BT-Drucksache 15/5678

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung -15/4499- Verbraucherpolitischer Bericht 2004

Vom 14. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5678
15. Wahlperiode 14. 06. 2005

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ursula Heinen, Peter Bleser, Marlene Mortler, Artur
Auernhammer, Gitta Connemann, Helmut Heiderich, Uda Carmen Freia Heller,
Dr. Peter Jahr, Julia Klöckner, Helmut Lamp, Bernhard Schulte-Drüggelte, Kurt
Segner, Jochen Borchert, Cajus Julius Caesar, Hubert Deittert, Thomas Dörflinger,
Gerda Hasselfeldt, Susanne Jaffke, Volker Kauder, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr,
Dr. Klaus Rose, Norbert Schindler, Georg Schirmbeck, Max Straubinger, Volkmar
Uwe Vogel und der Fraktion der CDU/CSU

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 15/4499 –

Verbraucherpolitischer Bericht 2004

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Neben Fragen der Lebensmittelsicherheit haben vor allem rechtliche und wirt-
schaftliche Verbraucherbelange an Bedeutung gewonnen. Zunehmende Globa-
lisierung und technischer Fortschritt stellen die Verbraucherpolitik gerade in
diesen Bereichen vor neue Herausforderungen. In weiten Teilen wird die Ver-
braucherpolitik auf europäischer Ebene gestaltet. Deshalb muss klar sein, mit
welchen Zielen die deutsche Politik auf diese Rahmensetzung einwirken will.
Die Bundesregierung betreibt keineswegs einen umfassenden Verbraucher-
schutz für alle Verbraucher. So werden im verbraucherpolitischen Bericht viele
Versprechungen gemacht, aber ein nachhaltiger Verbraucherschutz, wo The-
men dauerhaft und konsequent behandelt werden, ist bei weitem noch nicht er-
reicht.
Im Mittelpunkt des Verbraucherschutzes muss der eigenverantwortlich han-
delnde Konsument und Marktteilnehmer stehen. Jede Form ideologisch moti-
vierter Verbraucherlenkung, wie sie im Bericht deutlich zum Ausdruck kommt,
läuft diesem Ziel zuwider.
– Grundvoraussetzung für ein eigenverantwortliches Kauf- und Konsumver-

halten ist eine umfassende, sachliche und vor allem verständliche Informa-
tion. Hierbei ist zu beachten, dass ein Zuviel an Informationen den Informa-
tionswert mindern statt steigern kann. So führten viele Kampagnen und
Initiativen der Bundesregierung aufgrund mangelnder Koordinierung eher
zu einem Informationschaos als zu einem informierten Verbraucher.

Drucksache 15/5678 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– Fehlende Kostenübersicht in einigen Bereichen der Telekommunikation
stellt nach wie vor ein Problem dar. Nur Preistransparenz schafft Vertrauen
in innovative Geschäftsmodelle und ermöglicht es dem Verbraucher, die
Übersicht über seine Ausgaben zu behalten. Effektive Regelungen informie-
ren den Verbraucher und klären ihn auf, ohne ihn aber mit Pseudo-Informa-
tionen zu überfluten.

– Das Postgesetz setzt die Rahmenbedingungen für die Postmärkte. Diese be-
treffen neben den Marktzutrittsbedingungen, den Entgelt- und Teilleistungs-
regulierungen marktbeherrschender Unternehmen sowie der befristeten Ein-
räumung eines Monopolbereichs zugunsten der Deutschen Post AG (Exklu-
sivlizenz), die Gewährleistung eines Universaldienstangebots. Dies bedeu-
tet, dass nach § 2 PostG u. a. eine flächendeckende Grundversorgung mit
Postdienstleistungen zu erschwinglichen Preisen (Universaldienst) sicher-
zustellen ist. Eine Änderung des bestehenden Postgesetzes hinsichtlich der
Erhöhung der Wettbewerbsintensität und einer zunehmenden Orientierung
des Angebots an den Verbraucherbedürfnissen ist daher unabdingbar.

– Probleme bei der Rechtsdurchsetzung der Regelungen in der Novelle des
Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) bestehen weiterhin, da
Spammer in der Regel gefälschte bzw. nicht existente IP- oder Absender-
adressen verwenden. Mit der Novelle des UWG werden die unverlangten
Zusendungen von Werbemails als unlauteres Werbeverhalten eingestuft.

– Zur stärkeren Nutzung des Binnenmarktes durch den Verbraucher müssen
die rechtlichen Voraussetzungen für den reibungslosen, grenzüberschreiten-
den Warenkauf und für grenzüberschreitende Dienstleistungen auf euro-
päischer Ebene besser als bisher ausgebaut werden.

– Aufgrund der von der Bundesregierung zu verantwortenden eklatanten Wirt-
schaftslage in Deutschland sind immer mehr private Haushalte überschuldet
oder insolvent. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht ergab, dass es Ende
1999 rund 2,77 Millionen überschuldete Privathaushalte gab, der aktuelle
Bericht von 2005 geht von 3,13 Millionen betroffenen Haushalten aus. Die
Zahl der Verbraucherinsolvenzen hat sich in Deutschland in nur fünf Jahren
verdreifacht, allein ein Vergleich der Insolvenzanträge im April 2004 mit
den Insolvenzanträgen im April 2003 zeigt, dass private Insolvenzen um
30 Prozent angestiegen sind.

– Der Verbraucher muss, um Finanzgeschäfte auf sicherer und fundierter Ba-
sis eigenverantwortlich entscheiden zu können, auf effiziente Informationen
durch die Anbieter und auf eine unabhängige Beratung zurückgreifen. Die
Bevormundung der Verbraucher durch ausufernde Beratungspflichten sollte
dabei vermieden werden. Weiterhin gibt es wesentliche Mängel beim Kon-
topfändungsrecht. Die geltende Rechtslage, nach der der für die Sicherung
des Lebensunterhalts notwendige Betrag nicht von Anfang an geschützt ist,
sondern durch aufwändige gerichtliche Verfahren freigegeben werden muss,
stellt für die Betroffenen eine unzumutbare Belastung dar.

– Die Fahrgastrechte sind im Vergleich zu Verbraucherrechten in anderen
Bereichen des Geschäftsverkehrs immer noch unterentwickelt.

– Der Verbraucherschutz beim privaten Wohnungsbau weist immer noch gra-
vierende Probleme auf. So sind die finanziellen Schäden bis hin zur Exis-
tenzbedrohung für Verbraucher durch die Pleiten der Baufirmen weiterhin
an der Tagesordnung.

– Eine Produktkennzeichnung als Primärinformation muss allgemein ver-
ständlich und auf das Wesentliche reduziert sein. Gerade im Bereich der
Bioprodukte führt eine Vielzahl von Kennzeichnungen – sog. Bio-Label –

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5678

zu einer Verwirrung der Verbraucher. Auch muss, was in anderen Ländern
als „Bio“ gilt, nicht unbedingt deutschen Standards entsprechen. Es ist daher
in diesem Bereich dringend erforderlich, für mehr Klarheit zu sorgen.

– Die Bundesregierung muss sich noch stärker um bundes- und europaweit
einheitliche Standards für die Lebensmittelüberwachung bemühen. Der
Bund muss die Lebensmittelüberwachung in den Ländern vor allem im Be-
reich der Risikobewertung und durch Bereitstellung gemeinsamer Informati-
onsplattformen für alle an der Lebensmittelüberwachung Beteiligten unter-
stützen. Ein einheitliches Durchführungsrecht und bessere Koordination und
Kommunikation zwischen Bund und Ländern sowie Bund und EU ist insbe-
sondere notwendig, da nationales Vorgehen und fehlende Abstimmung zwi-
schen Ländern und Bund nur Scheinsicherheit gibt.

– Von Übergewicht, Fehl- und Mangelernährung sind in Deutschland vor
allem auch Kinder und Jugendliche betroffen. Ernährungsbedingte chroni-
sche Erkrankungen machen aufgrund der daraus resultierenden Behand-
lungskosten Fehlernährung neben einem individuellen, zu einem gesamt-
gesellschaftlichen bzw. volkswirtschaftlichen Problem. Bis heute existiert
kein langfristiges und breit angelegtes Programm der Bundesregierung, das
in einer einheitlichen Strategie alle beteiligten gesellschaftlichen Ebenen
und Aktionäre erfasst. Kurzfristige Aktionen und imagewirksame Pilot-
projekte sind hingegen nicht zielführend. Die Plattform „Ernährung und
Bewegung“ darf nicht als Kampagneninstrument der Politik missbraucht
werden, sondern muss sowohl von den Ländern als auch von der Bundes-
regierung als große gesellschafts- und gesundheitspolitische Initiative ge-
würdigt und begleitet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– die Verbraucherschutzpolitik ideologiefrei zu gestalten und für den deut-

schen Verbraucherschutz Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die
Verbraucher in der Wahrnehmung ihrer Interessen und Rechte sowie ihrer
Fähigkeit kluge Konsumentscheidungen zu treffen, agieren können. Dazu
gehört vor allem:
l Der eigenverantwortliche und mündige Bürger, der als Konsument auf

gleicher Augenhöhe mit den Produzenten und Anbietern steht,
l Verbraucherthemen in den Schulunterricht einzubinden,
l eine behutsame Balance zwischen Selbstbestimmung und staatlichem

Schutz zu schaffen;
– zur Sicherung der hohen Lebensqualität des Einzelnen und zur Förderung

des wirtschaftlichen Wachstums bzw. der Innovation ein Gleichgewicht
zwischen Verbraucher- und Wirtschaftsinteressen herzustellen. Eine Ver-
unsicherung nützt weder dem Verbraucher noch der Wirtschaft;

– einfache und praktisch durchführbare Maßnahmen auch hinsichtlich der
Kostenübersicht in einigen Bereichen der Telekommunikation einzuführen.
Eine Überregulierung, die den Verbraucher bevormundet, ohne ihn zu nüt-
zen, ist dabei unbedingt zu vermeiden. Gerade bei diesem hochinnovativen
Wirtschaftszweig muss ein wirksamer Verbraucherschutz Spielräume für
neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen gewährleisten. Verbraucher-
schützende Vorschriften dürfen keine Markteintrittsbarriere sein und so
technischen und gesellschaftlichen Fortschritt verhindern;

– die Postversorgung im ländlichen Raum ist trotz einer Liberalisierung des
Postgesetzes sicherzustellen. Bislang ist der Markt für sog. postvorberei-
tende Tätigkeiten im Sinne der Postkonsolidierung vom Wettbewerb ausge-

Drucksache 15/5678 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

schlossen. Gerade hier zeigen sich aber – wie auch der Tätigkeitsbericht
2002/2003 der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post aus-
weist – Chancen für weiteren Wettbewerb;

– die Verwendung nicht existenter oder gefälschter IP- oder Absenderangaben
bei unverlangt und ohne vorheriges Einverständnis zugesandter Werbemails
mit Bußgeldern zu bewehren sowie als Ordnungswidrigkeit zu bewerten.
Des Weiteren ist zusammen mit den Internet-Service-Providern eine zentrale
Melde-/Beschwerdestelle einzurichten, um gegen die Spam-Attacken ge-
bündelt und unverzüglich vorgehen und diese zeitnah sanktionieren zu kön-
nen;

– keine nationalen Alleingänge bei der Umsetzung der Verordnung über die
Zusammenarbeit im Verbraucherschutz zu betreiben, um die Harmonisie-
rung des rechtlichen Verbraucherschutzes im europäischen Binnenmarkt
nicht zu gefährden. Jedoch muss die in Deutschland bestehende Struktur der
privatrechtlichen Durchsetzung von Verbraucherrechten berücksichtigt wer-
den. Die bestehenden Verbraucherschutz- und Wettbewerbsorganisationen
sind daher so weit wie möglich in das europäische Netzwerk mit einzubezie-
hen;

– für Betroffene aller Altersgruppen unter Beteiligung der Wirtschaft und der
Kreditinstitute im Rahmen von Aufklärung sowie Schuldnerberatung einen
Weg aus den Schulden zu finden. Auch müssen Kinder und Jugendliche
durch präventive Maßnahmen schon im Kindergarten und Schule den Um-
gang mit Geld lernen;

– im Bereich der Fahrgastrechte einen rechtlichen Rahmen zur einheitlichen
Regelung von Ansprüchen bei der Benutzung von Bahnen und Bussen so-
wie für den Luftverkehr, die Schifffahrt und den Fernbus-Linienverkehr vor-
anzubringen. Insbesondere sind die Rechte von Bahnkunden kurzfristig zu
verbessern. Die Selbstverpflichtungsinitiative der Bahn zur Entschädigung
der Fahrgäste bei Verspätung und Zugausfall ist nicht ausreichend und greift
zu kurz. Vor allem ist der in § 17 EVO geregelte Haftungsausschluss für An-
sprüche der Verbraucher auf Schadenersatz wegen Verspätung abzuschaffen.
Die Beförderungsbedingungen sind von öffentlich-rechtlichen in privat-
rechtliche Geschäftsbedingungen umzuwandeln;

– das Kontopfändungsrecht dahin gehend zu reformieren, dass ein unpfänd-
barer Sockelbetrag zur Sicherung des Existenzminimums auf dem Giro-
konto uneingeschränkt verfügbar bleibt;

– im Bereich des Anlegerschutzes die Informations- und Beratungsangebote
zu verbessern und die Transparenz- und Offenlegungspflichten zu ver-
stärken;

– bei der Reform des Versicherungsvertragsrechts die Verbraucherverbände in
die Beratung stärker mit einzubeziehen und Verbraucherinteressen stärker
zur Geltung zu bringen;

– die Einführung einer unternehmerischen Verpflichtung zur finanziellen
Sicherung privater Bauherren für den Fall der Insolvenz voranzutreiben,
damit auch dann Bauvorhaben fertig gestellt und etwaige Mängel beseitigt
werden können;

– für mehr Klarheit in der Lebensmittelkennzeichnung – gerade im Bereich
der Bioprodukte – zu sorgen;

– unter den beteiligten Ministerien – Bundesministerium für Gesundheit und
Soziale Sicherung, Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft –
Strategien und Vorgehen gegen Fehl- und Überernährung abzustimmen und

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/5678

zu koordinieren, um unnötige Kosten zu vermeiden und eine wirkungs-
effektive Zusammenarbeit zu ermöglichen. Im Mittelpunkt muss hierbei die
Prävention durch Aufklärung über Ernährung, Nahrungsmittel und Lebens-
mittelzubereitung in Kindergärten und Schulen stehen. Ernährung, Be-
wegung und Freizeitgestaltung müssen wieder zu einer gesunden Lebens-
führung zusammengeführt werden;

– sich für die Weiterexistenz der Schuldnerberatungsstellen einzusetzen.

Berlin, den 14. Juni 2005
Ursula Heinen
Peter Bleser
Marlene Mortler
Artur Auernhammer
Gitta Connemann
Helmut Heiderich
Uda Carmen Freia Heller
Dr. Peter Jahr
Julia Klöckner
Helmut Lamp
Bernhard Schulte-Drüggelte
Kurt Segner
Jochen Borchert
Cajus Julius Caesar
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Gerda Hasselfeldt
Susanne Jaffke
Volker Kauder
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Max Straubinger
Volkmar Uwe Vogel
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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