BT-Drucksache 15/4507

Energieforschung zukunftsfähig gestalten

Vom 14. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4507
15. Wahlperiode 14. 12. 2004

Antrag
der Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Katherina Reiche,
Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, Dr. Peter Paziorek, Veronika Bellmann,
Dr. Christoph Bergner, Dr. Rolf Bietmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Klaus Brähmig, Helge Braun, Cajus Julius Caesar, Alexander Dobrindt,
Marie-Luise Dött, Vera Dominke, Dr. Maria Flachsbarth, Dr. Hans-Peter Friedrich
(Hof), Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Hans-Joachim Fuchtel, Georg Girisch,
Dr. Reinhard Göhner, Josef Göppel, Kurt-Dieter Grill, Holger Haibach, Helmut
Heiderich, Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Volker Kauder, Michael Kretschmer,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Helmut Lamp, Karl-Josef Laumann,
Werner Lensing, Dr. KlausW. Lippold (Offenbach), Dr. MartinMayer (Siegertsbrunn),
Wolfgang Meckelburg, Friedrich Merz, Laurenz Meyer (Hamm), Doris Meyer
(Tapfheim), Bernward Müller (Gera), Franz Obermeier, Ulrich Petzold,
Dr. Joachim Pfeiffer, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Franz Romer,
Kurt J. Rossmanith, Hartmut Schauerte, Uwe Schummer, Marion Seib,
Johannes Singhammer, Max Straubinger, Werner Wittlich, Dagmar Wöhrl
und der Fraktion der CDU/CSU

Energieforschung zukunftsfähig gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die deutsche Energieforschung war in der Vergangenheit ein tragender Grund-
pfeiler für eine zukunftsgerichtete und zukunftsverträgliche Energiepolitik in
Deutschland. Als hervorragende Stütze hat sie wichtige Beiträge zum Aufbau,
Betrieb und der Fortentwicklung eines sicheren und kostengünstigen Systems
der Energieversorgung geleistet. Das betrifft die gesamte Bandbreite der Versor-
gung und Verteilung mit Energie, von der Kernenergietechnik über hocheffizi-
ente Kohlekraftwerke bis hin zur Silicium-Technologie für Fotovoltaikzellen.
Hervorzuheben sind darüber hinaus forschungsgetriebene Fortschritte im Ma-
schinen- und Anlagenbau und in der Materialforschung, die eine heute weltweit
hervorragende Energieeffizienz deutscher Anlagen und deren erfolgreiche Ver-
marktung auf denWeltmärkten erst möglich gemacht haben. Es gilt, an diese Er-
folge vergangener Energieforschung anzuknüpfen und im Rahmen der Grundla-
genforschung eine fruchtbare Basis für die zukünftige Energieversorgung zu
schaffen. Nicht nur weil energetische Ressourcen knapp sind, ist Energiefor-
schung in besonderer Weise überlebenswichtig.
Deutschland ist relativ arm an günstig nutzbaren natürlichen energetischen Res-
sourcen. Vorkommen derzeit rentabel gewinnbaren Erdöls und Erdgases sind in
Deutschland nur in geringem Ausmaß vorhanden. Die bekannten Vorkommen

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an Steinkohle sind bei den herrschenden Weltmarktpreisen wenig rentabel. Nur
Braunkohle, Wasserkraft und die Kernenergie werden heute als wettbewerbsfä-
hige inländische Energieträger in größeremUmfang genutzt. Sonnenenergie und
Wind tragen derzeit nur in zeitlich begrenztem Ausmaß und in stark variieren-
dem Umfang zur Stromproduktion bei. Im Gegensatz dazu können Biomasse
und Geothermie einen steigenden Anteil am Primärenergieverbrauch wetterun-
abhängig zur Energie- und Stromversorgung beitragen. Der Einsatz der Erneu-
erbaren Energien ist allerdings noch mit einem hohen finanziellen Aufwand ver-
bunden.
Deutschland ist heute stark von der Verfügbarkeit und den Preisen verschiedener
Energieträger auf internationalen bzw. denWeltmärkten abhängig. Nach wie vor
kommt ein sehr großer Anteil der gesamten Primärenergie in Deutschland aus
den Energieträgern Erdöl, Steinkohle, Braunkohle, Erdgas und Uran. 60 Prozent
des Primärenergiebedarfs wird aus dem Ausland bezogen. Besonders groß ist
die Abhängigkeit bei Erdöl und Erdgas, die mit einem Anteil von etwa 60 Pro-
zent am Energieverbrauch die Hauptlast der deutschen Energieversorgung tra-
gen. Deutschland braucht deshalb auch in Zukunft einen ausgewogenen, nach-
haltigen Energiemix aller Energieträger. Dabei sollen die Erneuerbaren Energien
einen zunehmend wichtigen Beitrag leisten.
Angesichts der global großen gesicherten Reichweite, der guten Verfügbarkeit
und der geringen Förderkosten von Kohle, Erdöl und Erdgas, werden kohlen-
stoffbasierte Brennstoffe auf absehbare Zeit hinaus weiter das Rückgrat der
Energieversorgung in Deutschland bilden.
Daneben nimmt die Bedeutung der Kerntechnik weltweit wieder zu. Während
die Bundesregierung in Deutschland die Stilllegung aller Kernkraftwerke mit
den Energieversorgern vertraglich fixiert hat, werden in anderen Ländern rund
um den Globus die Laufzeiten von Kernkraftwerken verlängert und vielfach
neue Kernkraftwerke zur sicheren Gewinnung von umweltfreundlichem und
kostengünstigem Strom erstellt. Deutschland steht in der Verantwortung, seinen
Beitrag zur stetigen Verbesserung der Sicherheit kerntechnischer Anlagen welt-
weit zu leisten. Die Option auf eine langfristige Nutzung der Kernenergie muss
auch hierzulande erhalten bleiben.
Nicht abschließend zu beurteilen sind die Aussichten auf die potenziellen Vor-
teile aus der Einrichtung einer Wasserstoffwirtschaft aus den unterschiedlichen
Primärenergieträgern. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. Unklar ist darüber
hinaus der Umfang der zukünftig sinnvollen Nutzung der Potenziale der Energie-
träger Wind und Sonne, die derzeit nicht versorgungssicher und auch nicht wirt-
schaftlich sind. Biomasse und Geothermie sind dagegen sicher verfügbar.
Die Entwicklung hin zu einer dezentralen Energieversorgung kann helfen, gegen
Totalausfälle in der Stromversorgung, wie in den letzten Jahren in den USA und
in Teilen Europas geschehen, vorzubeugen. Kleine, dezentrale Anlagen zur
Stromerzeugung werden ihren Marktanteil steigern können, wenn es gelingt, die
Ausnutzung des Brennstoffs zu erhöhen, das Verhältnis Strom zuWärme auf den
Bedarf flexibel anzupassen und die Kosten deutlich zu reduzieren. Außer Frage
steht aber, dass die heutige Struktur der Stromversorgung mit Großkraftwerken
mittelfristiges Organisationsprinzip der deutschen Stromwirtschaft bleiben
wird.
Die Energieforschung soll mithelfen, eine schlüssige Perspektive für die länger-
fristige weitere Energieversorgung in Deutschland zu eröffnen, die den Zielen
der Versorgungssicherheit, derWirtschaftlichkeit, der Kostengünstigkeit und der
Umweltverträglichkeit gleichermaßen Rechnung trägt.
Die Gewährleistung eines hohen Maßes an Versorgungssicherheit, die Siche-
rung einer preiswerten, wettbewerbsfähigen und kostengünstigen Energiever-
sorgung für private Haushalte wie für Unternehmen sowie zukünftig weiter sin-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4507

kende Umweltbeeinträchtigungen der Energieerzeugung sind notwendige Vor-
aussetzung für einen hohen Lebensstandard der Bevölkerung. Günstige Energie
sichert Lebensqualität von Verbrauchern, sei es als Bewohner eines warmen
Hauses, sei es als Reisende im eigenen Auto. Kostengünstige Energie fördert als
wichtiger Produktionsfaktor die Entstehung vielfältiger Produktionen mit hoher
Wertschöpfung im Inland. Sie ist Voraussetzung für die Entstehung und den Er-
halt einer Vielzahl wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze in Industrie, Handel und
Handwerk, in denen der Wohlstand unseres Landes erarbeitet wird. Energiefor-
schung soll mit dazu beitragen, dass Investitionssicherheit entsteht und eine
künstliche Verknappung von Strom oder anderen Energieformen mit der einher-
gehenden Verteuerung auf den heimischen Märkten unterbleibt. Die Energieer-
zeugung muss daher auch im Rahmen ihres Beitrages zu mehr Wohlstand einen
effizienten Umgang mit Ressourcen befördern, sich bei Stoff- und Strahlenein-
trägen in die Umwelt an der Belastbarkeit von Menschen und Umweltmedien
orientieren und darf den Belangen eines verhältnismäßigen Natur- und Land-
schaftsschutzes nicht entgegenstehen.
Orientiert an den Bedürfnissen der Menschen zielt die Energieforschung vor
diesem Hintergrund auf die Erschließung neuer Energieressourcen durch neue
Techniken und Exploration sowie auf die Nutzbarmachung dieser Ressourcen
für Deutschland. Durch technischen Fortschritt müssen stets neue, vielfach be-
kannte, aber unter heutigen Bedingungen technisch-wirtschaftlich noch nicht
nutzbare Energiequellen erschlossen werden und für die Deckung des Energie-
bedarfs nutzbar gemacht werden.
Energieforschung nach diesen Grundsätzen dient einer nachhaltigen Entwick-
lung. Ein besonderes Kriterium der Nachhaltigkeit ist darüber hinaus, keinen
Forschungszweig auszugrenzen, um den nachkommenden Generationen die
Möglichkeit zu einer eigenen Auswahl aus möglichst vielen Optionen für die
Energieversorgung zu geben.
Der volkswirtschaftliche Bedarf an Energie ist unter anderem abhängig von der
Effizienz der Energieverwendung. Weitere Effizienzgewinne im privaten und
öffentlichen Verkehrsbereich, eine wirtschaftlich und energetisch effizientere
Energienutzung im Gebäudebestand, verbesserte Wirkungsgrade in der Strom-
erzeugung sind wichtige Politikfelder unserer derzeitigen Energiepolitik.
In einer mobilen und zunehmend globalisierten Welt stehen die Staaten auf den
Rohstoffmärkten im Wettbewerb um die weltweiten Rohstoffe und Energieträ-
ger. Volkswirtschaften, die Rohstoffe und Energie ökonomisch und ökologisch
effizient einsetzen, brauchen vergleichsweise weniger Primärenergieressourcen
zur Befriedigung ihres Energiebedarfes und können damit finanzielle Einspa-
rungen erzielen. Dieser Vorteil resultiert vielfach aus der Erforschung, Entwick-
lung und Markteinführung wirtschaftlicher, umweltverträglicher und effizienter
Verfahren zur Nutzung der Rohstoffe und Energieträger. Vor dem Hintergrund
einer derzeit steigenden Weltnachfrage nach Energieträgern wird den Brenn-
stoffkosten zukünftig ein immer größeres Gewicht zukommen, das den entschei-
denden Einfluss auf die Struktur der Energieversorgung haben wird.
Derzeit hält jedoch nicht jede umwelt- oder industriepolitisch wünschbare Ener-
gieeinsparmaßnahme einer ökonomischen Betrachtung stand. Deshalb müssen
hier Prioritäten gesetzt werden. Investitionen sollten insbesondere nur dann ge-
tätigt werden, wenn sie volkswirtschaftlich gewinnbringend und sozial verträg-
lich sind und darüber hinaus auch noch einen Beitrag zum Umweltschutz und
zur Sicherung der Energieversorgung – etwa durch die Senkung der Abhängig-
keit von Energieimporten z. B. durch eine Steigerung der Ressourceneffizienz –
leisten.
Die Markteinführung von Produkten und Anlagen ist vorrangig Aufgabe von
Unternehmen. Markteinführungsprogramme des Staates für neue Techniken
müssen daher in der Höhe und im zeitlichen Verlauf klar und berechenbar be-

Drucksache 15/4507 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

grenzt werden. Der volkswirtschaftliche Nutzen muss messbar und plausibel
sein. Markteinführungsprogramme dürfen weder die Wettbewerbsfähigkeit des
Industriestandortes beeinträchtigen, noch zu erheblichen Eingriffen in Umwelt
oder Landschaft führen oder sozial schwächere Gruppen unserer Gesellschaft
überproportional belasten. Dies muss die Grundlage jeder vom Steuerzahler
(Steinkohle) oder Verbraucher (Einspeisevergütung) gewährten Markthilfe sein.
Es gilt, wie bei allen staatlichen Förderungen, eine umfassende Transparenz, so-
ziale Ausgewogenheit, ökologische Vorteilhaftigkeit und ökonomische Sinnhaf-
tigkeit bereits im Vorfeld der Einführung einer öffentlichen Förderung zu ge-
währleisten.
Wegen der schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte bei zugleich moderaten
Energiepreisen hat der Staat seine Ausgaben für Energieforschung seit den sieb-
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts reduziert. Seit 1991 sind die gesamten
Aufwendungen des Bundes von rd. 700 Mio. Euro etwa um etwa 40 Prozent zu-
rückgegangen; ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist von ca. 0,4 auf ca.
0,2 Promille gesunken. Gegenüber ähnlich entwickelten Volkswirtschaften fal-
len die Energieforschungsaktivitäten Deutschlands (ebenso wie die Großbritan-
niens) tendenziell zurück. Insgesamt muss sich die Energieforschung auf die
Optionen ausrichten, die – unabhängig von starken oder schwachen Annahmen
bezüglich der Preisentwicklung von Energieträgern – Erfolg versprechend sind.
Im Vergleich der OECD-Staaten rangiert Deutschland hinsichtlich der Ausga-
ben für Energieforschung nur im unteren Mittelfeld.
Angesichts dieser im internationalen Vergleich geringen Aufwendungen hat der
Wissenschaftsrat bereits Ende der 90er Jahre einen Anstieg der Energiefor-
schungsaufwendungen gefordert. Nichtsdestotrotz wurden die Mittel des Bun-
des für Energieforschung in den vergangenen Jahren weiter gekürzt und liegen
heute nur noch bei etwa 400 Mio. Euro. Gemessen als Anteil am Bruttoinlands-
produkt sind die Ausgaben für Energieforschung in den USA, Frankreich oder
Japan mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
Um den international guten Forschungsstand der deutschen Wissenschaft in der
Energieforschung zu bewahren und weiter zu verbessern, bedarf es auch einer
angemessenen finanziellen Ausstattung. Die Forderung richtet sich sowohl an
die öffentliche Hand, die vornehmlich die Grundlagenforschung finanziert, als
auch an die privaten Unternehmen im anwendungsnahen Bereich, hinreichend
finanzielle Mittel bereit zu stellen und auch sonst die Voraussetzungen zu schaf-
fen, für eine dauerhaft ertragreiche Energieforschung in Deutschland.
Es gilt, in den Kerndisziplinen das internationale Niveau in Deutschland zu hal-
ten, neue Verfahren selbständig zu erforschen, bei internationalen Projekten
einen angemessenen Anteil zu gewährleisten und die Forschungsbedingungen in
zukunftsträchtigen Bereichen der Energieforschung so zu gestalten, dass Spit-
zenforschung in Deutschland gesichert wird.
Die Energieforschung ist mehr als ein Instrument nationaler Politik. Sowohl die
Solar-, die Wasserstoff- und die Kernenergieforschung sind im europäischen
und globalen Kontext zu sehen. Die Zusammenarbeit Europas mit den Mittel-
meerländern muss z. B. Forschungs- und Entwicklungspolitik für die Entwick-
lung solarer Großkraftwerke mit einbeziehen. Diese Energieforschung ist nicht
nur Technologiepolitik, sondern ein Beitrag für die Entwicklung stabiler ökono-
mischer und sozialer Strukturen im Interesse einer friedlichen Zukunft.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
die Basis zu schaffen für eine ideologiefreie, breit gefächerte Energieforschung,
die die Bereiche Erneuerbare Energien, kohlenstoffbasierte Energie, Kernener-
gie und Fusionsenergie einschließlich der jeweiligen technischen Infrastruktur
abdeckt. Technologieoffene Forschung und Entwicklung sind der politisch-stra-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4507

tegische Schlüssel einer Energieversorgung für eine nachhaltige Entwicklung.
Der Auf- und Abbau leistungsfähiger Forschungskapazitäten ist nicht in kurzen
Zeitspannen möglich und sinnvoll. Energieforschung braucht daher verlässliche
Ziele und Rahmenbedingungen.
Die Ausbildung von qualifizierten Wissenschaftlern ist eine notwendige Basis-
investition für weiteren technischen Fortschritt in Deutschland und der Welt.
Aufgabe des Staates ist es einerseits, eine verstärkte Forschungsförderung zu
übernehmen, um die Kontinuität von Innovationen und Fortschritt zu sichern,
andererseits gilt es, die Forschungskompetenz im Bereich der Energietechnik an
Hochschulen und Großforschungseinrichtungen zu stärken. Dabei ist das Prin-
zip der „kritischen Masse“ zu berücksichtigen, das heißt, dass eine bestimmte
Mindestanzahl von Forschern und Forschungseinrichtungen in einem For-
schungsbereich notwendig ist, um nutzbringende Forschungsergebnisse zu ge-
währleisten.
Zur Umsetzung einer solch dauerhaft ertragreichen Energieforschung muss die
Bundesregierung ein langfristig orientiertes nationales Energieforschungspro-
gramm auflegen, das die einzelnen Förderprogramme in sinnvoller Weise ver-
zahnt und in Abstimmung mit der europaweiten Forschung erfolgt. Hindernisse,
die die Zusammenarbeit der Forschung mit den Anwendern unnötig behindern,
sind zu beseitigen, um wissenschaftliches mit industriellem Know-how zusam-
men zu führen. Willkürliche Eingriffe des Staates zur Behinderung bestimmter
Forschungsbereiche müssen zugunsten einer möglichst weiten Freiheit der For-
schung im Grundlagenbereich unterbleiben. Förderprogramme sind so zu än-
dern, dass kleine und mittelständische Unternehmen im Vergleich zu Großunter-
nehmen gleiche Chancen der Partizipation haben. Teile der Energieforschung
müssen entbürokratisiert und wettbewerblich flexibilisiert werden. Die Ausbil-
dung einer ausreichenden Anzahl qualifizierterWissenschaftler zur Erforschung
und zum Umgang mit verschiedenen Energieumwandlungssystemen sowie Er-
halt und Verbesserung des jeweils vorhandenen Wissens und der notwendigen
Forschungskapazitäten vor allem im Bereich der Grundlagenforschung ist zu
fördern.

Das bedeutet im Einzelnen:
1. Die Zuständigkeiten für die Förderung der Energieforschung innerhalb der

Bundesregierung sind unter parlamentarischer Kontrolle in einem Ressort zu
bündeln, so dass die Forschungsorganisation effizienter und effektiver zu ge-
stalten ist. Bestehende zeitraubende und ressourcenintensive Reibungsver-
luste zwischen verschiedenen Bundesministerien sollten durch Bündelung in
einem Ministerium vermindert werden. Dies insbesondere vor dem Hinter-
grund, dass einige Erfolg versprechende Technologiepfade im Energiebe-
reich eine immer stärkere Verzahnung mit anderen Forschungsfeldern erfor-
dern. Daher sollte eine Bündelung im Bundesministerium für Bildung und
Forschung erfolgen.

2. Die bisherige Förderung der öffentlichen Energieforschung als Grundlagen-
forschung muss deutlich angehoben werden. Durch eine grundsätzlich tech-
nologieoffen auszulegende Forschungs- und Entwicklungspolitik mit einem
möglichst breiten Technologieansatz hat der Staat die Forschung als Voraus-
setzung für die Beschleunigung des technischen Fortschrittes zu fördern und
gegebenenfalls sogar zu initiieren. Dabei darf kein Forschungszweig ausge-
grenzt werden. Nachkommenden Generationen müssen die Möglichkeiten zu
einer optimalen Auswahl ihrer Energieversorgung gegeben werden. For-
schungsmittel sollen daher sowohl für die Erforschung regenerativer und
kohlenstoffbasierter Energien als auch für Kernenergie (Kernspaltung und
-fusion) bereitgestellt werden. Der Aspekt gilt auch für die EU-Ebene.

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3. Alle technologischen Optionen in den Bereichen der Gewinnung von Energie-
rohstoffen, der Energieerzeugung, der Energiespeicherung und des Energie-
transportes sowie des Energieverbrauches und der Entsorgung von Rückstän-
den sind offen zu halten, da heute die relativen Vor- und Nachteile der Tech-
nologien in der Zukunft weder der Politik noch der Wirtschaft bekannt sein
können. Dazu gehören auch Technologien, mit denen sich der CO2-Ausstoßverringern lässt, zum Beispiel CO2-Sequestrierung und CO2-Reinjektion,schon allein, um im internationalen Forschungswettlauf mithalten zu können.
Kontraproduktiv ist selbst der partielle Ausschluss einzelner Technologien,
wie z. B. von Teilen der Kernenergie, aus der Forschungsförderung. Eine Re-
duktion der Forschung auf Sicherheitsforschung an bestehenden Kraftwerks-
konzepten kann Nachwuchsforscher nicht für diesen Forschungsbereich inte-
ressieren und ist nicht mit demAnspruch der Spitzenforschung in Deutschland
verträglich. Es gilt, die gesamte Breite der Energienachfrage (Wärme, Treib-
stoffe, Strom) durch angemessene und überlegte Forschungsanstrengungen
auch mit Blick auf heimische und Erneuerbare Energieträger abzudecken.

4. Die Ergebnisse der Forschung müssen auch im Bereich der Kerntechnik prin-
zipiell für die heimische Anwendung und den wissenschaftlichen Austausch
ebenso wie für einen nutzbringenden Export von Gütern und Dienstleistun-
gen genutzt werden können. Das derzeit im deutschen Forschungsbereich
vorhandene Wissen muss erhalten werden. Die Weitergabe des Know-hows
an die folgende Generation von Wissenschaftlern ist zu garantieren.

5. Deutschland soll sich an dieser globalen Entwicklung mit dem Ziel des groß-
technischen Einsatzes weiter beteiligen und sich für einen Bau der Versuchs-
anlage ITER in Caderache einsetzen. Die weitere Entwicklung der Kernfu-
sion in internationaler Kooperation könnte ab dem Jahr 2050 eine überall
preiswert verfügbare, versorgungssichere und umweltverträgliche Energie-
quelle schaffen. Diese Option könnte den Energiebedarf der Menschheit auf
Dauer befriedigen

6. Die Forschung im Bereich der Erneuerbaren Energien ist zu intensivieren.
Schwerpunkte hierbei müssen insbesondere in der Verbesserung der Einsatz-
möglichkeiten durch die Erhöhung der Energieausbeute und der Verbesse-
rung der Wirtschaftlichkeit von Anlagen liegen. In diesem Zusammenhang
sind auch die Möglichkeiten zur Energiespeicherung und die Forschung in
diesem Bereich voranzutreiben. Insbesondere die Forschung im Bereich
grundlastfähiger Erneuerbarer Energien, wie der Biomasse und Erneuerbarer
Energien, die noch sehr weit von der Marktreife entfernt sind, wie die Foto-
voltaiktechnik, sind zu intensivieren. Mit Blick auf die Biomasse sind die
wirtschaftlichen und technischen Potentiale derWeiterentwicklung leistungs-
fähiger Gasspeichertechnologien zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der
Biomassevergasung durch die Möglichkeit zur Abdeckung von Spitzenlasten
beim Strombedarf sowie der thermischen Nutzung biogener Festbrennstoffe
zu untersuchen. Die sinnvolle Einsatzfähigkeit der Geothermie zur Stromer-
zeugung in Deutschland ist an einer Anlage konkret nachzuweisen. Hierfür
sind ausreichende Mittel und die dazu notwendige wissenschaftliche Beglei-
tung umgehend bereitzustellen. Die Ergebnisse sind öffentlich darzulegen.

7. Die Chancen der Mitverbrennung von Abfällen für eine ökonomisch wie
ökologisch und sozial sinnvollen Verwertung von Sekundärrohstoffen wie
z. B. in der Zementindustrie sind weiter zu erforschen.

8. Technologien zur Untersuchung und Charakterisierung geochemischer, hy-
draulischer und geomechanischer Eigenschaften tiefliegender Horizonte und
der weiteren Erforschung von geologischen Prozessen der Entstehung von
Vorkommen kohlenstoffbasierter Energieträger (z. B. Erdöl, Erdgas) sind zu
fördern. Damit können weltweit neue Energievorkommen besser erschlossen
und bereits genutzte Vorkommen optimal genutzt werden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/4507

9. Die Erschließung neuer nutzbarer Energiequellen, wie zum Beispiel die
Erforschung der Nutzbarkeit von Methanhydraten am Meeresboden, kann
mithelfen, die Optionen für die langfristige Deckung des Energiebedarfs
weltweit zu erweitern. Die Erforschung neuer Energiequellen muss ganz-
heitlich erfolgen. Neben der Verfügbarkeit und den erforderlichen Techni-
ken muss auch der wirtschaftliche und politische Rahmen geschaffen wer-
den.

10. Die Entwicklung belastbarer Erkenntnisse für volkswirtschaftlich sinnvolle,
gesundheitlich verträgliche und individuell rentable Techniken zur besseren
Nutzung von Raumwärme im Gebäudebereich ist voran zu treiben und
durch ein entsprechendes Forschungsprogramm sind die dringend benötigte
Grundlage für eine sinnvolle Form der Energieeinsparung im Gebäudebe-
reich zu schaffen. Hierbei gilt es unter anderem, die Vor- und Nachteile heiz-
strahlungstemperierten Massivbaus gegen lufterhitzende Systeme mit
Dämmstoffen unter wirtschaftlichen, gesundheitlichen, ökologischen und
sozialen Aspekten langfristig abzuwägen.

11. Forschungen im mobilen Sektor dienen dem Zweck, die Energieversorgung
langfristig zu sichern und die Umweltverträglichkeit zu prüfen und zu ver-
bessern. Der erhebliche Energieverbrauch des Verkehrs, der durch arbeits-
teiliges Wirtschaften und das Mobilitätsbedürfnis der Menschen entsteht,
macht die besondere Bedeutung einer energieeffizienten Verkehrsgestaltung
für eine insgesamt nachhaltige Entwicklung deutlich. Die Entwicklung und
Einführung neuer energieeffizienter Technologien bei konventionellen und
bei neu entwickelten bzw. zu entwickelnden Antriebssystemen wie auch bei
alternativen Kraftstoffen (Bioöle und Bioalkohole) ist ein wichtiger Ansatz-
punkt der Energieforschung im Verkehrsbereich. Ziele sind darüber hinaus
eine weitere Verbesserung der Effizienz und die Erforschung von Schlüssel-
technologien für Übergänge zur Wasserstoffwirtschaft mit gekoppelter
Elektrizität/Wasserstoffproduktion, die sehr langfristig angestrebt werden
kann.

12. Auf die Weiterentwicklung der Brennstoffzelle werden hohe Erwartungen
gesetzt. Bislang haben sich nur hochpreisige Anwendungen in Nischen
durchgesetzt. Bis zur Reife für denMassenmarkt wird es noch lange dauern.
Das Ziel, mit einer Brennstoffzellentechnologie sämtliche Anwendungen
wie Fahrzeugantrieb, Batterieersatz (Fahrzeuge, Notebooks, Mobiltele-
fone), Hausversorgung und BHKW abzudecken, ist sehr ehrgeizig. Die
Bundesregierung sollte bei der weiteren Förderung einen Schwerpunkt auf
die mögliche Konzeption des Aufbaues einer Wasserstoffinfrastruktur ein-
schließlich der Wasserstoffherstellung, -verbreitung und Wasserstoffnut-
zung und die damit verbundenen Potentiale und Kosten für einzelne Anwen-
dungen legen.

13. Bis neue Technologien im Energiesektor marktreif, das heißt wettbewerbs-
fähig, kostengünstig, mit großer Versorgungssicherheit und umweltverträg-
lich zur Verfügung stehen, müssen auch Öl-, Gas- und Kohlekraftwerke
weiterentwickelt werden. Ansatzpunkte bestehen in der Wirkungsgradstei-
gerung bei Kohle gefeuerten Dampfkraftwerken und Erdgas gefeuerten
GuD-Kraftwerken zur Stärkung des deutschen Anlagenbaus auch im Ex-
port.

14. Über eine Stärkung der projekt- und programmorientierten Forschungsför-
derung können auch kleine und mittlere Unternehmen stärker an die anwen-
dungsorientierte Energieforschung herangeführt, in bestehende Netzwerke
einbezogen und dort vorhandene Potentiale für technischen Fortschritt,
Wachstum und Beschäftigung verstärkt genutzt werden. Hierbei geht es um
die Unterstützung der zeitnahen Verbreitung vorhandener Forschungsergeb-
nisse in Produkten.

Drucksache 15/4507 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
15. Insgesamt muss die Politik umgehend wieder verlässliche, innovations- und
investitionsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen, um Unternehmen
wieder zu verstärkten Energieforschungstätigkeiten zu veranlassen und
junge Wissenschaftler und Forscher an Forschungseinrichtungen zu moti-
vieren.

16. Eine bessere vertikale Verzahnung zwischen der öffentlich finanzierten För-
derung mit Grundlagencharakter und der anwendungsnahen Forschung in
Unternehmen ist dringend erforderlich. Ergebnisse der Grundlagenfor-
schung müssen rascher aufgenommen und umgesetzt werden können. Es
gilt, bestehende Diffusionshemmnisse zu beseitigen und auch kleinen und
mittelständischen Unternehmen besseren Zugang zu den Ergebnissen der
Grundlagenforschung zu gewähren. Gleichzeitig sollte ein stärkerer perso-
neller Austausch zwischen wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Be-
reich ermöglicht werden.

17. Generell sind Verfahren zur besseren Vernetzung der deutschen Energiefor-
schungsaktivitäten mit dem EU-Forschungsrahmenprogramm und nicht-
technologischen Förderprogrammenwie „Intelligent Energy“ zu entwickeln.
Auch über den EU-Raum hinaus ist zu überlegen, wie Forschungskoopera-
tionen unter Beteiligung von Wissenschaft und Unternehmen aller Größen-
ordnungen unbürokratisch initiiert werden können.

18. Die Entwicklung von Kompetenznetzwerken für einzelne Projekte in der
anwendungsnahen Forschung an Hochschulen und zwischen den einzelnen
Hochschulen ist zu unterstützen. Oft fehlen hier Anreize oder die koordinie-
rende Hand. Die Netzwerke sollten in Konkurrenz zueinander anbieten, was
Bund und Länder gemeinsammit der Industrie ausschreiben. Zu erwägen ist
darüber hinaus die Förderung grenzüberschreitender Universitätsforschung
über einzelne Ländergrenzen hinweg in Anlehnung an die guten Erfahrun-
gen in Bayern und Baden-Württemberg.

Berlin, den 14. Dezember 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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