BT-Drucksache 15/5053

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/3640, 15/5049- Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Vom 9. März 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5053
15. Wahlperiode 09. 03. 2005

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann,
Veronika Bellmann, Dr. Rolf Bietmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Alexander
Dobrindt, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Hans-
Joachim Fuchtel, Dr. Reinhard Göhner, Kurt-Dieter Grill, Ernst Hinsken, Robert
Hochbaum, Volker Kauder, Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Wolfgang
Meckelburg, Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Joachim Pfeiffer, Ronald Pofalla, Hans-
Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Franz-Xaver Romer, Kurt J. Rossmanith,
Johannes Singhammer, Matthäus Strebl und der Fraktion der CDU/CSU

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/3640, 15/5049 –

Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) normiert zentrale Prin-
zipien und Regeln, die konstitutiv für die Soziale Marktwirtschaft der Bundes-
republik Deutschland sind. Grundsätzlicher als in allen anderen Wirtschafts-
gesetzen bringt der Gesetzgeber mit diesen kartellrechtlichen Vorschriften seine
ordnungspolitischen Grundüberzeugungen sowie sein klares Bekenntnis zur
Marktwirtschaft und zu freiem und fairen Leistungswettbewerb der Teilnehmer
des Wirtschaftslebens zum Ausdruck.
Über viele Jahrzehnte hat sich das GWB in der Praxis hervorragend bewährt, in-
ternational anerkannte Maßstäbe gesetzt und gilt zu Recht als Grundgesetz der
deutschen Wirtschaftsordnung. Es herrschte deshalb bislang immer Konsens
unter den Fraktionen des Deutschen Bundestages, Änderungen mit größter
Sorgfalt, ohne Zeitdruck und unter Berücksichtigung sachverständigen Rates
abseits tages-, klientel- oder parteipolitischer Erwägungen vorzunehmen. Darü-
ber hinaus galt und gilt es zu berücksichtigem, dass es in der Natur der Sache
eines Gesetzes, das Grenzen unternehmerischer Betätigung festschreibt, liegt,
dass der Adressatenkreis des Kartellrechts per se nahezu immer ein Eigeninte-
resse an liberaleren Regelungen hat, so dass der Gesetzgeber die von Interessen-
gruppen an ihn herangetragenen Anliegen und Wünsche stets streng im Lichte
neutraler Abwägung zu beurteilen hat. Maßstab muss dabei eine über den Tag
hinausgehende ordnungspolitische Gesamtbetrachtung sein.

Drucksache 15/5053 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Das Ziel des GWB ist der Schutz des Wettbewerbs, nicht der Wettbewerber,
sowie die Gewährleistung eines höchstmöglichen Wettbewerbsniveaus, das den
rechtsstaatlichen Ansprüchen der Unternehmen genügt, Konsumentensouverä-
nität ernst nimmt und dezentrale wirtschaftliche Strukturen nicht benachteiligt.
Nur so kann die Wettbewerbsordnung ihre gesamtgesellschaftliche, über die
Sphäre des Wirtschaftslebens weit hinausreichende Aufgabe der Sicherung von
Freiheit und der Verhinderung von missbrauchsanfälliger und demokratiege-
fährdender Machtkonzentration erfüllen. Auch bei der gegenwärtigen Novellie-
rung des GWB müssen diese Erwägungen, Ziele und Prinzipien handlungslei-
tend für den Gesetzgeber sein.

II. Deshalb fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,
nachfolgende Erwägungen zu berücksichtigen und wo erforderlich entspre-
chende Änderungen im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorzunehmen:
Allgemeines Kartellrecht
1. Legalausnahme: Der dem neuen europäischen Kartellverfahrensrecht (VO 1/
2003) folgende Systemwechsel von einem Anmelde- und Genehmigungssystem
zum System der so genannten Legalausnahme ist grundsätzlich zu begrüßen. Ein
Gleichlauf des europäischen und des deutschen Wettbewerbsrechts führt nicht
nur zu einer Rechtsvereinfachung, sondern auch zu einem geringeren Aufwand
für die betroffenen Unternehmen. Bereits in der 14. Legislaturperiode hat sich
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion grundsätzlich positiv zur Einführung der Le-
galausnahme in das europäische Recht geäußert (Drucksache 14/6634).
2. Mittelstandskartelle: Trotz der Anpassung an europäisches Recht sollten
auch künftig einige Besonderheiten des deutschen Kartellrechtes beibehalten
werden, weil sich diese in der Vergangenheit erkennbar bewährt haben und der
besonderen Struktur der deutschenWirtschaft, die zum überwiegenden Teil mit-
telständisch geprägt ist, Rechnung tragen. Dies gilt insbesondere für die Bei-
behaltung der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke
Unternehmen und für den Freistellungstatbestand für Mittelstandskooperatio-
nen. Selbst wenn Mittelstandskooperationen, die unter das GWB fallen, in Zu-
kunft aufgrund der niedrigen Schwelle zur Annahme binnenmarktrelevanter
Sachverhalte und der damit verbundenen Einschlägigkeit europäischen Kartell-
rechts weniger werden, kann auf einen eigenen Freistellungstatbestand nicht
verzichtet werden. Der Gesetzgeber dokumentiert mit dieser Regelung sein kla-
res ordnungs- und gesellschaftspolitisches Bekenntnis zur Bedeutung kleiner
und mittlerer Unternehmen in Deutschland.
3. Nichttätigkeitsverfügung: Ob sich das neue System der Legalausnahme letzt-
lich im Ergebnis für die betroffenen Unternehmen be- oder entlastend auswirken
wird, hängt entscheidend von der künftigen Handhabung in der Verwaltungspra-
xis ab. Da den Unternehmen das Risiko der Fehleinschätzung aufgebürdet wird
und diese daher sowohl erheblicher Rechtsunsicherheit als auch einem finan-
ziellen Risiko ausgesetzt werden, sind in bestimmtem Umfang Unterstützungs-
maßnahmen durch die Wettbewerbsbehörden sinnvoll. Der Regierungsentwurf
sieht daher sowohl informelle als auch formelle Wege vor, auf denen die Unter-
nehmen Auskünfte von den Kartellbehörden erlangen können. So hebt zum
einen die Begründung des Gesetzentwurfs mehrfach das Instrument der infor-
mellen Beratung hervor. Zum anderen können die Kartellbehörden durch eine
formelle Verfügung die Entscheidung treffen, dass „kein Anlass zum Tätigwer-
den“ besteht (§ 32c). Insbesondere der Erlass einer solchen Verfügung ist für die
Unternehmen von herausragender Bedeutung, da er den mit dem Systemwechsel
einhergehenden Verlust von einzelfallbezogener Rechtssicherheit abmildert.
Unbefriedigend ist jedoch, dass es im Ermessen der Kartellbehörde steht, ob sie
eine solche Entscheidung trifft.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5053

§ 32c darf nicht dazu führen, das bisherige Anmelde- und Genehmigungssystem
durch die Hintertür wieder einzuführen. Auf der anderen Seite verlieren gerade
kleine und mittlere Unternehmen, die in aller Regel keine adäquate eigene
Rechtsberatung vorhalten, Rechts- und Planungssicherheit gerade bei strittigen
Fällen und großen Investitionen. Stattdessen drohen Untersagungs- und Buß-
geldrisiko sowie die Nichtigkeit der getätigten Geschäfte. Vor allem Investitio-
nen in Zukunftssektoren, wo nicht auf Erfahrungen aus der Praxis zurückgegrif-
fen werden kann, können so zu einem unkalkulierbaren unternehmerischen
Risiko werden. Dies umso mehr, als im Rahmen der 7. GWB-Novelle die Sank-
tionsmechanismen der Kartellbehörden verschärft werden sollen. Es besteht
kein Zweifel an der Bereitschaft und dem gutenWillen sowohl der Europäischen
Kommission als auch der deutschen Wettbewerbsbehörden, betroffenen Unter-
nehmen auch künftig Gelegenheit zu informellen Gesprächen zu geben, um in
Zweifelsfragen kartellrechtliche Orientierungshilfe bei unternehmerischen Pla-
nungsentscheidungen zu ermöglichen. In manchen Fällen wird allerdings auch
in Zukunft Gewissheit über die kartellrechtliche Zulässigkeit einer geplanten
Vereinbarung nur durch eine förmliche Entscheidung der Wettbewerbsbehörden
möglich sein. Die Praxis zeigt, das etwaige Absprachen vielfach entweder auf
den Einzelfall bezogen sind oder sehr heterogene Sachverhalte treffen, deren
kartellrechtliche Relevanz nicht im Rahmen einer Gruppenfreistellungsverord-
nung allgemein gültig beurteilt werden kann. Im Interesse der Rechtssicherheit
und des Nachteilsausgleiches gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist es
daher geboten, Unternehmen für einen eng definierten Kreis von Fällen einen
Anspruch auf eine Entscheidung nach § 32c innerhalb einer angemessenen Frist
einzuräumen und dies ausnahmsweise nicht in das Ermessen der Kartellbehör-
den zu stellen, sofern ein erhebliches rechtliches oder wirtschaftliches Interesse
geltend gemacht werden kann. Anknüpfungskriterien können Umsatzschwellen
oder Investitionssummen sein. Tatsächliche oder rechtliche Umstände, die eine
kartellrechtliche Beurteilung erheblich erschweren, müssen dabei vorliegen und
vom betroffenen Unternehmen nachgewiesen werden. Die Ablehnung einer Ent-
scheidung nach § 32c sollte außerdem zumindest in solchen Fällen begründet
werden müssen, um den Unternehmen die Ablehnungsgründe detailliert zur
Kenntnis zu geben und ihnen dadurch zu ermöglichen, die rechtlich bedenkliche
Vereinbarung doch noch in eine einwandfreie umwandeln zu können.
4. Preisbindungsverbot: Mit den Bestimmungen des § 4 wird das Preisbin-
dungsverbot, das sich bereits aus § 1 ergibt, noch einmal als Per-se-Verbot for-
muliert. Die Bestimmung ist im besten Fall überflüssig, weil sich das Preis-
bindungsverbot mit hinreichender Deutlichkeit aus Artikel 81 EGV und damit
auch aus § 1 ergibt. Auch aus Sicht des Bundeskartellamtes ist § 4 GWB-E als
eigenständige Verbotsnorm „überflüssig“ (Anhörung des Ausschusses für Wirt-
schaft und Arbeit, Ausschussdrucksache 15(9)1338). Sie ist darüber hinaus aber
schädlich, weil sie – indem sie sich am Wortlaut von Artikel 4 Buchstabe a der
Verordnung 2790/99 orientiert – eine bedenkliche, wahrscheinlich auf einem
Redaktionsversehen beruhende Regelung zementiert: Weil die Klausel nur die
Bindung des Beziehers erfasst, werden Bindungen des Anbieters im Um-
kehrschluss zulässig. Bisher kartellrechtswidrigen Meistbegünstigungsklauseln
(§ 14 GWB g. F. Preisbindungsverbot) wird damit Tür und Tor geöffnet. Durch
diese Regelung könnte künftig ein nachfragestarkes Handelsunternehmen seine
Lieferanten verpflichten, Wettbewerber nicht günstiger zu beliefern. Der Preis-
wettbewerb würde dadurch erheblich gefährdet. Es bestehen deshalb gegen § 4
erhebliche wettbewerbsrechtliche Bedenken, die auch vom Bundesrat geteilt
werden (Stellungnahme des Bundesrates, Drucksache 15/3640, S. 74). § 4 sollte
deshalb ersatzlos gestrichen werden.
5. Missbrauchsaufsicht: Im Bereich der Missbrauchsaufsicht, der vom Vorrang
des europäischen Rechts nicht erfasst wird, sind die nationalen Regelungen bei-
zubehalten, weil sie in vielerlei Hinsicht ausdifferenzierter und schlagkräftiger

Drucksache 15/5053 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

als Artikel 82 EGV sind und gerade kleine und mittlere Unternehmen der Gefahr
der missbräuchlichen Ausnutzung besonderer Marktmachtpositionen ausgesetzt
sind. Der durch die 4. GWB-Novelle eingeführte § 20 Abs. 3 GWB g. F. soll
nach dem Willen der Bundesregierung einen besonderen Fall des Nachfrage-
macht-Missbrauchs erfassen, nämlich den Fall, dass marktmächtige Nachfrager
von ihnen abhängige Lieferanten anzapfen. Diesen Zweck erfüllt, wie die Kon-
ditionenanpassung-Entscheidung des BGH (BGH GRUR 2003, 80) gezeigt hat,
die Vorschrift in ihrer gegenwärtigen Fassung nur unvollkommen. Es hat sich in
der Praxis gerade gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen immer wieder
deutlich gezeigt, dass nicht nur das tatsächliche Veranlassen, also der durch
Druck erzielte Erfolg der Vertragsänderung oder der Gewährung von sachlich
nicht gerechtfertigten Vorzugsbedingungen problematisch ist, sondern bereits
die Aufforderung, da sich allein schon dadurch ein wettbewerbsrechtlich miss-
bräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung entfalten kann.
Bislang ist der Tatbestand auf das „Veranlassen“ der Vorteilsgewährung be-
schränkt und setzt damit ein erfolgreiches Agieren voraus. Wettbewerbsrecht-
lich problematisch ist aber die Handlungsweise an sich. Daher sollte § 20 Abs. 3
dahin gehend ergänzt werden, dass zusätzlich zumVeranlassen auch das Auffor-
dern sanktioniert wird. Mit dieser Tatbestandsklarstellung wird die Anwendbar-
keit der Norm verbessert, weil der Kausalzusammenhang zwischen Aufforde-
rung und Gewährung nicht mehr nachzuweisen wäre. Mit gleicher Begründung
ist schon in der 2. GWB-Novelle der Tatbestand des Boykottverbots entspre-
chend erweitert worden. Ein weiteres Problem in § 20 Abs. 3 liegt im Begriff der
Vorzugsbedingungen, der kartellrechtlich schwer greifbar ist und der immer
wieder die Rechtsanwendung hindernden Auslegungsschwierigkeiten begegnet.
Daher ist zu prüfen, ob der Begriff „Vorzugsbedingungen“ durch „Vorteile“ er-
setzt werden soll. Die „Vorzugsbedingung“ setzt eine Bezugnahme auf die
schlechteren Bedingungen der Mitbewerber voraus, den die Kartellbehörden re-
gelmäßig nicht herstellen können. Wettbewerbsrechtlich verwerflich ist letztlich
die sachlich nicht gerechtfertigte Forderung von Vorteilen. Dieser Begriff wird
zudem an anderer Stelle im GWB verwendet.
6. Sanktionen: Die Vorteilsabschöpfung durch Verbände (§ 34a) begegnet be-
sonderen Bedenken. Der normierte Anspruch auf Aufwendungsersatz lädt zu
missbräuchlichem Verhalten ein, da es die Verbände allein in der Hand haben,
ihre Verwaltungskosten, die sie vom wirtschaftlichen Vorteil abziehen dürfen, in
die Höhe zu treiben. Die praktische Durchführbarkeit ist ebenfalls zweifelhaft.
Eine Vorteilsabschöpfung durch Verbände ist deshalb abzulehnen.
7. Beschränkung der Drittrechte: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht
eine Beschränkung des Rechtsschutzes von Dritten im Eilverfahren vor. Die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei Anfechtungsklagen Dritter gegen
Freigaben von Zusammenschlüssen setzt gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 3 künftig vor-
aus, dass der Dritte in seinen Rechten verletzt sein muss. Anders als im Haupt-
sacheverfahren genügt dabei für die Beschwerdebefugnis eines Dritten nicht
mehr, dass dieser in seinen wettbewerblichen Interessen betroffen ist. Durch
diese unterschiedliche Handhabe in Hauptsache- und Eilverfahren wird der
Rechtsschutz Dritter empfindlich eingeschränkt. Kann ein betroffener Dritter im
Eilverfahren keine aufschiebende Wirkung erreichen, bietet ihm das Haupt-
sacheverfahren gegen den dann inzwischen vollzogenen Zusammenschluss kei-
nen effektiven Rechtsschutz mehr. Die Einschränkung des vorläufigen Rechts-
schutzes wirkt sich negativ auf den Drittrechtsschutz insgesamt aus und wird
diesen praktisch lahm legen. Die beabsichtigte Einschränkung von Drittrechten
ist deshalb nachdrücklich abzulehnen.
In diesem Zusammenhang erscheint es auch problematisch, dass bislang in den
kartellrechtlichen Verfahren, die in ihrer Bedeutung hinter den üblichen Eilver-
fahren vor anderen Gerichten nicht zurückstehen, nur eine Instanz vorgesehen
und jede Rechtsmittelmöglichkeit ausgeschlossen ist. Deshalb sollte die in der

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/5053

Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit von den Vertretern des
Bundeskartellamtes und des Bundesgerichtshofes angeregte Einführung einer
zweiten Instanz für Eilentscheidungen geprüft werden.
8. Bestandsschutz: Die derzeit nach §§ 2 ff. GWB g. F. freigestellten Vereinba-
rungen und Beschlüsse und die nach § 22 GWB g. F. freigestellten Empfehlun-
gen sollen gemäß § 131 längstens für ein Jahr nach Inkrafttreten der Novelle ihre
Wirksamkeit behalten. Aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauens-
schutzes sind hier weniger restriktive Regelungen zu prüfen.

Pressespezifisches Kartellrecht
9. Allgemeines: Der Zusammenschluss von Unternehmen, deren Geschäfts-
betrieb ganz oder teilweise im Verlag von Zeitungen oder Zeitschriften besteht,
ist bislang nach denselben materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Krite-
rien zu beurteilen, die für die Kontrolle von Zusammenschlüssen im Allgemei-
nen gelten. Die 3. Kartellnovelle passte die Fusionskontrolle den Besonderhei-
ten der Presse an, indem für die Berechnung des Umsatzes das Zwanzigfache der
Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen war (Presserechenfaktor § 38 Abs. 3 GWB
g. F.). Zeitungs- und Zeitschriftenverlage bringen kein übliches Wirtschaftsgut
hervor. Die grundgesetzlich verbürgte Pressefreiheit ist mittelbar berührt. Pub-
lizistische Meinungsvielfalt, Verlags- und Titelvielfalt sind von überragender
Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Meinungsbildung. Das Ziel des
Gesetzgebers bestand beim pressespezifischen Kartellrecht bislang immer darin,
diese publizistische Vielfalt zu schützen. Daran sollte der Gesetzgeber auch bei
der 7. GWB-Novelle ohne Wenn und Aber festhalten.
10. Materiellrechtliche Änderungen: Der ursprüngliche Gesetzentwurf der
Bundesregierung sah mit der sog. Altverlegerklausel (§ 36), der Freistellung von
Anzeigenkooperationen vom allgemeinen Kartellverbot (§ 31), der Nicht-
anwendbarkeit der Vorschriften zur Zusammenschlusskontrolle auf Anzeigen-
kooperationen (§ 31, S. 2) und der Einführung einer De-Minimis-Regelung
(§ 35 (2) S. 2) gravierende materiellrechtliche Änderungen im pressespezifi-
schen Kartellrecht vor. Die Bundesregierung begründet die Notwendigkeit dafür
mit strukturellen Veränderungen des Zeitungswesens (so genannte Strukturkri-
senbehauptung). Alternativ zum so genannten Altverlegermodell wurde auch
die Einführung eines Sondertatbestands von so genannten Pressehilfsunterneh-
men oder verlagswirtschaftlichen Kooperationen diskutiert. Die vom federfüh-
renden Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit durchgeführte Sachverständigen-
anhörung hat erhebliche Bedenken einer Mehrzahl der geladenen Sachverstän-
digen gegenüber diesen materiellrechtlichen Änderungsvorschlägen noch ein-
mal deutlich gemacht. Die Koalitionsfraktionen schlagen die Einführung von
verlagswirtschaftlichen Kooperationen vor. Die Änderungsvorschläge der Bun-
desregierung und auch die der Koalitionsfraktionen zum pressespezifischen
Kartellrecht genügen den grundsätzlichen Anforderungen an eine Novellierung
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht. Die so genannte Struk-
turkrisenbehauptung ist zum einen nicht eindeutig belegbar und geht zudem ord-
nungspolitisch und kartellrechtlich gänzlich fehl. Ihr liegt die Vorstellung zu-
grunde, immer dann, wenn eine für das behauptete Allgemeininteresse wichtige
Branche in Schwierigkeiten gerät, müsse der Gesetzgeber helfend eingreifen.
Die Einräumung vonMonopolrechten und Kartellprivilegien anlässlich behaup-
teter struktureller Veränderungen oder imWirtschaftsleben normaler konjunktu-
reller Probleme verlässt aber das ordnungspolitische Fundament der Sozialen
Marktwirtschaft. Darüber hinaus sind die vorgeschlagenen materiellrechtlichen
Änderungen unverhältnismäßig und würden das Kartellrecht regelrecht auf den
Kopf stellen, da Marktmacht als Untersagungskriterium künftig keine ausrei-
chende Rolle mehr spielen würde. Im Übrigen begegnet die im Regierungsent-
wurf vorgesehene Ungleichbehandlung von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen

Drucksache 15/5053 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nicht nur kaum bewältigbaren praktischen Abgrenzungsproblemen für Wett-
bewerbsbehörden und Gerichte, sondern auch ernst zu nehmenden verfassungs-
rechtlichen Bedenken (Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes). Die Ände-
rungsvorschläge der Bundesregierung zumAltverlegermodell und zu Anzeigen-
kooperationen sowie in ihrer Wirkung vergleichbare alternative materiellrecht-
liche Sondertatbestände für Presse- und Verlagsunternehmen werden deshalb
nachdrücklich aus wettbewerbsrechtlichen, ordnungspolitischen, medienpoliti-
schen und übergeordneten Gesichtspunkten zu Sicherung freiheitlich-demokra-
tischer Meinungsvielfaltssicherung abgelehnt.
11. De-Minimis-Klausel: Durch die geplante Anwendbarkeit der De-Mini-
mis-Klausel auf Presseunternehmen mit Umsätzen von unter 2 Mio. Euro (§ 35
Abs. 2 S. 2) könnte die Zahl der kontrollfreien Zusammenschlüsse mit kleinen
Zeitungs- und Anzeigenblättern erheblich steigen. Auch Großverlage könnten
demnach künftig kleinere Zeitungs- oder Anzeigenblattverlage im Rahmen der
De-Minimis-Klausel kontrollfrei erwerben. Dies gilt auch dann, wenn es sich
bei den kleineren Verlagen um die einzigen Wettbewerber des erwerbenden
Großverlages handelt oder Gebietsmonopolisten hierdurch ihre Verbreitungs-
gebiete arrondieren. Vermutlich könnten dadurch 30 selbständige Zeitungsver-
lage (ohne Berücksichtigung von Anzeigenblättern) künftig kontrollfrei erwor-
ben werden. Dies ist quantitativ und qualitativ erheblich. Die künftige Anwend-
barkeit der De-Minimis-Klausel auf Presseunternehmenwird deshalb abgelehnt.
12. Schwellenwerte: Die im Regierungsentwurf vorgesehene Halbierung des so
genannten Presserechenfaktors von bislang 20 auf künftig 10 in § 38 Abs. 3
führt dazu, dass ein Erwerb eines Presseunternehmens mit einem Umsatz bis zu
50Mio. Euro p. a. (Aufgreifschwelle) künftig kontrollfrei bleibt Zugleich erhöht
sich die Bagatellmarktklausel des § 35 Abs. 2 Nr. 2 von bisher 750 000 Euro auf
1,5 Mio. Euro. In Deutschland gibt es gegenwärtig rund 350 Zeitungsverlage.
Die Zahl der (statistisch nicht erfassten) wirtschaftlich unabhängigen Verlage ist
erheblich geringer. Die Zahl so genannter publizistischer Einheiten (redaktionell
selbständige Tageszeitungenmit Vollredaktionen, die den gesamten redaktionel-
len Teil, also auch einen Mantelteil, sowie den Anzeigenteil eigenständig erstel-
len) lag im Jahr 2003 bei 134. Diese Zahl ist seit 1976 imWesentlichen konstant
geblieben. Die geplante Halbierung des Presserechenfaktors ermöglicht auch
ohne Anwendbarkeit der De-Minimis-Klausel eine weit reichende Zunahme der
Pressekonzentration. Die geplante Änderung wäre auch qualitativ gravierend.
Zu befürchten ist im Extremfall die Herausbildung regionaler Zeitungsketten
nach abschreckendem ausländischen Muster. Mittelgroße bzw. kleinere Verlage
würden künftig die Aufgreifschwelle nicht mehr erreichen und deshalb kontroll-
frei fusionieren. Gerade im Bereich der Abonnement-Tageszeitungen wird
durch die Halbierung des Presserechenfaktors der Anwendungsbereich der Ba-
gatellmarktklausel ausgeweitet, da diese überwiegend auf Märkten tätig sind,
die regional oder auf Landkreise bezogen abzugrenzen sind. Die Schutzfunktion
der bisherigen Regelungen für kleinere und mittlere Verlage wird beeinträchtigt.
Insgesamt könnten sich vermutlich 50 Zeitungsverlage (mit De-Minimis-Klau-
sel 80) künftig kontrollfrei zusammenschließen. Dies wird zu einer Konzentra-
tionswelle und einer Zunahme so genannter Einzeitungskreise führen, ohne dass
die Unternehmen auf die noch weiter führenden Möglichkeiten der §§ 31 und
36 Abs. 1a des Gesetzentwurfs zurückgreifen müssen. Der Deutsche Bundestag
hat erhebliche Bedenken gegen eine Halbierung des Presserechenfaktors. Eine
Lockerung des Presserechenfaktors ist in jedem Fall nur dann wettbewerbs-
politisch hinnehmbar, wenn die vorgesehenen gravierenden materiellrechtlichen
Änderungen im pressespezifischen Kartellrecht nicht vorgenommen werden.
13. Gesetzliche Klarstellung der Kooperationsmöglichkeiten kleinere und mitt-
lerer Verlage: Anzeigenkooperationen sind bereits nach dem geltenden Recht in
erheblichem Umfang möglich und werden auch von den Verlagen (unter Betei-
ligung von Großverlagen) vielfach praktiziert, wie in der Gesetzesbegründung

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/5053

der Bundesregierung selbst dargelegt wird (S. 29). Gleiches gilt für allgemeine
Kooperationen kleiner und mittlerer Presseunternehmen zum Zwecke der Ra-
tionalisierung wirtschaftlicher Vorgänge. Die vorgesehenen Ausnahmetatbe-
stände würden Kooperationen und Fusionen im Anzeigenbereich unabhängig
von der Größe der beteiligten Unternehmen, möglichen negativen Auswirkun-
gen auf den Wettbewerb oder das Entstehen von Marktmacht kontrollfrei mög-
lich machen, solange die so genannte Zwischenstaatlichkeitsklausel nicht zur
Anwendung des europäischen Kartellrechts führt. Letzteres ist auf den in der
Regel nationalen Anzeigenmärkten selbst bei Großverlagen häufig nicht er-
reicht. Damit würde das Kartellrecht auf den Kopf gestellt und das Grundprinzip
des GWB, wonach Kartelle generell unzulässig sind, wenn die Beteiligten die
Schwelle der Marktbeherrschung erreichen (§ 2 Abs. 1) über Bord geworfen.
Zudem bleibt die Betrachtung der berechtigten Interessen der Marktgegenseite
völlig außerhalb der Betrachtung: Durch die Ermöglichung großzügiger Koope-
rationen im Anzeigenbereich würde der Gesetzgeber Preiskartelle und Anzei-
genmonopole unbeschränkten Ausmaßes zu Lasten der werbetreibenden Wirt-
schaft sowie der Leser und Abonnenten erlauben. Die durch solche Konzentra-
tionseffekte zu erwartenden Preissteigerungen werden durch die werbetreibende
Wirtschaft und letztlich durch den Verbraucher zu bezahlen sein. § 31 des Ge-
setzentwurfs der Bundesregierung wird deshalb nachdrücklich abgelehnt. Zur
Erhöhung der Rechtssicherheit und um den von betroffenen Unternehmen geäu-
ßerten Bedenken gegenüber der Spruchpraxis der Kartellbehörden Rechnung zu
tragen, ist allerdings eine Klarstellung der Kooperationsmöglichkeiten von klei-
neren und mittleren Verlagen bei einer Zusammenarbeit im Anzeigenbereich
und zur Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge anzustreben.
14. Pressebeteiligungen Politischer Parteien: Der Deutsche Bundestag hält es
grundsätzlich für sehr bedenklich, dass politische Parteien unmittelbar oder mit-
telbar Beteiligungen an Presseverlagen halten, deren Publikationen nicht ein-
deutig als Parteipublikationen erkennbar sind. Er fordert deshalb die Bundes-
regierung auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der solche Beteiligungen unter-
sagt oder zumindest erheblich einschränkt, um die Unabhängigkeit der betrof-
fenen Redaktionen zu stärken. Zur Erhöhung der Transparenz für den Leser
muss in jedem Fall gesetzlich vorgeschrieben werden, dass solche Beteiligun-
gen, sobald sie gesellschaftsrechtlich als wesentlich gelten, im Impressum der
Publikation angegeben werden.

Berlin, den 9. März 2005
Hartmut Schauerte Volker Kauder
Dagmar Wöhrl Dr. Martina Krogmann
Karl-Josef Laumann Dr. Hermann Kues
Veronika Bellmann Wolfgang Meckelburg
Dr. Rolf Bietmann Laurenz Meyer (Hamm)
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Joachim Pfeiffer
Alexander Dobrindt Ronald Pofalla
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Hans-Peter Repnik
Erich G. Fritz Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Michael Fuchs Franz-Xaver Romer
Hans-Joachim Fuchtel Kurt J. Rossmanith
Dr. Reinhard Göhner Johannes Singhammer
Kurt-Dieter Grill Matthäus Strebl
Ernst Hinsken Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion
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