BT-Drucksache 15/4579

Nationale Zwischenbilanz der Lissabon-Strategie zur Verwirklichung der Wissensgesellschaft

Vom 14. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4579
15. Wahlperiode 14. 12. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Michael Kretschmer, Helge Braun, Katherina Reiche, Thomas
Rachel, Dr. Maria Böhmer, Veronika Bellmann, Dr. Christoph Bergner, Dr. Rolf
Bietmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Klaus Brähmig, Alexander Dobrindt,
Vera Dominke, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof),
Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Hans-Joachim Fuchtel, Dr. Reinhard Göhner,
Kurt-Dieter Grill, Helmut Heiderich, Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Volker
Kauder, Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Karl-Josef Laumann, Werner
Lensing, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Wolfgang Meckelburg, Friedrich Merz,
Laurenz Meyer (Hamm), Bernward Müller (Gera), Dr. Joachim Pfeiffer, Hans-Peter
Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Franz Romer, Kurt J. Rossmanith, Hartmut
Schauerte, UweSchummer,Marion Seib, JohannesSinghammer,Max Straubinger,
Klaus-Peter Willsch, Dagmar Wöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

Nationale Zwischenbilanz der Lissabon-Strategie zur Verwirklichung
der Wissensgesellschaft

Im März 2000 haben die europäischen Staats- und Regierungschefs in Lissabon
das strategische Ziel vorgegeben, dass die Europäische Union bis zum Jahr
2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirt-
schaftsraum der Welt werden soll. Forschung, Entwicklung und Innovation sind
besonders wichtige Elemente der Lissabon-Strategie. Deshalb hat der Europäi-
sche Rat zwei Jahre später konkretisiert, dass der Anteil der FuE-Ausgaben
(Forschung und Entwicklung) am Bruttoinlandsprodukt bis 2010 auf 3 Prozent
gesteigert werden soll. Derzeit liegt der Anteil in Deutschland bei 2,5 Prozent.
Unter dem Titel „Die Herausforderung annehmen. Die Lissabon-Strategie für
Wachstum und Beschäftigung“ hat eine hochrangige Sachverständigengruppe
unter Vorsitz von Wim Kok im November 2004 einen Bericht vorgelegt, den
die Europäische Kommission auf Wunsch des Europäischen Rates Anfang des
Jahres in Auftrag gegeben hatte. Ziel des Berichtes war es, die Lissabon-Stra-
tegie einer Halbzeitprüfung zu unterziehen. Die Expertengruppe sollte einen
Bericht erstellen und zugleich eine stimmige Strategie umreißen, „die es den
europäischen Volkswirtschaften ermöglicht, die Zielsetzungen von Lissabon zu
verwirklichen“.
Die Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie ist, gerade für Deutschland, äußerst
ernüchternd ausgefallen. Die Sachverständigen kamen zu dem Schluss, dass
sich Fortschritte auf dem Weg zum Lissabon-Ziel nur sehr langsam einstellen
und dass es „vor allem an einem entschlossenen politischen Handeln mangelt“.
Tatsächlich ist Europa weiter zurückgefallen. Asien und Nordamerika ist es in
den vergangenen Jahren gelungen, auch unter schwierigen weltwirtschaftlichen
Bedingungen den Abstand zu Europa auszubauen. 74 Prozent der 300 führen-

Drucksache 15/4579 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

den IT-Unternehmen und 46 Prozent der Top 300 bei den Ausgaben für
Forschung und Entwicklung sind mittlerweile in den Vereinigten Staaten von
Amerika ansässig.
Die Erreichung des Lissabon-Ziels ist nur möglich, wenn Deutschland als
größte Volkswirtschaft der Europäischen Union erheblich größere Anstrengun-
gen unternimmt. Statt aber Impulsgeber zu sein, gilt Deutschland zunehmend
als „kranker Mann Europas“ und ist durch die eigene Wachstumsschwäche
maßgeblich für das geringe Wachstum in Europa verantwortlich. Denn der
Anspruch der Bundesregierung und die Realität ihrer Politik liegen weit aus-
einander. Die realen Aufwüchse der FuE-Ausgaben sind sehr gering und die
gesetzlichen Rahmenbedingungen für wichtige Technikfelder innovationsbe-
hindernd. Ein besonders markantes Beispiel ist das neue Gentechnikgesetz, das
Forschung und Anwendung der Grünen Gentechnik erheblich einschränkt.
Um das ehrgeizige Ziel von Lissabon noch zu erreichen, ist eine nationale und
europäische Kraftanstrengung unbedingt erforderlich. Die Aufgabe der Bun-
desregierung besteht darin, endlich eine nationale Politik zu konzipieren, die
ein entschlossenes Vorankommen im Sinne der Lissabon-Strategie sicherstellt.
Gerade die Bundesrepublik Deutschland als Hochlohnland, mit ihren hohen
sozialen Standards, ist auf eine wissensorientierte Wirtschaft angewiesen, um
Wachstum und Wohlstand zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist das Verhal-
ten der Bundesregierung völlig unzureichend. Die Ziele von Lissabon müssen
konsequent umgesetzt werden, insbesondere müssen im Bundeshaushalt ent-
sprechende Prioritäten gesetzt und innovationsfreundliche Rahmenbedingun-
gen geschaffen werden.
Die Bundesregierung ist zu sofortigem Handeln aufgerufen. Wenn das Lissa-
bon-Ziel vollständig erreicht werden soll, sind Taten statt Statements mehr
denn je gefragt. Es gilt, die insgesamt enttäuschende Gesamtperformance der
europäischen Wirtschaft der vergangenen vier Jahre auszugleichen. Deutsch-
land muss seinen Teil der Verantwortung zur Erreichung des Lissabon-Ziels an-
nehmen und das europäische Ziel zu einer nationalen Priorität machen. „Nichts
tut gegenwärtig mehr Not als gesunder Ehrgeiz“ fordern die Sachverständigen
im Halbzeitbericht, und „noch viel muss getan werden, um zu vermeiden, dass
Lissabon zu einem Synonym wird für verpasste Ziele und nicht eingelöste
Versprechen“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie sieht der nationale Fahrplan der Bundesregierung zur Erreichung des

Lissabon-Ziels im Jahr 2010 im Bereich Forschung und Wissensgesellschaft
aus?

2. Wie groß ist zum heutigen Zeitpunkt die Differenz (europäisch und national)
zur Erreichung des eng mit der Lissabon-Strategie verbundenen Barcelona-
Ziels, bis 2010 drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und
Entwicklung (FuE) zu investieren?
Hält die Bundesregierung an diesem Ziel als nationaler Aufgabe fest, und
wenn ja, mit welchen jährlichen Investitionsraten in FuE kann Deutschland
dieses Ziel erreichen?
Welche Steigerungen (prozentual und absolut) sollen nach Vorstellung der
Bundesregierung in den öffentlichen Haushalten erfolgen und was ist die
Zielvorstellung für die Privatwirtschaft?

3. Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung die Investi-
tionsbereitschaft der Wirtschaft in FuE in den kommenden Jahren steigern?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4579

4. Wie hat sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) der
Abstand zwischen den USA, der Europäischen Union und Deutschland in
den Bereichen Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, öffentliche und pri-
vate Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) entwickelt?

5. Wie haben sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) die
staatlichen und privaten FuE-Ausgaben pro Einwohner in den USA, in der
Europäischen Union und Deutschland entwickelt?

6. Wie haben sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) die
staatlichen und privaten FuE-Ausgaben in den Schlüsseltechnologien
Nano- und Biotechnologie sowie Mikrosystemtechnik entwickelt?

7. Wie stellte sich die unternehmerische Tätigkeit in Schlüsselbranchen wie
Nano- und Biotechnologie sowie Mikrosystemtechnik in den Jahren 2000
bis 2004 (absolut und prozentual) in den USA, in der Europäischen Union
und Deutschland dar?
Wie sind jeweils die Umsatzentwicklungen dieser Branchen und das
Patentaufkommen?

8. Wie haben sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) die
staatlichen und privaten FuE-Ausgaben in den Feldern Gesundheit und
Pharma, Chemie, Luft- und Raumfahrt, Verkehr, Sicherheit und Verteidi-
gung sowie Information und Kommunikation entwickelt?

9. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um gerade
älteren Arbeitnehmern Zugang zu lebenslangem Lernen zu eröffnen?
Wie viele Arbeitnehmer machen jährlich von Maßnahmen des lebenslan-
gen Lernens Gebrauch?
Wie haben sich die Teilnehmerzahlen in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut
und prozentual) entwickelt?

10. Was hat die Bundesregierung unternommen, um Unternehmen zu moti-
vieren, Maßnahmen zum lebenslangen Lernen verstärkt anzubieten und
Arbeitnehmer aktiv zur Teilnahme zu motivieren?

11. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Verabschiedung des Ge-
meinschaftspatents?

12. Welche Initiativen plant die Bundesregierung zur Weiterentwicklung der
EU-Biopatentrichtlinie und wie sollte sich Europa ihrer Auffassung nach
strategisch in Bezug auf die Patentierungspraxis in den USA und in Asien
positionieren?

13. Wie passt die nach dem Urteil der Wissenschaftsorganisationen und der
Wirtschaft innovationsschädliche und nicht EU-konforme (zwei so genannte
Blaue Briefe) Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie zu dem Bekenntnis
der Bundesregierung zur Lissabon-Strategie?

14. Wie viele Bundesbürger haben bislang Zugang zu Breitbandverbindungen
erhalten? Wie hat sich die Zahl zwischen 2000 und 2004 entwickelt?
Wie stellen sich die Zugangspreise in Deutschland im Vergleich zu den
USA und anderen EU-Mitgliedstaaten dar?

15. Wie viele Behörden bieten in Deutschland derzeit Online-Dienstleistungen
an?
Wie hat sich diese Zahl zwischen 2000 und 2004 entwickelt?
Was unternimmt die Bundesregierung, um die Anzahl an Online-Dienst-
leistungen zu erhöhen?
In welcher Größenordnung werden Fördermaßnahmen seitens der Bundes-
regierung unterstützt?

Drucksache 15/4579 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

16. Was unternimmt die Bundesregierung, um speziell für ausländische Spit-
zenforscher den Familiennachzug zu erleichtern?

17. Wie viele Menschen sind in Deutschland in FuE beschäftigt (absolut,
prozentual, pro 100 000 Einwohner) im Vergleich zu den USA und der
Europäischen Union?
Wie hat sich die Zahl der FuE-Beschäftigten in Deutschland, in den USA
und in der Europäischen Union in der Zeit von 2000 bis 2004 entwickelt?

18. Wie viele technologieorientierte Unternehmen (absolut und prozentual)
haben in den Jahren 2000 bis 2004 jährlich Insolvenz angemeldet in
Deutschland im Vergleich zu den USA und der Europäischen Union?
Wie viele Unternehmen im Bereich Nano-, Biotechnologie und Mikro-
systemtechnik haben in den Jahren 2000 bis 2004 jährlich Insolvenz ange-
meldet in Deutschland im Vergleich zu den USA und der Europäischen
Union?

19. Wie hoch war der jährliche Saldo bei technologieorientierten Unterneh-
mensgründungen zwischen Unternehmensinsolvenzen und -neugründun-
gen in den Jahren 2000 bis 2004 in Deutschland im Vergleich zu den USA
und der Europäischen Union?
Wie hoch war der jährliche Saldo zwischen Unternehmensinsolvenzen und
-neugründungen im Bereich Nano-, Biotechnologie und Mikrosystemtech-
nik in den Jahren 2000 bis 2004 in Deutschland im Vergleich zu den USA
und der Europäischen Union?

20. Wie viele Unternehmensgründungen im Bereich technologische Dienstleis-
tungen gab es in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) in
Deutschland im Vergleich zu den USA und der Europäischen Union?
Wie viele Unternehmen in Deutschland im Vergleich zu den USA und der
Europäischen Union sind im Bereich technologische Dienstleistungen tätig?
Wie hat sich die Zahl der im Bereich technologische Dienstleistungen täti-
gen Unternehmen zwischen 2000 und 2004 entwickelt?

21. Wie hat sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) in den
USA im Vergleich zur Europäischen Union und Deutschland der Risiko-
kapitalmarkt entwickelt?
In welchem Umfang stand in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und pro-
zentual) Risikokapital in Deutschland bereit im Vergleich zu den USA und
der Europäischen Union (insbesondere Finnland, Schweden, Frankreich
und Großbritannien)?
Wer sind in Deutschland die Hauptgeldgeber für Wagniskapital?

22. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um national mehr Risiko-
kapital (vor allem pre-seed-, seed-Phase) verfügbar zu machen?

23. Wie hat sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) in
Deutschland im Vergleich zu den USA und der Europäischen Union die
Bilanz der Unternehmensgründungen entwickelt?

24. Wie haben sich in den Jahren 2000 bis 2004 (absolut und prozentual) die
Zahl der spin offs, die Ausgründungen aus Universitäten und aus öffent-
lichen Forschungseinrichtungen entwickelt im Vergleich zu den USA und
der Europäischen Union?

25. Was plant die Bundesregierung, um die Business Angels in Deutschland zu
unterstützen und deutsche Business Angels im europäischen Vergleich ge-
rade unter steuerlichen Aspekten konkurrenzfähiger als bisher zu machen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4579

26. Was hat die Bundesregierung bislang unternommen, um den administra-
tiven Aufwand für Unternehmensgründer zu reduzieren?
Wie viele Rechtsvorschriften sind seit 2000 vereinfacht, wie viele abge-
schafft worden?

27. Wie hoch sind durchschnittlich die administrativen Kosten, die eine Unter-
nehmensgründung aufseiten des Gründers verursacht – in Deutschland, in
den USA und in der Europäischen Union?

28. Welche Rolle spielt die EU-Forschungspolitik nach Auffassung der Bun-
desregierung zur Erreichung des Lissabon-Ziels und welche Ziele verfolgt
sie hinsichtlich der finanziellen, strukturellen und thematischen Ausgestal-
tung der gemeinschaftlichen Forschungspolitik?

29. Welche Rolle soll nach Auffassung der Bundesregierung die Sicherheits-
forschung im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm spielen, wie sollte der
Bereich strukturiert und finanziell ausgestattet werden?

30. Wie bewertet die Bundesregierung grundsätzlich das EUREKA-Projekt als
Möglichkeit der europäischen Forschungsförderung?

31. Warum wurden im abgelaufenen Vorsitzjahr (Juli 2003 bis Juni 2004) nur
drei von 49 neuen EUREKA-Projekten mit deutscher Beteiligung finanzi-
ell vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert?
Wie hoch war jeweils diese nationale finanzielle Förderung?
Nach welchen Kriterien wird entschieden, dass nach positiver Begutach-
tung eine finanzielle Förderung vom BMBF gewährt wird?

32. Wie hoch war die Quote der EUREKA-Projekte mit nationaler Beteiligung
in den anderen Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 1998 bis 2004 und wie
viele der EUREKA-Projekte in den anderen EU-Mitgliedstaaten haben sei-
tens der jeweiligen Mitgliedstaaten auch eine nationale finanzielle Förde-
rung erhalten?

33. Wie unterscheiden sich die verwaltungsrechtlichen Regelungen zur Förde-
rung von EUREKA-Projekten in den anderen EU-Mitgliedstaaten von den
deutschen Regelungen?

34. Was unternimmt die Bundesregierung, um die deutsche Beteiligung im
Rahmen der EUREKA-Initiative zu erhöhen?

Berlin, den 14. Dezember 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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