BT-Drucksache 15/4905

Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste von Bund und Ländern

Vom 15. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4905
15. Wahlperiode 15. 02. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank, Klaus
Brähmig, Dr. Peter Gauweiler, Dr. Günter Krings, Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert
Lammert, Vera Lengsfeld, Dorothee Mantel, Melanie Oßwald, Heinrich-Wilhelm
Ronsöhr, Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten, Edeltraut Töpfer,
Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU

Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste von Bund und Ländern

Die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste ist eine von allen Ländern und
demBund finanzierte Einrichtung beimKultusministerium des Landes Sachsen-
Anhalt in Magdeburg. Sie hat die Aufgabe, Such- und Fundmeldungen zu NS-
verfolgungsbedingt entzogenen und kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern ent-
gegenzunehmen und zu dokumentieren. Das Auffinden und die Identifizierung
gesuchter Stücke sollen damit unterstützt und Rückgaben angebahnt werden. Ihr
wichtigstes Instrument ist die Internetdatenbank „lostart.de“, die seit April 2000
online ist.
Dokumentiert werden dort Informationen zu Kulturgütern, die aufgrund von
Verfolgungen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihren
Eigentümern entzogen wurden, wegen drohender Repressionen veräußert wer-
den mussten oder bei Flucht und Emigration nicht mitgeführt werden konnten.
Das betrifft auch heute in Museen befindliche Kulturgüter, die eine Provenienz-
lücke aufweisen und bei denen ein unrechtmäßiger Entzug zwischen 1933 und
1945 nicht ausgeschlossen werden kann.
Als Reaktion auf die Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf
Kunstwerke, die die Nationalsozialisten beschlagnahmt hatten („Washingtoner
Prinzipien“), wurde im Dezember 1999 die „Erklärung der Bundesregierung,
der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur
Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus
jüdischem Besitz“ verabschiedet. Sie sieht u. a. die Einrichtung einer Such- und
Fundliste vor, in die Betroffene Informationen zu Kulturgütern eintragen und da-
mit im Internet veröffentlichen können. Als Arbeitsgrundlage für die Erfassung
dieser Kulturgüter wurde 2001 eine „Handreichung“ erstellt.
Die Koordinierungsstelle nimmt zudem die Aufgaben der Geschäftsstelle für die
„Beratende Kommission für die im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-ver-
folgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“
wahr. Die Kommission übernimmt eine Mediatorenrolle zwischen den Trägern
der Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren
Erben. Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten kann sie Empfehlungen
aussprechen. Eine Antragsstellung bei der Beratenden Kommission setzt voraus,
dass beide Seiten mit der Befassung ihres Falles durch die Kommission einver-
standen sind. Die Kommission hat erst im Januar 2005 ihren ersten Fall beraten.

Drucksache 15/4905 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die Staatsministerin beim Bundeskanzler und Beauftragte der Bundesregierung
für Kultur und Medien, Dr. Christina Weiss, hat den Ausschuss für Kultur und
Medien am 26. Januar 2005 über die Arbeit der Koordinierungsstelle unterrich-
tet. Zahlreiche Fragen sind offen geblieben.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Mit Mitteln in welcher Höhe unterstützt der Bund die Koordinierungsstelle,

mit welchen die Länder?
2. Auf welchen Zeitraum ist die Arbeit der Koordinierungsstelle angelegt?

Vor welchem Hintergrund könnte eine Nichtverlängerung der Finanzierung
von Seiten des Bundes oder der Länder beschlossen werden?

3. Auf welche Weise kann die Staatsministerin beim Bundeskanzler und Beauf-
tragte für Kultur und Medien – vor dem Hintergrund ihrer Äußerung „da die-
se Dokumentation noch nicht abgeschlossen ist, freue ich mich, dass sich der
Bund und alle Länder auf die Fortführung der Koordinierungsstelle auch
nach 2004 verständigt haben“ (Presseerklärung der BKM vom 7. Februar
2005) – feststellen, wann und dass diese Dokumentation abgeschlossen ist
und eine Aufrechterhaltung der Finanzierung der Koordinierungsstelle nicht
mehr erforderlich wäre?

4. Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der Koordinierungsstelle
in welchen Zeiträumen beschäftigt und beschäftigt gewesen, welche Qualifi-
kationen haben sie, wer ist für die Einstellung von Personal zuständig?
Wie viele Stellen sieht der Stellenplan der Koordinierungsstelle vor und wie
sind sie beschrieben?
Wie hoch ist der Sachmittelhaushalt?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Anzahl von Eintragungen in der Da-
tenbank lostart.de von Seiten der Museen?
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der eingetrage-
nen Kunstwerke in der Datenbank, für die eine lückenlose Provenienz nicht
nachgewiesen werden kann, im Verhältnis zu der von Fachleuten geschätzten
Anzahl solcher in Museen befindlicher Kunstwerke?

6. Wie ergibt sich die von der Bundesregierung in einer Pressemitteilung vom
7. Februar 2005 genannte Zahl von in der Datenbank lostart.de verzeichneten
„Such- und Fundmeldungen von über 300 Einrichtungen und 200 Personen
des In- und Auslands“ bei tatsächlich nur knapp 40 entsprechenden Eintra-
gungen in der Datenbank?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Qualität der Daten und die Recherche-
möglichkeiten in der Datenbank lostart.de?
Welche Auffassungen zu dieser Frage sind der Bundesregierung aus Fach-
kreisen bekannt, wie bewertet sie diese und welche Schlussfolgerungen hat
sie daraus gezogen oder wird sie daraus ziehen?

8. Welche Einschätzungen der Arbeit der Koordinierungsstelle liegen der Bun-
desregierung aus dem Ausland vor?
Wie werden die Bemühungen in Deutschland die Kulturgutverluste betref-
fend im Ausland wahrgenommen?

9. Wie beurteilt die Staatsministerin den Sachverhalt, dass die Koordinierungs-
stelle nur den ,virtuellen Raum‘ zur Verfügung stellt, nicht aber selbst inhalt-
liche Arbeit mit kunsthistorischem Hintergrund leisten kann?
Bestehen Überlegungen, die Kompetenzen der Koordinierungsstelle auszu-
weiten, wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4905

10. Wie viele Kunstgegenstände wurden in direkter Folge der zur Verfügung
stehenden Informationen in der Datenbank lostart.de restituiert?
Liegen der Bundesregierung darüber Erkenntnisse vor, wie viele Kunstge-
genstände ohne den Bezug auf die Datenbank lostart.de restituiert wurden?
Wenn nein, warum nicht?

11. Wer sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Nutzer der Datenbank
lostart.de vor allem?
Wie häufig wird sie in Anspruch genommen?
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang
Museen in Deutschland selbst über die Datenbank nach vermissten Kunst-
gegenständen forschen?

12. Wie bewertet die Bundesregierung den Sachverhalt, dass öffentliche Institu-
tionen in Deutschland den kriegsbedingten Verlust von zehntausenden in
der Datenbank lostart.de gemeldeten Kunstgegenständen beklagen, ande-
rerseits aber kaum eine von ihnen verrät, welche Werke aus ihren eigenen
Sammlungen eine ungeklärte Herkunft haben (DIE ZEIT, 10. Juli 2003)?

13. Auf Grundlage welcher Vereinbarungen kann oder muss die Koordinie-
rungsstelle auch Restitutionsansprüchen von Angehörigen früherer Wehr-
machtssoldaten nachgehen, wie 2003 geschehen (Süddeutsche Zeitung vom
14. Juli 2003), vor dem Hintergrund, dass sie als Anlaufstelle für die Opfer
konzipiert ist?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die praktische Umsetzung der „Was-
hingtoner Prinzipien“ von 1998, denen sich Deutschland angeschlossen hat
und die die Staaten verpflichten, Kunstwerke zu identifizieren, zu publizie-
ren und die Eigentümer festzustellen, in Deutschland?
In welchem Umfang stehen dafür Personal und Mittel von Seiten des Bun-
des zur Verfügung?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, dass Museen eine mög-
liche Rückgabeforderung von in ihrem Besitz befindlichen Kunstgegen-
ständen befürchten, zu deren Klärung sich die Bundesregierung mit Unter-
zeichnung der „Washingtoner Prinzipien“ aber verpflichtet hat?
WelcheModelle für Gegenleistungen anMuseen, die Kunstwerke aus ihrem
Besitz als Folge der „Washingtoner Prinzipien“ restituieren, bestehen?

16. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Provenienzforschung
zu?
Wie beurteilt sie die in den USA übliche Praxis, in Museen Provenienzfor-
scher zu beschäftigen?
Würde sie ein ähnliches Modell auch deutschen Museen empfehlen, wenn
nein, aus welchen Gründen?
Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung in dieser Sache
bei Einrichtungen in ihrem Zuständigkeitsbereich?
Hat sich die Zuständigkeit der Länder oder der Kommunen für die Museen
aus Sicht der Bundesregierung als nicht förderlich bei der Identifizierung
von Kunstwerken, die möglicherweise restituiert werden müssen, erwiesen,
und wenn ja, in welcher Weise?

Drucksache 15/4905 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
17. Wie bewertet die Bundesregierung den Sachverhalt, dass zahlreiche Staaten
Dokumentationszentren für Kulturgutverluste unterhalten, die auf nationa-
ler Ebene vor allem wissenschaftliche Arbeit leisten, das „Verursacherland“
Deutschland hingegen nicht?
Welche Gründe sprechen gegen die Einrichtung einer vergleichbaren Insti-
tution in Deutschland?

18. Welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung in ihrem Zustän-
digkeitsbereich, um dem von ihr mit unterzeichneten „Appell zur Suche
nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern in Deutschland“
vom 27. Januar 2005 Folge zu leisten, der dazu auffordert, bei der „Suche
nach NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern in den eigenen Be-
ständen nicht nachzulassen“?

19. Aufgrund welcher Erfahrungen mit der Koordinationsstelle, zu deren Auf-
gaben es doch gehört, in diesem Felde tätig zu sein, fühlte sich die Bundes-
regierung veranlasst, den „Appell“ vom 27. Januar 2005 mit zu unterzeich-
nen?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussicht auf weitere Befassungen
der Beratenden Kommission mit strittigen Fällen und deren Vermittlungser-
folge vor dem Hintergrund des Ergebnisses der bisher einzigen Befassung
der Kommission mit einem Fall einerseits und der Konstruktion, dass beide
Seiten einer Befassung der Kommission zustimmen müssen, andererseits?

21. Welchen Einfluss hat nach Ansicht der Bundesregierung die Arbeit der Ko-
ordinierungsstelle für Kulturgutverluste und der Beratenden Kommission
auf die Rückgabeverhandlungen der Bundesregierung v. a. mit Russland
und Polen?

Berlin, den 15. Februar 2005
Günter Nooke
Bernd Neumann (Bremen)
Renate Blank
Klaus Brähmig
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Norbert Lammert
Vera Lengsfeld
Dorothee Mantel
Melanie Oßwald
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Edeltraut Töpfer
Wolfgang Zeitlmann
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.