BT-Drucksache 15/465

Vorrang für die Ostseesicherheit

Vom 18. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/465
15. Wahlperiode 18. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, Ulrich Adam, Dietrich Austermann, Otto Bernhardt, Renate Blank,
Antje Blumenthal, Klaus Brähmig, Georg Brunnhuber, Manfred Carsten (Emstek),
Peter H. Carstensen (Nordstrand), Gitta Connemann, Hubert Deittert, Vera
Dominke, Anke Eymer (Lübeck), Dr. Hans Georg Faust, Enak Ferlemann, Hartwig
Fischer (Göttingen), Dr. Maria Flachsbarth, Jochen-Konrad Fromme, Dr. Michael
Fuchs, Peter Götz, Kurt-Dieter Grill, Reinhard Grindel, Michael Grosse-Brömer,
Klaus-Jürgen Hedrich, Siegfried Helias, Klaus Hofbauer, Susanne Jaffke, Eckhart
von Klaeden, Jürgen Klimke, Norbert Königshofen, Thomas Kossendey,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Werner Kuhn (Zingst), Walter Link
(Diepholz), Eduard Lintner, Klaus Minkel, Bernd Neumann (Bremen), Rita
Pawelski, Dr. Peter Paziorek, Dr. Friedbert Pflüger, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr,
Volker Rühe, Georg Schirmbeck, Dr. Ole Schröder, Gero Storjohann, Volkmar Uwe
Vogel, Angelika Volquartz, Gerhard Wächter und der Fraktion der CDU/CSU

Vorrang für die Ostseesicherheit

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Ostsee mit ihrem Problembereich Kadetrinne gehört mit jährlich 60 000
Schiffsbewegungen zu den verkehrsreichsten Gebieten der Erde. Bedingt durch
ihre schmale Verbindung zum Atlantik trägt sie alle Kennzeichen eines Binnen-
sees. Ein Tankerunglück von den folgenreichen Ausmaßen der „Prestige“ vor
der spanischen Küste hätte in der Ostsee weitaus verheerendere ökologische,
aber auch ökonomische Auswirkungen.
Der Ostsee-Schiffsverkehr nimmt Jahr um Jahr zu. Diese Feststellung gilt be-
sonders für Tanker, die Schweröl aus Russland weltweit exportieren. Seit 1995
haben sich die Öltransporte verdoppelt. Im letzten Jahr nahm Russland den
neuen Ölhafen Primorsk in der Nähe von St. Petersburg mit direkter Pipelines-
Anbindung nach Sibirien in Betrieb. Voll ausgebaut, sollen hier 30 Mio. Ton-
nen Öl jährlich verladen werden. Ein weiterer Ölhafen ist in Vysotsk mit einer
Kapazität von 10 Mio. Tonnen geplant. Das bedeutet fast eine weitere Verdopp-
lung gegenüber den gegenwärtigen Kapazitäten.
Bedingt durch die Entscheidung der US-Regierung, keine Einhüllentanker
mehr in ihre Häfen zu lassen, steigt die Anzahl dieser Risikoschiffe im euro-
päischen Transportsystem. So passiert durchschnittlich einmal am Tag ein Öl-
frachter von der „Güteklasse“ der 26 Jahre alten gesunkenen „Prestige“ die
risikoreiche Kadetrinne. Unabhängig vom Alter lässt sich feststellen, dass im-
mer größere Tanker im Ölgeschäft eingesetzt werden, ohne dass sie alle mit

Drucksache 15/465 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

einer Doppelhülle ausgestattet sind. Damit steigt die Gefahr einer nicht mehr
beherrschbaren Umweltkatastrophe.
Der Ostsee fehlt ein verbindliches Seesicherheitskonzept. Es gibt zwar von den
Ostseeanrainern anerkennenswerte Bemühungen partiell zu mehr Risikominde-
rung von Tankerunfällen zu kommen, aber es fehlt an international verbind-
lichen Festlegungen, ob es sich um die Lotsenannahmepflicht, eine vollständige
Radarüberwachung oder der Ausweisung von Notliegeplätzen an der Küste
handelt. In seinen Informationen an die Küstenländer vom 17. Januar 2003 be-
zeichnet der Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen seine
Sicherheitsankündigungen deshalb wohlweislich auch nur als „Aktivitäten“.
Entsprechend fehlen ein verbindlicher Zeitplan sowie nationale bzw. internatio-
nale Konkretisierungen. Aktionismus, der falsche Erwartungen weckt, eine
Scheinsicherheit suggeriert, schadet jedoch dem Anliegen, zu mehr Seesicher-
heit zu kommen.
Vom Unglück der „Pallas“ vor Amrum hat es über 4 Jahre bis zur Schaffung des
Havarie-Kommandos in Cuxhaven gedauert. Solch unvertretbar lange Umset-
zungszeiträume können und dürfen wir uns nicht in Bereichen leisten, wo
höchstmöglicher Schutz für Mensch und Meer sichergestellt werden muss.
Auch für den Ostsee-Schiffsverkehr ist nach Aussage informierter Gremien ein
Anschlag von Terroristen nicht auszuschließen. Einer besonderen Bedrohung
unterliegt dabei der Transport von giftigem Schweröl in Großtankern. Um hier
Vorsorge zu treffen, ist ein zügiges, abgestimmtes Handeln der Ostseeanrainer,
wie der EU-Kommission erforderlich.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. gemeinsam mit den Ostseeanrainern und der EU-Kommission unverzüglich

Verhandlungen über ein Ostseesicherheitskonzept unter der Prämisse, dass
es sich um ein Sondergebiet handelt, aufzunehmen,

2. gemeinsam mit den Ostseenachbarn und der EU eine Strategie zu entwickeln
und umzusetzen, um eine Lotsenannahme- und Meldepflicht für Schiffe im
besonders gefährdeten Bereich der Kadetrinne durchzusetzen,

3. eine flächendeckende Radarüberwachung des Schiffsverkehrs für die Ostsee
zu schaffen,

4. das neu gegründete „Havariekommando“ gemeinsam mit der Bundesmarine
zu einer nationalen Küstenwache als Vorstufe für eine europäische Küs-
tenwache auszubauen, um gegen terroristische Angriffe gewappnet zu sein,

5. sich in der EU für die Weiterentwicklung der geplanten europäischen See-
agentur in eine europäische Küstenwache einzusetzen und diese an einem
für den Notfall strategisch günstigen Punkt zwischen Nord- und Ostsee an-
zusiedeln,

6. gemeinsam mit der EU in der International Maritime Organization (IMO)
auf ein vorgezogenes internationales Verbot von Einhüllentankern von 2015
auf spätestens 2010 hinzuwirken und ein sofortiges Verbot von besonders
gefährlichen Einhüllentankern durchzusetzen,

7. im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen, insbesondere mit den überaus
liberalen Flaggenstaaten Zypern und Malta, keine Übergangsfristen für die
Umsetzung von EU-Recht im Bereich der Seesicherheit zuzulassen,

8. mit den Ostseeanrainern eine Liste der angekündigten Notliegeplätze noch
in diesem Jahr vorzulegen,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/465

9. ein langfristiges und für die Beteiligten Planungssicherheit garantierendes
Notschleppkonzept vorzulegen,

10. dafür zu sorgen, dass nur noch Doppelhüllentanker den Öltransport durch
die Ostsee leisten.

Berlin, den 23. Januar 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

Begründung
Das Tankerunglück im Atlantik vor Spanien hätte wenige Tage vorher auch in
der Ostsee geschehen können. Die Folgen für Mensch und Meer wären noch
verheerender als sie es jetzt bereits sind.
Die „Prestige“ transportierte Öl aus Russland. Ihr Abfahrthafen war in Lett-
land. Das 26 Jahre alte „Schrottboot“ ohne Doppelwand hat mit seiner gefähr-
lichen Fracht Fehmarn und Langeland passiert. Es hat keine Lotsenpflicht,
keine Radarüberwachung gegeben, weil Russland und andere IMO-Ostsee-
anrainer solche Auflagen nicht akzeptieren. Ein Zufall hat das Unglück vor
Galizien und nicht an der deutschen Ostseeküste geschehen lassen.
Trotz Verkehrstrennungsgebieten und anderen Sicherheitsbestimmungen halten
Fachleute die Ostsee mit ihrer hohen Anzahl an Schiffsbewegungen für extrem
gefährdet. Die Wirkung eines Öltankerunfalls wird nicht nur von ihnen, son-
dern von der Bundesregierung wie von den Ostseenachbarn als unübersehbar
eingestuft. Die Ostsee ist ein Risikomeer besonderer Art. Deshalb sind alle Ver-
antwortlichen unter dem Eindruck der letzten Tankerunglücke aufgerufen,
einen eigenen Maßstab zum Schutze dieser Meeresumwelt der Bootsbesatzun-
gen, der Boote und der Küste anzulegen.
Die Schaffung einer nationalen Küstenwache mit allen Kompetenzen aus einer
Hand und unter Einschluss der Bundesmarine als Vorstufe für eine europäische
Küstenwache, ist eine dringende Aufgabe. Diese Herausforderung muss in ein
neues Seesicherheitskonzept für die Ostsee eingebunden werden. Das neuge-
gründete Havariekommando kann diese Aufgabe allein nicht lösen. Es ist noch
keine schlagkräftige Truppe aus einem Guss. Im Ernstfall muss sie auf Amts-
hilfe und Organleihe bei anderen Behörden zurückgreifen. Eine Küstenwache
muss auch in der Lage sein, terroristische Angriffe abzuwehren. Deshalb ist die
Einbindung der Bundesmarine Voraussetzung für ein erfolgreiches Vorgehen.
Ein weiteres Ziel des Sicherheitskonzeptes muss es sein, nur noch Doppelhül-
lentanker die Ostsee passieren zu lassen. Noch sind über 40 Prozent aller welt-
weit fahrenden Tanker über 20 Jahre alt, nur 2 200 von über 3 700 Tankern ins-
gesamt verfügen über eine Doppelhülle. Ein Vorziehen der Verbotsfrist für Ein-
hüllentanker, die nach dem Willen der Bundesregierung und der IMO in Lon-
don erst 2015 beginnen soll, ist ein Gebot der Stunde.
Experten sind der Auffassung, es ist nur eine Frage der Zeit, wann eine der
schwimmenden „Tankerzeitbomben“ wie die „Prestige“ in der Ostsee zu Scha-
den kommt und eine Ölkatastrophe verursacht. Allein 8 200 Tanker passieren
jährlich die enge Kadetrinne und 14 600 Fähren. In den vergangenen 10 Jahren
ist es in diesem Nadelöhr nach Aussage von Greenpeace zu 22 Unfällen gekom-
men. Über 1 000 Tankerunfälle gab es in den vergangenen 12 Jahren weltweit.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.