BT-Drucksache 16/10254

Einschränkungen des Ehegattennachzugs zu deutschen Staatsangehörigen bei fehlender Lebensunterhaltssicherung

Vom 17. September 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10254
16. Wahlperiode 17. 09. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Petra Pau
und der Fraktion DIE LINKE.

Einschränkungen des Ehegattennachzugs zu deutschen Staatsangehörigen bei
fehlender Lebensunterhaltssicherung

Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz wurde der Ehegattennachzug nicht
nur durch die Einführung von Sprachnachweisen bereits vor der Einreise
erschwert. Zudem sieht die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 des Aufenthalts-
gesetzes (AufenthG), die Ende August 2007 in Kraft trat, erstmalig die Mög-
lichkeit vor, den Nachzug von Ehegatten zu deutschen Staatsangehörigen zu
versagen, wenn im konkreten Fall der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Ein
solcher Eingriff in das Grundrecht auf Familienzusammenleben nach Artikel 6
des Grundgesetzes bzw. Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) soll laut Gesetzesbegründung nur unter „besonderen Umständen“
möglich sein, nämlich wenn „die Begründung der ehelichen Lebensgemein-
schaft im Ausland zumutbar ist“. Dies käme, so heißt es weiter, insbesondere
bei Doppelstaatlern „oder bei Deutschen, die geraume Zeit im Herkunftsland
des Ehegatten gelebt und gearbeitet haben und die Sprache dieses Staates spre-
chen“, in Betracht. Bezogen auf eingebürgerte Deutsche, so der Gesetzgeber,
sei die Neuregelung integrationspolitisch geradezu „geboten“, weil die „Pflicht
zum Nachweis der Lebensunterhaltssicherung“ zur Ermöglichung des Ehegat-
tennachzugs „einen Anreiz zur Integration“ darstelle. Die Neuregelung des
§ 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stieß in der Anhörung des Innenausschusses vom
21. Mai 2007 zum Richtlinienumsetzungsgesetz auf umfangreiche, unter ande-
rem verfassungsrechtliche Bedenken (vgl. Ausschussprotokoll 16/40).

An die Fragestellerin hat sich ein Betroffener, S., ein deutscher Staatsangehöri-
ger muslimischen Glaubens (ohne Migrationshintergrund), gewandt, dessen
marokkanischer Ehefrau der Nachzug verweigert wird, weil er Leistungen nach
SGB II bezieht. In dem Ablehnungsbescheid eines Visums zur Familienzusam-
menführung der Deutschen Botschaft in Rabat vom Juni 2008, den die Ehefrau
erhalten hat, heißt es:

„Es ist nicht ersichtlich, dass Ihr Mann stark in die deutsche Gesellschaft
integriert ist. Er hat keinen Arbeitsplatz in der Bundesrepublik und ist auch
nicht für Vereine oder Ähnliches tätig. Durch Ihre Angaben und auch durch die
Ihres Mannes … wird offensichtlich, dass [Ihr Ehemann] stark dem arabischen

Raum zugeneigt ist. Er ist praktizierender Moslem, schaut arabisches Fern-
sehen und weiß die marokkanische Kultur zu schätzen. Während der letzten
eineinhalb Jahre hielt sich Ihr Mann fast 8 Monate in Marokko auf.“

Mit dem Bescheid wird dem gebürtigen Deutschen also eine mangelnde Inte-
gration in Deutschland unterstellt, ihm wird das Recht abgesprochen, mit seiner
Ehefrau in Deutschland zu leben, und es wird Druck auf ihn ausgeübt, Deutsch-

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land zu verlassen und auszuwandern, wenn er mit seiner Frau zusammenleben
möchte. Unerwähnt bleibt, dass der Betroffene auch in den genannten acht Mo-
naten, in denen er seine Frau in Marokko traf, immer wieder an seinen Aufent-
haltsort in Deutschland zurückgekehrt ist und dass er entgegen der Unterstel-
lung in dem Bescheid sowohl Mitglied in einem Sportverein als auch in der
deutsch-arabischen Gesellschaft als auch in der Partei DIE LINKE. ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung den in der Vorbemerkung dargestellten
Einzelfall, und entspricht die zitierte Ablehnungsbegründung der deutschen
Botschaft in Rabat dem Sinn, Wortlaut und Zweck des Gesetzes?

2. a) Ist insbesondere bereits aus einem (unterbrochenen) achtmonatigen Aus-
landsaufenthalt zu schließen, dass jemand „geraume Zeit im Herkunfts-
land des Ehegatten gelebt“ hat (bitte begründen), und was genauer ist
nach Auffassung der Bundesregierung unter „geraumer Zeit“ zu verste-
hen?

b) Ist es insbesondere mit dem Grundrecht auf Glaubens- und Gewissens-
freiheit und dem Diskriminierungsverbot vereinbar, Deutschen die
Wohnsitznahme im Ausland im Zusammenhang des § 28 Abs. 1 Satz 3
AufenthG zuzumuten mit der Begründung, sie seien praktizierende Mus-
lime (bitte begründen)?

c) Inwieweit ist für die Bundesregierung das Bekenntnis bzw. das Konver-
tieren zu einer bestimmten Glaubensrichtung wie z. B. der muslimischen
ein Zeichen der Des- oder Integration (bitte begründen)?

d) Ist bereits die Arbeitslosigkeit im Zusammenhang des § 28 Abs. 1 Satz 3
AufenthG ein hinreichendes Indiz für eine fehlende Integration in
Deutschland (bitte begründen)?

e) Soll im Zusammenhang des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG positiv berück-
sichtigt werden, wenn betroffene deutsche Staatsangehörige in einem
Sportverein, in einem deutsch-arabischen Verein oder zum Beispiel in
einer Partei Mitglied sind, und wird dies im Regelfall dazu führen, dass
der Verweis eines Deutschen auf das Ausland zur „Begründung der ehe-
lichen Lebensgemeinschaft“ unzulässig wird (bitte begründen)?

f) Sollen im Zusammenhang des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG regelmäßige
Kontakte zu in Deutschland lebenden engen Familienangehörigen,
Freunden und Bekannten berücksichtigt werden und dazu führen, dass
der Verweis eines Deutschen auf das Ausland zur „Begründung der ehe-
lichen Lebensgemeinschaft“ unzulässig wird (bitte begründen)?

g) Ist es im Zusammenhang des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zulässig, ein
Interesse an der Kultur eines anderen Landes – das im Regelfall das Her-
kunftsland der jeweiligen Ehegatten ist, so dass dieses Interesse an der
Kultur mit dem Interesse an der konkreten Person des Ehegatten unauf-
löslich verbunden sein dürfte – zum Anhaltspunkt dafür zu nehmen, dass
ein Verweis eines Deutschen auf das Ausland zur „Begründung der ehe-
lichen Lebensgemeinschaft“ zumutbar wird (bitte begründen)?

h) Gilt die Einschränkung des Ehegattennachzugsrechts nach § 28 Abs. 1
Satz 3 AufenthG nur in Fällen der Ersterteilung des Visums bzw. der Auf-
enthaltserlaubnis, oder auch bei der Verlängerung einer bereits erteilten
Aufenthaltserlaubnis (im letzteren Fall bitte ausführlich begründen, ins-
besondere im Hinblick auf die Zumutbarkeit einer erzwungenen Ausreise
von deutschen Staatsangehörigen nach einer bereits in Deutschland be-

gründeten und gelebten Ehegemeinschaft)?

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i) Wieso gelten eingebürgerte Deutsche bei Verlust des Arbeitsplatzes und
Bezug von Leistungen nach SGB II als nicht (mehr) integriert (vgl. Ge-
setzesbegründung zur Neuregelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG:
„Anreiz zur Integration“), und sind nach Auffassung der Bundesregie-
rung auch deutsche Staatsangehörige ohne Migrationshintergrund nicht
mehr integriert, wenn sie auf staatliche Hilfsleistungen z. B. infolge von
Arbeitslosigkeit oder geringfügiger oder prekärer Beschäftigung ange-
wiesen sind (bitte begründen)?

j) Sind kinderlose deutsche Staatsangehörige, die nach einem langjährigen
Auslandsaufenthalt ihren Wohnsitz zurück nach Deutschland verlegen
wollen und die im Ausland zwar mit ihren ausländischen Ehegatten ge-
lebt, aber nicht gearbeitet haben (weil sie vom Einkommen des Ehegatten
leben konnten), ebenfalls von der neuen Einschränkung des § 28 Abs. 1
Satz 3 AufenthG betroffen, d. h. müssen sie zunächst ohne Ehegatten nach
Deutschland zurückkehren und eine lebensunterhaltssichernde Beschäfti-
gung für sich und ihre Ehegatten finden, bevor der Nachzug des nicht-
deutschen Ehegatten erlaubt wird, oder ist in dieser Fallkonstellation
grundsätzlich von Nachweisen einer Lebensunterhaltssicherung abzu-
sehen, weil die Beschäftigungsaufnahme nach langjährigem Auslands-
aufenthalt erfahrungsgemäß schwierig und eine Trennung vom Ehegatten
nach bereits gelebter Ehegemeinschaft unzumutbar ist (bitte ausführlich
begründen)?

3. Wie viele Visa zur Familienzusammenführung zu Deutschen wurden seit
dem 28. August 2007 unter Hinweis auf § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG abge-
lehnt, weil keine ausreichende Lebensunterhaltssicherung vorlag (bitte nach
Herkunftsländern und Geschlecht differenzieren)?

a) Falls die Bundesregierung hierzu über keine genauen statistischen An-
gaben verfügen sollte, welche sonstigen Erfahrungswerte oder Kennt-
nisse hat sie zu diesem Thema?

b) Falls die Bundesregierung über keine genauen statistischen Angaben ver-
fügen sollte, warum erhebt sie diese Daten nicht, oder warum macht sie
nicht zumindest eine Umfrage unter den Botschaften zur Ermittlung der
ungefähren Größen, um die Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelung
evaluieren und beurteilen zu können?

c) Wird die Bundesregierung in Zukunft eine Evaluation der Auswirkungen
der Neuregelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vornehmen, wenn ja,
in welcher Form, wenn nein, warum nicht?

d) Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse oder Informationen zu
der Frage, wie viele der Deutschen, denen der Nachzug ihrer Ehegatten
unter Hinweis auf § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG bislang versagt wurde,
keinen Migrationshintergrund aufwiesen?

4. Sind der Bundesregierung erste Gerichtsurteile zu der angefragten Thematik
bekannt, und wenn ja, was besagen diese Urteile, insbesondere auch im Hin-
blick auf die umstrittene Frage, ob die Neuregelung mit der Verfassung ver-
einbar ist?

5. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie die Neuregelung
des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG von den Ausländerbehörden der Bundes-
länder gegenüber den deutschen Ehegatten angewandt wird, d. h. werden
insbesondere die Einkommensverhältnisse von Deutschen, die ihre nicht-
deutschen Ehepartner im Wege des Ehegattennachzugs nachholen wollen,
regelmäßig überprüft, und entspräche eine solche regelmäßige Überprüfung
(die für die Betroffenen höchst verunsichernd ist) den Vorgaben des Geset-

zes?

Drucksache 16/10254 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
6. Wird die Bundesregierung oder das Auswärtige Amt im in der Vorbemer-
kung geschilderten Einzelfall auf eine Änderung der Entscheidung der Bot-
schaft in Rabat hinwirken, und wenn nein, warum nicht?

7. Ist vor der Hintergrund des in der Vorbemerkung geschilderten Einzelfalls
und/oder der bisherigen Erfahrungen zur Neuregelung des § 28 Abs. 1 Satz 3
AufenthG an eine baldige Änderung dieser Vorschrift gedacht, und wenn
nein, warum nicht?

8. Wer – außer der ehemaligen Ausländerbeauftragten Berlins, Barbara John, –
hat sich im Rahmen der umfangreichen Evaluation des Zuwanderungsgeset-
zes für eine Begrenzung des Nachzugsrechts zu deutschen Staatsangehöri-
gen bei unzureichender Lebensunterhaltssicherung ausgesprochen, und auf
welchen Sachverstand oder welche konkreten praktischen Erfahrungen oder
Anforderungen hat sich die Bundesregierung bei der Neufassung des § 28
Abs. 1 Satz 3 AufenthG überhaupt gestützt?

Berlin, den 15. September 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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