BT-Drucksache 15/601

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung -15/105- Fünfter Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

Vom 12. März 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/601
15. Wahlperiode 12. 03. 2003

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ina Lenke, Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr (Münster),
Ernst Burgbacher, Helga Daub, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart, Marita Sehn,
Dr. Max Stadler, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 15/105 –

Fünfter Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum
Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Fünften Bericht der Bundesregierung Deutschland zum Übereinkom-
men der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung
der Frau (im Folgenden CEDAW-Bericht) erfüllt die Bundesregierung die Ver-
pflichtung zur Vorlage eines Staatenberichtes gemäß Artikel 18 dieses Überein-
kommens. Sie liefert mit dem Bericht Angaben über die Lebensbedingungen
von Frauen in Deutschland allgemein und für spezifische Gruppen und Lebens-
lagen sowie zur Umsetzung des Übereinkommens durch Gesetze, Studien, Pro-
jekte und sonstige Maßnahmen. Damit ist der Bericht eine nützliche Informa-
tionsquelle für eine Überblicksbetrachtung.
Die im CEDAW-Bericht festgestellten – und vor allem die dort nicht angemes-
sen dargelegten – Nachteile für Frauen in Deutschland sind zahlreich und
schwerwiegend. Daher bleibt die Bundesregierung aufgefordert, wirksame
Strategien zur Beseitigung der verschiedenen Formen der Diskriminierung der
Frau vorzulegen und umzusetzen. In ihrer zweiten Amtsperiode werden von der
Bundesregierung kurzfristig Maßnahmen erwartet insbesondere im Hinblick
auf
– die nachhaltige, existenzsichernde Integration von Frauen in den Arbeits-

markt,

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– den Abbau der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern,
– die Förderung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit durch

Schaffung bedarfsgerechter Kinderbetreuungsangebote und Dienstleistungs-
angebote zur Pflege und Betreuung älterer Menschen,

– die Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes zur Erhöhung
der Beschäftigungschancen gerade für Frauen.

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. CEDAW-Bericht stellt bedeutende Defizite unzureichend dar
Der Verzicht auf vertiefte, auch kritische Analysen im CEDAW-Bericht ver-
schleiert in Teilen die Sicht auf die tatsächlichen Dimensionen der Diskriminie-
rung von Frauen in Deutschland und die Defizite in deren Bekämpfung. Es
werden zwar umfassend alle Aktivitäten der Bundesregierung und anderer Ak-
teure dargestellt, aber der Blick auf Handlungsdefizite und Stillstand oder
Rückschritte wird verstellt. Besonders die Darstellung der Situation der Frauen
im Erwerbsleben und die von der Bundesregierung gewählten und beabsichtig-
ten Lösungsstrategien werden der Problematik nicht gerecht. Die von dem (für
die Prüfung der Staatenberichte zuständigen) „Ausschuss für die Beseitigung
der Diskriminierung der Frau“ zu dem letzten deutschen CEDAW-Bericht
geäußerten Bedenken hinsichtlich der Nachteile von Frauen in den Bereichen
Arbeit und Wirtschaft sind keineswegs – wie nun von der Bundesregierung
dargelegt – ausgeräumt.
2. Die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt bleibt unbefriedigend
Die Bundesregierung stellt im Bericht fest, dass die Erwerbstätigenquote der
Frauen seit 1997 von 55,2 % auf 57,7 % im Jahr 2000 gestiegen ist. Sie schreibt
diese Entwicklung einer gestiegenen Erwerbsorientierung, der Förderung von
Teilzeitarbeit und dem „Rückgang der Arbeitslosigkeit“ zu. Es fehlt in diesem
Zusammenhang allerdings der Hinweis, dass die Zunahme der Zahl erwerbstä-
tiger Frauen einhergeht mit einer dramatischen Umverteilung des Arbeitszeit-
volumens, d. h. der von den Erwerbstätigen geleisteten Arbeitszeit, unter den
Frauen selbst. Immer mehr Frauen arbeiten Teilzeit, immer weniger gehen einer
Vollbeschäftigung nach. Die Teilzeitquote bei Frauen betrug im Jahr 2001 im
Westen 43,1 %, im Osten Deutschlands 24,4 %. Bei Männern blieb Teilzeit mit
einer Quote von 4,8 % eine marginale Erscheinung. Die Bundesregierung hat
hinsichtlich der existenzsichernden Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt
eher Rück- als Fortschritte erzielt. Während die Bundesregierung im Hinblick
auf die Entwicklung der Erwerbstätigenquote ihre eigene Förderung von Teil-
zeitarbeit lobt, muss sie im Bericht zur Lohnungleichheit zugeben, dass Teil-
zeitarbeit gleichzeitig eine wichtige Ursache der großen Lohn- und Gehalts-
differenzen zwischen Männern und Frauen und der Nachteile von Frauen in der
späteren Altersversorgung ist.
3. Einseitige Teilzeitförderung trägt zur Verfestigung der traditionellen Ar-

beitsteilung zwischen den Geschlechtern bei
Die Kritik des „Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau“
zu dem letzten CEDAW-Bericht hinsichtlich der Verfestigung der stereotypen
Erwartungen an Frauen und Männer durch bestimmte Maßnahmen zur Verein-
barung von Familie und Beruf dürfte uneingeschränkt auch die zwischenzeitli-
chen Aktivitäten der Bundesregierung treffen. Allein mit dem von der Bundes-
regierung selbst konstatierten Fokus auf der rechtlichen Ausdehnung von Teil-
zeitansprüchen, vor allem durch das Teilzeitgesetz, wird diese der Problematik
nicht gerecht. Die Fokussierung der Bundesregierung auf Teilzeitangebote bei
gleichzeitiger Untätigkeit hinsichtlich der Betreuungssituation für Kinder hat
tendenziell zu einer Verfestigung der traditionellen Geschlechterrollen geführt.

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Mütter und Väter in Deutschland zeigen in Befragungen, dass sie sich deutlich
andere Erwerbsmuster wünschen als sie tatsächlich ausüben. In Deutschland
war 1999 unter den Paarhaushalten mit Kindern unter sechs Jahren das Modell
des Einverdiener-Haushalts mit 41,6 % noch immer am häufigsten vertreten. In
knapp einem Drittel dieser Haushalte jedoch wünschten sich beide Elternteile
eine Vollzeitarbeit – realisieren konnten dies nur etwa 16 %. Viele Mütter klei-
ner Kinder würden nach aktuellen Studien gerne überhaupt erwerbstätig sein
bzw. verstärkt in Vollzeit statt in Teilzeit arbeiten. Im internationalen Vergleich
ist die Diskrepanz zwischen gewünschtem und ausgeübtem Erwerbsmuster in
Deutschland mit am größten. Die Schaffung von Teilzeitbeschäftigungen und
vor allem auch von flexiblen Arbeitszeitmodellen als Option für Frauen und
Männer mit familiären Verpflichtungen ist sinnvoll. Sie muss aber einhergehen
mit der Schaffung von Infrastrukturleistungen für Familien, die auch eine Voll-
zeittätigkeit oder Teilzeittätigkeit über die Halbtagsarbeit hinaus ermöglicht.
4. Die unverändert unzulängliche Kinderbetreuungssituation behindert ent-

scheidend die Erwerbsarbeit von Frauen
Die Bundesregierung kann im CEDAW-Bericht für die 14. Wahlperiode keine
Verbesserungen im Bereich der Kinderbetreuungsangebote und keine nennens-
werten eigenen Initiativen vorweisen. Defizite in der öffentlichen Kinderbe-
treuung und ungünstige Rahmenbedingungen für private Betreuungsangebote
stellen nach wie vor das Hauptproblem für die Erwerbstätigkeit von Müttern
dar. Besonders gering ist im europäischen Vergleich immer noch der Betreu-
ungsgrad der Kinder unter drei Jahren in Westdeutschland. Er lag im Jahr 2000
gerade einmal bei 5,5 %. Besondere Probleme liegen darüber hinaus im man-
gelnden Angebot an Mittags- bzw. Ganztags- sowie auch Ferienbetreuung von
Grundschulkindern. Eltern vermissen zudem ausgedehntere Öffnungszeiten
und flexiblere, auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Betreuungsangebote.
„Vereinbarkeitsprobleme“ ergeben sich zunehmend aber auch in der Kombina-
tion von Erwerbsarbeit und der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger.
Auch hier fehlt eine den Bedürfnissen entsprechende Palette an Dienstleistungs-
angeboten weitgehend. Die enormen Beschäftigungspotentiale und das
Humankapital der immer besser ausgebildeten Frauen werden aufgrund dieser
Infrastrukturdefizite nicht oder nur mangelhaft genutzt. Die von der Bundes-
regierung in Aussicht gestellten Programme zur Förderung des Ausbaus von
Ganztagsschulen mit 4 Mrd. Euro ab 2003 und zur Sicherstellung einer bedarfs-
gerechten Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren von mindestens 20 %
werden diese Defizite nicht beseitigen. Besonders im Hinblick auf die verkün-
dete Förderung der Kleinkinderbetreuung ist Skepsis angebracht. Die Bundes-
regierung benennt keine Finanzierungsalternativen für den Fall, dass die für die
Kleinkinderbetreuung zu verwendenden Einsparungen der Kommunen von
1,5 Mrd. Euro jährlich ab 2004 aus der Umsetzung des Hartz-Konzeptes nicht
erzielt werden.
5. Eine verfehlte Arbeitsmarktpolitik trifft besonders die Frauen
In ihrem Bericht über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Lebens-
situation von Frauen blendet die Bundesregierung die dramatische Lage von
Wirtschaft und Arbeitsmarkt und die daraus folgenden Nachteile für Frauen
aus. Trotz der seit vier Jahren wiederholten Reformversprechen der Bundes-
regierung hat sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter verschlechtert. Die Arbeits-
losenzahlen liegen mit mehr als 4,7 Millionen im Februar 2003 so hoch wie seit
fünf Jahren nicht mehr und die Zahl der Erwerbstätigen verringert sich immer
schneller. Die Chancen von Frauen, eine Stelle, besonders eine unbefristete und
in Vollzeit zu finden, sind angesichts der dramatischen Lage schlecht. Viele
Frauen antizipieren dies und ziehen sich in die „Stille Reserve zurück“, so dass
die Arbeitslosenzahlen ein zunehmend unvollständiges Bild nicht erfüllter
weiblicher Erwerbswünsche geben. Die beiden Gesetze für moderne Dienst-

Drucksache 15/601 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
leistungen am Arbeitsmarkt stellen in diesem Zusammenhang nur ein umständ-
liches Kurieren an Symptomen dar, gekoppelt mit Ersatz- und Umweglösun-
gen, weil sich die Bundesregierung an die Ursachen der arbeitsmarktpolitischen
Misere nicht herantraut.
Nicht zuletzt internationale Vergleichsstudien identifizieren die Ursachen für
die unbefriedigende Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes. Zentrale Defi-
zite liegen in Fehlanreizen im Steuer- und Transfersystem, in Schwächen in der
Arbeitsmarktvermittlung und Arbeitsmarktpolitik sowie in der hohen Regulie-
rungsintensität von Produktmärkten und am Arbeitsmarkt. Letzteres gilt vor al-
lem hinsichtlich des individuellen Kündigungsschutzes, der Beschränkung der
Zeitarbeit und der befristeten Beschäftigung. Dieses bestehende Regulierungs-
modell, das aus Zeiten der industriellen Produktion stammt, darf nicht länger
von der Bundesregierung fortgeschrieben werden. Die Dynamik der Beschäf-
tigung gerade im Dienstleistungssektor wird dadurch entscheidend gehemmt.
Empirische Forschungen zeigen, dass die (Über-)Regulierung am Arbeitsmarkt
zur Segmentierung des Arbeitsmarktes zwischen Arbeitnehmern auf unbefris-
teten Stellen, befristet Beschäftigten und Stellensuchenden beiträgt. Dadurch
werden nachweislich gerade Frauen unmittelbar benachteiligt. Sie finden kei-
nen adäquaten Zugang zum Arbeitsmarkt, weil Arbeitgeber angesichts des ho-
hen Regulierungsniveaus anderen, als „risikoärmer“ antizipierten Beschäfti-
gungsgruppen den Vorzug geben. Frauen, ältere Arbeitskräfte und solche ohne
Berufserfahrung oder mit Behinderungen haben deutlich weniger Chancen am
Arbeitsmarkt. Frauen sind darüber hinaus in besonders hohem Maße betroffen
von den negativen Auswirkungen der Überregulierung von Arbeitsmarkt und
Produktmärkten auf den Dienstleistungssektor als Ganzes. Die Beschränkun-
gen und intransparenten, aufwändigen Verfahren bei der Gründung neuer Un-
ternehmen und der undurchlässige Arbeitsmarkt verhindern besonders im
Dienstleistungssektor die Schaffung von Arbeitsplätzen. Da die Dienstleis-
tungsbranche aber in der Regel für Frauen gute Beschäftigungsmöglichkeiten
bietet, leiden sie wiederum besonders unter den Hemmnissen für diesen Sektor.

Berlin, den 12. März 2003
Ina Lenke
Dr. Heinrich L. Kolb
Daniel Bahr (Münster)
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp

Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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