BT-Drucksache 15/4587

zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg), Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -15/3356- Bildungsarmut in Deutschland feststellen und bekämpfen

Vom 21. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4587
15. Wahlperiode 21. 12. 2004

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
(17. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Christoph Hartmann (Homburg),
Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 15/3356 –

Bildungsarmut in Deutschland feststellen und bekämpfen

A. Problem
Die Antragsteller gehen davon aus, dass noch immer zu viele junge Menschen
die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Dies gelte besonders für Jugend-
liche aus Haushalten mit Migrationshintergrund. Unter den Jugendlichen aus
Zuwandererfamilien zeige sich eine zunehmende Zahl von Ausbildungslosen.
Sie stellen seit den 80er Jahren mit einem Anteil von ca. 40 Prozent die wesent-
liche Teilpopulation von Jugendlichen ohne Berufsausbildung. Im OECD-Ver-
gleich ist der Anteil der deutschen Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 19
Jahren, die weder beschäftigt sind noch sich in Ausbildung befinden, relativ
hoch. Fünf Prozent der männlichen und fünf Prozent der weiblichen Jugend-
lichen fallen in diese Kategorie. Damit liegt Deutschland hinter Frankreich, den
Niederlanden, Irland oder Norwegen. Die Bundesregierung habe bisher kein
schlüssiges Konzept vorgelegt, wie die dramatische Situation verbessert wer-
den könne.

B. Lösung
AblehnungdesAntragsmitdenStimmenderFraktionenSPDundBÜNDNIS
90/DIEGRÜNENgegendieStimmenderFraktionenderCDU/CSUundFDP

C. Alternativen
Annahme des Antrags.

D. Kosten
Wurden nicht erörtert.

Drucksache 15/4587 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag – Drucksache 15/3356 – abzulehnen.

Berlin, den 15. Dezember 2004

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ulrike Flach
Vorsitzende/Berichterstatterin

Gesine Multhaupt
Berichterstatterin

Werner Lensing
Berichterstatter

Grietje Bettin
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4587

Bericht der Abgeordneten Gesine Multhaupt, Werner Lensing, Grietje Bettin,
Ulrike Flach

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
15/3356 in seiner 138. Sitzung am 11. November 2004 be-
ratenen und an den Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung zur federführenden Beratung so-
wie an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend und den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Si-
cherung zur Mitberatung überwiesen.
II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Vor dem im Einzelnen geschilderten Hintergrund der gene-
rell schlechten schulischen Ausbildungssituation insbeson-
dere von Jugendlichen aus Zuwandererfamilien und der
Feststellung, dass angesichts zunehmender Veränderungen
am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt junge Erwachsene ohne
Schulabschluss von gesellschaftlichen Deklassierungs- und
Ausgrenzungsprozessen betroffen seien, wird von den An-
tragstellern kritisiert, dass im Armutsbericht der Bundes-
regierung der Zusammenhang von Bildungslosigkeit und
sozialer Lage keine Rolle spielte.
Die Bundesregierung wird durch den Antrag aufgefordert,
verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung der Probleme
zu ergreifen. Diese Maßnahmen beinhalten: Eine Verstär-
kung der Bildungsforschung; eine Berücksichtigung der
Kriterien der Bildungsarmut und des Bildungsreichtums im
Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht; den Einsatz von
Mitteln der Integrationsförderung vor der Einschulung;
die Einführung Theorie geminderter Berufsbilder sowie die
Modularisierung der Berufsausbildung.
III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend hat mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP empfohlen, den Antrag ab-
zulehnen.
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
hat auf die Abgabe eines Votums verzichtet.
IV. Beratungsverlauf und -ergebnisse im federführen-

den Ausschuss
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung hat die Vorlage in seiner Sitzung am 15. De-
zember 2004 beraten und empfiehlt die Ablehnung des
Antrags – Drucksache 15/3356 – mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP.
Von Seiten der Fraktion der FDP wird darauf hingewiesen,
dass eine komplizierter und komplexer werdende Arbeits-
welt immer höhere Bildungsabschlüsse erforderte. Wer
heute, wie etwa 10 Prozent der Schulabgänger, keinen
Schulabschluss schaffe, habe in der Arbeitswelt praktisch
keine Chance. Besonders Jugendliche mit Migrationshinter-
grund seien hiervon betroffen. Die Bindung an eine Gesell-

schaft entstehe vor anderem dadurch, dass man die Verfas-
sung lesen und verstehen könne. Deutschkenntnisse seien
die Voraussetzung für Integration und hier fehle es an Mit-
teln für Sprachkurse. Weil solide Daten und Erkenntnisse
über Ursachen, Wirkungen und Handlungsmöglichkeiten
gegen Bildungsarmut fehlten, müssten die Bildungsfor-
schung verstärkt und in den Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung auch die Bildungsarmut aufgenommen
werden. Bildungsarmut und ökonomische Armut gingen
Hand in Hand. Das neue Berufsbildungsgesetz gebe die
Chance, noch die Forderung nach Einführung Theorie ge-
minderter Berufsbilder zu berücksichtigen. Dies würde ge-
rade Jugendlichen ohne formale Berufsabschlüsse die Mög-
lichkeit eröffnen, einen Beruf zu erlernen.
Von Seiten der Fraktion der SPD wird auch der Zusam-
menhang zwischen Bildungsarmut und Bildungspolitik in
Deutschland hergestellt. Deshalb unterstütze sie grundsätz-
lich das Anliegen der FDP und die Forderung, Bildungsar-
mut in Deutschland zu bekämpfen. Es sei wichtig, das die-
ses Thema aufgegriffen werde, damit nicht nur allgemein
über Bildungsarmut, sondern auch anhand von Definitionen
und Kriterien, wie in dem FDP-Antrag vorgeschlagen, dis-
kutiert werde. Aus Sicht der SPD sei kritisch auf den Zu-
sammenhang von Chancengleichheit in der Bildungspolitik
und auf die Tatsache, dass das Bildungssystem nicht gleich-
mäßig Chancen für alle Menschen ermöglichte, hinzuwei-
sen. Dieser zentrale und wichtige sozialpädagogische oder
sozialpolitische Zusammenhang sollte aufgegriffen werden.
Zu den theoriegeminderten Berufsbereichen sei auf die
OECD-Studie zu verweisen, in der gerade das Gegenteil ge-
fordert werde, nämlich eine umfassendere Berufsausbildung
für junge Menschen und nicht nur eine Orientierung an der
gegenwärtigen Arbeitsmarktlage, sondern auch eine Orien-
tierung an einer umfassenden beruflichen Qualifikation.
Jungen Menschen dürfe nicht nur kurzfristig ein Zugang
zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden, sondern es müsse
auch der Anspruch auf umfassende berufliche Qualifizie-
rung aufrechterhalten werden. Diese Anmerkungen zu den
Forderungen des Antrags seien wichtig. Nicht unterstützt
werden könne die Aussage des Antrags, dass die Bundes-
regierung kein umfassendes Programm vorgelegt habe. Zu
erwähnen seien das Ganztagsschulprogramm, die Reform
des Berufsbildungsgesetzes (BerBiRefG), aber auch die
vielen Maßnahmen im „Hartz-Bereich“. Mit dem Anspruch,
auch junge Leute unter 25 Jahren viel stärker in den Arbeits-
markt zu integrieren und Chancengleichheiten zu ermög-
lichen, werde dem Vorwurf aus dem Antrag entgegen
gewirkt. Es sei wichtig, dies zum Thema einer Zusammen-
arbeit von Bund und Ländern zu machen und darüber hin-
aus auch die Wirtschaft aufzufordern mitzuhelfen. Es gehe
nicht um politische Schuldzuweisungen, sondern darum, die
Anstrengungen der Bundesregierung, aber auch erfolgrei-
che Anstrengungen in den Landesparlamenten, gemeinsam
zu unterstützen.
Von Seiten der Fraktion der CDU/CSU wird der Antrag
begrüßt, weil sie die Sicht auf die dort aufgezeigten Gefah-

Drucksache 15/4587 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ren gerade für Personen mit Migrantenhintergrund, be-
hinderte Menschen sowie junge Menschen aus sozial- und
einkommensschwachen Schichten teile. Die Fraktion befür-
worte vor allem die Bereitstellung von Mitteln der Integra-
tionsförderung, zur Sprachförderung, insbesondere vor der
Einschulung. Auch teile man die Ansicht, Theorie gemin-
derte Berufsbilder weiter einzuführen bzw. deren Einfüh-
rung zu beschleunigen. Über alle Parteigrenzen hinaus sei
neu zu begreifen und zu unterstützen, dass Bildung das
ganze Leben begleite, und dass Bildung der Wesenszug sei,
der die Menschen am meisten miteinander verbinde. Fol-
gende Punkte seien der Fraktion besonders wichtig: Mit
dem Lernen sollte früher begonnen werden und in allen Le-
bensphasen bis ins Rentenalter hinein sollte entsprechend
individuell fördern werden. Die Entscheidung über die
Schulkarriere falle sehr früh, mindestens bis zum siebten
Lebensjahr. Hierzu sei eine neue Bildungsfinanzierung not-
wendig. Es sei sehr überlegenswert, ob nicht ein Teil der
Milliarden Euro, die in das spätere Ausmerzen von Bil-
dungslücken gesteckt werden müssten, nicht besser zu Be-
ginn der Bildungsentwicklung investiert würden. Schon mit
der Hälfte der 150 Mrd. Euro an Subventionen, die der Staat
jährlich an die Wirtschaft zahle, könnte aus Deutschland ein
Bildungsparadies werden. Der Antrag mache deutlich, dass
auch die Firmen und Betriebe auf dem Gebiet der Weiterbil-
dung einen größeren Teil zum Ganzen beisteuern müssten.
Aus Sicht der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der
Grundgedanke des Antrags positiv zu bewerten. Bildungs-
armut müsse bekämpft werden. Der Zusammenhang von
Bildungslosigkeit und sozialer Lage werde voraussichtlich
weiterhin eine Rolle spielen. Auch die Modularisierung von
Ausbildung sei positiv zu bewerten. Sprachförderung von
Kindern im Vorschulalter und Jugendlichen mit Migrations-
hintergrund sei wichtig und sinnvoll. Aber es seien vor dem
Bund die Länder, die hierbei finanziell in der Verantwortung
stünden. Die Einführung Theorie geminderter Berufsbilder
werde abgelehnt. Dieser Vorschlag passe zu der Logik, an
der auch das Schulsystem kranke. Jugendliche würden so
nicht gefordert und gefördert, sondern würden abgeschrie-
ben zu billigen Arbeitskräften. Darüber hinaus habe auch
die Anhörung zum BerBiRefG deutlich gemacht, dass die
meisten Experten, u. a. auch die Aktionsgemeinschaft Wirt-
schaftlicher Mittelstand eine solche Ausbildung ablehnten.
Es sei deutlich geworden, dass die Wirtschaft nicht einfache
Handlanger brauche, sondern gut ausgebildete Menschen.
Deshalb sei der Antrag in der Gesamtheit abzulehnen.

Berlin, den 15. Dezember 2004
Gesine Multhaupt
Berichterstatterin

Werner Lensing
Berichterstatter

Grietje Bettin
Berichterstatterin

Ulrike Flach
Berichterstatterin

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