BT-Drucksache 16/10057

Befugnisse der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung in Polizeigesetzen der Länder

Vom 29. Juli 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/10057
16. Wahlperiode 29. 07. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Petra Pau und der
Fraktion DIE LINKE.

Befugnisse der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung in Polizeigesetzen
der Länder

In der Debatte des Deutschen Bundestages am 20. Juni 2008 über einen Gesetz-
entwurf der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD „zur Abwehr von
Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ (im
Folgenden: BKA-GE) äußerte für die Bundesregierung Bundesinnenminister
Dr. Wolfgang Schäuble: „Und wenn man dem Bundeskriminalamt die Aufgabe
polizeilicher Gefahrenabwehr überträgt, dann muss man dafür natürlich die ge-
setzlichen Instrumente zur Verfügung stellen, über die die Landespolizeien seit
50 Jahren verfügen.“ (Plenarprotokoll 16/170, S. 18029 (D)).

Es wäre sicherlich der Sache nicht angemessen, diese Worte auf die Gold-
waage zu legen und etwa die Frage zu stellen, welche Befugnisse denn die
Landespolizeigesetze vor 50 Jahren zum Abhören von Wohnungen und Tele-
kommunikationsanlagen, oder gar zur „Onlinedurchsuchung“ von Computern
beinhalteten. Aber in Frage zu stellen ist für eine sachlich angemessene
parlamentarische Debatte schon, welche der für die Gefahrenabwehr durch das
BKA vorgesehenen Befugnissen tatsächlich in den Ländern zur Gefahren-
abwehr zur Verfügung stehen – oder inwiefern es sich nicht vielmehr um Be-
fugnisse im Rahmen der Strafermittlung handelt. Denn bei Wohnungsdurchsu-
chungen oder der Kontrolle der Kommunikation handelt es sich eben nicht um
die „klassischen Instrumente der polizeilichen Gefahrenabwehr“ (Dr. Wolf-
gang Schäuble, a. a. O.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur längerfristi-
gen Observation in Anknüpfung an

a) eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine Gefahr für Leib und Leben,

c) eine Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft ter-

roristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen,

e) und in welchen Polizeigesetzen der Länder besteht diese Befugnis auch
für eine Kontakt- oder Begleitperson?

Drucksache 16/10057 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Anfertigung
von Bild- und Tonaufzeichnung außerhalb von Wohnungen in Anknüpfung
an

a) eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine Gefahr für Leib und Leben,

c) eine Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft ter-
roristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen,

e) und in welchen Polizeigesetzen der Länder besteht diese Befugnis auch
für eine Kontakt- oder Begleitperson?

3. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zum Einsatz von
Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern in Anknüpfung an

a) eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine Gefahr für Leib und Leben,

c) eine Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft ter-
roristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen,

e) und in welchen Polizeigesetzen der Länder besteht diese Befugnis auch
für eine Kontakt- oder Begleitperson?

4. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Durchfüh-
rung eines „Großen Lauschangriffs“ (Abhören und Aufzeichnen des gespro-
chenen Wortes in oder aus Wohnungen) in Anknüpfung an

a) eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine Gefahr für Leib und Leben,

c) eine Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft ter-
roristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen?

5. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Durchfüh-
rung eines „Spähangriffs“ (Bildaufzeichnungen in oder aus Wohnungen) in
Anknüpfung an

a) eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine Gefahr für Leib und Leben,

c) eine Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft ter-
roristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen?

6. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Ausschreibung
zur polizeilichen Beobachtung in Anknüpfung an

a) eine Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine Gefahr für Leib und Leben,

c) eine Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die aus der Gesamtwürdigung einer Person abgeleitete Erwartung, dass
sie künftig terroristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE be-
gehen wird,
e) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft ter-
roristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/10057

7. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Rasterfahn-
dung in Anknüpfung an das bloß abstrakte Bestehen einer Gefahr für den
Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben und Freiheit
einer Person oder Sachen von besonderem Wert anknüpfen (vgl. § 20j
Abs. 1 Satz 1 BKA-GE)?

a) Wie ist eine solche Gefahr feststellbar, wenn keine konkreten Vorberei-
tungshandlungen erkennbar sind, die auf eine terroristische Straftat
i. S. v. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKA-GE zielen?

b) Inwiefern ist eine Rasterfahndung noch notwendig, wenn konkret
Vorbereitungshandlungen erkennbar sind und also auch die handelnden
Personen?

c) Inwiefern wird die Befugnis zur Rasterfahndung obsolet, wenn das
BKA die Befugnis erhalten sollte, auf das geplante Bundesmelderegister
zugreifen zu können, und plant die Bundesregierung eine entsprechende
Befugnis?

8. In welchen Polizeigesetzen der Länder oder anderer Landesgesetze ist der
Einsatz einer „Onlinedurchsuchung“ vorgesehen, und an welche tatbe-
standlichen Voraussetzung knüpft er jeweils an?

9. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Über-
wachung der Telekommunikation in Anknüpfung an

a) eine dringende Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates,

b) eine dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person,

c) eine dringende Gefahr für Sachen von bedeutendem Wert,

d) die tatsachenbegründete Annahme, eine Person könne in der Zukunft
terroristische Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 BKA-GE begehen,

e) die durch bestimmte Tatsachen gerechtfertigte Annahme, eine Person
könne Nachrichten entgegennehmen oder weitergeben, die von einer
Person stammen oder für sie bestimmt sind, von der eine Gefahr im
Sinne der in Buchstabe a bis d genannten Voraussetzungen ausgeht?

10. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Erhebung
von Verkehrsdaten (§ 96 Abs. 1 und § 113a des Telekommunikations-
gesetzes) im Rahmen der Gefahrenabwehr unter den in Frage 9a bis 9e
genannten Voraussetzungen?

11. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis zur Identifi-
zierung und Lokalisierung von Mobilfunkkarten und -endgeräten durch
technische Mittel (IMSI-Catcher u. Ä.) unter den in Frage 9a bis 9e
genannten Voraussetzungen?

12. In welchen Polizeigesetzen der Länder gibt es die Befugnis, zur Abwehr
einer dringenden Gefahr Wohnungen jederzeit zu betreten, wenn Tatsachen
die Annahme rechtfertigen, dass dort „erfahrungsgemäß“ Straftaten verab-
redet, vorbereitet oder verübt werden?

a) Was bedeutet in diesem Zusammenhang „erfahrungsgemäß“?

b) Was sind denkbare Fallkonstellationen für das Verüben von terroris-
tischen Straftaten i. S. v. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKA-GE, die „erfahrungs-
gemäß“, d. h. jedenfalls regelmäßig, in einer bestimmten Wohnung be-
gangen werden?

Drucksache 16/10057 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
13. Welche Überlegungen haben nach Ansicht der Bundesregierung nach 1945
dazu geführt, in der Bundesrepublik Deutschland keine polizeiliche
Bundesbehörde zur Gefahrenabwehr zu gründen und die Befugnisse zur
Gefahrenabwehr und insbesondere den polizeilichen Staatsschutz bei den
Ländern anzusiedeln?

Welche neuen Überlegungen stehen dem nun entgegen?

14. Welche Überlegungen haben nach Ansicht der Bundesregierung nach 1945
dazu geführt, die Beobachtung von staats- und verfassungsfeindlichen Be-
strebungen einerseits und die Verfolgung von Straftaten und entsprechen-
der Vorbereitungshandlungen zu trennen?

Welche neuen Überlegungen stehen dem nun entgegen?

Berlin, den 21. Juli 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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