BT-Drucksache 15/4828

Gentechnikgesetz wettbewerbsfähig vervollständigen

Vom 15. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4828
15. Wahlperiode 15. 02. 2005

Antrag
der Abgeordneten Helmut Heiderich, Peter H. Carstensen (Nordstrand),
Marlene Mortler, Gerda Hasselfeldt, Katherina Reiche, Dr. Maria Böhmer,
Artur Auernhammer, Peter Bleser, Gitta Connemann, Ursula Heinen, Uda Carmen
Freia Heller, Dr. Peter Jahr, Volker Kauder, Julia Klöckner, Bernhard Schulte-
Drüggelte, Kurt Segner, Jochen Borchert, Cajus Julius Caesar, Hubert Deittert,
Thomas Dörflinger, Susanne Jaffke, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Dr. Klaus Rose,
Norbert Schindler, Georg Schirmbeck, Max Straubinger, Volkmar Uwe Vogel,
Dr. Maria Flachsbarth, Thomas Rachel, Dr. Christoph Bergner, Helge Braun,
Vera Dominke, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Michael Kretschmer, Werner
Lensing, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Laurenz Meyer (Hamm), Bernward
Müller (Gera), Uwe Schummer, Marion Seib und der Fraktion der CDU/CSU

Gentechnikgesetz wettbewerbsfähig vervollständigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Bundesregierung hat am 5. Mai 2004 einen Gesetzentwurf zur Umsetzung
der Europäischen Richtlinie 2001/18 vom 12. März 2001 zur Modernisierung
des Deutschen Gentechnikrechts in den Deutschen Bundestag eingebracht. Aus
rein politischen Gründen haben die Koalitionsfraktionen später diesen Gesetz-
entwurf aufgespalten, um eine gemeinsame Beschlussfassung mit dem Bundes-
rat zu verhindern.
Bei den Beratungen im Parlament und im Bundesrat hat sich gezeigt, dass die
vorgeschlagenen Regelungen eine große Zahl an Mängeln aufweisen. Deshalb
haben führende Vertreter der deutschen Wissenschaftsorganisationen, von
Deutscher Forschungsgemeinschaft über Max-Planck-Gesellschaft bis hin zur
Leibniz-Gemeinschaft und dem Wissenschaftsrat die vorgeschlagenen Rege-
lungen als schädlich für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wissenschaft
bezeichnet. In einem persönlichen Schreiben an alle Abgeordneten des Deut-
schen Bundestages hat der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss,
darauf hingewiesen.
Zitat: „Die im Rahmen der Novelle geplanten Anforderungen für den Anbau
gentechnisch veränderter Pflanzen bedeuten de facto das Ende von Forschung
und Entwicklung auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik in Deutschland. Ins-
besondere die vorgesehene gesamtschuldnerische, verschuldensunabhängige
Haftung sowie die Offenlegung der Anbauflächen im öffentlichen Standort-
register werden in der Praxis zu einem Ende von Freisetzungsversuchen zu wis-
senschaftlichen Zwecken führen.“

Drucksache 15/4828 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die betroffenen Verbände der Wirtschaft wie auch einzelner Unternehmen
haben festgestellt, dass das inzwischen beschlossene Gentechnikgesetz ein
„Innovationskiller“ sei.
Des Weiteren bedürfen die ausgeschlossenen Teile des Gesetzentwurfs dringend
der Einarbeitung in das deutsche Gentechnikrecht. Denn die Umsetzungsfrist
der Europäischen Richtlinie 2001/18 ist bereits am 17. Oktober 2002 abgelau-
fen. Die Europäische Kommission hatte daraufhin, wie für das Vertragsver-
letzungsverfahren gemäß Artikel 226 EGV vorgesehen, Deutschland aufgefor-
dert, die entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen zu verabschieden. Nachdem
durch Deutschland kein konkreter Entwurf vorgelegt wurde – Deutschland
unterbreitete lediglich einen Vorschlag zum Zeitplan für die Umsetzung der
Richtlinie – übermittelte die Europäische Kommission im März 2003 die
zweite schriftliche Warnung. Nachdem daraufhin durch Deutschland wiederum
keine Umsetzungsmaßnahmen zu verzeichnen waren, beschloss die Europä-
ische Kommission am 15. Juli 2003 den Europäischen Gerichtshof anzurufen
und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten.
Die EU-Kommission hat die Bundesregierung im Juli und September 2004 in
zwei „blauen Briefen“ darauf hingewiesen, dass die Umsetzung der Europä-
ischen Richtlinie 2001/18 in das deutsche Gentechnikgesetz nicht die Vorgaben
erfülle und hat die Bundesregierung aufgefordert, die strittigen Punkte zu
ändern, um ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren auszuschließen.
Nicht zuletzt durch diese sachlichen Kritikpunkte war Bundesministerin für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, gezwungen,
im Bundesrat eine Sechs-Punkte-Erklärung zu den Mängeln des Gesetzes vor-
zulegen, um die Zustimmung aller SPD-geführten Bundesländer zu erreichen.
In dieser Mängelliste führt die Bundesministerin die wesentlichen Kritikpunkte
ihres Gesetzes auf und sichert entsprechende Abhilfe – ohne allerdings das Ge-
setz selbst zu verändern – zu. Dieser Zusicherung sind jedoch bis heute keine
erkennbaren Aktivitäten gefolgt. Maßnahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene
wären weitgehend wirkungslos. Das Gesetz bedarf dringend der Nachbesse-
rung.
Die Fraktion der CDU/CSU hat schon am 15. Mai 2002 einen Entschließungs-
antrag zur dritten Beratung des Gesetzentwurfs einer zweiten Änderung des
Gentechnikgesetzes (Bundestagsdrucksache 14/9114) eingebracht. Schon da-
mals zeigten die Erkenntnisse aller Wissenschaftler wie auch entsprechende
Gutachten, dass die zunächst sehr strikten Regelungen für gentechnische Arbei-
ten erleichtert werden können. Insbesondere gilt dies zur Entbürokratisierung
der Anmelde- und Genehmigungsverfahren. Die Koalitionsfraktionen haben
damals jedoch alle Vorschläge der Fraktion der CDU/CSU abgelehnt, welche
Verfahrensvereinfachungen und Verfahrensbeschleunigungen gewährleisten
sollten.
Inzwischen hat die Bundesregierung jedoch ihre Position verändert und die
noch 2002 abgelehnten Vorschläge von der Fraktion der CDU/CSU in ihren
Gesetzesentwurf teilweise aufgenommen. Seitdem ist aber erneut Stillstand in
der Umsetzung eingetreten, so dass die Wettbewerbsfähigkeit der biotechno-
logischen Forschung in Deutschland weiter behindert wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l die von der Bundesministerin Renate Künast im Zusammenhang mit der im

Bundesrat am 5. November 2004 vorgelegte Sechs-Punkte-Mängelliste zum
„Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechtes“ eingegangenen Verpflich-
tungen noch vor der anstehenden Novellierung des Gentechnikgesetzes zu
erfüllen bzw. in die Neufassung des Gesetzes einzuarbeiten. Insbesondere
gilt dies für folgende Aktivitäten:

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4828

– Die Bundesregierung klärt verbindlich mit der EU-Kommission – wie
von der zuständigen Bundesministerin Renate Künast noch vor Inkraft-
treten des Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts zugesagt – dass
die Abgabe von Erzeugnissen an Dritte, deren zufälliger oder technisch
nicht zu vermeidender Gehalt an gentechnisch veränderten Organismen
auf eine genehmigte Freisetzung zurückzuführen ist, nicht als Inverkehr-
bringen im Sinne der Freisetzungsrichtlinie zu qualifizieren ist.

– Die Bundesregierung erklärt, dass bei aus Bundesmitteln geförderten
Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen angemessene Maß-
nahmen als zuwendungsfähig anerkannt werden, mit denen Nutzungsbe-
einträchtigungen im Sinne des § 36a Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes verhindert
oder ausgeglichen werden. Die Bundesregierung erklärt weiterhin gegen-
über Länderregierungen und privaten Forschungsgeldgebern, dass sie bei
den von ihnen geförderten Freisetzungen in vergleichbarer Weise verfah-
ren wird. Die notwendigen Finanzmittel werden im Haushalt des Bundes-
ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft etati-
siert.

– Die Bundesregierung wird die im Rahmen genehmigter Freisetzungen
von den Betreibern vorgelegten Monitoringberichte durch die zuständi-
gen Bundesoberbehörden auswerten. Über die Ergebnisse der Auswer-
tung wird das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft erstmals Mitte des Jahres 2005 berichten.

– Die Bundesregierung hat festgestellt, dass zur Abdeckung von Aus-
gleichsansprüchen, die trotz Einhaltung der Vorsorgepflicht nach § 16b
des Gentechnikgesetzes entstehen, sowohl ein nicht-steuerfinanzierter
Ausgleichsfonds als auch eine Versicherungslösung geeignete Maß-
nahme sowohl für kommerziellen Anbau als auch für Freisetzungen dar-
stellen. Die Bundesregierung wird mit den Wirtschaftsbeteiligten Ver-
handlungen mit dem Ziel führen, auf freiwilliger Basis einen
Ausgleichsfonds einzurichten. Die Finanzierung des Ausgleichsfonds
sollte neben einer Anschubfinanzierung durch die Bundesregierung die-
jenigen Wirtschaftsbeteiligten einbeziehen, die einen Nutzen aus dem
Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen haben. Unabhängig von
den Bemühungen zur Einrichtung eines Fonds wird die Bundesregierung
erneut das Gespräch mit der Versicherungswirtschaft suchen, um zu einer
adäquaten Versicherungslösung zu gelangen.

– Die Bundesregierung wird spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten des
Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts einen Bericht über die
Wirkung des Gesetzes, insbesondere von § 36a GenTG, vorlegen, auf
dessen Grundlage ggf. über die Novellierung des Gesetzes zu entscheiden
ist. Die Bundesregierung wird die Bundesländer an der Erstellung des
Berichts beteiligen.

– Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, dass die Ergebnisse aus
dem Erprobungsanbau, der in einigen Bundesländern bislang erfolgt ist,
wie auch die Ergebnisse und Erfahrungen aus anderen Versuchen, bei der
Ausgestaltung der Rechtsverordnungen berücksichtigt werden, die auf
der Grundlage des Gesetzes zur Neuordnung des Gentechnikrechts mit
Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden. Ein geeigneter Erpro-
bungsanbau mit zum Inverkehrbringen zugelassenen gentechnisch ver-
änderten Pflanzen wird von der Bundesregierung ab 2005 gemeinsam mit
den beteiligten Bundesländern organisiert und durchgeführt sowie von
den Bundeseinrichtungen wissenschaftlich begleitet;

l die Vorlage der Fraktion der CDU/CSU vom 15. Mai 2002 zu der dritten Be-
ratung des Gesetzentwurfs einer zweiten Änderung des Gentechnikgesetzes

Drucksache 15/4828 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

(Bundestagsdrucksache 14/9114) unverzüglich in das deutsche Gentechnik-
recht einzufügen.
Insbesondere:
– In der Sicherheitsstufe 1 (kein Risiko) für gentechnische Anlagen und

erstmalige gentechnische Arbeiten sowie bei wesentlichen Änderungen
in dieser Sicherheitsstufe das Anzeigeverfahren einzuführen,

– die Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 2 so zu gestalten, dass für die ausge-
nommenen Mikroorganismen auch auf die Aufzeichnungspflicht und
spezielle Haftungsregelungen verzichtet wird,

– eine Ausweitung der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 von Mikroorga-
nismen auf Pflanzen und Tiere sicherzustellen, sofern diese die Kriterien
gemäß Anhang II B (98/81/EG) erfüllen,

– zu prüfen, ob die Führung von Laborbüchern bei weiteren gentech-
nischen Arbeiten in der Sicherheitsstufe 1 zur Erfüllung der Aufzeich-
nungspflicht genügen, da die zusätzlich geforderten Aufzeichnungen
einen in der Sicherheitsstufe unnötigen Aufwand verursachen,

– durch die Festlegung einer amtlichen Methodensammlung zur Entnahme
und Untersuchung von GVO-Proben für eine bundesweit einheitliche
Vorgehensweise bei der experimentellen Überwachung zu sorgen. Um den
Laboren nicht unnötige Arbeit und Kosten aufzuerlegen, wird für einen
Wegfall der Beschreibung der verfügbaren Techniken zur Erfassung,
Identifizierung und Überwachung der in S1 eingestuften GVO plädiert,

– die im Rahmen der Allgemeinen Betriebshaftpflicht seit Jahren bewährte
Deckungsvorsorge nicht durch Spezialregelungen des Gentechnikrechts
zu verschärfen;

l die bisherigen Forschungsarbeiten im Bereich der Grünen Gentechnik, ins-
besondere zur Koexistenz, weiter auszudehnen und nicht Schritt für Schritt
einzuschränken bzw. einzustellen;

l die enormen Kürzungen beim Pflanzenforschungsprojekt GABI (Genom-
analyse im Biologischen System Pflanze) zurückzunehmen, da Deutschland
ansonsten im internationalen Vergleich weiter dramatisch zurückfällt;

l das besonders erfolgreiche Forschungsprojekt an der Rapspflanze NAPUS
2000 in mindestens gleicher Höhe mit neuen Projekten fortzusetzen und
nicht, wie von der Bundesregierung vorgesehen, einzustellen;

l die von Bundesministerin Renate Künast persönlich verfügten Einschrän-
kungen der Forschungen in den Ressortforschungseinrichtungen des Bundes
sofort zurückzunehmen, da sich im internationalen Vergleich gezeigt hat,
dass diese Projekte wie z. B. die Resistenzforschung an Obstbäumen in
Dresden/Pillnitz und Quedlinburg international zur Spitzenforschung im Be-
reich der Pflanzengenomik gehören;

l die Forschungsanträge für die 2. und 3. Generation der genetischen Modifi-
zierung von Pflanzen zu unterstützen und insbesondere dafür zu sorgen, dass
im 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union entsprechende
Anträge von öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen aus
Deutschland aufgenommen werden;

l einen wissenschaftlich fundierten Dialog mit der Bevölkerung auszuarbeiten
und gemeinsam mit den Bundesländern durchzuführen. Insbesondere sind
dabei die wissenschaftlichen, ökonomischen und weltweiten Entwicklungen
sachlich darzustellen und den gezielten Verängstigungskampagnen be-
stimmter Interessengruppen entgegenzuhalten. Das Anrecht der Bevölke-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4828

rung auf eine sachliche Aufklärung zu allen Fragen der Gentechnik ist Kon-
sequenz des Gentechnikgesetzes und Aufgabe der Bundesregierung;

l die bisherigen Versuchsanbauten einiger Bundesländer mit gentechnisch
verbesserten Pflanzen in Absprache mit den Ländern auf die gesamte Bun-
desebene auszudehnen sowie mit Hilfe der Ressortforschungseinrichtungen
zu koordinieren, umzusetzen und auszuwerten. Nur auf diese Weise ist es
auch möglich, die übertragene Aufgabe des Monitoring von GVO-Pflanzen,
welches ja einen großflächigen Praxis-Anbau voraussetzt, in Deutschland
durchzuführen.

Berlin, den 15. Februar 2005
Helmut Heiderich
Peter H. Carstensen (Nordstrand)
Marlene Mortler
Gerda Hasselfeldt
Katherina Reiche
Dr. Maria Böhmer
Artur Auernhammer
Peter Bleser
Gitta Connemann
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Dr. Peter Jahr
Volker Kauder
Julia Klöckner
Bernhard Schulte-Drüggelte
Kurt Segner
Jochen Borchert
Cajus Julius Caesar
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Susanne Jaffke
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Max Straubinger
Volkmar Uwe Vogel
Dr. Maria Flachsbarth
Thomas Rachel
Dr. Christoph Bergner
Helge Braun
Vera Dominke
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Michael Kretschmer
Werner Lensing
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Laurenz Meyer (Hamm)
Bernward Müller (Gera)
Uwe Schummer
Marion Seib
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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