BT-Drucksache 15/702

Einführung einer Arzneimittel-Positivsliste

Vom 17. März 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/702
15. Wahlperiode 17. 03. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Wolf Bauer, Dr. Hans Georg Faust, Andreas Storm,
Annette Widmann-Mauz, Monika Brüning, Verena Butalikakis, Michael Hennrich,
Hubert Hüppe, Volker Kauder, Barbara Lanzinger, Dr. Michael Luther, Maria
Michalk, Hildegard Müller, Matthias Sehling, Jens Spahn, Matthäus Strebl, Gerald
Weiß (Groß Gerau), Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Einführung einer Arzneimittel-Positivliste

Das Gesetz zur Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärzt-
lichen Versorgung (Arzneimittel-Positivlistengesetz – AMPoLG) ist der dritte
Versuch des Gesetzgebers, eine. „Positivliste“ in der Arzneimittelversorgung
einzuführen. Ziel ist es, dass nur noch solche Medikamente zu Lasten der ge-
setzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden können, die auf einer
Liste, der „Positivliste“, aufgeführt sind. Der Gesetzgeber nahm 1995 den ers-
ten Versuch der Schaffung einer solchen Liste durch das Fünfte Gesetz zur Än-
derung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (5. SGB V-Änderungsgesetz)
wieder zurück, nachdem er nach Auswertung der Stellungnahmen betroffener
Unternehmen und Verbände feststellte, dass eine solche Positivliste überflüssig
und schädlich sei. Sie sei überflüssig, weil durch diese Liste die Arzneimittel-
versorgung weder besser noch preiswerter werde. Schädlich sei sie, weil durch
die Ausgrenzung von Arzneimitteln aus der GKV chronisch Kranke getroffen
würden, die ihre Arzneimittel dann aus eigener Tasche bezahlen müssten. Die
Liste würde darüber hinaus willkürlich das Aus für eine Reihe von Arzneimit-
telherstellern bedeuten. Durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz im Jahre
2000 wurde durch § 33a SGB V die erneute Grundlage für die Erstellung einer
Positivliste geschaffen, für die Verabschiedung ist jedoch die Zustimmung des
Bundesrates erforderlich.
Diese Zustimmung versucht die Bundesregierung nun zu umgehen. Das
AMPoLG ist von der Bundesregierung als zustimmungsfrei deklariert worden.
Die Positivliste zielt auch nicht mehr alleine auf eine Verbesserung der Arznei-
mittelversorgung. Vielmehr rücken finanzielle Gründe in den Vordergrund: Die
Positivliste soll auch ein Instrument zur Kostendämpfung darstellen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Aufgrund welcher Erkenntnisse ist die Bundesregierung der Auffassung,

dass das aufwendige Zulassungsverfahren und die Negativliste keine aus-
reichend wirksamen Instrumentarien sind, Medikamente mit zweifelhafter
Wirkung von der Erstattungspflicht durch die GKV auszunehmen?

2. Auf welcher Rechtsgrundlage beruht das Verfahren, wonach die pharma-
zeutischen Unternehmen bis zum 10. Dezember 2002 Anträge auf Auf-

Drucksache 15/702 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nahme in die Positivliste beim Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung (BMGS) stellen konnten?

3. Inwiefern wird die Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember
1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preis-
festsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre
Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (Transpa-
renzrichtlinie) hinsichtlich der dort beschriebenen Verfahrensrechte der
pharmazeutischen Unternehmen sowohl in § 33a SGB V als auch in den
„Hinweisen zur Einreichung von Stellungnahmen und Anträgen im Rah-
men der Anhörung zum Referentenentwurf für ein Gesetz über die Verord-
nungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung“
des BMGS zum Entwurf des AMPoLG adäquat umgesetzt?

4. Hält die Bundesregierung die partielle Ausgliederung des Normsetzungs-
verfahrens auf das Institut „Arzneimittelverordnung in der gesetzlichen
Krankenversicherung“ für vereinbar mit der EG-Transparenzrichtlinie?

5. Können die pharmazeutischen Unternehmen entsprechend der EG-Trans-
parenzrichtlinie mit einem begründeten Bescheid ihrer Anträge seitens des
BMGS innerhalb einer Frist von 90 Tagen rechnen und wenn nein, bis
wann können sie mit einer Bescheidung durch das BMGS rechnen?

6. Ist der Bundesregierung bekannt, dass im Entwurf zur Positivliste vom
15. November 2002 Arzneimittel als „nicht verordnungsfähig“ deklariert
werden, die im Entwurf zur Vorschlagsliste vom 13. Juli 2001 noch als
„verordnungsfähig“ bewertet wurden?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, auf welchen Erwägungen diese gegen-
sätzliche Bewertung des Instituts „Arzneimittelverordnung in der gesetzli-
chen Krankenversicherung“ innerhalb gut eines Jahres beruht, obwohl sich
die gesetzlichen Aufnahme- bzw. Ausschlusskriterien des § 33a SGB V re-
spektive § 4 AMPoLG im Zeitablauf nicht verändert haben?

8. Welche objektiven und überprüfbaren Kriterien werden dem Auswahlkrite-
rium des § 2 AMPoLG „mehr als geringfügiger therapeutischer Nutzen,
gemessen am Ausmaß des erzielbaren therapeutischen Effektes“ im Hin-
blick auf die notwendige Gleichbehandlung aller Arzneimittel mindestens
innerhalb eines identischen Indikationsgebietes zugrunde gelegt?

9. Bedeutet die Tatsache, dass für einzelne Arzneimittel innerhalb eines iden-
tischen Indikationsgebietes positive Ergebnisse aus klinischen Endpunkt-
studien vorliegen, für alle anderen Arzneimittel, die nicht über entspre-
chende klinische Endpunktergebnisse verfügen, den Ausschluss aus der
Positivliste, weil sie das entsprechende „Ausmaß des erzielbaren therapeu-
tischen Effektes“ der endpunktkontrollierten Arzneimittel bisher (noch)
nicht bewiesen haben?

10. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf die pharmazeu-
tischen Unternehmen in Deutschland im Hinblick auf ihre Wettbewerbs-
fähigkeit, die Beschäftigungssituation, mögliche Neugründungen, die Ver-
kleinerung, Verlagerung oder Schließung von Betriebsstätten, Forschungs-
sowie Produktionskapazitäten insbesondere im mittelständischen Bereich?

11. Wie begründet die Bundesregierung den Ausschluss von Medikamenten
gegenüber pharmazeutischen Unternehmen, die aktuell kontrollierte klini-
sche Endpunktstudien mit ihren Arzneimitteln durchführen und die durch
den abrupten Ausschluss aus der Erstattungsfähigkeit und damit durch die
Verringerung der Marktchancen daran gehindert werden, diese Studien, die
ggf. eine valide und positive Beeinflussung von Endpunkten seitens des
Arzneimittels gezeigt hätten, zu Ende zu führen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/702

12. Sollte nach Auffassung der Bundesregierung den pharmazeutischen Unter-
nehmen im Vorfeld eine unter formalen und rechtlichen Aspekten ange-
messene Frist zur Vorlage entsprechender Endpunktstudien eingeräumt
werden?

13. Warum werden in dem Entwurf zur Positivliste im Indikationsbereich der
Antidiabetika (ATC-Code A10) viele Arzneimittel als „verordnungsfähig“
aufgenommen, die keine Wirksamkeit im Sinne der Endpunkte der Thera-
pieziele bei Diabetes mellitus aufweisen können, während andere Arznei-
mittel als „nicht verordnungsfähig“ bewertet werden, die allerdings gleich-
wohl zwischenzeitlich entsprechende endpunktorientierte Nachweise
vorgelegt haben?

14. Wie gedenkt die Bundesregierung im weiteren Verfahren diese unter-
schiedliche Behandlung, die vornehmlich zu Lasten der deutschen Unter-
nehmen geht, aufzuheben, um die sonst drohenden Konsequenzen nicht
einseitig zu Lasten der deutschen forschenden pharmazeutischen Industrie
auszutragen?

15. Wie erklärt die Bundesregierung die deutlich unterschiedlichen Bewertun-
gen im Indikationsgebiet der Antidiabetika (ATC-Code A10) zwischen
dem Entwurf der Positivliste einerseits und andererseits allen relevanten
internationalen und nationalen Leitlinien bis hin zu den Leitlinien bzw.
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte-
schaft, und wie gedenkt die Bundesregierung im weiteren politischen
Entscheidungsprozess mit diesen Widersprüchen umzugehen?

16. Ist zu erwarten, dass bei der Behandlung von Osteoporose-Erkrankten mit
früheren Knochenbrüchen zukünftig eine Umschichtung von den bisher
nicht in den Entwurf aufgenommenen kostengünstigeren Flouriden zu den
teueren Biphosphonaten stattfindet?

17. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass bei Patienten, die an Muko-
viszidose leiden, einer Krankheit, die früher bereits im Kindesalter zum
Tod führte und bei der der Einsatz aller therapeutischen Möglichkeiten die
Lebenserwartung deutlich verlängert hat, wichtige Arzneimittel, die sog.
Sekrettherapeutika, z. B. Ambroxal, Bromhexin und Acetylcystein, für
diese Patientengruppen nicht mehr verordnungsfähig sind?

18. Plant die Bundesregierung Ausnahmeregelungen, z. B. bei Mukoviszidose-
Patienten, wenn festgestellt wird, dass im Einzelfall ein nicht auf der Posi-
tivliste aufgeführtes Arzneimittel den besten Therapieerfolg erzielt, wäh-
rend bei der Einnahme von Ersatzpräparaten – auch aus bisherigen Erfah-
rungen mit anderen Präparaten – mit gesundheitlichen Rückschritten mit
allen Konsequenzen zu rechnen ist?

19. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass zwar Mittel zur Behandlung des
Alkoholismus und der Opiatabhängigkeit zu Lasten der GKV verordnungs-
fähig sein werden, nicht aber Nikotinersatzpräparate?

20. Aus welchen konkreten Erwartungen schließt die Bundesregierung, dass
durch die Positivliste ein Einsparvolumen von jährlich 800 Mio. Euro er-
zielt werden kann und die Vertragsärzte nicht anstelle der auf der Positiv-
liste nicht aufgeführten Medikamente solche mit gleichem oder höherem
Abgabepreis verschreiben?

21. Aus welchen Fachkreisen stammen die Schätzungen, die von einem jährli-
chen Einsparvolumen in Höhe von 800 Mio. Euro ausgehen?

22. Durch welche Maßnahmen stellt die Bundesregierung sicher, dass durch
die geplante Ausgrenzung eines Ausgabenvolumens in Höhe von ca. 1,7
Mrd. Euro aus der Erstattungspflicht der GKV und einem geplanten Ein-

Drucksache 15/702 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
sparvolumen von 800 Mio. Euro nicht Tausende von Arbeitsplätzen in der
pharmazeutischen Industrie beseitigt werden und damit das zentrale Ziel
der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit zu senken, konterkariert wird?

23. Hat die Bundesregierung analysiert, in welchem Umfang therapeutische
Lücken durch die Positivliste entstehen bzw. zusätzliche Behandlungskos-
ten durch Kompensation dieser Lücken entstehen, und wenn ja, mit wel-
chem Ergebnis?

24. Wie bewertet die Bundesregierung das Haftungsrisiko aufgrund potentiel-
ler Behandlungsrisiken, die durch die Positivliste verstärkt werden könn-
ten, so wie es Experten vermuten?

25. Wie bewertet die Bundesregierung das Gutachten der renommierten Ver-
fassungs- und Staatsrechtler Prof. Dr. Konrad Redeker und Prof. Dr. Karl
Heinrich Friauf, die – entgegen der Rechtsauffassung des BMGS – zum Er-
gebnis kommen, dass das AMPoLG nur mit Zustimmung des Bundesrates
verfassungsgemäß zustande kommen kann?

26. Zu welchem Ergebnis ist das Bundesministerium der Justiz (BMJ) bezüg-
lich der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der Positivliste gekommen?

27. Welche Änderungen plant die Bundesregierung am bisher vorliegenden
Gesetzentwurf, so dass dieser nicht der Zustimmung des Bundesrates be-
darf, so wie es die Parlamentarische Staatssekretärin im BMGS, Marion
Caspers-Merk, in ihrer Antwort auf die Frage 30 der Abgeordneten
Annette Widmann-Mauz ankündigte (Plenarprotokoll 15/27; S. 2122 D)?

Berlin, den 17. März 2003
Dr. Wolf Bauer
Dr. Hans Georg Faust
Andreas Storm
Annette Widmann-Mauz
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Michael Hennrich
Hubert Hüppe
Volker Kauder
Barbara Lanzinger
Dr. Michael Luther
Maria Michalk
Hildegard Müller
Matthias Sehling
Jens Spahn
Matthäus Strebl
Gerald Weiß (Groß Gerau)
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.