BT-Drucksache 16/10134

Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung

Vom 15. August 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10134
16. Wahlperiode 15. 08. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill, Dr. Kirsten
Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung

Die Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt beinhaltet das Ziel, dass bis
zum Jahr 2020 der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung,
das heißt ohne Belastung durch die Forstwirtschaft, fünf Prozent betragen soll
(Abschnitt B 1.2.1 Wälder). Laut den Antworten der Bundesregierung auf die
mündliche Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann vom 23. Januar 2008
(Plenarprotokoll 16/138, S. 14582) und auf die schriftliche Frage des Abgeord-
neten Lutz Heilmann vom 9. Juni 2008 (Bundestagsdrucksache 16/9554, Frage
45) liegen der Bundesregierung bisher keine exakten und verlässliche Zahlen
über den derzeitigen Waldflächenanteil mit natürlicher Waldentwicklung vor.
Exakte Zahlen darüber, wie hoch der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher
Waldentwicklung derzeit ist, sind jedoch notwendig, um nachvollziehen zu kön-
nen, ob das 2020er Ziel überhaupt erreicht wird und ob es im Sinne einer ver-
besserten biologischen Vielfalt in den Wäldern eine (messbare) Steigerung des
Anteils der Waldflächen mit natürlicher Entwicklung bedeutet.

Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Horst Seehofer, scheint laut gemeinsamer Pressemitteilung mit dem Präsidenten
des Deutschen Forstwirtschaftsrates Georg Schirmbeck vom 8. Mai 2008 davon
auszugehen, dass der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung
bereits fünf Prozent beträgt. Dann wäre das in der Nationalen Strategie zur Bio-
logischen Vielfalt genannte Ziel nicht mehr als eine Zementierung des Status
quo. Die Antworten der Bundesregierung werfen die Frage auf, wieso die Bun-
desregierung ohne Kenntnis des Ist-Zustands ein formales Ziel beschließt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum lagen bislang keine exakten Zahlen darüber vor, wie viel Prozent der
Waldfläche der Bundesrepublik Deutschland sich natürlich entwickeln?

2. Bedeutet die Aussage „2020 beträgt der Flächenanteil der Wälder mit natür-
licher Waldentwicklung 5 Prozent der Waldfläche“, dass fünf Prozent er-
reicht werden sollen oder dass, falls dieser Anteil bereits jetzt fünf Prozent
betragen sollte, fünf Prozent bewahrt werden sollen?
3. Beabsichtigt die Bundesregierung mit der Biodiversitätsstrategie die Bio-
diversität in Wäldern zu erhöhen (Begründung)?

4. Nach welchen Kriterien, in welchen zeitlichen Abständen und durch wen
wurden bislang Daten zur natürlichen Waldentwicklung erfasst?

5. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass vor der Festlegung von
quantitativen Zielen der Ist-Zustand ermittelt werden sollte (Begründung)?

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6. Warum hat die Bundesregierung mit der Nationalen Strategie zur Biologi-
schen Vielfalt beschlossen, dass bis 2020 ein Anteil von fünf Prozent mit
natürlicher Waldentwicklung erreicht werden sollen, obwohl ihr bislang
keine exakten Zahlen darüber vorgelegen haben, wie viel Prozent der Wald-
fläche sich aktuell bereits natürlich entwickeln?

7. Warum wurde vor der Festlegung dieses Zieles nicht der Ist-Zustand ermit-
telt?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der internationalen Wald-
schutzorganisation Global Forest Coalition (GFC), dass der Waldflächen-
anteil mit natürlicher Waldentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland
aktuell ca. 1 Prozent beträgt?

9. Welcher Vergleichsmaßstab sollte ursprünglich zur Messung der Zielerrei-
chung herangezogen werden?

10. Welche Kriterien wird die Bundesregierung nun heranziehen, um die Ziel-
erreichung von 5 Prozent zu kontrollieren?

11. Wie wird die Bundesregierung zukünftig in Zusammenarbeit mit den Bun-
desländern gemäß den oben genannten Fragen die Wälder mit natürlicher
Entwicklung erfassen?

Welche Kriterien werden dafür zugrunde gelegt, welche ersten Schritte hat
die Bundesregierung dazu unternommen, und warum wurde diese nicht
bereits früher durchgeführt?

12. Worin genau bestünde der Beitrag eines Anteils der Waldflächen mit natür-
licher Waldentwicklung von 5 Prozent für die Biologische Vielfalt der Wäl-
der?

13. Auf welchen konkreten Annahmen, Angaben, Forschungsergebnissen oder
sonstigen Erkenntnissen beruht das 5-Prozent-Ziel?

14. Welche Kriterien spielten für die Bundsregierung bei der Festlegung des
5-Prozent-Zieles eine Rolle?

15. Wurde eine höhere Zielsetzung, wie es beispielsweise die Global Forest
Coalition (GFC) mit 10 Prozent gefordert hat, im Zuge der Erarbeitung der
nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt erwogen?

Wenn ja, warum wurde es verworfen?

Wenn nein, warum nicht?

16. Hält die Bundesregierung es für möglich, bis 2020 einen Waldflächenanteil
mit natürlicher Waldentwicklung von 10 Prozent zu erreichen (bitte mit
Begründung)?

17. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein Anteil von 10 Prozent
natürlicher Waldentwicklung besser für die biologische Vielfalt in den Wäl-
dern wäre (Begründung)?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der internationalen Wald-
schutzorganisation Global Forest Coalition (GFC), dass in der Bundesrepu-
blik Deutschland 10 Prozent statt 5 Prozent Waldflächenanteil mit natür-
licher Waldentwicklung bis 2020 notwendig sind, um einen essentiellen
Mehrwert und eine positive Entwicklung für die Biologische Vielfalt zu er-
reichen?

19. Erwägt die Bundesregierung, vor dem Hintergrund möglicher neuer
Erkenntnisse über den derzeitigen tatsächlichen Anteil von Waldflächen mit
natürlicher Waldentwicklung, insbesondere dann, wenn die Erkenntnisse

ergeben, dass 5 Prozent bereits erreicht sind und sich somit durch das 5-Pro-
zent-Ziel keinerlei Verbesserung der Biologischen Vielfalt in den Wäldern

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ergeben würde, eine Anpassung des Strategie-Ziels verbesserter Bedingun-
gen für die in Wäldern typischen Lebensgemeinschaften (Begründung)?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der internationalen Wald-
schutzorganisation Global Forest Coalition (GFC), dass in der Bundesrepu-
blik Deutschland die Ursachen von Entwaldung nicht ausreichend be-
kämpft werden?

21. Welche Programme und Maßnahmen gibt es seitens der Bundesregierung
derzeit gegen Entwaldung (aufgeschlüsselt nach Bundesländern und
Größe)?

22. Warum ist die Zahl des Waldflächenanteils mit natürlicher Waldentwick-
lung, das heißt, ohne Belastung durch die Forstwirtschaft, nicht im Waldzu-
standsbericht erfasst?

23. Wie wird die Bundesregierung die Anliegen des Natur- und Artenschutzes
in die 3. Bundeswaldinventur (2011/2012) integrieren?

Welche konkreten Parameter zur Erfassung liegen dazu vor bzw. sollen
angewandt werden?

24. Welche Waldumweltmaßnahmen wurden mit Mitteln im Rahmen der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20. September 2005 über die
Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen
Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) in
den Bundesländern in den letzten fünf Jahren finanziert?

Wie bewertet die Bundesregierung diese Waldumweltmaßnahmen in Hin-
blick auf die Nationale Biodiversitätsstrategie?

25. Welche Ausrichtung sollten Waldumweltmaßnahmen haben um die Ziele
der Nationalen Biodiversitätsstrategie besser zu unterstützen?

26. Wann wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Novellierung des
Bundeswaldgesetzes (BWaldG) vorlegen?

Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die naturnahe Waldwirt-
schaft durch eine Konkretisierung der so genannten guten fachlichen Praxis
im Bundeswaldgesetz zu präzisieren (Begründung)?

27. Wie wird in diesem Zusammenhang die nachhaltige Waldbewirtschaftung
bundeseinheitlich definiert, und wie lauten die Definitionskriterien?

28. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die derzeit bestehenden
„Regeln der guten fachlichen Praxis“ des Bundesnaturschutzgesetzes
(BNatSchG) nicht ausreichen, um die Potenziale der naturnahen Wald-
bewirtschaftung und die Förderung und Verbesserung der Biodiversität in
Wäldern auszuschöpfen (Begründung)?

29. Wie bewertet die Bundesregierung den möglicherweise in Zukunft zulässi-
gen Anbau von gentechnisch veränderten Bäumen in der Land- und in der
Forstwirtschaft?

Welche Chancen und welche Gefährdungspotentiale wären damit verbun-
den?

30. Wie bewertet die Bundesregierung den Anbau der Douglasie in der Forst-
wirtschaft unter Berücksichtigung ihrer ökologischen Nische?

31. Welche genetische Verwandtschaft besteht zwischen den in der Bundes-
republik Deutschland heute kultivierten Douglasien und den vor dem
Mesozoikum vorkommenden eurasischen Douglasien?

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32. Können Douglasien unter Berücksichtigung dieses Verwandtschaftsver-
hältnisses als „heimisch“ im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 7 des Umweltgesetz-
buches (UGB) III Referentenentwurf bezeichnet werden?

33. Könnte dies dazu führen, dass der Anbau von Douglasien in der Bundes-
republik Deutschland ausgeweitet wird (Begründung), und wäre dies unbe-
denklich im Sinne der biologischen Vielfalt der Wälder?

Berlin, den 13. August 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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