass sie ethisch fragwürdig sind, weil
sie vordergründig kommerziellen Zwecken dienen, bringen sie letztlich nicht
die erhoffte Sicherheit für Anwenderinnen und Anwender sowie Verbrauche-
rinnen und Verbraucher. Das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte
Lebens- und Futtermittel basiert in der Regel auf der Verordnung 1829/2003/
EG über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel. Die Europäische Be-
hörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat am 24. September 2004 einen
Leitfaden verabschiedet, wonach Tierversuchsdaten zur Risikobewertung gen-
technisch veränderter Pflanzen und daraus abgeleiteten Lebens- und Futtermit-
teln explizit gefordert werden. Damit soll es möglich werden, das Risiko so-
wohl für Menschen und Tiere abzuschätzen. Welcher Art und wie umfangreich
diese Tierversuche sind, hängt davon ab, wieweit sich die transgene Pflanze
vom konventionellen Vergleichstyp unterscheidet und welchen Nutzen sie er-
füllen soll.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Projekte werden in der aktuellen Förderperiode 2008 bis 2011 geför-
dert (bitte aufschlüsseln nach: Projektname, Auftragnehmer, Kooperations-
partner, Laufzeit, Finanzvolumen nach Jahren, Fragestellung)?

2. Wie erfolgte die Vergabe der Projekte, und nach welchen Kriterien wurden
die Auftragnehmer von wem ausgewählt?

Wie wird die Unabhängigkeit der Auftragnehmer überprüft?

3. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag verschiedener Umweltver-
bände die Vergabe der Forschungsmittel einer interdisziplinären Arbeits-
gruppe aufzutragen, welche nicht nur aus Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern aus dem Bereich der Pflanzenzüchtung besteht, sondern dabei
auch die Expertise von Verbraucher- und Umweltverbänden nutzt?

4. Welche Ziele verbindet die Bundesregierung mit den vom BMBF geförderten
Internetplattformen „www.biosicherheit.de“ und „www.gmo-compass.org“?

5. Wie werden diese Internetplattformen (jährlich) finanziert, und wie viele
Zugriffszahlen (monatlich) sind zu verzeichnen?

6. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass auf diesen vom BMBF geför-
derten Internetplattformen neutrale und sachliche Informationen über die
Vor- und Nachteile sowie Risiken und Gefahren der Agro-Gentechnik veröf-
fentlicht werden?

7. In welchem Verhältnis kommen auf diesen vom BMBF geförderten Internet-
plattformen Pro- und Contra-Positionen aus Wissenschaft, Forschung und
Entwicklung zu Wort?

Wie viele Interviews sind mit den jeweiligen Seiten bzw. Sichtweisen seit
Bestehen der Homepages dort veröffentlicht worden (bitte aufschlüsseln
nach Anzahl, Thema, Datum)?

Wie wird gegenwärtig und zukünftig gewährleistet, dass die kritische gesell-

schaftliche Debatte sowie kritische Studien der vergangenen Jahre dort an-
gemessen präsent sind?

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8. Welche Bundesmittel sind in der aktuellen Förderperiode 2008 bis 2011 für
diese beiden Homepages vorgesehen (bitte aufschlüsseln nach: Laufzeit,
Finanzvolumen nach Jahren, Auftragnehmer)?

9. Welche weiteren Vorhaben zur gesellschaftlichen Meinungsbildung sind
vorgesehen (bitte aufschlüsseln nach: Projekttitel, Finanzvolumen nach
Jahren, Auftragnehmer)?

10. Welche konkreten risikoorientierten Fragestellungen verfolgen die geför-
derten Projekte zur Präzisierung der Integration von Transgenen?

Welche Projekte mit transgenen Organismen oder Kulturpflanzen (Pilze,
Getreide, Gehölze etc.) werden in diesem Kontext gefördert (bitte auf-
schlüsseln nach: Titeln, Laufzeit, Trägern und Kooperationspartnern)?

Welche Forschungsschwerpunkte von öffentlichem Interesse werden hier
verfolgt, die auch, genauso gut oder besser von den Herstellern oder Nut-
zern der jeweiligen transgenen Pflanzen untersucht werden könnten?

11. Welche konkreten risikoorientierten Fragestellungen verfolgen die geför-
derten Projekte im Bereich biochemisch steril gemachter Pflanzen (z. B.
Confinement)?

Welche Forschungsschwerpunkte von öffentlichem Interesse werden hier
verfolgt, die auch/genauso gut/besser von den Herstellern oder Nutzern der
jeweiligen transgenen Pflanzen untersucht werden könnten?

12. Welche konkreten risikoorientierten Fragestellungen verfolgt das Projekt
„Gentechnische Ansätze zur Begrenzung der Ausbreitungsfähigkeit von
Kartoffelknollen“ an der Universität Erlangen?

Welche Forschungsschwerpunkte von öffentlichem Interesse werden hier
verfolgt, die auch/genauso gut/ besser von den Herstellern oder Nutzern
der jeweiligen transgenen Pflanzen untersucht werden könnten?

13. Warum befassen sich zunehmend weniger vom BMBF geförderte Projekte
im Rahmen der Biosicherheitsforschung mit ökologischen Fragestellungen,
die den Anbau zugelassener (MON 810) oder vermutlich kurz vor der Zu-
lassung stehender transgener Pflanzen (z. B. Amflora-Kartoffel, MON 863
etc.) betreffen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung den Biosicherheitsforschungsbedarf im
Konfliktfeld zwischen transgenen Pflanzen im experimentellen und kom-
merziellen Anbau, Honigbienen und der Imkerei?

Welche Forschungsprojekte im Rahmen der Biosicherheitsforschung be-
fassen sich mit diesem Konfliktfeld?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Notwendigkeit eigener Testver-
fahren analog zu einer Pestizidprüfung für pestizidhaltige gentechnisch
veränderte Organismen zu entwickeln (wie MON 810 und andere Mo-
delle)?

16. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung, um standardi-
sierte Testverfahren für den Toxingehalt für MON 810 zu entwickeln, und
welche Streuungsbreite dieses Parameters wäre bei kommerziell angebau-
ten Kulturen zu fordern?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die im Rahmen des EU-Zulassungsver-
fahrens einzureichenden Forschungsergebnisse zur Bewertung ökologi-
scher Risiken bei den unterschiedlichen bisher zugelassenen transgenen
Pflanzen?
Welche konkreten Forschungsfragen müssen aus Sicht der Bundesregie-
rung zukünftig im EU-Zulassungsverfahren eine größere Rolle spielen?

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18. In welchem Umfang werden im Rahmen der Zulassung von transgenen
Pflanzen für den Lebens- und Futtermittelbereich auf EU-Ebene und natio-
nal Tierversuche durchgeführt?

19. Was für Tierversuche werden im Rahmen des Zulassungsverfahrens für
transgene Pflanzen durchgeführt?

20. Welche Tierarten (und in welchem Umfang, bitte aufschlüsseln) werden für
Versuche im Rahmen des Zulassungsverfahrens verwendet?

21. Welche anerkannten Alternativen zu Tierversuchen beim Zulassungsverfah-
ren gibt es, und wie viel Tierversuche könnten damit eingespart werden?

22. Wie viele Zulassungsverfahren mit Tierversuchen führen jährlich aufgrund
von schädlichen oder unbestimmbaren Nebenwirkungen zur Nichtzulas-
sung von transgenen Pflanzen, und wie viele Tiere wurden dafür ver-
braucht?

23. Inwiefern fördert die Bundesregierung die Förderung von Maßnahmen für
die tierversuchsfreie Forschung bei der Entwicklung transgener Pflanzen?

24. Wie viele Forschungsgelder stellt die Bundesregierung für die Entwicklung
tierversuchsfreier Forschungsmethoden im Bereich transgener Pflanzen zur
Verfügung?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die von der EFSA im wissenschaft-
lichen Dossier geforderte Begründung von Herstellern, die beim Zulas-
sungsverfahren transgener Pflanzen auf Tierversuche verzichten?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die Verlässlichkeit von Tierversuchen
im Rahmen des Zulassungsverfahrens für transgene Pflanzen?

27. Wie bewertet die Bundesregierung eine Bedarfsprüfung generell für alle zu
entwickelnden und zuzulassenden Produkte im Zusammenhang mit der
Agro-Gentechnik, und ist sie bereit, solche Bedarfsprüfungen in den natio-
nalen und internationalen Tierschutz- bzw. Tierversuchsbestimmungen
festzuschreiben?

Berlin, den 13. Oktober 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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