BT-Drucksache 15/472

Die Europäische Spallations-Neutronenquelle in Deutschland fördern

Vom 19. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/472
15. Wahlperiode 19. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg),
Birgit Homburger, Horst Friedrich (Bayreuth), Ernst Burgbacher, Helga Daub,
Dr. Christian Eberl, Otto Fricke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel
Happach-Kasan, Dr. Werner Hoyer, Sibylle Laurischk, Dirk Niebel, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Hermann
Otto Solms, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Die Europäische Spallations-Neutronenquelle in Deutschland fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Europäische Union hat sich auf der Ratstagung am 24. März 2000 das Ziel
gesetzt, bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten
wissensbasierten Wirtschaftsraum der Erde zu werden. Dazu sollen jährlich
3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschungszwecke verwendet wer-
den. Ob die EU das Ziel erreicht, hängt wesentlich von Deutschland ab.
Deutschland steht hier nicht nur in großer Verantwortung für sich selbst, son-
dern für ganz Europa. Ohne die größte Volkswirtschaft innerhalb der EU als
Motor wird Europa das Ziel verfehlen. Für Deutschland bedeutet das, im Wett-
bewerb um Innovationen, Investitionen, Wachstum und Beschäftigung wieder
zu einer der führenden Nationen zu werden. Im Vorfeld hat bereits 1998 das
Megascience Forum der OECD den Bau von Spallations-Neutronenquellen im
Megawatt-Bereich in den drei Weltregionen Asien, Nordamerika und Europa
empfohlen.
Dieser Empfehlung wurde von einem OECD-Ministertreffen, an dem auch
Deutschland teilgenommen hat, im Jahr 1999 zugestimmt.
Japan und die USA haben die Empfehlung aufgegriffen und bereits mit dem
Bau derartiger Neutronenquellen begonnen. Diese beruhen weitgehend auf den
in Europa entwickelten Konzepten. Beide Länder haben erkannt, dass die Me-
thode der Neutronenstreuung eines der wichtigsten Verfahren zur Erforschung
der atomaren und molekularen Details aller Materialien und Stoffe einschließ-
lich der lebenden Materie ist.
Neutronen liefern uns einzigartige Informationen darüber, wo Atome sind und
wie sie sich bewegen.
Im November 2002 hatte der Wissenschaftsrat dem Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) für die Europäische Spallations-Neutronen-
quelle (ESS) vorerst keine Förderempfehlung ausgesprochen.

Drucksache 15/472 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die vorläufige Entscheidung der Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn, die ESS vorerst nicht zu fördern, wurde verfrüht getroffen
und ist wissenschaftspolitisch falsch.
Bereits im Dezember 2002 haben sich die Vertreter der Bewerbungsländer und
der mit ihnen zusammenarbeitenden Forschungseinrichtungen sowie des Wis-
senschaftsrates auf ein Verfahren geeinigt, das zum Ziel hat, einen gemein-
samen Antrag der drei Bewerbungsländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Nord-
rhein-Westfalen zur erneuten Begutachtung der ESS beim Wissenschaftsrat
vorzulegen. Die anschließende Begutachtung soll in einem zeitlich getrennten
zweistufigen Verfahren erfolgen. In der ersten Stufe der wissenschaftliche An-
satz und die technische Umsetzung. Hierzu wird ein zusammenhängender Neu-
antrag gestellt werden. In einer zweiten Stufe soll die Finanzierung und die
Standortfrage begutachtet werden.
Der Wissenschaftsrat hat den Bewerberländern und den Forschungsinstituten
bereits einen entsprechenden Fragekatalog für den gemeinsamen Antrag über-
geben. Nach Einschätzung des Wissenschaftsrates könnte ein derartiges Verfah-
ren Ende des Jahres 2003 abgeschlossen sein.
Sowohl die Länder Nordrhein-Westfalen als auch Sachsen und Sachsen-Anhalt
halten an der Bewerbung um die ESS fest.
Die Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN betonen den Willen der Koalitionäre, in den neuen Bundesländern
ein Großforschungsgerät anzusiedeln. Die ESS wäre eine entsprechende Ein-
richtung. Da es sich hierbei um ein europäisches Projekt und gleichzeitig um die
weltweit leistungsfähigste Neutronenquelle handelt, werden Wissenschaftler
aus aller Welt die Anlage nutzen. Der ESS-Council rechnet mit 4 000 interna-
tionalen Gastwissenschaftlern pro Jahr, die entweder für wenige Tage und
Wochen, aber auch oft für einen längeren Zeitraum Messzeiten an der ESS im
wissenschaftlichen Wettbewerb erhalten. Die ESS kann ab dem Jahr 2012 ihren
Betrieb aufnehmen und ist für eine Mindestlaufzeit von 40 Jahren ausgerüstet.
Die in dieser Zeit anfallenden Betriebskosten in Höhe von 150 Mio. Euro pro
Jahr, werden etwa zu 3/4 in der Region wirksam. Für die Energie, Wasserversor-gung, Verkehrsmittel, den Wohnungsmarkt, Freizeit- und Kultureinrichtungen.
Nicht zuletzt profitieren auch die kommunalen Haushalte von einem erhöhten
Steueraufkommen. Die Entscheidung für eine ESS ist eine der wichtigsten Wei-
chenstellungen für die Entwicklung der Forschung in den ersten 50 Jahren des
21. Jahrhunderts.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l die Grundlagen dafür zu schaffen, dass Deutschland – als die größte Volks-

wirtschaft innerhalb der EU – wieder zum Motor einer gesamteuropäischen
Entwicklung wird und damit auch die Bedingungen für die Forschung in der
Wirtschaft und in der öffentlich geförderten Forschung dahin gehend
gestaltet, dass die Forschungs- und Entwicklungsausgaben Deutschlands in
dennächsten10 Jahrenkontinuierlich aufmindestens3,0 %desBIPwachsen,

l ohne vorherige Beratung mit dem Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages künftig keine Ent-
scheidungen über den Bau und Betrieb von neuen Großforschungsgeräten zu
treffen,

l nicht zuzulassen, dass Europa seine Vorreiterrolle gegenüber Japan und den
USA verspielt,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/472

l der Bewerbung Sachsens, Sachsen-Anhalts und Nordrhein-Westfalens um
die ESS mit einem Investitionsvolumen von 1,5 Mrd. Euro über 10 Jahre
hinweg offen gegenüberzustehen,

l zu bedenken, dass die bisher von der Bundesministerin für Bildung und
Forschung genehmigten vier Großforschungsgeräte in einem Umfang von
965 Mio. Euro ungleich auf die neuen (25 Mio. Euro) und alten Bundes-
länder (940 Mio. Euro) verteilt sind, was vor allem der Koalitionsaussage
der Bundesregierung zum Aufbau Ost und zur Implementierung eines Groß-
forschungsgerätes in den neuen Bundesländern widerspricht.

Berlin, den 18. Februar 2003
Cornelia Pieper
Ulrike Flach
Christoph Hartmann (Homburg)
Birgit Homburger
Horst Friedrich (Bayreuth)
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Otto Fricke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Werner Hoyer
Sibylle Laurischk
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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