BT-Drucksache 15/434

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler Zur aktuellen internationalen Lage

Vom 13. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/434
15. Wahlperiode 13. 02. 2003

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble, Dr. Friedbert Pflüger, Christian Schmidt
(Fürth), Dr. Angela Merkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler

Zur aktuellen internationalen Lage

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
– Der Bundeskanzler und die Bundesregierung haben die Grundpfeiler der

Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt und damit
den vitalen außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, sei-
nem Ansehen und Gewicht in der Welt schweren Schaden zugefügt:

– Die Regierungspolitik der letzten Tage und Wochen beschädigt die Nord-
atlantische Allianz und die Glaubwürdigkeit unseres Landes gegenüber un-
seren Partnern. Mit ihrer wochenlangen Blockade gegen die Planung von
Hilfsmaßnahmen der NATO für die Türkei hat die Bundesregierung das
Bündnis in seinem zentralen Selbstverständnis als Verteidigungsgemein-
schaft in Frage gestellt. Dies wiegt umso schwerer, als der Generalsekretär
der NATO und der Vorsitzende des Militärausschusses die tatsächliche
Bedrohung des NATO-Partners Türkei festgestellt haben.

Deutschland hat jahrzehntelang von der unbedingten Solidarität der anderen
NATO-Partner profitiert. Es ist inakzeptabel, jetzt, wo andere uns brauchen, die
Solidarität zu verweigern.
– Die Bundesregierung schwächt die Autorität der Vereinten Nationen und

fügt dem Ansehen Deutschlands als verantwortlich handelndes Mitglied des
Sicherheitsrats Schaden zu. Mit ihren Vorfestlegungen in der Irak-Frage hat
sie gegenüber der Institution des Sicherheitsrats Respektlosigkeit gezeigt
und sie untergräbt zugleich ihre eigene Autorität und Verhandlungsfähigkeit
in der Wahrnehmung des Vorsitzes.

– Die Bundesregierung hat die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Euro-
päischen Union geschwächt. Sie gefährdet damit auch den Erfolg der Bemü-
hungen zur Vertiefung der Europäischen Integration und macht eine gemein-
same europäische Positionsfindung, auch im Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen, unmöglich. Die „Erklärung der Acht“ ist durch die Vorfestlegun-
gen des Bundeskanzlers provoziert worden. Sie sollte Grundlage einer Er-
klärung des EU-Gipfels werden.

– Die Bundesregierung hat das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von
Amerika schwer belastet. Sie schürt und fördert antiamerikanische Ressenti-

Drucksache 15/434 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ments. Die jüngsten Einlassungen des Bundeskanzlers, die die deutsche Hal-
tung in der Irak-Frage zum Widerstand gegen angebliche weltweite Domi-
nanzabsichten der Vereinigten Staaten uminterpretieren, sind ein neuer
unerträglicher Höhepunkt.

Bislang ist es zuvorderst der klaren und unmissverständlichen Haltung der Ver-
einigten Staaten und ihrer Partner zu verdanken, dass im November 2002 die
Inspektoren der Vereinten Nationen wieder in den Irak gelassen wurden. Ohne
den vor allem von den Amerikanern aufgebauten Druck und die Drohung, not-
falls auch militärische Mittel einzusetzen, wäre dies nicht gelungen. Insofern
fußen alle von der Bundesregierung heute unterstützten Maßnahmen wesent-
lich auf dem von den Amerikanern in der Region aufgebauten – und von der
Bundesregierung wider besseres Wissen kritisierten – Streitkräftedispositiv.
Die Bundesregierung hat in ihren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von
Amerika viel Kredit und Glaubwürdigkeit verspielt, die sich Deutschland über
Jahrzehnte hinweg erarbeitet hat. Eine verlässliche transatlantische Partner-
schaft ist und bleibt alternativlos zentraler Pfeiler deutscher und europäischer
Sicherheitspolitik. Sie liegt unbedingt im deutschen Interesse, ja sie ist Teil
deutscher Staatsräson. Die heutige Einfluss- und Relevanzlosigkeit der Bundes-
regierung in Washington schwächt unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit.
– In der Sehnsucht nach Frieden sind sich alle verantwortlichen Menschen in

Deutschland einig. Umso wichtiger ist, dass sich politische Verantwortung
in einer realistischen Darlegung der von Massenvernichtungswaffen und
internationalem Terrorismus ausgehenden Gefahren und einer verantwort-
lichen Politik zu ihrer Vermeidung bewährt. Die Weltgemeinschaft hat in der
Sicherheitsratsresolution 1441 dem Irak die völkerrechtliche Verpflichtung
auferlegt, auf Massenvernichtungswaffen dauerhaft zu verzichten, von de-
nen nach der Erklärung der Vereinten Nationen eine Gefahr für den Weltfrie-
den ausgeht. Seit mehr als einem Jahrzehnt haben die Vereinten Nationen
mit zahlreichen Resolutionen, Inspektionen und Sanktionen bisher vergeb-
lich versucht, Saddam Hussein zum Einlenken zu bringen. Weil das Ziel er-
reicht werden muss, kann auf die Drohung, als allerletztes Mittel die militä-
rische Erzwingung einzusetzen, nicht verzichtet werden. Wer den Druck auf
Saddam Hussein schwächt, wird seine Bereitschaft zum Einlenken nicht för-
dern und verringert die Chancen für den Frieden. Der Deutsche Bundestag
dankt den beiden christlichen Kirchen für ihre Mahnungen zum Frieden und
insbesondere dem Papst für seine Bemühungen, Saddam Hussein zu einem
friedlichen Unterwerfen unter das vom Sicherheitsrat gesetzte Völkerrecht
zu bewegen.

– Jeder Versuch, nachhaltig und kontrolliert sicher zu stellen, dass der Irak
sein Streben nach Massenvernichtungswaffen dauerhaft aufgibt, verdient
grundsätzlich Unterstützung. Mit der angeblichen deutsch-französischen
Initiative, die vom Bundeskanzler in ein Nachrichtenmagazin lanciert
wurde, ist das Gegenteil erreicht worden, weil damit nicht die Bereitschaft
des Irak zur Kooperation gefördert, sondern offenbar der unter Führung der
Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaute Druck auf den Irak gemindert
werden sollte.

Vor diesem Hintergrund fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung
auf,
– umgehend die weitere Beschädigung unserer fundamentalen außen- und

sicherheitspolitischen Interessen zu unterlassen;
– umgehend im Atlantischen Bündnis den ungerechtfertigten Widerstand ge-

gen den Vorschlag des NATO-Generalsekretärs zur Planung von Unterstüt-
zungsleistungen zugunsten der Sicherheit und Verteidigung des NATO-Part-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/434

ners Türkei aufzugeben und sich auch bei Frankreich und Belgien dafür
einzusetzen, dass das Bündnis der Türkei die erwünschte Unterstützung
gewährt;

– strikt von weiteren politischen Schritten und Manövern abzusehen, die das
Atlantische Bündnis schwächen und die Atlantische Verteidigungsfähigkeit
einschränken;

– jedwede Vorfestlegung des deutschen Abstimmungsverhaltens im Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen zurückzunehmen und insbesondere bei zum
Irak zu treffenden Beschlüssen allein auf Grundlage der tatsächlichen Er-
kenntnisse und der Wahrnehmung der deutschen und europäischen Interes-
sen zu entscheiden;

– bei der Entscheidungsfindung alles zu tun, damit die im Sicherheitsrat ver-
tretenen Mitglieder der Europäischen Union zu einer einheitlichen Position
finden und diese Position vor allem auch mit den USA engstens koordiniert
wird;

– sich umgehend präzise dazu zu äußern, in welchemMaße sie die vom ameri-
kanischen Außenminister im Sicherheitsrat dargelegten Fakten zu den Ge-
fahren, die von den A-, B- und C-Waffenprogrammen des Irak ausgehen,
teilt und inwieweit diese den eigenen Erkenntnissen entsprechen;

– für den Fall, dass eine Erzwingung der Resolution 1441 des Sicherheitsrats
mit militärischen Mitteln unausweichlich werden sollte, gemeinsam mit un-
seren Partnern in der EU diese Maßnahmen im Rahmen unserer Möglichkei-
ten – wie mit AWACS-Flugzeugen, MEDEVAC-Kräften, ABC-Spürpan-
zern, Patriot-Abwehrsystemen, der Gewährung von Überflugrechten, dem
Schutz der amerikanischen Basen in Deutschland und mit Schiffen im persi-
schen Golf – zu unterstützen und dabei die verfassungsmäßigen Rechte des
Deutschen Bundestages zu wahren.

Berlin, den 13. Februar 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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