BT-Drucksache 16/10153

Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli 2008

Vom 21. August 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10153
16. Wahlperiode 21. 08. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heike Hänsel, Inge Höger, Paul Schäfer (Köln)
und der Fraktion DIE LINKE.

Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli 2008

Am 20. Juli 2008 haben erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land Rekruten ein Gelöbnis vor dem Reichstagsgebäude abgelegt. Um dies
durchzusetzen, hatten Vertreter der Regierungsparteien und des Berliner Senats
das Bezirksamt Mitte von Berlin unter massiven Druck gesetzt. Das dortige
Grünflächenamt hatte zuvor einen Antrag der Bundeswehr auf Sondernutzung
abgelehnt, weil dafür die Rechtsgrundlage fehle.

Obwohl wiederholt betont wurde, es handele sich um ein „öffentliches“ Gelöb-
nis, ist die Öffentlichkeit gezielt ausgesperrt worden. Zugang erhielten lediglich
handverlesene Gäste. Hunderte von Polizisten und Feldjägern schotteten das
Areal weiträumig ab. Es stellt sich daher unter anderem die Frage, welchen
Zweck eine solche Veranstaltung haben soll, die genauso gut – wie in der Vergan-
genheit – in einer Kaserne bzw. im Bendlerblock stattfinden könnte. Schließlich
sind die Kosten solcher nur scheinbar öffentlicher Veranstaltungen erheblich.

Hinzu kommt, dass die Symbolik von Ort und Datum widersprüchlich ist. Wer
sich auf die Offiziere des 20. Juli 1944 als Vorbilder stützt, wie dies die Bundes-
wehr proklamiert, müsste zur Kenntnis nehmen, dass die überwältigende Mehr-
heit der Wehrmachtsopposition antidemokratisch gesinnt war und gegen die
Ausschaltung des Reichstags im Jahr 1933 keinerlei Protest hat erkennen lassen.
Vor diesem Hintergrund ist es erklärungsbedürftig, warum ein Gelöbnis ausge-
rechnet am 20. Juli ausgerechnet vor dem Reichstag stattfinden sollte.

Der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, hat zwar in seiner
Ansprache behauptet, die Rekruten seien „vor den frei gewählten Vertreten des
deutschen Volkes heute zusammengekommen“, tatsächlich sind Bundestags-
abgeordnete jedoch – zumindest trifft dies auf die Fragesteller zu – überhaupt
nicht eingeladen worden.

Ohnehin ist zu fragen, nach welchen Kriterien die Einladungen ausgesprochen
wurden. Anlässlich des letzten Militäraufmarsches vor dem Reichstag, dem
Großen Zapfenstreich am 26. Oktober 2005, war unter anderem Alfred
Mechtersheimer eingeladen (nach Angaben der rechtsextremistischen Deut-
schen Militärzeitschrift (DMZ), Nr. 49, S. 59). Mechtersheimer ist in der so ge-

nannten Deutschland-Bewegung aktiv. Er wird selbst vom Bundesamt für Ver-
fassungsschutz als „Rechtsextremist“ gewertet (so im Rahmen eines BfV-Sym-
posions am 1. Oktober 2003). Dass so jemand von der Bundeswehr aus Anlass
ihres 50-jährigen Bestehens eingeladen worden ist, lässt erhebliche Zweifel an
der Ernsthaftigkeit erkennen, mit der das deutsche Militär seine Geschichte
aufgearbeitet hat.

Drucksache 16/10153 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann ist die Bundeswehr bzw. das Bundesministerium der Verteidigung an
welche Berliner Behörde erstmals mit dem Ziel herangetreten, das Gelöb-
nis am 20. Juli 2008 vor dem Reichstagsgebäude durchzuführen?

2. Warum wollte die Bundeswehr das Gelöbnis nicht wie in den Vorjahren im
Bendlerblock durchführen, sondern vor dem Reichstagsgebäude?

Inwiefern treffen Presseberichte zu, denen zufolge die Durchführung der
Zeremonie auf dem Antreteplatz des Bendlerblocks nicht möglich war,
weil dort Bauarbeiten durchgeführt wurden?

3. Wurden seitens des Bundesministeriums der Verteidigung im Vorfeld der
Planungen für das Gelöbnis Gespräche mit dem Präsidenten des Deutschen
Bundestages geführt, und wenn ja, wann, und mit welchem Ergebnis?

4. Nach welchen Kriterien wurden Einladungen für das Gelöbnis vor dem
Reichstagsgebäude ausgesprochen?

a) Wie viele Einladungen sind ausgesprochen worden, und zu welchem
Zeitpunkt sind diese mit Angabe von Ort und Uhrzeit versandt worden?

b) Wie viele Gäste haben an dem Militärritual teilgenommen?

5. Warum wurden nicht alle Bundestagsabgeordnete eingeladen, und nach
welchen Auswahlkriterien wurde hier verfahren?

6. Welche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wurden eingeladen?

7. Trifft die Information der DMZ zu, dass der Rechtsextremist und Oberst-
leutnant a. D. Alfred Mechtersheimer „einer der ca. 4 500 geladenen Gäste
anlässlich der Feiern zum 50. Jahrestag des Bestehens der Bundeswehr in
Berlin“ gewesen ist, und wenn ja,

a) warum ist Alfred Mechtersheimer damals eingeladen worden,

b) wie bewertet die Bundesregierung die demokratische Zuverlässigkeit
der Bundeswehr anlässlich der Einladung dieses bekannten Rechtsextre-
misten,

c) hat die Bundesregierung Anstrengungen unternommen, um Einladun-
gen an Rechtsextremisten bei ähnlichen Militäraufmärschen auszu-
schließen, und wenn ja, welche?

8. Wurde anlässlich des Gelöbnisses ein Militärischer Sicherheitsbereich ein-
gerichtet, und wenn ja, mit welcher Begründung, und in welchem örtlichen
Umfang?

9. Wurde anlässlich des Gelöbnisses ein Straßensondernutzungsrecht in An-
spruch genommen, und wenn ja, mit welcher Begründung, in welchem ört-
lichen Umfang, und zu welchem Zweck?

Inwiefern ist der bei Antragstellung angegebene Bedarf an der Sondernut-
zung tatsächlich in Anspruch genommen worden?

10. Wurde anlässlich des Gelöbnisses eine Hausrechtsübertragung an die Bun-
deswehr vorgenommen, und wenn ja,

a) wer hat zu welchem Zeitpunkt bei welcher Behörde um eine solche
Hausrechtsübertragung ersucht?

b) Für welchen Zeitraum (bitte Tag und Stunde angeben) ist die Haus-
rechtsübertragung erfolgt?

c) Für welches Areal galt die Hausrechtsübertragung genau (bitte Skizze

beifügen oder das Areal präzise beschreiben)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10153

11. Wie viele Soldaten haben mit welchen Funktionen an der Zeremonie teil-
genommen?

a) Wie viele Feldjäger sind anlässlich des Gelöbnisses eingesetzt worden?

b) Wie viele Feldjäger in Zivil sind dabei eingesetzt worden?

c) Wie viele Festnahmen bzw. Zuführungen an die Polizei sind während
Vorbereitungen, Aufbauarbeiten und während der Gelöbniszeremonie
selbst von Feldjägern vorgenommen worden, wann, und aus welchem
Grund genau?

12. Wie viele Bundespolizisten sind anlässlich des Gelöbnisses eingesetzt
worden und wie viele BKA-Beamte?

13. War der Militärische Abschirmdienst in Zusammenhang mit dem Gelöbnis
aktiv gewesen, und wenn ja, inwiefern?

14. Waren der Kundgebung des GelöbNIX-Bündnisses zurechenbare Proteste
in Form von Rufen, Sirenentönen oder sonstigen Geräuschen auf dem An-
treteplatz der Rekruten hörbar, und haben sie dort eine Beeinträchtigung
der Würde der Veranstaltung bewirkt?

a) Ist die Berliner Polizei gebeten worden, die Lautsprecheranlage auf der
Protestkundgebung zu kappen, um eine stattfindende oder drohende
akustische Beeinträchtigung des Gelöbnisses zu verhindern, und wenn
ja, zu welcher Zeit, und von wem?

b) Waren andere Formen von Störungen auf dem Antreteplatz wahrzu-
nehmen, und wenn ja, welche, und in welcher Form?

15. Welche Absprachen hat es im Vorfeld sowie während des Gelöbnisses mit
der Berliner Polizei gegeben, um Störungen des Gelöbnisses auszuschlie-
ßen?

a) Wurden während der Zeremonie Lautstärkemessungen vorgenommen,
und wenn ja, von wem, und mit welchen Erkenntnissen?

b) Standen während der Zeremonie Polizeibeamte in Verbindung mit der
Bundeswehr, um beispielsweise zu erfahren, ob diese sich von der Pro-
testkundgebung gestört fühlt, und wenn ja, welche Eindrücke oder An-
regungen wurden seitens der Bundeswehr kommuniziert?

16. Welche Kosten sind dem Bund für die Durchführung des Gelöbnisses insge-
samt entstanden, und aus welchen Haushaltstiteln werden diese bestritten
(bitte detailliert nach Einzelposten aufschlüsseln)?

a) Hat der Bund die Kosten zu einer allfälligen Rasensanierung übernom-
men, und wenn ja, wie hoch waren diese?

b) Wer hat die Spesen von Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt übernom-
men, und wie hoch waren diese?

17. Beabsichtigt die Bundesregierung, dem Land Berlin die in Zusammenhang
mit dem Gelöbnis entstandenen Kosten für den Polizeieinsatz (in der
Presse auf rund 250 000 Euro beziffert) zu erstatten, und wenn nein,
warum nicht?

18. Wie bewertet die Bundesregierung Verlauf und Erfolg des Gelöbnisses an-
gesichts des Umstandes, dass der zivilen Öffentlichkeit mit Ausnahme
handverlesener Gäste einmal mehr der Zugang zu der Zeremonie verwehrt
wurde und nur wenige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens anwesend
waren?

Drucksache 16/10153 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
19. Erwägt die Bundesregierung, in diesem oder im kommenden Jahr weitere
Militärrituale in Berlin außerhalb militärischer Liegenschaften durchzufüh-
ren, und wenn ja, wo, und wann?

20. Welche weiteren Gelöbnisse, Zapfenstreiche und andere Militärzeremonien
außerhalb militärischer Liegenschaften sind zum jetzigen Zeitpunkt bun-
desweit

a) angemeldet,

b) beabsichtigt

(bitte jeweils Ort, Zeitpunkt und Anlass nennen)?

21. Will die Bundesregierung auch in Zukunft daran festhalten, die Offiziere
des 20. Juli zu ehren, obwohl etliche von ihnen an Kriegsverbrechen betei-
ligt waren?

22. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Rekruten künftig das Beispiel von
Deserteuren und Kriegsverrätern als Vorbild zu empfehlen, die, ohne zuvor
Kriegsverbrechen begangen zu haben, sich der faschistischen Wehrmacht
entzogen haben?

Berlin, den 15. August 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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