BT-Drucksache 15/542

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung

Vom 11. März 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/542
15. Wahlperiode 11. 03. 2003

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz,
Dr. Wolf Bauer, Monika Brüning, Verena Butalikakis, Dr. Hans Georg Faust,
Michael Hennrich, Hubert Hüppe, Volker Kauder, Barbara Lanzinger,
Maria Michalk, Hildegard Müller, Matthias Sehling, Jens Spahn, Matthäus Strebl,
Gerald Weiß (Groß-Gerau), Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae
und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der
Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen
Rentenversicherung

A. Problem
Obwohl die Bundesregierung bis Ende September 2002 stets bestritten hatte,
dass in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für das Jahr 2002 erneut
ein hohes Defizit droht, legten die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN am 5. November 2002 den Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung
der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzli-
chen Rentenversicherung – Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) vor, das
durch Ausgabenkürzungen bei der Arzneimittelversorgung, eine Nullrunde für
die Leistungsbereiche Krankenhausversorgung, vertragsärztliche und vertrags-
zahnärztliche Versorgung, eine Absenkung der Preise für zahntechnische Leis-
tungen, die Halbierung des Sterbegeldes sowie die Anhebung der Versiche-
rungspflichtgrenze das für 2002 erwartete Defizit der Krankenkassen
ausgleichen und Erhöhungen der Beitragssätze vermeiden sollte.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene BSSichG ist der untaugliche Versuch,
im Eilverfahren und unter Ausblendung der Notwendigkeit grundlegender
Strukturreformen eine über mehrere Jahre verfehlte Gesundheitspolitik, die zu
Beitragssatzsteigerungen, finanziellen Defiziten und Leistungsverschlechterun-
gen geführt hat, mit willkürlichen Ausgabenbegrenzungen zu korrigieren. Sein
Ziel, die Beitragssätze zur GKV zu stabilisieren, wurde deutlich verfehlt. Der
durchschnittliche Beitragssatz zur GKV stieg von 13,99 % im September 2002
auf derzeit rund 14,4 %. Rund die Hälfte der GKV-Mitglieder muss heute hö-
here Beiträge zahlen als noch vor einem halben Jahr.
Zugleich führen die willkürlichen Ausgabenkürzungen durch das BSSichG zur
Verschlechterung der Versorgungsqualität, zur Gefährdung der wirtschaftlichen
Grundlagen der Leistungserbringer und zur Vernichtung zahlreicher Arbeits-
plätze im Gesundheitswesen. Vor diesem Hintergrund fordern die Fraktionen
der CDU/CSU und FDP die Rücknahme der Maßnahmen des BSSichG. Es
liegt in der Verantwortung der Bundesregierung, die bedrohlichen Folgen des

Drucksache 15/542 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

BSSichG für Apotheker, pharmazeutische Großhändler, pharmazeutische Un-
ternehmen, Krankenhäuser, Vertragsärzte, Vertragszahnärzte, Zahntechniker
und nicht zuletzt die Versicherten in einer ehrlichen Bestandsaufnahme offen zu
legen und die folgerichtige Konsequenz zu ziehen, die nur in einer Rücknahme
der Maßnahmen des BSSichG bestehen kann.
In einem ersten Schritt ist dabei dem dringenden Handlungsbedarf beim Rabatt
der pharmazeutischen Großhändler an die Krankenkassen Rechnung zu tragen.
Im Widerspruch zu der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung wiederholt vorgetragenen Argumentation werden die Apotheken
durch die Maßnahmen des BSSichG nicht mit rund 350 Mio. Euro jährlich be-
lastet, sondern mit rund 900 Mio. Euro. Seit Ende Dezember 2002 gehen die
pharmazeutischen Großhändler dazu über, den ihnen mit dem BSSichG aufer-
legten Abschlag in Höhe von 3 % des Arzneimittelabgabepreises mit bestehen-
den Rationalisierungsrabatten an die Apotheken zu verrechnen. Hierdurch kann
der Großhandel den gesetzlichen Abschlag an die Krankenkassen weitgehend
kostenneutral abführen, während die Apotheker zusätzlich zu ihrem eigenen im
BSSichG festgelegten Sparbeitrag auch den des pharmazeutischen Großhan-
dels größtenteils mittragen müssen. Für eine durchschnittliche Apotheke resul-
tiert daraus eine Verringerung des Einkommens vor Steuern um rund 35 %.
Anlässlich der Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das
BSSichG am 20. Dezember 2002 haben insgesamt 49 Abgeordnete der Frak-
tion der SPD eine Erklärung zu Protokoll gegeben, in der es unter anderem
heißt: „Wir stimmen dem Gesetz unter der Voraussetzung zu, dass im Laufe des
Jahres eine Überprüfung der geplanten und der tatsächlichen von den Apothe-
ken erbrachten Sparbeiträge erfolgt.“ Acht weitere Abgeordnete der Fraktion
der SPD haben dieser Erklärung den Zusatz angefügt, sie wollten auch die
„wirtschaftichen Konsequenzen für die Apotheken“ überprüfen. Die Konse-
quenz einer solchen Überprüfung kann nur in der schnellstmöglichen Zurück-
nahme der existenzbedrohenden und durch nichts gerechtfertigten Belastung
der Apotheken durch die Maßnahmen des BSSichG bestehen. Nur so kann das
bewährte System der Arzneimitteldistribution durch öffentliche Apotheken er-
halten und die flächendeckende und sichere Versorgung der Bevölkerung mit
Arzneimtteln gewährleistet werden.

B. Lösung
Das angestrebte Ziel kann nur durch die Aufhebung des Großhandelsabschlags
rückwirkend zum 1. Januar 2003 erreicht werden. Nur so kann sichergestellt
werden, dass die Apotheken ihren Auftrag als Träger der qualifizierten und
flächendeckenden Arzneimittelversorgung erfüllen können.

C. Alternativen
Keine

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Keine

E. Sonstige Kosten
Keine

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/542

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der
Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen
Rentenversicherung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Das Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetz-

lichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4637)
wird wie folgt geändert:
Artikel 11 wird aufgehoben.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt rückwirkend zum 1. Januar 2003 in
Kraft.

Berlin, den 11. März 2003

Horst Seehofer
Andreas Storm
Annette Widmann-Mauz
Dr. Wolf Bauer
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Dr. Hans Georg Faust
Michael Hennrich
Hubert Hüppe
Volker Kauder
Barbara Lanzinger
Maria Michalk
Hildegard Müller
Matthias Sehling
Jens Spahn
Matthäus Strebl
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
Dr. Heinrich L. Kolb
Detlef Parr
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/542 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

Artikel 11 des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG)
verpflichtet die pharmazeutischen Großhändler, den Apo-
theken auf Fertigarzneimittel, die der Verschreibungspflicht
aufgrund von § 48 oder § 49 des Arzneimittelgesetzes und
dem Versorgungsanspruch nach § 23 Abs. 1, §§ 27 und 31
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch unterliegen, einen
Abschlag in Höhe von 3 % des Arzneimittelabgabepreises
zu gewähren. Die Apotheken werden gleichzeitig verpflich-
tet, diesen Abschlag an die Krankenkassen weiterzugeben.
Ausweislich der Begründung zum BSSichG soll die Einfüh-
rung des Großhandelsabschlages zu Einsparungen von rund
600 Mio. Euro pro Jahr führen.
Um diese Belastung abzumildern, ist der pharmazeutische
Großhandel dazu übergegangen, seinen Abschlag mit dem
Rationalisierungsrabatt an die Apotheken zu verrechnen.
Hierdurch kann der Großhandel den gesetzlichen Abschlag
an die Krankenkassen weitgehend kostenneutral abführen,
während die Apotheker zusätzlich zu ihrem eigenen im
BSSichG festgelegten Sparbeitrag auch den des pharmazeu-
tischen Großhandels größtenteils mittragen müssen. Die Be-
lastung für die Apotheken beträgt somit nicht, wie die Be-
gründung zum BSSichG suggeriert, 350 Mio. Euro jährlich,
sondern mindestens 900 Mio. Euro.
Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apo-
thekerverbände (ABDA) beträgt die Belastung der Apothe-
ken durch den erhöhten Apothekenzuschlag ca. 400 Mio.
Euro, die Weiterwälzung des Großhandelsrabattes wird sich
laut ABDA bei den Apotheken mit insgesamt rund 500 Mio.
Euro auswirken. Die Gesamtbelastungen führen zu einem
Einkommensverlust vor Steuern von rund 35 %.
Keine dieser belastenden Maßnahmen ist sachlich gerecht-
fertigt.
Die mit dem BSSichG vorgesehenen Ausgabenbegrenzun-
gen im Arzneimittelbereich werden in der Begründung des
Entwurfes des BSSichG mit einem Anstieg der GKV-Arz-
neimittelausgaben um rund 15 % in den Jahren 2000 bis
2002 begründet. Dieser Anstieg ist jedoch nicht die Folge
eines übermäßigen Zuwachses der Apothekereinkommen
und der Großhandelsgewinne. Er resultiert vielmehr aus der
Fehlentscheidung der Bundesministerin für Gesundheit und
Soziale Sicherung, die Arzneimittelbudgets aufzuheben,
ohne gleichzeitig ein wirksames Instrument zur Steuerung
der Arzneimittelausgaben einzuführen.
Die Fraktion der CDU/CSU hat dazu bereits im Februar
2001 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Abschaffung
der Arznei- und Heilmittelbudgets in der GKV und die Ein-
führung arztgruppenspezifischer Richtgrößen vorsah. In
dieselbe Richtung zielte bereits im Mai 2000 auch ein An-
trag der Fraktion der F.D.P. „Abschaffung der Arznei- und
Heilmittelbudgets“. Die Einführung von Richtgrößen stellt
heute unverändert den richtigen Weg dar, die Entwicklung
der Arzneimittelausgaben der GKV unter Berücksichtigung
des medizinischen Bedarfs gezielt zu steuern und dabei die
Verantwortlichkeit der einzelnen Ärzte für ihren Verord-
nungsumfang zu stärken.

Der Rabatt, mit dem der pharmazeutische Großhandel be-
lastet werden soll, wird dagegen nicht von diesem selbst ge-
tragen, sondern zum ganz überwiegenden Teil an die Apo-
theken weitergegeben. Er trifft damit wirtschaftlich die
Apotheken. Der pharmazeutische Großhandel erwirtschaftet
insgesamt ein Ergebnis vor Steuern von rund 237 Mio. Euro
und kann daher schlechterdings den ihm abverlangten Spar-
beitrag von 600 Mio. Euro nicht erbringen. Es ist daher aus
wirtschaftlichen Gründen unausweichlich, dass der Groß-
handel den von ihm zu leistenden Rabatt durch die Kürzung
der bisher den Apotheken gewährten Einkaufsrabatte an die
Apotheken weitergibt.
Diese Konsequenz war dem Bundesministerium für Ge-
sundheit und Soziale Sicherung (BMGS) ausweislich eines
Ende Oktober 2002 verfassten Vermerkes auch bewusst.
Darin heißt es zu den finanziellen Auswirkungen der Ein-
führung des Großhandelsrabattes:
Einsparvolumen für die GKV ca. 0,60 Mrd. Euro. 0,90 Mrd.
Euro werden zur Zeit an Bar-Rabatt vom Großhandel an
die Apotheken gegeben. Geht man davon aus, dass die
Großhändler 0,60 Mrd. Euro an Rabattzahlungen, die bis-
lang an die Apotheken gehen, nun an die GKV geben, wird
bei ca. 21 000 Apotheken jede Apotheke mit ca. 28 600 Euro
belastet.
Zu den finanziellen Auswirkungen der Erhöhung des Apo-
thekenrabattes wird ausgeführt:
Einsparvolumen für die GKV ca. 0,35 Mrd. Euro. Bei ca.
21 000 Apotheken wird jede Apotheke mit ca. 16 700 Euro
belastet. Addiert man die Belastung durch Wegfall von
Bar-Rabatten des Großhandels hinzu, beträgt die Belastung
je Apotheke 45 300 Euro.
Auch die Begründung zu Artikel 11 (Gesetz zur Einführung
von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler) des
Entwurfes des BSSichG betont diesen Zusammenhang. Da-
rin heißt es:
Der Abschlag in Höhe von 3 Prozent entspricht einem ge-
schätzten Betrag von ca. 600 Mio. Euro pro Jahr, bezogen
auf den Arzneimittelmarkt in der gesetzlichen Krankenversi-
cherung. Die nach der Arzneimittelpreisverordnung mögli-
che Handelsspanne der pharmazeutischen Großhändler be-
trägt in diesem Marktsegment knapp 2 Mrd. Euro pro Jahr,
sodass mit der vorliegenden Regelung rund ein Drittel der
bisherigen Handelsspanne abgeschöpft wird. Dieses Volu-
men ergibt sich vor dem Hintergrund, dass die Handels-
spannen des Großhandels in Deutschland im Vergleich zu
anderen europäischen Nachbarstaaten besonders hoch
sind. Die Höhe des Abschlags ist angesichts der bisherigen
Praxis der Großhandelsrabatte, die nicht der Versicherten-
gemeinschaft zugute kommen konnten, angemessen.
Der Abschlag soll also nicht aus den Gewinnen der pharma-
zeutischen Großhändler, die lediglich 237 Mio. Euro vor
Steuern betragen, geleistet werden, sondern aus der mögli-
chen Handelsspanne in Höhe von knapp 2 Mrd. Euro. Dabei
handelt es sich allerdings um eine fiktive Summe, denn die
gesetzliche Höchstspanne wird vom pharmazeutischen
Großhandel bei weitem nicht ausgeschöpft, sondern als frei-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/542

williger Rabatt an die Apotheken weitergegeben. Zudem
handelt es sich bei der verbleibenden realen Handelsspanne
des pharmazeutischen Großhandels nicht um seinen Ge-
winn, sondern um seinen Rohertrag, aus dem der pharma-
zeutische Großhandel seine Kosten zu bestreiten hat.
Mit Artikel 11 des BSSichG soll daher ausweislich der amt-
lichen Begründung ein Teil der bestehenden Bar-Rabatte
zugunsten der Apotheken abgelöst werden durch einen ge-
setzlich vorgeschriebenen Rabatt des pharmazeutischen
Großhandels zugunsten der Krankenkassen. Die wirtschaft-
liche Belastung durch den Großhandelsrabatt trifft nach der
Intention des BSSichG im Wesentlichen nicht den pharma-
zeutischen Großhandel, sondern die Apotheken. Darauf
haben die Fraktionen der CDU/CSU und FDP und die Bun-
desvereinigung Deutscher Apothekerverbände während der
parlamentarischen Beratungen zum BSSichG wiederholt
hingewiesen.
Gleichwohl behauptet das BMGS in einer Pressemitteilung
vom 19. Dezember 2002, eine durchschnittliche Apotheke
müsse durch das BSSichG einen Sparbeitrag von 16 255
Euro erbringen; die Gesamtbelastung der Apotheken be-
trage 350 Mio. Euro. Dies ist offenkundig unrichtig, wie die
Begründung zum Entwurf des BSSichG und die zwischen-
zeitlich erfolgten Maßnahmen des pharmazeutischen Groß-
handels zeigen. Die tatsächliche Gesamtbelastung der Apo-
theken liegt mit mindestens 900 Mio. Euro um ein Viel-
faches höher als vom BMGS angegeben. Deshalb muss die
Einführung des Großhandelsabschlags durch das BSSichG
rückwirkend zum 1. Januar 2003 aufgehoben werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.