BT-Drucksache 15/4909

Umsetzung der Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2004 bezüglich der verfassungswidrigen Kürzung von DDR-Renten

Vom 16. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4909
15. Wahlperiode 16. 02. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Klaus Haupt, Dr. Karl Addicks, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ulrike Flach, Rainer Funke, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Dr. Max Stadler, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Umsetzung der Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom
23. Juni 2004 bezüglich der verfassungswidrigen Kürzung von DDR-Renten

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2004 zur
Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 6 Abs. 2 und des § 6 Abs. 3 Nr. 8
des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) in der
Fassung des AAÜG-Änderungsgesetzes von 1996 und des 2. AAÜG-Ände-
rungsgesetzes von 2001 über die Berücksichtigung in der gesetzlichen Renten-
versicherung von Arbeitsentgelten oder Arbeitseinkommen von Personen, die in
Sonder- oder Zusatzversorgungssystemen in der ehemaligen DDR erfasst
waren, ist der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 30. Juni 2005 eine verfassungs-
gemäße Neuregelung zu treffen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 23. Juni 2004 fest-
gestellt, dass die Auswahl der von den Kürzungsmechanismen betroffenen Per-
sonengruppen und die angewandten Kürzungsmechanismen selbst, aus mehre-
ren Gründen verfassungsrechtlich unzulässig sind.
Das Bundesverfassungsgericht hält das Ziel des Gesetzgebers, Versorgungs-
zusagen, denen keine entsprechende Leistung zugrunde lag und die politisch
motiviert waren, die Anerkennung zu versagen, für legitim. Diesem Ziel werden
die Regelungen der in der Einführung genannten Gesetze nicht gerecht.
Erstens hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Auswahl der von
den Kürzungsmechanismen betroffenen Personengruppen auch mit den Neu-
regelungen des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes auf der unzulässigen Zuordnung
zu bestimmten Zusatz- und Sonderversorgungssystemen nach „Staats- und
Systemnähe“ beruht. Allein aus der „Staats- und Systemnähe“ mancher Berufe
kann aber nicht geschlossen werden, dass die betroffenen Personenkreise durch-
gängig Entgelte erhalten haben, die nicht durch Arbeit gerechtfertigt waren.
Die Kürzungsmechanismen greifen dabei ab einer bestimmten Gehaltsstufe
(Hauptabteilungsleiter). Letztlich wird damit eine verfassungsrechtlich unzuläs-
sige Gleichstellung von „hohem Einkommen“ und „überhöhtem Einkommen“
vorgenommen.
Das Bundesverfassungsgericht hat ferner beanstandet, dass der Gesetzgeber
nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass es im Laufe der Zeit Veränderungen
im Einkommensgefüge der ehemaligen DDR gegeben hat. Es fehlte eine aus-
sagekräftige Erfassung der Lohn- und Gehaltsstruktur in der ehemaligen DDR,
über das Einkommensgefüge in den einschlägigen Beschäftigungsbereichen und

Drucksache 15/4909 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
über das Verhältnis der dort erzielten Verdienste zum volkswirtschaftlichenMit-
telwert, anhand derer eine überhöhte Gehaltsstruktur der betroffenen Personen-
kreise nachgewiesen werden könnte.
Weiter weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die verfassungs-
rechtliche Zulässigkeit zusätzlicher Kürzungsmechanismen bei bestimmten
Berufsgruppen und Gehaltsstufen vor dem Hintergrund zu bewerten ist, dass
Arbeitsentgelte in der gesetzlichen Rentenversicherung ohnehin nur bis zur all-
gemeinen Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen sind. Deutlich über-
höhte Ansprüche aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen sind damit ohne-
hin unterschiedslos ausgeschlossen.
Schließlich wird der „fallbeilartige“ Kürzungsmechanismus der anzurechnen-
den Arbeitsentgelte auf das Durchschnittseinkommen als verfassungswidrig er-
klärt, weil er beispielsweise Betroffene, die altersabhängige Einkommenssteige-
rungen erhielten, auch ohne eine Funktionsänderung dieser Personen – etwa
eine Beförderung – weit hinter den Rentenbetrag zurückfallen lässt, der ihnen
zuvor für ihre niedrigeren Entgelte zugeordnet worden war.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher unternommen, um eine Neu-

regelung der eingangs genannten und vomBundesverfassungsgericht für ver-
fassungswidrig erklärten Vorschriften umzusetzen?

2. Welche Änderungen bei den Kürzungsmechanismen der Rentenansprüche
plant die Bundesregierung?

3. Welche Änderungen plant die Bundesregierung bei den Auswahlkriterien der
betroffenen Personengruppen, für die die neuen Kürzungsmechanismen gel-
ten sollen?

4. Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Gehaltsstruktu-
ren in der ehemaligenDDRbetreffend dasVerhältnis derEinkommenshöheder
Gehaltsstufe E 3 zum Durchschnittseinkommen in der ehemaligen DDR und
wie wirken sich diese Erkenntnisse auf die geplanten Kürzungsmechanismen
und die von den Kürzungsmechanismen betroffenen Personengruppen aus?

5. Wie will die Bundesregierung die den Überleitungsgesetzen zu Grunde lie-
gende Differenzierung zwischen durch Arbeit erworbenen Rentenansprü-
chen und politisch motivierten Arbeitseinkommen und Rentenansprüchen in
den neuen Kürzungsmechanismen umsetzen?

6. Sollen die neuen Regelungen nur für die Zukunft gelten oder auch Ansprüche
für die zurückliegende Zeit vor dem Beschluss des Bundesverfassungsge-
richts begründen?

7. Welche Mehrkosten für die gesetzliche Rentenversicherung werden die neu-
en von der Regierung geplanten Regelungen mit sich bringen?

8. Mit welchen Zusatzbelastungen für die gesetzliche Rentenversicherung rech-
net die Bundesregierung für den Fall, dass die alten Vorschriften am 31. Juni
2005 als verfassungswidrig außer Kraft treten, die neuen Regelungen aber
noch nicht in Kraft getreten sind?

9. Welche Pläne hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Neurege-
lung der Rentenkürzungen aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen für
die Opfer des SED-Regimes, die auf der Grundlage des Gesetzes über beruf-
liche Rehabilitation oft nur eine sehr geringe Altersversorgung erhalten?

Berlin, den 15. Februar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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