BT-Drucksache 15/923

zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Zukunft sichern - Globale Armut bekämpfen

Vom 6. Mai 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/923
15. Wahlperiode 06. 05. 2003

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Jochen Borchert, Dr. Ralf Brauksiepe,
Hartwig Fischer (Göttingen), Siegfried Helias, Volker Kauder, Rudolf Kraus, Conny
Mayer (Baiersbronn), Sibylle Pfeiffer, Christa Reichard (Dresden), Peter Weiß
(Emmendingen), Rainer Eppelmann, Norbert Geis, Dr. Egon Jüttner, Jürgen
Klimke, Arnold Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

zu der Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Zukunft sichern – Globale Armut bekämpfen
Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch eine bisher nicht
gekannte weltweite Verflechtung der Staaten und Gesellschaften. Der technische
Fortschritt hat die Menschen, ihre Kulturen und Volkswirtschaften zusam-
menrücken lassen; die globale Kommunikation, der internationale Handel von
Waren und Dienstleistungen, die weltweiten Kapitalströme sind sprunghaft
angestiegen. Viele Ereignisse der letzten Jahre machen deutlich, wie sehr neben
der ökonomischen auch die politische, soziale und ökologische Abhängigkeit
der Völker untereinander gewachsen ist. Gewalttätige Konflikte, Misswirt-
schaft, Armut, soziale Gegensätze oder Umweltzerstörung wirken sich immer
stärker auf die Stabilität ganzer Regionen oder der internationalen Völkerge-
meinschaft aus. Vor diesem Hintergrund haben auch die politischen Gegeben-
heiten und Vorgänge in den Entwicklungs-, Schwellen- und Transformations-
ländern für die Industrieländer, für Europa und Deutschland, erheblich an
Bedeutung gewonnen.
Entwicklungspolitik entspringt daher nicht nur einer moralischen Verpflichtung
aus unserer christlich-humanitären Weltanschauung. Sie dient in ganz besonde-
rer Weise auch der Verfolgung unserer außenpolitischen, sicherheitspolitischen
und wirtschaftspolitischen Interessen. Sie ist ein Instrument zur Bewahrung und
zum Transfer von Stabilität, zur langfristigen Krisenprävention und Krisenbei-
legung, zur Eindämmung von Extremismus, Kriminalität, Terrorismus und Um-
weltzerstörung, indem sie dazu beiträgt, die richtigen Rahmenbedingungen für
eine gesunde politische und wirtschaftliche Entwicklung zu setzen und trag-
fähige demokratische, rechtsstaatliche und effizient wirkende Strukturen in den
Entwicklungsländern aufzubauen. Entwicklungspolitik ist jedoch genauso ein
wichtiges Instrument zur Förderung der Stellung Deutschlands in der Welt. Sie
befördert den fruchtbaren Kulturaustausch, stimuliert die Hochschul- und Wis-
senschaftskooperation, intensiviert die wirtschaftlichen Beziehungen und stärkt
so auch unsere Wirtschaft auf wichtigen Zukunftsmärkten.
Die Entwicklungspolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Regionen
und Sektoren große Erfolge verbuchen können. Viele vormals arme Länder

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haben eine wirtschaftlich beeindruckende Entwicklung hinter sich. In vielen
Entwicklungsländern nahm die Lebenserwartung der Menschen erheblich zu,
ebenso die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsraten. Das Bevölkerungs-
wachstum hat sich weltweit verlangsamt und mehr Menschen als je zuvor leben
in Staaten mit demokratischen Regierungssystemen. Deutsche Entwicklungs-
politik hat sich den Ruf erworben, selbstkritisch, seriös und frei von kurzsich-
tigem Eigeninteresse zu sein. Durch ihre Geländerfunktion hat sie dennoch der
deutschen Wirtschaft in der Vergangenheit in vielen Ländern Türen und Chan-
cen geöffnet.
Andererseits hat die Globalisierung neben den bedeutenden Chancen auch die
Entwicklungsrisiken für die ärmeren Länder deutlicher hervortreten lassen: Die
Einkommensschere zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und inner-
halb der Entwicklungsländer ist größer geworden. Krasse Ungleichverteilungen
in Vermögen und Einkommen, Ineffizienz des Staates, allumfassende Korrup-
tion, schwaches Bildungssystem, bedrohliche Zerstörung der natürlichen Le-
bensgrundlagen wirken in vielen Ländern als tickende Zeitbomben. In machen
Regionen, insbesondere Afrikas, machen Kriege und Bürgerkriege jahrzehnte-
lange Entwicklungsbemühungen zunichte.
Dieser Herausforderung muss die deutsche Politik gerecht werden, indem sie
den Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung quantitativ
mit mehr finanziellen Mitteln und qualitativ mit mehr Effizienz und Kohärenz
stärkt. Dazu gehört eine Reform der Schwerpunkte und Handlungsabläufe der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit, eine stärkere Einflussnahme und
Koordination im Rahmen der multilateralen Entwicklungskooperation, eine
stärkere außenpolitische Rückendeckung für die Entwicklungspolitik und eine
institutionelle und finanzielle Stärkung des Bundesministeriums für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung auch hinsichtlich seiner Aufgaben auf
dem Gebiet der Wirtschafts-, Umwelt- und Forschungskooperation mit den
Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern.
Der Deutsche Bundestag appelliert an die Bundesregierung, die konzeptionelle
Grundlage der deutschen Entwicklungszusammenarbeit den heutigen Erforder-
nissen anzupassen und die notwendigen Ressourcen und geeigneten Instrumente
zur Verfügung zu stellen. Parallel dazu ist es Aufgabe der Bundesregierung, sich
in engem Zusammenwirken mit unseren internationalen Partnern für die längst
überfällige Reform der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit einzu-
setzen.
Der Deutsche Bundestag appelliert ebenso an die Bundesregierung, sich auf
nationaler und internationaler Ebene für die Herstellung der für eine nachhaltige
Entwicklungszusammenarbeit notwendigen Rahmenbedingungen einzusetzen.
Hierzu gehört eine möglichst weitgehende Eindämmung zwischenstaatlicher
und innerstaatlicher Konflikte durch eine Verzahnung unserer sicherheits-,
außen- und entwicklungspolitischen Bemühungen und durch gezielte Maßnah-
men zur Krisenprävention, friedlichen Konfliktbeilegung und Friedenssiche-
rung. Wichtig ist auch der stärkere Einsatz für eine internationale und soziale
Marktwirtschaft als globale Regelarchitektur, die für Kohärenz zwischen wirt-
schafts-, finanz- und entwicklungspolitischen Konzeptionen, für marktwirt-
schaftliche Effizienz, aber auch für soziale Balance, den Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen und die kulturelle Vielfalt auf nationaler Ebene steht.
Nur wennwir unsere Politik gegenüber den Entwicklungsländern auf diesenmo-
dernen Grundprinzipien aufbauen, haben wir eine reelle Chance, weltweite Ar-
mut und soziale Sprengsätze wirksam zu bekämpfen, globale Probleme z. B. im
Umwelt-, Wasser- oder Klimabereich zu lösen und gleichzeitig die Stellung und
das Ansehen unseres Landes in der Welt zu fördern.

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Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die deutschen Entwicklungsausgaben schnellstmöglich auf ein Niveau

anzuheben, welches der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein wirk-
sames und umfassendes Agieren gestattet. Die auf der UN-Konferenz für
Entwicklungsfinanzierung 2002 in Monterrey im Grundsatz beschlossene
Aufstockung der Finanzmittel für eine globale nachhaltige Entwicklung ist
von den Industrieländern einschließlich der Bundesregierung verbindlich
umzusetzen. Die Bundesregierung muss ihre Bemühungen erheblich inten-
sivieren, das zusammen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten vereinbarte
Zwischenziel einer Anhebung der Entwicklungsausgaben bis spätestens
2006 auf mindestens 0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen;

2. die Strukturen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu reformieren
und zu straffen sowie deren Arbeitsabläufe zu beschleunigen und zu flexi-
bilisieren durch
a) die zukünftige Konzentration des Bundesministeriums für wirtschaft-

liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf politische Steue-
rungs-, Konzeptions-, Planungs- und Koordinationsaufgaben bei gleich-
zeitiger verstärkter Verlagerung der Durchführungsverantwortung in die
Vorfeldorganisationen,

b) eine sachgemäße Reorganisation der BMZ-Struktur unter Rücknahme
der nach 1998 eingetretenen Fehlentwicklungen,

c) eine weitere Verbesserung der Koordinierung und Kooperation der deut-
schen Vorfeld- und Durchführungsorganisationen, z. B. der Deutschen
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und der Kreditanstalt für
Wiederaufbau,

d) eine verstärkte partnerschaftliche Zusammenarbeit und Nutzung der
eigenständigen Potentiale der Kirchen, Nichtregierungsorganisationen
und politischen Stiftungen,

e) eine bessere Ausschöpfung des Potentials der entwicklungspolitischen
Partnerschaft mit der deutschen Wirtschaft,

f) eine Stärkung der Außenstruktur der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit (z. B. mittels der Erhöhung des BMZ-Personalanteils in den
Entwicklungsländern und der Einrichtung gemeinsamer Auslandsbüros
der Durchführungsorganisationen als „Deutsche Häuser“),

g) eine Entschlackung von bürokratischen Prozeduren zur Erreichung einer
schnelleren Reaktionsfähigkeit und höheren Flexibilität in der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit bei gleich bleibend hoher Durchfüh-
rungsqualität,

h) eine Verbesserung der Koordinierung und Kooperation mit anderen
beteiligten Ressorts, insbesondere dem Auswärtigen Amt, dem Wirt-
schafts-, dem Forschungs- und Verteidigungsressort. Das BMZ muss
das Querschnittsressort der Bundesregierung für die Entwicklungszu-
sammenarbeit darstellen. Die in anderen Ressorts verstreuten entwick-
lungspolitischen Programme und Fonds sind in das BMZ zu überführen;

3. die folgenden Kooperationssektoren prioritär zu fördern:
a) die Bildung und Ausbildung zur Stärkung der Selbsthilfekräfte und des

Selbstentwicklungspotentials in den Entwicklungsländern,
b) den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Abwehr regiona-

ler und globaler Umweltrisiken,
c) die Verbesserung der staatlichen Rahmenbedingungen und der Leis-

tungsfähigkeit der öffentlichen Hand in vielen Entwicklungsländern, die

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Demokratisierung und die Förderung von „Guter Regierungsführung“
(= Regierungspolitik, die dem Wohle der Bevölkerung und dem Ziel
entwicklungsorientierten Handelns verpflichtet ist) zwecks Stabilisie-
rung und Konfliktvermeidung in diesen Staaten,

d) die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Integrierung in die
Weltwirtschaft vor allem durch die Förderung des Privatsektors und
Mittelstandes in den Entwicklungsländern sowie die Unterstützung
dieser Staaten bei der Schaffung regionaler Wirtschaftsräume,

e) die Förderung und den Aufbau einer aktiven Zivilgesellschaft in den
Entwicklungsländern,

f) die Aktivierung von Selbsthilfepotentialen und selbsttragenden Struktu-
ren zur Armutsbekämpfung,

g) die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Bekämpfung des Dro-
genanbaus und -handels;

4. die Auswahl unserer bilateralen Kooperationspartner unter Wahrung eines
Höchstmaßes an Flexibilität auf eine limitierte Zahl zu konzentrieren und
hierbei den Fokus zu richten:
a) vor allem auf Entwicklungsländer mit dem Willen und Engagement zu

„Guter Regierungsführung“ und einem Mindestmaß an notwendigen
Rahmenbedingungen bezüglich Menschenrechten, Demokratie, Rechts-
sicherheit und Marktwirtschaft,

b) auf islamische Entwicklungsländer vor allem zur Verbesserung der
dortigen Rahmenbedingungen und zur Intensivierung des Politik- und
Kulturdialogs,

c) auf Schwellenländer vor allem zur Intensivierung der Wirtschafts-
sowie Wissenschafts- und Hochschulbeziehungen. Der Lösung von
Problemen von gegenseitigem Interesse z. B. in den Sektoren Energie,
Umwelt, Verstädterung oder Landwirtschaft muss die deutsche Ent-
wicklungszusammenarbeit wieder gebührende Aufmerksamkeit zukom-
men lassen.

Eher eine Ausnahme sollte die Kooperation mit Entwicklungsländern ohne
Anzeichen für „Gute Regierungsführung“ und ohne akzeptable Rahmen-
bedingungen („bad performer-Staaten“) bleiben. Sie sollte allerdings dann
in Betracht gezogen werden, wenn sie zur Linderung der Not der armen
Bevölkerung, zur Unterstützung politischer Reformkräfte, zur Verhinde-
rung oder Abschwächung von Katastrophen oder Konflikten, im Rahmen
der Allianz gegen den internationalen Terrorismus und zur Vermeidung
von Zonen der Ordnungslosigkeit beitragen kann;

5. gleichzeitig auf eine grundlegende Reformierung der multilateralen Ent-
wicklungszusammenarbeit hinzuarbeiten und hierbei besondere Betonung
zu legen auf
a) die notwendige Neuordnung der Struktur, Aufgabenverteilung und Ar-

beitseffizienz der multilateralen Entwicklungsinstitutionen einschließ-
lich der EU sowie eine intensivere Koordinierung bilateraler und multi-
lateraler Geberaktivitäten;

b) die Erhöhung des europäischen Einflusses auf den Internationalen Wäh-
rungsfonds, die Weltbank und die UN-Organisationen durch eine konse-
quente Personalpolitik und strategische europäische Allianzen;

c) die stärkere Mitgestaltung der Länderpolitik dieser Institutionen.
Deutschland muss vor allem auch mehr mitreden bei der Entwicklungs-
politik der EU-Kommission. Diese ist weitaus stringenter als bisher den

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Prinzipien der Subsidiarität und Komplementarität im Verhältnis zu den
nationalen Entwicklungsaktivitäten der EU-Partnerstaaten zu unterwer-
fen. Anstatt neue überflüssige Verwaltungsstrukturen in Brüssel aufzu-
bauen, soll sich die EU-Kommission noch mehr als bisher der bewähr-
ten nationalen Durchführungsorganisationen bedienen. Ebenso ist die
Zusammenarbeit mit den Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und
politischen Stiftungen auf einer partnerschaftlichen Ebene auszubauen;

d) die Etablierung einer sinnvolleren Arbeitsteilung zwischen EU, multi-
lateraler und bilateraler Entwicklungskooperation. Der EU- und multi-
lateralen Entwicklungszusammenarbeit sollten zukünftig vorrangig zu-
fallen:
– Entwicklungsländer von geringer Größe und niedrigem Entwick-

lungsniveau, um deren begrenzte Absorptionsfähigkeit und schwa-
che Verwaltungsstruktur nicht durch eine Masse bilateraler Geber zu
überfordern. Bilaterale Geber sollten ihre dortige Entwicklungszu-
sammenarbeit höchstens auf sektorübergreifende und regionale Vor-
haben konzentrieren;

– Entwicklungsvorhaben, die grenzüberschreitend mehrere Empfän-
gerländer einbinden;

– Entwicklungsvorhaben von außergewöhnlicher finanzieller Größen-
ordnung.

Berlin, den 6. Mai 2003
Dr. Christian Ruck
Jochen Borchert
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Siegfried Helias
Volker Kauder
Rudolf Kraus
Conny Mayer (Baiersbronn)
Sibylle Pfeiffer
Christa Reichard (Dresden)
Peter Weiß (Emmendingen)
Rainer Eppelmann
Norbert Geis
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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