BT-Drucksache 15/5488

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -15/5314- Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes

Vom 11. Mai 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5488
15. Wahlperiode 11. 05. 2005

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 15/5314 –

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes

A. Problem
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juni 2004 die in § 6
Abs. 2 und 3 Nr. 8 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes
(AAÜG) geregelte Begrenzung der rentenrelevanten Entgelte für bestimmte
Personen, die in leitenden Positionen der ehemaligen DDR besonders hohe Ver-
dienste erzielt haben, für unvereinbar mit dem Gleichheitsgebot des Artikels 3
des Grundgesetzes erklärt. Es hat in seinem Beschluss angeordnet, dass die
Nichtigkeit der verfassungswidrigen Begrenzungsvorschriften eintritt, wenn der
Gesetzgeber sie bis zum 30. Juni 2005 nicht durch verfassungsgemäße Regelun-
gen ersetzt. Die Nichtigkeit der bisherigen Regelungen hätte zur Folge, dass es
auch für diejenigen Personen zu einemWegfall der Entgeltbegrenzung – einher-
gehendmit zum Teil erheblichen Nachzahlungen und zu Erhöhungen der laufen-
den Renten – käme, die in der DDR gegenüber Mitarbeitern der Staatssicherheit
rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren. Für Personen, die dem Versor-
gungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und des Amtes für
Nationale Sicherheit (AfNS) angehört haben, gilt jedoch eine vom Bundesver-
fassungsgericht mehrfach bestätigte Begrenzung der für die Rentenberechnung
heranzuziehenden Entgelte auf den Durchschnittsverdienst. Ohne eine Neurege-
lung käme es somit zu dem Widerspruch, dass diejenigen, die in herausgeho-
benen Funktionen im Partei- und Staatsapparat dem MfS und AfNS gegenüber
weisungsbefugt waren, erheblich höhere Renten erhielten als jene, deren für die
Rentenberechnung relevanten Entgelte wegen der Mitarbeit im MfS und AfNS
auf das Durchschnittsentgelt begrenzt werden.

B. Lösung
Um den aufgezeigten Wertungswiderspruch zu vermeiden, werden die Vor-
schriften zur Begrenzung des bei der Rentenberechnung berücksichtigungsfähi-
gen Arbeitsentgelts neu gefasst. Die bislang ab einer bestimmten Verdiensthöhe
generell geltende Begrenzung des rentenrelevanten Verdienstes auf das jeweili-
ge Durchschnittsentgelt für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem „systemnahen“
Sonder- und Zusatzversorgungssystem, soll auf diejenigen Zeiten beschränkt

Drucksache 15/5488 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

werden, in denen insbesondere solche Funktionen im Parteiapparat der SED, in
der Regierung oder im Staatsapparat ausgeübt wurden, die auch eine Weisungs-
befugnis gegenüber demMfS sowie dem AfNS umfassten. Ebenso werden auch
Zeiten in Funktionen auf den höchsten Ebenen des so genannten Kadernomen-
klatursystems der DDR einbezogen.
Einstimmige Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Im Vergleich zu der Rechtslage, die sich aufgrund des Beschlusses des Bundes-
verfassungsgerichts bei Verzicht auf eine gesetzliche Neuregelung ergeben wür-
de, entstehen für Bund und Länder Minderausgaben, die sich jedoch aufgrund
der sehr unterschiedlichen Dauer der zu begrenzenden Pflichtbeitragszeiten, der
unterschiedlichen Rentenbezugszeiten sowie der unterschiedlich eingelegten
Rechtsbehelfe nicht beziffern lassen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5488

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/5314mit folgenderMaßgabe, imÜbrigen
unverändert anzunehmen:
Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a wird wie folgt gefasst:
,a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach An-
lage 1 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 bis zum 17. März 1990, in denen eine Be-
schäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde als
1. Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der Sozialistischen

Einheitspartei Deutschlands,
2. Generalsekretär, Sekretär oder Abteilungsleiter des Zentralkomitees der

Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie als Mitarbeiter
der Abteilung Sicherheit bis zur Ebene der Sektorenleiter oder als die je-
weiligen Stellvertreter,

3. Erster oder Zweiter Sekretär der SED-Bezirks- oder Kreisleitung sowie
Abteilungs- oder Referatsleiter für Sicherheit oder Abteilungsleiter für
Staat und Recht,

4. Minister, stellvertretender Minister, oder stimmberechtigtes Mitglied
von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter,

5. Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Vorsitzender des Staats-
rats oder Vorsitzender des Ministerrats sowie als in diesen Ämtern er-
nannter Stellvertreter,

6. Staatsanwalt in den für vom Ministerium für Staatssicherheit sowie dem
Amt für Nationale Sicherheit durchzuführenden Ermittlungsverfahren
zuständigen Abteilung I der Bezirksstaatsanwaltschaften,

7. Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR,
8. Mitglied der Bezirks- oder Kreis-Einsatzleitung,
9. Staatsanwalt oder Richter der I-A-Senate,
ist den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der
Anlage 5 zugrunde zu legen.“‘

Berlin, den 11. Mai 2005

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Klaus Kirschner
Vorsitzender

Maria Michalk
Berichterstatterin

Drucksache 15/5488 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Maria Michalk

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf in seiner
172. Sitzung am 21. April 2005 in erster Lesung behandelt
und zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ge-
sundheit und Soziale Sicherung sowie zur Mitberatung an
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und
an den Haushaltsausschuss überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Die bisher generell geltende Begrenzung des rentenrele-
vanten Verdienstes auf das jeweilige Durchschnittsentgelt
für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem „systemnahen“ Son-
der- und Zusatzversorgungssystem, in denen der Verdienst
mindestens die Gehaltsstufe E3 (Hauptabteilungsleiter) er-
reichte, soll künftig auf diejenigen Zeiten beschränkt wer-
den, in denen Personen als Mitglied oder Kandidat im Po-
litbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(SED), hauptamtlicher Mitarbeiter im „Apparat“ des Zen-
tralkomitees (ZK), Minister oder stellvertretender Minis-
ter, Vorsitzender von Staatsrat, Ministerrat oder Nationa-
lem Verteidigungsrat bzw. als in diesen Ämtern ernannter
Stellvertreter oder als Erster Sekretär einer SED-Bezirks-
oder Kreisleitung tätig waren. Einbezogen in die Begren-
zung sind auch Staatsanwälte, sofern sie die Aufsicht über
Ermittlungsverfahren des MfS/AfNS hatten. Funktionen im
hierarchischen Überbau der Staatsanwaltschaft, in deren
Zuständigkeit diese Verfahren fielen, werden insoweit
gleichgestellt. Diese Typisierung orientiert sich an der Vor-
schrift des § 6 Abs. 5 des Gesetzes über die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demo-
kratischen Republik (StUG), die eine entsprechende An-
wendung des StUG für Personen, die gegenüber Mitarbei-
tern des Staatssicherheitsdienstes rechtlich oder faktisch
weisungsbefugt waren, anordnet.
Für die übrigen bisher unter die Begrenzungsregelung fal-
lenden Personengruppen entfällt die vom Bundesverfas-
sungsgericht aufgehobene Begrenzungsregelung, so dass für
diese Personengruppen der Rentenberechnung im Ergebnis
dieselben Verdienste zugrunde zu legen sind, wie dies bei
Eintritt der Nichtigkeit der bisherigen Fassung des § 6 Abs.
2, 3 AAÜG der Fall wäre.

III. Stellungnahme der mitberatenden Ausschüsse
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
hat den Gesetzentwurf in seiner 73. Sitzung am 11. Mai 2005
beraten und einstimmig empfohlen, den Gesetzentwurf an-
zunehmen.
Der Haushaltssausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner
75. Sitzung am 11. Mai 2005 beraten und mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
bei Stimmenthaltung der Fraktion der CDU/CSU empfoh-
len, den Gesetzentwurf anzunehmen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
Ausschuss für Gesundheit und Soziale
Sicherung

A. Allgemeiner Teil
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung hat
seine Beratungen in der 103. Sitzung am 11. Mai 2005 auf-
genommen und abgeschlossen. Als Ergebnis empfiehlt er
einstimmig, den Gesetzentwurf in der von ihm geänderten
Fassung anzunehmen.
In der Beratung begrüßten dieMitglieder aller Fraktionen,
dass mit dem Gesetzentwurf auf den Beschluss des Bundes-
verfassungsgerichts vom 23. Juni 2004 reagiert werde. Die-
ses habe dem Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt, bis
zum 30. Juni 2005 eine Neuregelung zu treffen, die mit Ar-
tikel 3 GG vereinbar sei. Das heiße eine Begrenzungsrege-
lung für die Personenkreise zu schaffen, für die sich eine Be-
grenzung des rentenrelevanten Einkommens im Einklang
mit der Verfassung rechtfertigen lasse. DemGesetzgeber ste-
he dabei nur ein sehr enger Gestaltungsspielraum zur Ver-
fügung. Bei der Ausgestaltung der Neuregelung müsse im
Wesentlichen darauf abgestellt werden, dass es rechtlich und
sozialpolitisch widersprüchlich wäre, Personen, die in her-
ausgehobenen Funktionen im Partei- und Staatsapparat dem
MfS und AfNS gegenüber rechtlich oder faktisch weisungs-
befugt waren, erheblich höhere Renten zuzubilligen als
jenen, deren für die Rentenberechnung relevante Entgelte
wegen der Mitarbeit im MfS bzw. AfNS begrenzt würden.
Ergänzend sei an das in bestimmten Staatsbereichen der
DDR herrschende „Gesamtkonzept der Selbstprivilegie-
rung“ anzuknüpfen. So habe es jedenfalls in den höchsten
Ebenen des so genannten Kadernomenklatursystems der
DDR bei der Besetzung von Schlüsselpositionen eine sys-
temimmanente Selbstbegünstigung gegeben, die generell
politischer Zuverlässigkeit den Vorrang vor fachlicher Eig-
nung eingeräumt habe.
Nachdem die Vertreter der CDU/CSU-Fraktion es mit Unter-
stützung der FDP-Fraktion für notwendig hielten, über den
im ursprünglichen Gesetzentwurf genannten Personenkreis
hinaus weitere Funktionsträger im Partei- und Staatsapparat
in die neue Begrenzungsregelung einzubeziehen, weil diese
in ihrer Funktion auch auf Entscheidungen des MfS oder
AfNS Einfluss nehmen konnten, haben sich die Vertreter
aller Fraktionen auf eine Änderung des § 6 Abs. 2 AAÜG in
der aus der Beschlussempfehlung ersichtlichen Fassung ver-
ständigt.
Auf Nachfrage der CDU/CSU-Fraktion erklärte ein Vertreter
der Bundesregierung, dass Offiziere im besonderen Einsatz
und hauptamtliche inoffizielle Mitarbeiter des MfS nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits unmittel-
bar von der für das MfS geltenden Begrenzungsregelung
nach § 7 AAÜG erfasst würden. Vor diesemHintergrund wä-
re eine Erfassung dieses Personenkreises unter § 6 Abs. 2
AAÜG nicht nur überflüssig, sondern sie widerspräche auch
der Wertung des Bundessozialgerichts, das diesen Personen-
kreis unmittelbar dem MfS zugeordnet habe. Aus diesem

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/5488

Grund war die CDU/CSU-Fraktion bereit, insoweit auf ihre
ursprüngliche Forderung zu verzichten.
Die Vertreter aller Fraktionen betonten, dass aus Sicht der
SED-Opfer sicherlich schwer nachvollziehbar sei, dass trotz
der Neuregelung viele Funktionäre nun erhebliche Renten-
verbesserungen erhielten. Für eine weitergehende Entgelt-
begrenzung bzw. für eine Ausdehnung des Personenkreises
gebe es jedoch aufgrund der engen Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts keinen Spielraum. Dieses habe ausdrück-
lich festgestellt, dass die Situation der SED-Opfer keine
gleichheitswidrige Rentenkürzung legitimieren könne.

B. Besonderer Teil
Soweit die Bestimmungen des Gesetzentwurfs unverändert
übernommen wurden, wird auf deren Begründung verwie-
sen.
Zu der vom Ausschuss vorgenommenen Änderung des § 6
Abs. 2 AAÜG ist Folgendes zu bemerken:
Mit Beschluss vom 23. Juni 2004 (1 BvL 3/98) hat das Bun-
desverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, die
Entgeltbegrenzungen für Funktionärsgruppen der DDR, die

überhöhte Einkommen bezogen haben, bis zum 30. Juni
2005 neu zu regeln. Die Verfassungsmäßigkeit der Entgelt-
begrenzungen für ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums
für Staatssicherheit wurde vom Bundesverfassungsgericht
mit Beschluss vom 22. Juni 2004 (1 BvR 1070/02) ausdrück-
lich bestätigt.
Der Ansatz im Gesetzentwurf, die Entgeltbegrenzung auf
diejenigen Personen zu erstrecken, die insbesondere solche
Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder
im Staatsapparat ausgeübt haben, die auch eine Weisungs-
befugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit
(MfS) sowie dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) um-
fasste, wird von allen Fraktionen im Deutschen Bundestag
getragen.
Über den im Gesetzentwurf genannten Personenkreis hinaus
waren auch weitere Personengruppen dem MfS gegenüber
faktisch oder rechtlich weisungsbefugt. Hier schafft der Än-
derungsantrag Abhilfe. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
sich die SED gemäß der Verfassung der DDR als führende
Kraft die Entscheidung in allen wichtigen Bereichen der
Gesellschaft vorbehielt. Dazu gehörten auch die Angelegen-
heiten des Ministeriums für Staatssicherheit.

Berlin, 11. Mai 2005

Maria Michalk
Berichterstatterin

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.