BT-Drucksache 15/5579

Vor dem G8-Gipfel in Gleneagles und der VN-Generalversammlung zu den Millenniumszielen - Millenniumsentwicklungsziele realistisch umsetzen

Vom 31. Mai 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5579
15. Wahlperiode 31. 05. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf Brauksiepe, Hartwig Fischer
(Göttingen), Klaus-Jürgen Hedrich, Siegfried Helias, Rudolf Kraus, Dr. Conny
Mayer (Freiburg), Sibylle Pfeiffer, Christa Reichard (Dresden), Peter Weiß
(Emmendingen), Veronika Bellmann, Rainer Eppelmann, Dr. Egon Jüttner,
Volker Kauder, Arnold Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

Vor dem G8-Gipfel in Gleneagles und der VN-Generalversammlung
zu den Millenniumszielen – Millenniumsentwicklungsziele realistisch umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
40 Jahre nach dem Beginn der entwicklungspolitischen Unterstützung der unab-
hängigen, zumeist postkolonialen Staaten, haben sich die Kernherausforderun-
gen der Entwicklungspolitik (Armutsbekämpfung und Förderung der nachhalti-
gen Entwicklung zur Verhinderung von menschlichem Elend, Hunger, Um-
weltzerstörung, Kriegen und Bürgerkriegen, Vernichtung der Biodiversität und
Klimawandel) in ihrer Bedeutung und Brisanz verschärft und stehen nach dem
Ende des Ost-West-Konflikts zudem im Umfeld veränderter Rahmenbedin-
gungen.
Neue geopolitische, wirtschaftliche und strategische Konstellationen einschließ-
lich der zunehmenden Globalisierung haben ein Umfeld geschaffen, für das die
Entwicklungspolitik neue Antworten finden muss. Die mit der Globalisierung
verbundene hohe wirtschaftliche Verflechtung von Produktion und Dienstleis-
tungen, die Vernetzung von Information, Kommunikation und eine bisher nicht
gekannte Mobilität haben zu einer gewaltigen Umgestaltung geführt, die in je-
dem Land spürbar ist. Die rapide Expansion multinationaler Konzerne, soziale
und gesellschaftliche Veränderungen, Menschenrechtsverletzungen, die Globa-
lisierung der organisierten Kriminalität und die globale Vernetzung der Medien
stellen ein gewaltiges Unsicherheitspotential für traditionsorientierte Gesell-
schaften, aber auch uns selbst dar. Während viele Länder Asiens und Lateiname-
rikas die Globalisierung als Chance für den wirtschaftlichen Aufstieg und zur
Bekämpfung der Armut nutzten, gibt es weiterhin rund 60 Länder, deren Ent-
wicklung sichmit erheblichenVerzögerungen vollzieht. Aber auch innerhalb der
erfolgreichen Länder öffnet sich die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern.
In Verbindung mit wachsenden globalen Umweltveränderungen, der Konkur-
renz um Rohstoffe und Arbeitsplätze und dem weiterhin hohen Bevölkerungs-
wachstum in vielen Entwicklungsländern äußern sich Unsicherheit und Ent-
wicklungsverzögerung in interkulturellen und interreligiösen Spannungen, in
Migrations- und Flüchtlingsströmen, in politischem und religiösem Extremis-
mus und Terrorismus mit der Folge zunehmender Krisen und Konflikte, bis hin
zum Staatszerfall. Diese Probleme stellen eine Herausforderung dar, die nicht

Drucksache 15/5579 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

lokal begrenzt ist, sondern global wirkt und uns alle betrifft. Die zunehmende
Kluft zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Entwicklungsländern so-
wie die Disparitäten innerhalb dieser Länder bergen erheblichen Sprengstoff.
Die zentrale Aufgabe ist die zukunftsorientierte und verantwortungsvolle Ge-
staltung der sozialen Gerechtigkeit, der gesellschaftlichen Stabilisierung und der
Nachhaltigkeit in der Globalisierung mit dem Instrument der internationalen so-
zialen und ökologischen Marktwirtschaft, der „Economy of Balance“. Deutsch-
land ist – auch im eigenen Interesse – bei der Bewältigung dieser offenen Fragen
noch stärker als bisher gefordert und muss sich in seiner Entwicklungspolitik
aktiv der Bewältigung der gewachsenen Herausforderungen stellen.
Bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) im Jahr 2000 haben
die Staats- und Regierungschefs von 189 VN-Mitgliedstaaten eine Bilanz der
bisherigen Entwicklungsanstrengungen gezogen und sich im Hinblick auf die
Zukunftsgestaltung der Welt verpflichtet, gemeinsam bis zum Jahr 2015 acht
zentrale „Millenniums-Entwicklungsziele“ (MDG), die sich aus 18 Teilzielen
zusammensetzen, zu verwirklichen. Die Erklärung, die den bisher breitesten
Konsens über die Kernelemente entwicklungspolitischen Handelns darstellt,
richtet sich gleichermaßen an die Industrie- und die Entwicklungsländer. Sie
verpflichtet jeden einzelnen Staat darauf, seinen Anteil an der Erreichung der
Millenniumsziele zu leisten. Die Bundesregierung hat zur Umsetzung ihrer mit
demBeitritt zur Millenniumserklärung eingegangenen Verpflichtungen imApril
2001 das Aktionsprogramm 2015 (AP 2015) vorgelegt. Mit diesem Aktionspro-
gramm hatte sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, die Armutsbekämpfung
zur „überwölbenden Aufgabe“ deutscher Regierungspolitik zu machen.
Im September 2005, fünf Jahre nach der Millenniumserklärung, wird bei der
Generalversammlung der VN erneut Bilanz gezogen. In der von den VN vor-
gelegten Analyse (Sachs-Bericht) zum Umsetzungsstand der MDG zeigt sich
jedoch ein sehr ernüchterndes Bild:
Beim MDG 1, Beseitigung der extremen Armut und des Hungers, ist die Errei-
chung des Teilziels 1 (Armut) in Afrika südlich der Sahara, Teilen Asiens und in
den Ländern der GUS unwahrscheinlich. Zum Teil steigen dort die Armutsraten
noch an. Beim Teilziel 2 (Hunger) ist nur in Lateinamerika davon auszugehen,
dass das Ziel erreicht werden kann. Bei der Verwirklichung der allgemeinen
Grundschulbildung (MDG 2 – Teilziel 3) ist nur in Nordafrika, Ostasien, Latein-
amerika und dem asiatischen Teil der GUS eine Zielerreichung wahrscheinlich.
Beim MDG 3 (Teilziel 4), der Förderung der Gleichstellung der Geschlechter
und Ermächtigung von Frauen, ist die Zielerreichung in Afrika südlich der Sa-
hara und Südasien wenig wahrscheinlich. Die Senkung der Kindersterblichkeit
(MDG 4 – Teilziel 5), scheint nur in Nordafrika, Südostasien und Lateinamerika
erreichbar zu sein. Die Verbesserung der Gesundheit von Müttern (MDG 5 –
Teilziel 6) wird außer in Ostasien und den GUS-Staaten nicht erreichbar sein. In
allen untersuchten Regionen gibt es wenig Hoffnung, die Ausbreitung von HIV/
Aids (MDG 6 – Teilziel 7) zum Stillstand zu bringen. Steigende Infektionsraten
werden zudem aus Ostasien, Südasien und den GUS-Staaten gemeldet. Auch
beim MDG 7, Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit, ist die Situation un-
vermindert ernst. Beim Verlust von Waldflächen gibt es positive Tendenzen nur
aus Ostasien und den GUS-Staaten zu vermelden. Beim Teilziel 10 (Wasser und
Sanitäre Einrichtungen) gibt es positive Entwicklungen in Nordafrika und
Südasien. In den anderen Regionen ist die Situation unverändert kritisch. Im
Hinblick auf die Lebensbedingungen von Slumbewohnern (Teilziel 11) werden
nennenswerte Fortschritte nur aus Nordafrika berichtet, für Afrika südlich der
Sahara und Teilen Asiens wird gar eine Verschärfung der Situation konstatiert.
Erhebliche Defizite gibt es – trotz einiger Fortschritte bei der Schuldenproble-
matik, der Geberharmonisierung und der Entwicklungsfinanzierung – auch
beimMDG 8, dem Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. Es sind
keine Anstrengungen zu konstatieren, die der zu lösenden Aufgabe gerecht wür-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5579

den. Ungeklärt sind vor allem die offenen Fragen des Handels- und Finanzsys-
tems, der Strategie zur nachhaltigen Gestaltung der Schuldenproblematik, sowie
Art, Umfang und Instrumente der Entwicklungsfinanzierung.
Auch wenn es in Teilbereichen positive Entwicklungen gibt – viele der ärmsten
Länder der Erde sind noch weit von ausreichenden Fortschritten entfernt. Schon
der Bericht über die menschliche Entwicklung (Human Development Report)
des Entwicklungsprogramms der VN (UNDP) von 2003 machte deutlich, dass
die MDG nur durch erhebliche Kraftanstrengungen, sowohl in den Entwick-
lungsländern als auch den Industriestaaten zu erreichen sind. Diese zeichnen
sich jedoch nicht ab. Der Bericht verweist auf 59 Entwicklungsländer, die kaum
eine Chance zur Erreichung der Millenniums-Ziele haben. Es ist zu befürchten,
dass gerade die am meisten von extremer Armut, Hunger und Krankheiten
betroffenen Länder, insbesondere in Afrika südlich der Sahara, in den kommen-
den Jahren bei der Umsetzung der MDG noch weiter zurückfallen. Auch wenn
die Armutsbekämpfungsziele durch die positive Entwicklung in Indien und
China statistisch vielleicht sogar erreicht werden, drohen die ärmsten der Armen
bei dieser Entwicklung im Schatten stehen zu bleiben.
Laut dem Bericht der VN zur Umsetzung der MDG haben Industrie- wie auch
Entwicklungsländer ihre Zusagen nicht eingehalten und nur mäßiges Engage-
ment zur Umsetzung der MDG gezeigt. Auf der Seite der Entwicklungsländer
stehen Mängel bei allen oder Teilen der für gute Regierungsführung relevanten
Elemente imVordergrund. Eine imMai 2005 von derWeltbank vorgelegte Studie
belegt den engen Zusammenhang zwischen Regierungsführung und Pro-Kopf-
Einkommen und unterstreicht damit die zentrale Verantwortung der Partner.
Auf der Seite der Industrieländer sind unzureichendes Engagement für die Her-
stellung einer auf Interessensausgleich abzielenden Handels- und Finanzord-
nung, Defizite bei Art und Umfang der Entwicklungsfinanzierung, mangelndes
Engagement in Fragen der Regierungsführung, mangelnde Zuverlässigkeit, Ko-
ordination, Vorhersehbarkeit und Langfristigkeit der Entwicklungsfinanzierung
zu konstatieren.
Diese Kritikpunkte treffen auch auf die Bundesregierung zu. Sie wird der aus der
Millenniumserklärung resultierenden Verantwortung nicht gerecht:
l Die Bundesregierung hat keinen, an quantifizierbaren Zielen ausgerichteten,

überprüfbaren Operationsplan zur Umsetzung des AP 2015 vorgelegt.
l Die im AP 2015 niedergelegte Verbesserung der Kohärenz und Verzahnung

der unterschiedlichen Politikfelder hat die Bundesregierung nicht umgesetzt.
Die Umsetzung der MDG ist der Entwicklungspolitik alleine zugeschoben
und wird von anderen Ressorts sogar zum Teil konterkariert.

l Die deutsche Entwicklungspolitik hat mangels eigener Initiativen zur Gestal-
tung der drängendenHerausforderungen an internationalemEinfluss verloren.

l Die für die Effizienzsteigerung in der Entwicklungszusammenarbeit erfor-
derliche international abgestimmte entwicklungspolitische Schwerpunktset-
zung und Arbeitsteilung fehlt. Die Schwerpunktsetzung der Bundesregierung
lässt eine konsequente konzeptionelle Prioritätensetzung hinsichtlich regio-
naler, sektoraler und instrumenteller Schwerpunkte ebenso vermissen wie
Initiativen zur Verbesserung der Kontrolle, der Transparenz und der Straf-
fung der multilateralen Institutionenlandschaft.

l Die Koordination und Steuerung der MDG innerhalb des Bundesministe-
riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist per-
sonell völlig unzureichend ausgestattet und zudem noch zersplittert. Auch bei
der Verzahnung des BMZ mit den entwicklungspolitischen Vorfeldorganisa-
tionen gibt es erhebliche Defizite zu konstatieren.

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l Die Ambitionen der Bundesregierung bei der Entwicklungsfinanzierung ste-
hen in keinem Verhältnis zu den realen Zahlen. Trotz eines erhöhten Anteils
an Schuldenerlassen stagniert der Anteil, den Deutschland von seinem Brut-
tonationaleinkommen (BNE) für die öffentliche Entwicklungsfinanzierung
(ODA) bereitstellt, bei 0,28 Prozent.

l Bei der für dieMDG relevantenMittelallokation ist – mit Ausnahme der Auf-
wendungen für Entschuldungsmaßnahmen und gute Regierungsführung – im
Vergleich zu den durchschnittlichen Aufwendungen in der zweiten Hälfte der
90er Jahre keine signifikante Steigerung festzustellen. Im Gegenteil, die Auf-
wendungen für Grundbildung, Wasserversorgung, Landwirtschaft und Er-
nährungssicherung sind im Vergleich sogar zurückgegangen. Die im VN-Be-
richt und von vielen Entwicklungsländern geforderte Investition in materielle
Infrastruktur wird auf unverantwortliche Weise vernachlässigt.

l Handlungsansätze für die entscheidende politische Dimension von Entwick-
lung, die „Gute Regierungsführung“, bleiben abstrakt und haben nur be-
grenzten Praxisbezug. Die in Verbindung mit den MDG und den Schulden-
erlassen aufgelegten Armutsreduzierungsstrategien zeigen aufgrund man-
gelnder Beteiligung der Betroffenen erhebliche Mängel.

l Die von der Bundesregierung forcierten Schuldenerlasse offenbaren konzep-
tionelle Mängel. Einige der entschuldeten Länder sind inzwischen erneut
erheblich verschuldet. Es wurde nicht immer dafür gesorgt, dass die aus der
Entschuldung frei werdenden Gelder der Entwicklung zugute kommen und
nicht einfach umgelenkt und zum Stopfen allgemeiner Haushaltslöcher oder
zur Finanzierung staatlicher Misswirtschaft missbraucht werden. Auch bei
der vom BMZ zunehmend propagierten – sachlich umstrittenen – Budget-
hilfe ist dieses Problem gegeben.

Die Analyse der VN zeigt eindeutig: Die Betrachtung der MDG imWeltmaßstab
ist wenig sachgerecht. Die gewaltigen regionalen Unterschiede müssen in einer
fortgeschriebenen, regional spezifizierten und auf die einzelnen Länder herunter
gebrochenen Zielformulierung ihren Niederschlag finden, wenn es wirklich da-
rum geht, reale Problemfelder transparent und seriös abzuarbeiten. Gleiches gilt
für die Finanzierungsfrage. Es steht nach den Untersuchungen der VN außer
Zweifel, dass zusätzliche Anstrengungen zur Entwicklungsfinanzierung erfor-
derlich sind. Die von unterschiedlichen Quellen zur Umsetzung der MDG als er-
forderlich genannten Summen variieren allerdings erheblich. Der Trend zur
Nennung gewaltig anmutender Beträge erinnert aber eher an die „Tonnenideo-
logie“ der Fünfjahrespläne sozialistischer Prägung. Eine stärker spezifizierte
Zielgestaltung muss auch in einer realistischeren Datengrundlage für die Finan-
zierungsnotwendigkeiten münden.
Ohne eine gesteigerte Eigenverantwortung der Entwicklungsländer in Verbin-
dung mit Eckpunkten guter Regierungsführung werden die MDG – so der Be-
richt der VN – in vielen Ländern nicht zu erreichen sein. Zusätzliche Mittel kön-
nen nur dann effizient eingesetzt werden, wenn folgende Schlüsselfaktoren für
Entwicklung verwirklicht werden:
l Entwicklungsorientierung der Regierungen
l Beachtung der Menschenrechte
l Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit
l Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen
l Förderung und nicht Schwächung von Selbsthilfe und Eigeninitiative
l Marktorientierte Wirtschaftsordnung
l Beseitigung von Korruption und Kleptokratie
l Soziale und wirtschaftliche Verantwortung der Eliten.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/5579

Kapazitäten und Selbsthilfekräfte unserer Partner dürfen nicht durch falsche,
aufgesetzte Konzeptionen und undifferenzierte Finanzierung gefährdet werden.
Das wäre für die Erreichung der MDG kontraproduktiv. Eine maßgeschneiderte
Konzeption auf Grundlage der Eigenverantwortung der Partner ist daher unver-
zichtbar.
Die Entwicklungsarbeit Deutschlands, aber auch die anderer Länder und Insti-
tutionen müssen besser koordiniert, effizienter und partnerschaftlicher werden.
Notwendige Finanzierungen müssen verlässlich und zielgerichtet bereitgestellt
werden. Dazu müssen alle Möglichkeiten für eine internationale Arbeitsteilung
ausgelotet werden. Mangelnde Koordination und institutionelles Durcheinander
sind ein Problem, das den effizienten Einsatz der Gelder vielfach massiv behin-
dert und die Partner überfordert. Unter die Verantwortung Deutschlands und an-
derer Industrieländer fällt aber auch die Etablierung eines Handelsregimes, das
den Entwicklungsländern eine faire Teilnahme an der globalisierten Weltwirt-
schaft erlaubt und die Generierung eigener Ressourcen für Entwicklung ermög-
licht.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Zwischenbericht der VN zur Umsetzung der MDG endlich einer genauen

Analyse zu unterziehen und
l auf eine stärker differenzierte Zielformulierung für bestimmte Regionen

und Handlungsfelder hinzuwirken,
l auf eine daran angepasste, die Eigenanstrengungen der Partner fördernde,

objektiv begründbare Finanzbedarfsschätzung zu drängen,
l dafür Sorge zu tragen, dass Deutschlands Beiträge zur Entwicklungsfinan-

zierung, den Möglichkeiten und der Rolle Deutschlands entsprechend be-
reitgestellt werden;

2. auf Grundlage des Zwischenberichts der VN zum Umsetzungsstand der
MDG
l eine selbstkritische Analyse ihrer Aktivitäten auch imHinblick auf das AP

2015 vorzunehmen;
l darauf aufbauend einen konkreten Umsetzungsplan der deutschen Maß-

nahmen mit klaren Zielvorgaben zur Erreichung der MDG auch in be-
stimmten Regionen, Ländern und Sektoren zu erarbeiten;

l die Steuerung dieses Umsetzungsplanes personell adäquat auszustatten
und organisatorisch effizient einzubinden;

l unter Einbeziehung aller Ressorts endlich der politischen Verantwortung
für die Umsetzung der MDG gerecht zu werden und für Kohärenz und
Koordinierung der verschiedenen Politikbereiche im Hinblick auf die
Bekämpfung der weltweiten Armut Sorge zu tragen; Entwicklungs-,
Außen-, Sicherheits- und Außenwirtschaftspolitik enger zu verzahnen;

l die Strukturen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weiter zu re-
formieren und zu straffen, Verfahren zu beschleunigen und zu flexibilisie-
ren. Dazu muss sich das BMZ auf politische Steuerungs-, Konzeptions-,
Planungs-, Kontroll-, und Koordinationsaufgaben konzentrieren und die
Koordinierung der Durchführung sicherstellen;

l mit ihrer Entwicklungspolitik nicht nur humanitäre, sondern auch außen-
und sicherheitspolitische Ziele zu verfolgen. Entwicklungspolitik muss
künftig ein Instrument des Stabilitätstransfers sowie der Krisenprävention
sein und hat somit eine erhebliche Bedeutung für die politischen Interes-
sen Deutschlands und Europas;

Drucksache 15/5579 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

3. die richtigen Länderprioritäten zu setzen und hierfür
l den Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit auf Grundlage der

Kriterien für gute Regierungsführung bei Staaten zu setzen, die sich eigen-
verantwortlich um die Sicherstellung stabiler interner Rahmenbedingun-
gen sowie um gute Regierungsführung bemühen und damit einen effizien-
ten Einsatz unserer entwicklungspolitischen Ressourcen erwarten lassen;

l eine Strategie zu entwickeln für eine Ziel führende Kooperation mit Staa-
ten, die den Kriterien für gute Regierungsführung nicht genügen und da-
mit zum friedlichen Entstehen einer entwicklungsorientierten Regierung
beizutragen. Dabei soll die unmittelbare Not der einfachen Menschen
gelindert und Sektoren unterstützt werden, die politische Reformkräfte
stützen. Hierbei müssen die Kirchen, politischen Stiftungen und Nicht-
regierungsorganisationen mit ihrer bewährten Entwicklungsarbeit wich-
tige Partner sein;

l für die Zusammenarbeit mit Staaten mit schlechter Regierungsführung
und Ländern mit Staatszerfall im Kontext der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GASP) auf die Erarbeitung
eines Konzepts hinzuwirken, das ein konsequentes und kohärenteres Vor-
gehen aus einem Guss zur Verhinderung bzw. Entschärfung von Konflik-
ten und dem Aufbau entwicklungsorientierter Strukturen definiert;

l bei der notwendigen Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern
wegen der hohen Armutskonzentration und der Hebelwirkung für um-
liegende ärmere Entwicklungsländer ein besonderes Augenmerk auf die
Armutssituation in Schwellenländern wie China, Indien, Südafrika oder
Brasilien legen. Angesichts des finanziellen Spielraums dieser Länder
kommt es darauf an, diese mittels eines intensiven Politikdialogs und
gezielter Beratung für die soziale und ökologische Marktwirtschaft als
Modell für die soziale Ausgestaltung der dortigen Wirtschafts- und
Gesellschaftssysteme zu gewinnen;

4. die Schlüsselsektoren zur Beseitigung der extremen Armut und des Hungers
zu stärken und insbesondere
l Ansätze zur Umsetzung guter Regierungsführung in Entwicklungsländern

intensiver zu unterstützen;
l die Schlüsselsektoren zu unterstützen. Hierzu gehören z. B. Kapazitätsent-

wicklung für den Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaats, Bildung
und Demokratieförderung, ländliche Entwicklung und Ressourcenschutz,
die Ausbildung und Beratung verantwortungsbewusster Führungsper-
sonen auf allen Ebenen von Verwaltung und Privatwirtschaft, die Infra-
strukturentwicklung undMaßnahmen zur Stärkung der Selbsthilfe wie die
Mikrofinanzierung. Auch das 2. MDG, Primarschulbildung für alle – Jun-
gen wie Mädchen – fällt hierunter und bedarf besonderer Beachtung;

l die Absorptionsfähigkeit für Schuldenerlass und Entwicklungshilfe in den
betroffenen Ländern zu stärken, insbesondere deren organisatorische und
institutionelle Kapazitäten;

5. die Förderung von Frauen in der Entwicklung zu intensivieren,
l die Gleichstellung der Geschlechter als Querschnittsaufgabe zu begreifen

und anzugehen und
l gemeinsam mit anderen Gebern – auch spezifisch für einzelne Länder –

eine abgestimmte Strategie zur Verbesserung der rechtlichen, wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Stellung der Frauen in Entwicklungsländern
zu erarbeiten und diese arbeitsteilig umzusetzen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/5579

6. die Förderung von Gesundheit und Familienplanung zu stärken
a. mit der Gebergemeinschaft eine abgestimmte Strategie – auch spezifisch

für einzelne Länder – für die Förderung von Gesundheit und Familienpla-
nung zu entwickeln und für eine Erhöhung der internationalen Leistungen
in diesem Sektor Sorge zu tragen;

b. ein arbeitsteiliges Konzept für
l die Förderung der Gesundheitsinfrastruktur, der Basisgesundheits-

dienste, des Impfschutzes und der Ausbildung für qualifiziertes Perso-
nal sowie für die Entwicklung bezahlbarer Medikamente und

l den Zielgruppengerechten Zugang zu Leistungen der reproduktiven
Gesundheit, insbesondere den Zugang zu modernen Methoden der
Familienplanung, Empfängnisverhütung sowie Behandlung von HIV/
Aids zu entwickeln und arbeitsteilig umzusetzen;

c. in ihrer bilateralen und multilateralen Entwicklungspolitik bei der Be-
kämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria für Effizienz, Effektivität
und Koordinierung der Anstrengungen innerhalb der Bundesregierung so-
wie der Gebergemeinschaft Sorge zu tragen und dabei über eine verstärkte
Steuerung und bedarfsgerechte Finanzierung die zentrale Rolle des Globa-
len Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria auszu-
bauen;

7. die Ökologische Nachhaltigkeit zu sichern und
l auf Grundlage der bisherigen internationalen Übereinkommen gemein-

sam mit anderen Gebern – auch spezifisch für einzelne Länder – eine ab-
gestimmte Strategie für eine ökonomisch sinnvolle, ökologisch und sozial
verträgliche Nutzung der in den Entwicklungsländern befindlichen Ener-
giequellen und Naturressourcen sowie der nachhaltigen Entwicklung zu
vereinbaren,

l Entwicklungs- und Schwellenländer entsprechend ihrer Verantwortlich-
keiten und Fähigkeiten beim internationalen Umweltschutz stärker in die
Pflicht zu nehmen und auch selbst – zusammen mit anderen Industrie-
nationen – mit gutem Beispiel voranzugehen,

l über eine Reform der Globalen Umweltfazilität (GEF) und der Um-
weltstrukturen der Vereinten Nationen für eine deutlich bessere Verzah-
nung und Effizienzsteigerung zu sorgen;

8. Zu einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft signifikant beizutragen und
a. eine neue und effektivere internationale Arbeitsteilung anzustreben und

hierfür
l die Aktivitäten der zahlreichen multilateralen, bilateralen und nicht-

staatlichen Geber besser zu koordinieren;
l Struktur und Arbeitsweise der multilateralen Institutionen sowie deren

Koordinierung und Kooperation untereinander zu reformieren;
l die Schwerpunktverschiebung in Richtung multilateraler Institutionen

angesichts des dortigen Qualitätsdefizits und Reformstaus zu korrigie-
ren;

l darauf hinzuwirken, den Anteil deutschen Personals in multilateralen
Organisationen mindestens auf die dem deutschen Finanzierungsanteil
entsprechende Quote anzuheben;

l die Gestaltung der entwicklungspolitisch relevanten Außenbeziehun-
gen der EU-Kommission zu einem Schwerpunkt zu machen; dafür zu

Drucksache 15/5579 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
sorgen, dass diese inhaltlich kohärent sind und komplementär zu den
nationalen Politiken gestaltet werden, mit diesen koordiniert und har-
monisiert und wesentlich effizienter werden. Zentrales Ziel muss dabei
sein, zu einer auf Signifikanz und Effizienz zielenden und auf Kon-
trolle und Transparenz fußenden Arbeitsteilung auf Grundlage kompa-
rativer Vorteile zu kommen;

l in Abstimmung mit den multilateralen Geberinstitutionen auf eine Be-
grenzung bilateraler Geberaktivitäten in Entwicklungsländern von ge-
ringer Größe und niedrigem Entwicklungsniveau hinzuwirken, um de-
ren begrenzte Absorptionsfähigkeit und schwache Verwaltungsstruktur
nicht zu überfordern;

b. Entschuldungsmaßnahmen fortzusetzen und konsequenter auf die Ar-
mutsbekämpfung auszurichten und in diesem Zusammenhang
l bei künftigen Schuldenerlassen klare Vereinbarungen über die Mittel-

verwendung zugunsten der Armutsbekämpfung zu treffen und
l die Armutsbekämpfungsanstrengungen eines entschuldeten Entwick-

lungslandes eng zu begleiten und bei unbegründeten Abweichungen
von der vereinbarten Armutsbekämpfungsstrategie konsequent, not-
falls mit entwicklungspolitischen Sanktionen, hierauf zu reagieren;

c. die Integration der Entwicklungsländer in die internationale Politik und
Wirtschaft zu forcieren und hierfür
l dafür zu sorgen, dass die Sensibilität und die Fachkompetenz für ent-

wicklungspolitische Fragen in der WTO ausgebaut wird,
l im Rahmen der EU bzw. WTO zielstrebiger auf ein System der Libera-

lisierung der Weltagrarmärkte und Reduzierung von Agrarhandels-
schranken hinzuarbeiten, das insbesondere armutsorientiertes Wachs-
tum ermöglicht und das nicht vorrangig oligarchischen Wirtschafts-
strukturen zu Gute kommt und

l multilaterale wirtschafts- und finanzpolitische Institutionen wie die
WTO oder den IWF intensiver in die Bekämpfung der weltweiten Ar-
mut und die Umsetzung der MDG einzubinden und in diesem Zusam-
menhang einen neuen Anstoß zur wirksamen Durchsetzung weltweit
gültiger Umwelt- und Sozialstandards – Letzteres außerhalb der WTO,
z. B. im Rahmen eines „standing Forums“, bestehend aus ILO,
UNCTAD, Weltbank, IWF und WTO – sowie zur Prüfung des Vor-
schlags einer internationalen Insolvenzordnung für unabhängige Staa-
ten zu geben.

Berlin, den 31. Mai 2005
Dr. Christian Ruck
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Klaus-Jürgen Hedrich
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Dr. Conny Mayer (Freiburg)
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Dr. Egon Jüttner
Volker Kauder
Arnold Vaatz
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