BT-Drucksache 15/4443

Entwicklung der Aquakultur des Störs für die wirtschaftliche Nutzung und zur Wiedereinbürgerung von heimischen Stören in Deutschland

Vom 1. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4443
15. Wahlperiode 01. 12. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ulrike Flach,
Horst Friedrich (Bayreuth), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Markus
Löning, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto
(Godern), Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwicklung der Aquakultur des Störs für die wirtschaftliche Nutzung
und zur Wiedereinbürgerung von heimischen Stören in Deutschland

Der Stör (Gattung Acipenseridae) ist ein lebendes Fossil. Seine prähistorischen
Spuren reichen 200 Mio. Jahre zurück bis in die Zeit der Dinosaurier. Der Stör
ist ein anadromer Wanderfisch, der zum Laichen bis weit in die Flüsse auf-
steigt, wo er in stark strömendemWasser auf kiesig-steinigem Grund seine Eier
ablegt. Jedes Weibchen legt zwischen 1 000 000 und 2 500 000 kleine, dunkel-
graue, klebrige Eier, die im unbefruchteten Stadium als „Kaviar“ Berühmtheit
erlangt haben. Aus den befruchteten Eiern schlüpfen nach etwa 10 Tagen die
Jungstöre, die in die Meere wandern. Nach ca. 10 bis 20 Jahren kommen die
geschlechtsreifen Tiere in die Flüsse zurück, um zu laichen. Der europäische
Stör erreicht ein Alter von über 60 Jahren und eine Größe von über 4 m. Von
den weltweit 27 Arten sind heute alle gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Der Stör war bis Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil der Le-
bensgemeinschaft der Flüsse Norddeutschlands und ein wichtiger Wirtschafts-
fisch, von dem jährlich zwischen 4 000 und 6 000 erwachsene Tiere angelandet
wurden. Durch die umfassende Umweltverschmutzung und Gewässerverbau-
ung infolge der industriellen Revolution wurden die Lebensgrundlagen des
Störs weitgehend zerstört. Drastische Überfischung besiegelte das Schicksal
der Art bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In Deutschland wurde der letzte
Störbestand bis 1969 in der Eider (Schleswig-Holstein) beobachtet. Seitdem
gilt die Art als verschollen oder ausgestorben.
Der Stör ist infolge dieser Entwicklung für ca. 50 Jahre aus dem Bewusstsein
der Menschen und von ihrer Speisekarte verschwunden. Vereinzelte Importe
aus den Erzeugerländern des Kaviars haben bis in die 1990er Jahre daran nichts
geändert. Erste Bemühungen einer zunehmenden Verbreitung von Störfleisch,
das grätenfrei und von feiner Struktur ideal für die Nutzung in der Küche und
für die Räucherei ist, gehen auf die Intensivierung der Fischzucht mit verschie-
denen Störarten in jüngster Zeit zurück.
Die Entwicklung der Aquakultur mit dem Stör ist in Deutschland in den letzten
Jahren vor allem durch die geplante Kaviarproduktion in die öffentliche Dis-
kussion geraten (z. B. Caviar Creator, Demmin). Es hat die Akzeptanz dieser
Fischereitechnik behindert, dass für diese Produktion bislang vor allem nicht
heimische Störarten genutzt wurden. Insbesondere vor dem Hintergrund der

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derzeit laufenden Bemühungen zur Wiedereinbürgerung des Störs in Deutsch-
land stellt sich hier die Frage nach einer nachhaltigen Entwicklung der Aqua-
kultur und möglicher Synergismen zwischen Bemühungen zur Wiedereinbür-
gerung und der wirtschaftlichen Nutzung des Störs.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation der Störbestände weltweit

und die Chancen für ihre Erhaltung, die Wiederansiedlung von Stören in
Flüssen, in denen der Stör im letzten Jahrhundert ausgestorben ist?

2. In welchen deutschen Flüssen wurden in den letzten 10 Jahren Störe gefan-
gen und welchen Arten gehörten sie an?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Aufnahme von international koordi-
nierten Aktivitäten zur Sicherung der Ressourcen und der Förderung der
natürlichen Bestände der Störe?

4. Inwieweit kann das in Deutschland begonnene Vorhaben zur Arterhaltung
und Wiedereinbürgerung des Störs in Nord- und Ostseezuflüssen (Projekt-
titel: „Exemplarische Maßnahmen zur Arterhaltung und Bestandsstützung
des nahezu ausgestorbenen Gemeinen Störs (Acipenser sturio L.) in
Deutschland“) die weltweite Entwicklung in diesem Bereich beeinflussen?

5. Wie wird die weitere Perspektive für das oben genannte Vorhaben von der
Bundesregierung eingeschätzt und welchen Handlungsbedarf sieht die
Bundesregierung für das Vorhaben?

6. In welchen Bundesländern gibt es Initiativen zur Entwicklung der Aqua-
kultur des Störs und wieweit sind die Vorhaben gediehen?

7. Welche Förderung wird von der Bundesregierung oder der Europäischen
Union für die als notwendig eingeschätzten Arbeiten für dieses Vorhaben
(z. B. Laichfischhaltung, Aufzucht von Besatzmaterial, Verfolgung nach
dem Besatz, Beifanguntersuchung) bereitgestellt?

8. Trifft es zu, dass bei der Aquakultur des Störs weitgehend auf Medikamen-
teneinsatz verzichtet werden kann?

9. Trifft es zu, dass in modernen Aquakulturanlagen die Abwasserproblema-
tik gelöst ist?

10. Inwieweit bestehen nach Einschätzung der Bundesregierung Möglichkei-
ten einer Verbindung zwischen den Bemühungen zur Wiedereinbürgerung
des Störs in Deutschland und der kommerziellen Aquakultur des Störs?

11. Inwieweit bestehen seitens der Bundesregierung Pläne für eine strukturelle
Förderung der Forschung zur Verbindung von Aquakultur und Arten-
schutz?

12. Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für notwendig, um die
Nachhaltigkeit der kommerziellen Aquakultur sicherzustellen und eine
mögliche Faunenverfälschung zu unterbinden?

13. Wie werden die Chancen und Perspektiven für eine Nutzung der ehemals
heimischen Störarten in der Aquakultur von der Bundesregierung einge-
schätzt, und wann wird eine wirtschaftliche Nutzung für möglich gehalten?

14. Sieht die Bundesregierung infolge der geplanten Wiedereinbürgerung ein
Potential für die Entwicklung der deutschen Küsten- und Binnenfischerei?

Berlin, den 1. Dezember 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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