BT-Drucksache 16/10335

zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -16/7038- Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen stärken

Vom 24. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10335
16. Wahlperiode 24. 09. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst,
Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 16/7038 –

Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen
Erwerbsbiografien und geringen Einkommen stärken

A. Problem

Nach Ansicht der Antragsteller konnte die gesetzliche Rentenversicherung
(GRV) lange Zeit als erfolgreiches Modell der Lebensstandardsicherung und
Bekämpfung von Armut im Alter angesehen werden. Nach wie vor stelle sie die
zentrale Säule der Alterssicherung dar und genieße hohe Akzeptanz in der Be-
völkerung. Ihre Prinzipien der Teilhabeäquivalenz und des Solidarausgleichs
hätten sich bewährt. Die Rentenreformen der letzten Jahre hätten jedoch dazu
geführt, dass eine Absicherung des Lebensstandards im Alter nicht mehr ge-
währleistet sei und vielen Menschen Altersarmut drohe. Immer mehr Menschen
hätten Lücken in ihren Versicherungsbiografien und könnten nur unzureichende
Anwartschaften auf eine gesetzliche Rente aufbauen. Der Solidarausgleich in
der gesetzlichen Rentenversicherung müsse daher zugunsten von Geringverdie-
nenden und Menschen mit durchbrochenen Erwerbsbiografien gestärkt werden.

B. Lösung

Die Bundesregierung soll aufgefordert werden,

1. im Rahmen der Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu
einer Erwerbstätigenversicherung die Beitragsbemessungsgrenze bei gleich-
zeitiger Abflachung der damit verbundenen Rentensteigerungen schrittweise
an- bzw. längerfristig aufzuheben, um so finanziellen Spielraum für den So-
lidarausgleich zu erhalten;
2. zur Schließung von Lücken in den Rentenbiografien

a) drei Jahre Kindererziehungszeit auch für vor dem 1. Januar 1992 geborene
Kinder bei der Rentenberechnung anzuerkennen,

b) für Personen, die Angehörige ehrenamtlich pflegen, Rentenanwartschaf-
ten zu verbessern,

Drucksache 16/10335 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

c) für Schul- und Hochschulbildung wieder Anrechnungszeiten einzuführen
sowie schulische und berufliche Ausbildungszeiten wieder höher zu be-
werten;

3. zur Kompensation niedriger Einkommenspositionen die Rente nach Mindest-
entgeltpunkten (§ 262 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI) zu
entfristen und weiterzuentwickeln, so dass Zeiten mit niedrigen Erwerbsein-
kommen eine Höherbewertung bei den Rentenpunkten erfahren und langjäh-
rig Versicherte damit Aussicht auf eine Rente oberhalb des Grundsicherungs-
niveaus haben;

4. den Beitrag, den die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeits-
losengeld II – ALG II) an die gesetzliche Rentenversicherung entrichten, deut-
lich anzuheben und die Beitragsbemessungsgrundlage nicht als fixe Größe,
sondern anteilig festzulegen, damit der Wert der Beiträge mit der Dynamik
wirtschaftlicher Entwicklung Schritt halten kann.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion
DIE LINKE.

C. Alternativen

Annahme des Antrags auf Drucksache 16/7038.

D. Kosten

Kostenüberlegungen wurden nicht angestellt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10335

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/7038 abzulehnen.

Berlin, den 22. September 2008

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Vorsitzender

Peter Weiß (Emmendingen)
Berichterstatter

Sozialgesetzbuch wurde nach Ansicht der Antragsteller ein

weiteres Element des Solidarausgleichs deutlich ge-
schwächt, indem die Beiträge zur gesetzlichen Rentenver-
sicherung für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosen-

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung der
Drucksache 16/10335 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen)

I. Verfahren
1. Überweisungen

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE. auf Drucksache
16/7038 ist in der 136. Sitzung des Deutschen Bundestages
am 17. Januar 2008 an den Ausschuss für Arbeit und Sozia-
les zur federführenden Beratung und an den Finanzaus-
schuss, den Haushaltsausschuss und den Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Mitberatung
überwiesen worden.

2. Votum der mitberatenden Ausschüsse

Der Finanzausschuss hat in seiner Sitzung am 18. Juni 2008
mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion DIE LINKE. beschlossen, die Ablehnung des Antrages
zu empfehlen.

Der Haushaltsausschuss und der Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend haben in ihren Sitzungen am
23. Januar 2008 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die
Stimmen der Fraktion DIE LINKE. beschlossen, die Ableh-
nung des Antrages zu empfehlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Nach Ansicht der Antragsteller spiegelten die ausschließlich
über Pflichtbeiträge erworbenen Anwartschaften auf die
gesetzliche Rente die (relative) Einkommensposition des
Erwerbslebens in die Nacherwerbsphase wider. Wer wenig
verdiene oder Lücken im Versicherungsverlauf aufweise, er-
halte auch eine geringere Rente. In Ergänzung dieses Prin-
zips der Beitragsäquivalenz weise die GRV aber auch Maß-
nahmen und Instrumente des Solidarausgleichs auf, die die
Primäreinkommensverteilung und -struktur in der Rente kor-
rigierten. In Zeiten der Arbeitslosigkeit würden staatlicher-
seits Beiträge zur GRV geleistet, um entstehende Lücken in
der Versicherungsbiografie abzumildern.

Manche dieser Ausgleichselemente seien in den letzten Jah-
ren sukzessive abgeschafft oder erheblich geschwächt wor-
den, so etwa die Anerkennung von Zeiten schulischer Aus-
bildung. Als Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge
wurde mit Zuerkennung dieser Zeiten (ursprünglich bis zu
13 Jahre) ein Ausgleich für die mit einer Ausbildung verbun-
dene Minderung der sozialen Absicherung des betroffenen
Personenkreises angestrebt. Mit den zuletzt durch das
Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz gekürzten An-
rechnungs- und Höherbewertungszeiten werde das Ziel der
Bundesregierung, Bildung und Qualifizierung stärker zu för-
dern, konterkariert.

Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches

Rentenansprüche erworben und das Armutsrisiko im Alter
habe sich erheblich erhöht.

Die solidarischen Ausgleichselemente in der GRV seien aber
notwendig und ihr Ausbau gesellschaftspolitisch geboten.
Denn aufgrund der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit wür-
den immer mehr Menschen durchbrochene Erwerbsbiogra-
fien aufweisen. Auch könnten vor allem immer weniger
Frauen darauf bauen, im Alter über den Partner ausreichend
abgesichert zu sein, und seien auf eine eigenständige Alters-
sicherung angewiesen. Aufgrund von Kindererziehung oder
der Pflege von Angehörigen könnten die meisten von ihnen
jedoch nach wie vor keine geschlossenen Versicherungsbio-
grafien vorweisen. Auch die Zahl der Beschäftigten mit ge-
ringem Einkommen nehme zu. Sie könnten unter den gegen-
wärtigen Bedingungen auch bei langen Beitragszeiten kaum
darauf hoffen, im Alter eine Existenz sichernde Rente aus
der GRV zu erhalten, und seien damit auf die Grundsiche-
rung im Alter verwiesen.

Die Bundesregierung soll aufgefordert werden,

1. im Rahmen der Weiterentwicklung der gesetzlichen Ren-
tenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung die
Beitragsbemessungsgrenze bei gleichzeitiger Abflachung
der damit verbundenen Rentensteigerungen schrittweise
an- bzw. längerfristig aufzuheben, um so finanziellen
Spielraum für den Solidarausgleich zu erhalten;

2. zur Schließung von Lücken in den Rentenbiografien

a) drei Jahre Kindererziehungszeit auch für vor dem
1. Januar 1992 geborene Kinder bei der Rentenbe-
rechnung anzuerkennen,

b) für Personen, die Angehörige ehrenamtlich pflegen,
Rentenanwartschaften zu verbessern,

c) für Schul- und Hochschulbildung wieder Anrech-
nungszeiten einzuführen sowie schulische und beruf-
liche Ausbildungszeiten wieder höher zu bewerten;

3. zur Kompensation niedriger Einkommenspositionen die
Rente nach Mindestentgeltpunkten (§ 262 SGB VI) zu
entfristen und weiterzuentwickeln, so dass Zeiten mit
niedrigen Erwerbseinkommen eine Höherbewertung bei
den Rentenpunkten erfahren und langjährig Versicherte
damit Aussicht auf eine Rente oberhalb des Grundsiche-
rungsniveaus haben;

4. den Beitrag, den die Träger der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende (ALG II) an die gesetzliche Rentenversi-
cherung entrichten, deutlich anzuheben und die Beitrags-
bemessungsgrundlage nicht als fixe Größe, sondern
anteilig festzulegen, damit der Wert der Beiträge mit der
Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung Schritt halten
kann.
geld II von 78 Euro auf 40 Euro gesenkt wurden. Damit
würden während einer Langzeiterwerbslosigkeit kaum mehr

Vorlage auf Drucksache 16/7038 in der 75. Sitzung am
23. Januar 2008 aufgenommen und beschlossen, eine öffent-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/10335

liche Anhörung durchzuführen. Diese erfolgte in der
84. Sitzung am 5. Mai 2008.

Die Anhörungsteilnehmer haben schriftliche Stellungnah-
men abgegeben, die in der Ausschussdrucksache 16(11)963
zusammengefasst sind.

Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverständige
haben an der Anhörung teilgenommen:

● Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA)

● Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)

● Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände

● Bund der Steuerzahler in Bayern

● Deutsche Rentenversicherung Bund (DRVB)

● Sozialverband VdK Deutschland e. V. (VdK)

● Sozialverband Deutschland (SoVD)

● Dr. Monika Queisser

● Prof. Dr. Uwe Fachinger

● Prof. Dr. Eckart Bomsdorf.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) äußerte sich ablehnend zu dem Antrag. Die Beitrags-
bemessungsgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung
dürften nicht weiter angehoben werden, sondern müssten im
Gegenteil eher gesenkt werden. Der Vorschlag, die Beitrags-
bemessungsgrenzen anzuheben, aber dafür den Versicherten
längerfristig keine zusätzlichen Leistungen zu gewähren, sei
nicht mit dem Prinzip der beitragsbezogenen Rente verein-
bar und verfassungsrechtlich mindestens zweifelhaft. Die
Anerkennung von drei Jahren Kindererziehung auch für die
Eltern von vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindern sei
abzulehnen. Sie würde bei den Rentenkassen viele Milliar-
den Euro zusätzlichen Mehraufwand verursachen und zu
höheren Beitragssätzen führen. Auch die rentenrechtliche
Aufwertung ehrenamtlicher Pflegetätigkeit sei abzulehnen.
Schon heute würden Pflegetätigkeiten mit bis zu vier Fünf-
teln eines Durchschnittsverdienstes bewertet, was zu hohen
Aufwendungen der Pflegekassen führe. Die bisherige Sub-
ventionierung der Schul- und Hochschulausbildung durch
die gesetzliche Rentenversicherung stelle eine nicht zu recht-
fertigende versicherungsfremde Leistung dar. Sie führe zu
einer rentenrechtlichen Besserstellung von Höherqualifizier-
ten und damit einer Personengruppe, die regelmäßig ohnehin
über höhere (Alters-)Einkommen verfüge. Deshalb sei der
grundsätzlich beschlossene schrittweise Wegfall der Renten
erhöhenden Bewertung von Ausbildungszeiten vollkommen
richtig und sollte nicht rückgängig gemacht werden. Die
Weiterführung der Rente nach Mindestentgeltpunkten, bei
der für Zeiten eines niedrigen Arbeitsentgelts fiktiv höhere
Arbeitsentgelte unterstellt werden, wäre ein teures und unge-
naues Instrument, um mögliche Altersarmut zu vermeiden.
Eine Wiederanhebung der Rentenversicherungsbeiträge für
ALG-II-Empfänger sei abzulehnen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußerte sich zum
Antrag wie folgt: Zur An- bzw. Aufhebung der Beitrags-
bemessungsgrenze und Abflachung der damit verbundenen
Rentensteigerungen wies er darauf hin, dass sich die Mit-

folge. Weiterhin hielt es der DGB für geboten, auch bei vor
dem Jahr 1992 geborenen Kindern drei Jahre Kindererzie-
hungszeit zu gewähren. Zum Modell „Rente nach Min-
desteinkommen“ (Aufstockung aus Steuermitteln) äußerte
der DGB, dass es einen möglichen Weg darstelle, da es um-
gehend und ohne Übergangszeiten Wirkung entfalten könne
und eine relativ hohe Zielgenauigkeit aufweise. Zu den
höheren Rentenversicherungsbeiträgen bei ALG-II-Bezug
äußerte der DGB, dass die Absicherung zumindest auf
0,5 Entgeltpunkte angehoben werden müsse, um die Gefahr
der steigenden Altersarmut zu mindern.

Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
teilte die Einschätzung, dass für Menschen mit geringen Ein-
kommen im derzeitigen Rechtsrahmen die Gefahr bestehe,
dass diese im Alter auf Leistungen der Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung und damit auf Sozialhilfe-
leistungen angewiesen sein würden. Ziel der Politik müsse es
sein, Menschen frühzeitig in die Lage zu versetzen, auch
nach Renteneintritt ihren Lebensunterhalt eigenverantwort-
lich bestreiten zu können. Dies ist keine Forderung aus dem
Antrag der Fraktion DIE LINKE., sondern der Fraktion der
FDP, deren Antrag in der gleichen Anhörung Gegenstand
war: Die Altersvorsorge soll so auskömmlich sein, dass im
Alter kein Sozialhilfebezug erforderlich werde. Auch die
kommunalen Spitzenverbände würden wahrnehmen, dass
zunehmend Kleinselbstständige nicht ausreichend für ihre
Absicherung im Alter vorsorgen bzw. vorsorgen könnten.
Eine verbesserte Altersvorsorge in diesem Sektor wäre wün-
schenswert. Das Ziel, eine zukunftsfähige Alterssicherung
zu installieren, werde daher begrüßt.

Der Bund der Steuerzahler in Bayern (BdSt Bayern) lehnte
die im Antrag vorgeschlagenen Änderungen weitgehend ab.
Die rentenrechtliche Berücksichtigung von weiteren Kinder-
erziehungs- und Ausbildungszeiten würde einen höheren
Finanzierungsbedarf in der GRV nach sich ziehen. Eine Aus-
weitung und Höherbewertung der Ausbildungszeiten würde
zu einer rentenrechtlichen Begünstigung von Versicherten
mit längerer Ausbildungsdauer führen. Diesen würde ein
höherer Rentenanspruch zugestanden als Versicherten ohne
spezielle Ausbildung und mit gleichem Lebenseinkommen
und damit gleichen Beitragszahlungen. Die rentenrechtliche
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auch für vor
dem 1. Januar 1992 geborene Kinder sei nach Ansicht des
BdSt Bayern aus Gründen der Gleichbehandlung und Soli-
darität zu befürworten. Der BdSt Bayern lehnte eine Rente
nach Mindesteinkommen ab. Bei der Rente nach Min-
desteinkommen handele es sich um eine versicherungsfrem-
de Leistung, da Versicherte eine höhere Rentenleistung
erhalten würden, ohne zusätzliche Beiträge entrichtet zu
haben. Eine Erhöhung des Rentenbeitrags für ALG-II-Emp-
fänger würde hohe und unkalkulierbare Mehrausgaben für
den Bundeshaushalt nach sich ziehen und die Steuerzahler
übermäßig belasten. Daher sei auch eine solche Maßnahme
abzulehnen. Des Weiteren sei die Bezuschussung von Ren-
tenbeiträgen eine ungenaue sozialpolitische Maßnahme,
denn sie würde auch denjenigen Personen zugute kommen,
die nur temporär arbeitslos seien und über den gesamten
Lebenszyklus hinweg im Durchschnitt höhere Einkommen
erzielten. Deshalb sei die bedürftigkeitsabhängige Auf-
gliedsgewerkschaften auf das Modell der Erwerbstätigen-
versicherung verständigt hätten, das dem Äquivalenzprinzip

stockung der Bezüge in der Rentenphase wirksamer, um
einer Altersarmut vorzubeugen.

Drucksache 16/10335 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRVB) äußerte
sich kritisch zur An- bzw. Aufhebung der Beitragsbemes-
sungsgrenze bei gleichzeitiger Abflachung der damit ver-
bundenen Rentensteigerungen. Die im Antrag vorgeschlage-
ne Regelung wäre nicht nur mit erheblichen negativen
Leistungsanreizen verbunden, sie hätte auch zur Folge, dass
Versicherte, die nur in einem relativ kurzen Zeitraum ihrer
Erwerbsphase ein hohes Einkommen erzielt hätten, Zeit-
räume nicht ausgleichen könnten, in denen lediglich unter-
durchschnittliche Rentenanwartschaften aufgebaut wurden.
Selbst wenn – was der Antrag offen ließe – von der Anerken-
nung von drei Jahren Kindererziehungszeiten für Geburten
vor 1992 nur Versicherte profitieren sollten, die noch keine
Rente beziehen, hätte die vorgeschlagene Regelung erheb-
liche finanzielle Auswirkungen. Der Beitragssatz zur Ren-
tenversicherung müsste bei ansonsten unverändertem Recht
bis zu ca. 0,4 Prozentpunkte höher festgesetzt werden. Alter-
nativ würde ein aus Bundesmitteln zu erbringender Erstat-
tungsbetrag in heutigen Werten (undynamisiert) bis 2030 auf
ca. 8 Mrd. Euro ansteigen. Noch höher wären die Kosten,
wenn aus Gleichbehandlungsgründen auch der Rentenbe-
stand in die günstigere Regelung einbezogen würde. Nach
geltender Rechtslage entstünden für Personen, die Angehö-
rige ehrenamtlich pflegen, bei Vorliegen bestimmter Voraus-
setzungen Rentenanwartschaften, für die Beiträge von der
Pflegekasse an die Rentenversicherung zu entrichten seien.
Die Höhe dieser Beiträge sei abhängig von der Pflegestufe
und dem Umfang der Pflegetätigkeit; sie würden sich in
Vomhundertsätzen der Bezugsgröße errechnen.

Der Sozialverband VdK Deutschland e. V. (VdK) äußerte
sich nicht explizit zu dieser Vorlage.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) begrüßte die Forde-
rung nach einer besseren rentenrechtlichen Berücksichti-
gung von Zeiten der Kindererziehung und Pflege, höheren
Rentenversicherungsbeiträgen für den Bezug von Arbeits-
losengeld II und die Einführung einer Mindestsicherung für
langjährig Versicherte. Der Antrag beinhalte eine Reihe von
Forderungen zur Stärkung des Solidarausgleichs in der ge-
setzlichen Rentenversicherung. Auch der SoVD sehe die
große Gefahr einer wachsenden Altersarmut. Eine der ent-
scheidenden Ursachen hierfür läge zweifellos in den zahlrei-
chen Leistungseinschnitten der vergangenen Jahre, die direkt
oder indirekt zu einer Kürzung der Renten geführt hätten.
Eine besondere Gefahr ergebe sich aber aus dem Zusammen-
wirken dieser Leistungskürzungen mit weiteren Risikofakto-
ren, wie beispielsweise den zunehmenden Versicherungs-
lücken, die durch Arbeitslosigkeit, sozialversicherungsfreie
Beschäftigungsformen oder Niedrig- und Armutslöhne ent-
stünden.

Die in diesem Antrag geforderte Wiedereinführung der so
genannten Rente nach Mindesteinkommen (§ 262 SGB VI)
unterstütze man.

Die im Antrag geforderte Anhebung der Rentenversiche-
rungsbeiträge für den Bezug von Arbeitslosengeld II werde
ebenfalls nachdrücklich unterstützt. Die im Antrag geforder-
te An- bzw. Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen bei
gleichzeitiger Abflachung der hieraus folgenden höheren
Rentenanwartschaften begegnet aus Sicht des SoVD aller-
dings grundlegenden Bedenken.

mit der Abflachung höherer Rentenansprüche zu einer
Struktur führen könnte, die mit der ersten, öffentlichen Säule
des Schweizer Rentenmodells vergleichbar sei. Dieser An-
satz sei für Deutschland durchaus in Erwägung zu ziehen,
wobei die genaue Ausgestaltung der Rahmenparameter auf
zuverlässigen Berechnungen beruhen sollte. Die Berück-
sichtigung von Kindererziehungszeiten in der GRV von drei
Jahren pro Kind würde im OECD-Mittel liegen. Kinder-
erziehungszeiten in der Rente könnten einen Anreiz bieten,
nicht in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, sondern eine
möglichst lange Erziehungspause zu machen. Personen, die
Angehörige pflegen, seien in der Pflegeversicherung nur un-
zureichend abgesichert. In den nächsten Jahren werde die
Zahl dieser Pfleger aufgrund der alternden Bevölkerung
rapide wachsen. Wie für den Fall von Kindererziehungszei-
ten könnte durch systemverändernde Reformen ein nachhal-
tiger Schutz erreicht werden; wenn dies nicht erwünscht sei,
sollte ein besserer Schutz von Pflegern durch diese oder an-
dere Maßnahmen in Erwägung gezogen werden.

Sachverständiger Prof. Dr. Uwe Fachinger führte aus, dass
die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche
Rentenversicherung eine

– Anpassung des Systems der sozialen Sicherung an den
Wandel der Erwerbsstrukturen,

– sozialrechtliche Gleichstellung der Erwerbstätigen,

– Reduzierung negativer externer Effekte hinsichtlich

– der Allokation des Produktionsfaktors Arbeit und

– der gesellschaftlichen Kosten infolge mangelnder
Vorsorge,

– Reduzierung der Unsicherheit bei Aufnahme einer selbst-
ständigen Erwerbstätigkeit hinsichtlich der Absicherung
sozialer Risiken

bewirke. Insbesondere käme es zu einer Schließung von
Lücken in der Rentenbiografie (siehe Nr. 2 des Antrages
auf Drucksache 16/7038). Auch eine Entfristung der Rente
nach Mindestentgeltpunkten (Nr. 3 des Antrages auf Druck-
sache 16/7038) befördere diese Effekte.

Auf die allokativen und distributiven Wirkungen dieser
Maßnahmen könne nicht im Einzelnen eingegangen werden.
Sie würden grundsätzlich eine Erhöhung der Ausgaben be-
dingen. Zur dadurch notwendigen Erhöhung der Einnahmen
ist zu entscheiden, auf welche der die Einnahmenhöhe be-
stimmenden Faktoren, auch in Kombination miteinander,
zurückgegriffen werden soll.

Sachverständiger Prof. Dr. Eckart Bomsdorf äußerte sich
nicht zu dieser Vorlage.

IV. Beratung und Abstimmungsergebnis
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf
Drucksache 16/7038 in seiner 92. Sitzung am 18. Juni 2008
abschließend beraten.

Mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
Die Sachverständige Dr. Monika Queisser schätzte ein, dass
die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze verbunden

tion DIE LINKE. wurde beschlossen, die Ablehnung des
Antrages auf Drucksache 16/7038 zu empfehlen.

eines Pflichtleistungssystems überschreiten. Dies gelte erst
recht, wenn daraus keine beitragsäquivalenten Rentensteige-
rungen folgen sollten und damit der Charakter eines Beitra-
ges verloren ginge. Im Übrigen sei die Umsetzung der For-
derungen der Fraktion DIE LINKE. in Gänze unfinanzierbar.
Der Antrag reihe sich ein in die zahlreichen anderen allein
populistischen Anträge, mit denen die Fraktion DIE LINKE.
lediglich ihre Konzeptlosigkeit in der Rentenpolitik zu ver-
bergen versuche.

Die Mitglieder der Fraktion der SPD machten deutlich, dass
Sozialpolitik nun einmal nicht daraus bestehe, konzeptions-
los und breitflächig Geld zu verteilen. Es gehe vielmehr
darum, zielgerichtet die Lage derjenigen zu verbessern, bei
denen es notwendig ist. Alles andere sei unverantwortlich
denjenigen gegenüber, die mit Steuern und Beiträgen dieses
finanzieren müssten. Dieses stärke auch nicht das Vertrauen
in das Rentensystem. Die Anlehnung an das Schweizer Sys-
tem sei problematisch. Zum einen werde dieses – gänzlich
anders als in Deutschland – zu rund 80 Prozent über Steuern
finanziert. Zum anderen gelte in Deutschland das gesell-
schaftlich anerkannte und gewünschte Äquivalenzprinzip,
wonach ein gleicher Beitrag zu einer gleichen Leistung füh-
ren müsse. Einem Abweichen würden auch erhebliche ver-
fassungsrechtliche Hürden entgegenstehen. Man sehe in den
Vorschlägen der Fraktion DIE LINKE. keine vernünftigen
Ideen, wie man den Sozialstaat weiterentwickeln könne.
Man werde den Antrag ablehnen.

Die Mitglieder der Fraktion der FDP vertraten die Meinung,
dass es das Motto des Antrages sei: Wenn das Geld keine
Rolle spiele, sei vieles möglich. Es sei ein Wunschkatalog
zusammengestellt worden, der allerdings auch einen Sys-
temwechsel beinhalte und die strenge Beitragsbezogenheit
der Rente aufweichen wolle. Aus diesem Grund sei der
Antrag nicht zustimmungsfähig. Wünschenswert sei es, die

dadurch ausgeglichen würde. Zudem könnten die meisten
Akademiker heute nicht auf ein Berufsleben schauen, wel-
ches ihnen eine sichere Zukunft garantiere. Eine Reihe von
Akademikern hätte heute recht geringe Gehälter. Man lehne
die Kritik ab, dass das System der Mindestentgeltpunkte
nicht ausreichend trennscharf sei. In der Anhörung habe sich
herausgestellt, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund
dazu keine Zahlen habe. Offensichtlich sei es so, dass dies al-
so kein Problem sei bzw. das Problem lediglich marginal sei.
Das System der Mindestentgeltpunkte sollte nach Meinung
der Fraktion DIE LINKE. fortgeführt werden. Mit diesem
System ließe sich wirkungsvoll die Rente derjenigen erhö-
hen, die die größeren Risiken hätten, nämlich derjenigen mit
prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Es sei zudem unerträglich, dass die Beiträge für die Bezieher
von ALG II auf das heute geltende niedrige Niveau gesun-
ken seien. Das wäre vorprogrammierte Altersarmut. Zudem
wolle man mitteilen, dass man das Schweizer Modell nie
vertreten habe.

Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
führten aus, dass der Antrag durchaus Elemente enthalte, de-
nen man zustimmen könne. So z. B. die Kritik an der Halbie-
rung der Rentenversicherungsbeiträge für ALG-II-Bezieher.
Allerdings sehe man gravierende Mängel in dem Antrag.
Die Hochwertung von niedrigen Einkommen halte man
im Grundsatz für sinnvoll. Allerdings erfordere die Rente,
für die sich die Fraktion DIE LINKE. aussprechen würde,
35 Jahre Beitragsjahre. Damit seien viele nicht erfasst. Hier
bestehe Diskussionsbedarf. Kritisch sehe man auch die Auf-
hebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen
Rentenversicherung und die Deckelung von Renten. Man
befürchte, dass es verfassungsrechtliche Probleme geben
werde. Man werde den Antrag ablehnen.

Berlin, den 22. September 2008

Peter Weiß (Emmendingen)
Berichterstatter
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/10335

Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU fassten zusam-
men, dass sie eine Ausweitung oder gar Abschaffung der
Beitragsbemessungsgrenze entschieden ablehnten. Die Be-
grenzung des versicherbaren Verdienstes durch die Beitrags-
bemessungsgrenze betone den Charakter der gesetzlichen
Rentenversicherung als Regelsicherung innerhalb des „Drei-
Säulen-Systems“ der Alterssicherung in Deutschland. Alle
darüber hinausgehenden Verdienste könnten über eine der
beiden anderen Säulen, die betriebliche und die private
Altersvorsorge, versichert werden. Eine unbegrenzte Heran-
ziehung von Einkommen zur gesetzlichen Rentenversiche-
rung würde den verfassungsrechtlich zulässigen Umfang

Halbierung von Beiträgen für ALG-II-Bezieher rückgängig
zu machen; in diesem Punkt stimme die Fraktion der FDP
dem Antrag zu. Das Niveau der Altersvorsorge sei so gering,
dass man dies nicht mehr vertreten könne. Doch die Lösung,
die die Antragsteller formulieren, sei so nicht umsetzbar.

Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. wiesen noch ein-
mal darauf hin, dass es nicht unsozial sei, wenn man die
Schul- und Hochschulausbildung wieder in die Anrech-
nungszeiten einbezöge. Das Argument, dass dies die Besser-
verdienenden seien, die dann davon profitieren würden,
überzeuge die Fraktion DIE LINKE. nicht, da viele von
ihnen später hohe Steuern zahlen müssten und der Effekt

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