BT-Drucksache 15/4451

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -15/2472- Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen

Vom 2. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4451
15. Wahlperiode 02. 12. 2004

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L.
Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 15/2472 –

Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen
durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen

A. Problem
Die Fraktion der FDP hält das zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene GKV-
Modernisierungsgesetz in Bezug auf zusätzliche Kranken- und Pflegeversi-
cherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen, Betriebsrenten, Zusatzversiche-
rungen berufsständischer Versorgungswerke und Direktversicherungen für
einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, der erheblichen
verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

B. Lösung
Rückgängigmachung der mit dem GKV-Modernisierungsgesetz beschlossenen
Erhöhung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezü-
gen und Betriebsrenten.
Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der
FDP

C. Alternativen
Annahme des Antrags auf Drucksache 15/2472.

D. Kosten der öffentlichen Haushalte
Kosten wurden im Antrag nicht beziffert.

Drucksache 15/4451 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag – Drucksache 15/2472 – abzulehnen.

Berlin, den 2. Dezember 2004

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Klaus Kirschner
Vorsitzender

Detlef Parr
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4451

Bericht des Abgeordneten Detlef Parr

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
15/2472 in seiner 97. Sitzung am 11. März 2004 in erster
Lesung beraten und zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung überwie-
sen. Außerdem hat er ihn zur Mitberatung an den Finanz-
ausschuss und den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Die Fraktion der FDP hält das zum 1. Januar 2004 in Kraft
getretene GKV-Modernisierungsgesetz in Bezug auf zusätz-
liche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Ver-
sorgungsbezügen, Betriebsrenten, Zusatzversicherungen
berufsständischer Versorgungswerke und Direktversiche-
rungen für einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrau-
ensschutzes, der erheblichen verfassungsrechtlichen Beden-
ken begegnet. Vor diesem Hintergrund fordert sie die
Rückgängigmachung der entsprechenden Regelung des
GKV-Modernisierungsgesetzes.
Die Rückgängigmachung sei dringend erforderlich, damit
das Vertrauen in die Politik zurück gewonnen werden
könne. Dieses Vertrauen sei insbesondere dadurch verloren
gegangen, dass freiwillig versicherten Rentnern mit dem
Gesundheitsstrukturgesetz aus dem Jahre 1993 gemäß § 240
Abs. 3a SGB V Bestandsschutz gewährt worden sei, der
ihnen nunmehr zehn Jahre später wieder entzogen werde.
Daneben sei ein Gegensteuern des Gesetzgebers erforder-
lich, damit das Ziel des Ausbaus der privaten Altersvorsorge
erreicht werden könne. In diesem Zusammenhang sei es
vollkommen unverständlich, warum die Koalitionsfrak-
tionen und die Fraktion der CDU/CSU im GKV-Moder-
nisierungsgesetz ein falsches Signal gesetzt hätten, welches
dem Ausbau der Altersvorsorge entgegenstehe.
Zudem empfänden viele Arbeitnehmer es als ungerecht,
dass durch die Neuregelung teilweise noch einmal Sozial-
versicherungsbeiträge bei der Auszahlung fällig würden,
obwohl die Einzahlung aus bereits verbeitragten Lohnbe-
standteilen erfolgt sei.
Problematisch sei auch, dass für einmalige Kapitalauszah-
lungen bis zum 31. Dezember 2003 Beitragsfreiheit bestan-
den habe und für derartige Leistungen, ohne Übergangsre-
gelung, ab dem 1. Januar 2004 der volle Beitragssatz verteilt
über zehn Jahre zu zahlen sei. Solch erhebliche finanzielle
Einschnitte seien nur dann akzeptabel, wenn den Betroffe-
nen die Kürzungen so rechtzeitig bekannt seien, dass ihnen
ausreichend Zeit bleibe, entsprechende Vorsorge zu treffen.
Da die Einschnitte für die jetzt Betroffenen nicht vorher-
sehbar gewesen seien, hätten sie aber keine Vorsorge mehr
treffen können. Nur die vollständige Rücknahme der ent-
sprechenden Regelungen des GKV-Modernisierungsgeset-
zes könne das Vertrauen in eine zuverlässige Gesetzgebung
wieder erzeugen.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat in seiner
79. Sitzung am 1. Dezember 2004 mit den Stimmen der
Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der FDP emp-
fohlen, den Antrag abzulehnen.
Der Finanzausschuss hat in seiner 79. Sitzung am 1. De-
zember 2004 mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/
CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktion der FDP empfohlen, den Antrag abzulehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung hat
seine Beratungen in der 64. Sitzung am 26. Mai 2004 auf-
genommen und beschlossen, eine öffentliche Anhörung von
Sachverständigen zu dem Antrag durchzuführen.
Die Anhörung fand in der 73. Sitzung am 22. September
2004 statt. Als sachverständige Verbände waren eingeladen:
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
e. V. (BDA), Deutscher Gewerkschaftsbund Bundes-
vorstand (DGB), Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD),
Sozialverband VdK Deutschland e. V., Bund der Ruhe-
standsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen im Deutschen
Beamtenbund (BRH), ULA – Deutscher Führungskräfte-
verband, Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder
(VBL), Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersver-
sorgung e. V., Versorgungswerk der Presse GmbH, Bun-
desverband der Ortskrankenkassen (AOK), Verband der An-
gestellten-Krankenkassen e. V./AEV-Arbeiter-Ersatzkassen-
Verband e. V. (VdAK/AEV), Bundesverband der Betriebs-
krankenkassen (BKK), Bundesverband der Innungskran-
kenkassen (IKK), Bundesverband der landwirtschaftlichen
Krankenkassen (BLK), See-Krankenkasse (See-KK), Bun-
desknappschaft, dbb beamtenbund und tarifunion sowie der
Bundesverband der Betriebsrentner e. V.
Außerdem war Dr. Friedhelm Hase (Universität Siegen) als
Einzelsachverständiger eingeladen.
Auf das Wortprotokoll und die als Ausschussdrucksachen
verteilten Stellungnahmen der Sachverständigen wird Be-
zug genommen.
In der 83. Sitzung am 1. Dezember 2004 hat der Ausschuss
seine Beratungen fortgesetzt und abgeschlossen.
Als Ergebnis der Beratungen empfiehlt der Ausschuss
mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP, den Antrag abzulehnen.
Im Laufe der Ausschussberatungen wurden 21 Petitionen
behandelt, mit denen u. a. verlangt wurde, die Erhebung von
Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen auf Versor-
gungsbezüge, Betriebsrenten, Zusatzversicherungen berufs-
ständischer Versorgungswerke und Direktversicherungen
rückgängig zu machen. Der Petitionsausschuss hatte hierzu
im Zusammenhang mit der Beratung des Antrags der Frak-

Drucksache 15/4451 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

tion der FDP auf Drucksache 15/2472 eine Stellungnahme
gemäß § 109 GO-BT angefordert. Mit der Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP kann dem Anliegen der
Petenten vom Ausschuss für Gesundheit und Soziale Siche-
rung nicht entsprochen werden. Der Petitionsausschuss wird
entsprechend unterrichtet.
In der Beratung hoben die Mitglieder der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN hervor, dass mit der
neuen Regelung eine bestehende Gerechtigkeitslücke ge-
schlossen worden sei. Bislang habe nur derjenige Beiträge
auf Versorgungsbezüge zahlen müssen, der sich für eine
Rentenleistung entschieden habe. Derjenige aber, der eine
einmalige Kapitalleistung vor Eintritt in den Ruhestand er-
halten habe, sei beitragsfrei geblieben. Es gebe keinen
Grund, warum die Beitragspflicht der betrieblichen Alters-
vorsorge von der Auszahlungsart abhängen solle. Darüber
hinaus seien mit dem GKV-Modernisierungsgesetz nicht
aufrecht zu erhaltende Unterschiede zwischen pflichtver-
sicherten und freiwillig versicherten Rentnerinnen und
Rentnern beseitigt worden, da bei letzteren bisher auf Ver-
sorgungsbezüge lediglich der halbe Beitragssatz erhoben
worden sei.
Die Notwendigkeit, auch Rentner verstärkt an den steigen-
den Lasten des Gesundheitswesens zu beteiligen, habe sich
zudem aus dem Umstand ergeben, dass die Leistungsausga-
ben der Krankenkassen für Rentnerinnen und Rentner zu
Beginn der 70er Jahre noch zu 73 Prozent aus Beiträgen der
Rentner selbst finanziert worden seien, heute jedoch nur
noch zu 43 Prozent. Die Erhebung des vollen Beitrags auf
Versorgungsbezüge beseitige daher eine soziale Schieflage.
Es sei durchaus vertretbar, leistungsfähige Rentnerinnen
und Rentner stärker als bisher an den Kosten der Kranken-
versicherung zu beteiligen, da auch sie von stabilen Beiträ-
gen in der GKV profitierten.
Die von der Fraktion der FDP geforderte vollkommene
Rückgängigmachung der durch das GKV-Modernisierungs-
gesetz eingeführten vollen Beitragserhebung auf Betriebs-
renten, Versorgungsbezüge und Direktversicherungen hätte
Einnahmeausfälle in Höhe von 1,6 Mrd. Euro zur Folge.
Diese könnten letztlich nur über eine Erhöhung des
Beitragssatzes um ca. 0,2 Prozentpunkte gegenfinanziert
werden, was dem Ziel der Gesundheitsreform diametral
zuwider laufe.
Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU verwiesen auf
die von den Koalitionsfraktionen vorgetragene Argumenta-
tion, die auch in den zurückliegenden Verhandlungen zur
Gesundheitsreform als Begründung für eine stärkere Betei-
ligung der Rentner an der Finanzierung ihrer Leistungsaus-
gaben ins Feld geführt worden sei. Sie hätten die in diesem

Zusammenhang beschlossenen Regelungen allerdings nur
mitgetragen, weil die Bundesregierung in den Verhandlun-
gen weitere Belastungen für Rentner ausgeschlossen habe.
Diese Zusage sei aber nicht eingehalten worden, denn durch
die nachgelagerte Besteuerung der Renten, die Verdoppe-
lung des Pflegeversicherungsbeitrags für Rentner und die
Nullrunden bei den Renten werde es zu einer Belastungsku-
mulation bei den Rentnern kommen. Es sei daher gerecht-
fertigt, dass die Bundesregierung die Neuregelung der Bei-
tragspflicht bei Direktversicherungen, Betriebsrenten und
anderen Versorgungsbezügen nochmals auf deren Auswir-
kungen und unter dem Aspekt der Wahrung des Vertrauens-
schutzes prüfen lasse und den Deutschen Bundestag über
das Ergebnis der Prüfung unterrichte.
Eine generelle Rücknahme der Neuregelung, wie sie die
Fraktion der FDP in ihrem Antrag fordere, gefährde hin-
gegen die dringend erforderliche Senkung der Lohnneben-
kosten erheblich und sei daher nicht zustimmungsfähig. Im
Übrigen habe die Fraktion der FDP bis zu ihrem Verzicht
auf eine weitere Beteiligung am Reformkompromiss den
nun von ihr kritisierten Maßnahmen ausdrücklich zuge-
stimmt, wie die mit Beteiligung der Fraktion der FDP ver-
einbarten Eckpunkte zur Gesundheitsreform vom 22. Juli
2003 belegten. Schließlich habe die Diskussion um die Bei-
tragspflicht von Direktversicherungen und Betriebsrenten
gezeigt, dass die einkommensbezogene, prozentuale Bei-
tragssystematik der GKV an ihre Grenzen stoße. Bei einer
Ausweitung der Beitragspflicht auf weitere Einkünfte wie
Mieten und Zinsen seien erhebliche Akzeptanzprobleme
und gravierende Vertrauensverluste zu befürchten.
Die Mitglieder der Fraktion der FDP erklärten, dass die
volle Beitragserhebung auf Betriebsrenten, Versorgungsbe-
züge und Direktversicherungen eine kalte Enteignung vie-
ler, die für das Alter vorgesorgt hätten, sei. Dies sei beson-
ders bedauerlich, weil seit vielen Jahren bekannt sei, dass
die umlagefinanzierte Rente allein in Zukunft nicht ausrei-
chen werde. Dem daraus folgenden Aufruf der Politik, ver-
stärkt zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben, seien Millio-
nen von Bürgern gefolgt, indem sie Teile ihres Einkommens
in Betriebsrenten und Direktversicherungen eingezahlt hät-
ten. Diese Personen hätten daran geglaubt, dass in Deutsch-
land Recht Recht bleibe und sich darauf verlassen, dass
nicht der volle Beitrag auf derartige Einkommen erhoben
werde. Damit sei von den Koalitionsfraktionen und der
Unionsfraktion in den Vertrauensschutz eingegriffen wor-
den. Dieser Eingriff sei ohne Vorwarnung, ohne Übergangs-
regelung und ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept, welche
finanziellen Lasten Rentnern insgesamt zumutbar seien,
erfolgt.

Berlin, den 2. Dezember 2004
Detlef Parr
Berichterstatter

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