BT-Drucksache 15/5455

Mikrofinanzierung und Finanzsystementwicklung zur nachhaltigen Armutsbekämpfung und Mittelstandsförderung ausbauen

Vom 10. Mai 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5455
15. Wahlperiode 10. 05. 2005

Antrag
der Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen), Dr. Christian Ruck, Dr. Ralf
Brauksiepe, Hartwig Fischer (Göttingen), Klaus-Jürgen Hedrich, Siegfried Helias,
Rudolf Kraus, Dr. Conny Mayer (Freiburg), Laurenz Meyer (Hamm), Sibylle Pfeiffer,
Christa Reichard (Dresden), Marie-Luise Dött, Rainer Eppelmann, Ingrid
Fischbach, Norbert Geis, Ernst Hinsken, Dr. Egon Jüttner, Jürgen Klimke, Arnold
Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

Mikrofinanzierung und Finanzsystementwicklung zur nachhaltigen
Armutsbekämpfung und Mittelstandsförderung ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Vereinten Nationen (VN) haben das Jahr 2005 zum Jahr der Mikrofinanzie-
rung ausgerufen. Unter dem Begriff Mikrofinanzierung werden Finanzdienst-
leistungen wie Kleinkredite, Spareinlagen und Versicherungen zusammenge-
fasst. Damit wird ein Instrument zur mit den Millenniumszielen der VN beab-
sichtigen Halbierung der weltweiten Armut in den Vordergrund gestellt, mit dem
bisher große Erfolge erzielt wurden, dessen Potenzial aber bei weitem noch
nicht ausgeschöpft ist. Nach Angaben der VN-Organisation für Ernährung und
Landwirtschaft (FAO) wurden 1999 Kleinkredite von 21 Millionen Menschen
weltweit genutzt, davon waren 12 Millionen extrem arm (d. h. ihnen stand we-
niger als 1 US-Dollar täglich zur Verfügung) und 14,7 Millionen weiblich. Seit
1999 ist die Zahl der durch Mikrofinanzierung Begünstigten zwar weiter
gestiegen, der Zugang und die Anzahl der Begünstigten sind aber trotz des nach-
gewiesenen Erfolges der Mikrofinanzierung für die Armutsbekämpfung bei
weitem noch nicht zufrieden stellend. Dass in dieser Hinsicht zügig politische
Maßnahmen durchgeführt werden müssen, hat im vergangenen Jahr auch die
Aufforderung von Mitgliedern des britischen Parlaments an den damaligen
Präsidenten der Weltbank, James D. Wolfensohn, gezeigt, die Ausgaben der
Weltbank für Mikrofinanzierung bei einem momentanen Anteil von 1 Prozent
zumindest zu verdoppeln, wobei die Hälfte an allerärmste Haushalte gehen soll.
Mit dem Instrument der Mikrofinanzierung sollen arme und ärmste Menschen
in den Entwicklungsländern Finanzdienstleistungen wie Kredite, sichere Spar-
einlagen und Versicherungen in Anspruch nehmen können, um etwa Einkom-
men schaffende Maßnahmen (z. B. Kleinbetriebe), Wohnraum oder eine bessere
Schulbildung zu verwirklichen. Mikrofinanzierung ist der Schlüssel zum Auf-
bau kleingewerblicher und mittelständischer Strukturen in vielen Ländern der
Welt. Gerade der Zugang zu zuverlässigen Spareinlagen, der besonders für
Arme ebenso wichtig ist wie der Zugang zu Krediten oder Zahlungsverkehr, hat
dazu geführt, dass Mikrobanken und sonstige Mikrofinanzinstitutionen in
erheblichem Maße Ersparnisse mobilisieren konnten, was zu inländischer

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Ressourcenmobilisierung bzw. lokaler Finanzintermediation beigetragen hat.
Die Potenziale von Mikrofinanzierung sind gerade deshalb so hoch, weil hier-
durch lokale Finanzmittel an unterschiedlichen Stellen, in unterschiedlichen
Formen und durch verschiedene Akteure – durch Selbsthilfegruppen, Spar- und
Kreditgenossenschaften, private und staatliche Banken, Nichtregierungsorgani-
sationen, Kirchen – aktiviert und somit gerade unter den Aspekten Eigenständig-
keit, Tragfähigkeit und Nachhaltigkeit große Erfolge bewirkt werden. Von
besonderer Bedeutung ist hierbei die Entwicklung von informellen zu formellen
Mikrofinanzinstitutionen, die wirtschaftlichen Geschäftsprinzipien unterliegen.
Die Entwicklung eines tragfähigen Mikrofinanzwesens als integraler Bestand-
teil des Finanzsystems, wie sie geschichtlich von den deutschen kommunalen
Sparkassen und genossenschaftlichen Instituten bekannt ist, muss daher ein
Hauptanliegen gerade deutscher Entwicklungszusammenarbeit sein. Auch wenn
die Zahl wirtschaftlich tragfähiger Mikrofinanzinstitutionen in den Ländern der
Entwicklungszusammenarbeit beträchtlich zugenommen hat und auch die
Stabilität der Finanzsysteme sich in vielen Ländern verbessert hat, arbeiten welt-
weit nach wie vor viele Mikrofinanzeinrichtungen nicht kommerziell, sondern
werden privat oder öffentlich subventioniert. Was hier als Aufforderung an
Unternehmen zu mehr Engagement im Mikrofinanzwesen zu verstehen ist,
bedeutet gleichzeitig, dass von seiten der Politik geeignete ordnungspolitische
und rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen.
Besonders in Hinsicht auf das durchMikrofinanzierung mobilisierte, produktive
Selbsthilfepotenzial der Armen ist allerdings noch deutlich mehr zu erreichen.
Schätzungen zufolge werden in den meisten Ländern des Südens bisher nur
10 Prozent der armen Haushalte durch Mikrofinanzierung erreicht. Dabei geht
aus einer Untersuchung der Weltbank hervor, dass durch Mikrofinanzierung
besonders extreme Armut sehr gut bekämpft werden kann. DieWeltbank kommt
zu dem Ergebnis, dass jährlich 5 Prozent der an Mikrofinanzprogrammen
beteiligten Haushalte in der Lage sind, sich aus ihrer Armut zu befreien. Zudem
sei die Wohlfahrtswirkung der Mikrofinanzierung für alle, auch die nicht betei-
ligten Haushalte, positiv.
Mikrofinanzierung kann allerdings nur dann nachhaltigen Erfolg zeitigen, wenn
auch stabile und effiziente Finanzsysteme, u. a. in Hinsicht auf Währungsstabi-
lität und finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen, in den Ländern der Ent-
wicklungszusammenarbeit existieren. Funktionierende nationale Finanzsysteme
sind eine der Vorbedingungen für eine dauerhafte wirtschaftliche Entwicklung,
von der auch die Armen profitieren und die es den Ländern gerade angesichts
des raschen Strukturwandels des internationalen Finanzsektors ermöglicht, aus
eigener Kraft in die internationalen Kapitalmärkte eingebunden zu werden.
Daher muss das Instrument der Mikrofinanzierung zusammen mit der Finanz-
systementwicklung angewandt und weiterentwickelt werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– das von den Vereinten Nationen ausgerufene internationale Jahr der Mikro-

finanzierung dazu zu nutzen, die Anstrengungen zum Ausbau eines funk-
tionierenden Finanzdienstleistungssektors für ärmere Bevölkerungsschichten
in der Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der bilateralen deutschen,
der europäischen und der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit zu
verstärken;

– ein Forschungsprogramm für die Entwicklung des Finanzdienstleistungssek-
tors aufzulegen, das auch eine bisher fehlende Langzeitstudie zur Wirkung
von Mikrofinanzierung beinhaltet;

– verstärkt Mittel für Mikrofinanzprogramme und -institutionen, die durch
selbst verwaltete finanzwirtschaftliche Fonds auf nationaler und regionaler

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Ebene durchgeführt werden, einzusetzen und mittelfristige Kredite zur zeit-
lich begrenzten Überbrückung von Liquiditätsengpässen in expandierenden
Mikrofinanzinstitutionen zu gewähren;

– besonders lokale Mikrofinanzinstitutionen als Vorbilder und Fortbildungs-
einrichtungen durch private Träger wie Nichtregierungsorganisationen
(NROs), Kirchen, Bankenverbände und -akademien zu fördern und beson-
ders für Beratungsdienstleistungen Mittel bereitzustellen;

– verstärkt den Aufbau von Spar- und Kleinkreditgruppen, die noch unterhalb
der Schwelle einer vollständigen Integration der Kreditnehmer in das Markt-
geschehen angesiedelt sind und vor allem von NROs, aber auch von staat-
lichen Einrichtungen getragen werden, in die Finanzierung durch das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
aufzunehmen und deren Einbindung in das Finanzsystem zu unterstützen;

– im Rahmen einer differenzierten Mikrofinanzstrategie die Gründung von
Mikrofinanzinstitutionen, den Aufbau und die Weiterentwicklung eines
Mikrofinanzverbandswesens, die Entwicklung umfassender Ansätze für
besonders förderungswürdige Gruppen wie Frauen und die Zusammenarbeit
mit dem privaten Sektor zu fördern;

– auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass im Bereich Mikro-
finanzierung tätige NROs wieder verstärkt Gelder der Europäischen Union
erhalten können;

– bei der Vergabe von Mitteln an Mikrofinanz-NROs besonders in Hinsicht auf
Kostendeckung und Anzahl der Beteiligten Evaluierungskriterien und Min-
deststandards anzuwenden und den NROs beim Nachweis bestimmter Fort-
schritte gerade unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit eine zeitlich
adäquate Weiterförderung zuzusichern;

– intensiver als bisher die Beratung von National- und Geschäftsbanken im
Rahmen von Mikrofinanzierung und Finanzsystementwicklung anzubieten
und durchzuführen;

– fachliche und finanzielle Unterstützung bei der Reform staatlicher Agrar-
banken bereitzustellen, besonders in Hinsicht auf eine bessere Ausrichtung
auf die unterschiedlichen Gruppen von Kreditnehmern;

– zum Zwecke der Beteiligung am Eigenkapital und an der Refinanzierung
– auch durch Garantien – von Mikrofinanzinstituten die jährlichen Treu-
handmittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ohne Ausweitung
des Gesamtplafonds zu verdoppeln;

– für seitens der KfW in Mikrofinanzinstitute investierte Treuhand- oder
Eigenmittel wohlwollend zu prüfen, ob auf Regierungsgarantien des Part-
nerlandes dann verzichtet werden kann, wenn diese Mittel im Rahmen einer
Public-Private-Partnership investiert werden;

– auf internationaler Ebene und im Rahmen der bilateralen finanziellen Zusam-
menarbeit den Ansatz durchzusetzen, dass alle Mikrokreditsysteme langfris-
tig auf eine Einbettung in den Bank- und Finanzsektor des jeweiligen Landes
abzielen und bei der Entwicklung geeigneter Rechtsformen für die entspre-
chenden Länder Beratung anzubieten;

– in diesem Zusammenhang die Förderung staatlicher und teilstaatlicher Mi-
krofinanzbanken in den entsprechenden Ländern an konkrete Zusagen der
Regierungen zu koppeln, den Finanzsektor insgesamt mit gesetzlichen Rege-
lungen und Aufsichtsinstitutionen auszubauen;

– sich zur Stärkung des informellen Finanz- und Wirtschaftssektors bei den
Regierungen der Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit stärker als

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bisher für die Schaffung bzw. Weiterentwicklung finanzwirtschaftlicher Rah-
menbedingungen, vor allem gesetzlicher Grundlagen für Mikrofinanzinstitu-
tionen und angepasster Regelwerke für unabhängige Zentralbanken, einzu-
setzen;

– sich im internationalen Rahmen und gegenüber den Kooperationspartnern
dafür einzusetzen, dass der Zugang zu Krediten nicht durch Zinsobergrenzen
beschränkt oder durch Zinssubventionen untergraben wird;

– die Schaffung geeigneter internationaler und nationaler Rahmenbedingungen
für ausländische Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern voranzu-
bringen, damit diese Direktinvestitionen eine entwicklungsfördernde Wir-
kung entfalten können;

– die Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit zu eigenem Engagement
bei Mikrofinanzierung und Finanzsystementwicklung anzuhalten, wobei
Mikrofinanzierung durch nichtstaatliche wie auch staatliche Träger ausge-
führt werden sollte;

– durch einen verstärkten Dialog Unternehmen zu zusätzlichen Investitionen in
den Entwicklungsländern im Rahmen eines sozialen Unternehmertums zu
ermutigen und dieses zweckdienlich zu unterstützen;

– nach dem Vorbild der Hermes-Bürgschaften im Außenhandel auch Bundes-
Ausfallbürgschaften für politische Risiken bei Investitionen in Mikrofinanz-
institute zu übernehmen.

Berlin, den 10. Mai 2005
Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Christian Ruck
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Klaus-Jürgen Hedrich
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Dr. Conny Mayer (Freiburg)
Laurenz Meyer (Hamm)
Sibylle Pfeiffer
Christa Reichard (Dresden)
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Ingrid Fischbach
Norbert Geis
Ernst Hinsken
Dr. Egon Jüttner
Jürgen Klimke
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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