BT-Drucksache 15/4252

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/3657, 15/4244- Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts

Vom 22. November 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4252
15. Wahlperiode 22. 11. 2004

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Ursula Heinen, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Marlene
Mortler, Gerda Hasselfeldt, Artur Auernhammer, Peter Bleser, Gitta Connemann,
Helmut Heiderich, Uda Carmen Freia Heller, Dr. Peter Jahr, Julia Klöckner,
Bernhard Schulte-Drüggelte, Kurt Segner, Jochen Borchert, Cajus Julius Caesar,
Hubert Deittert, Thomas Dörflinger, Ernst Hinsken, Susanne Jaffke, Heinrich-
Wilhelm Ronsöhr, Dr. Klaus Rose, Norbert Schindler, Georg Schirmbeck, Max
Straubinger, Volkmar Uwe Vogel und der Fraktion der CDU/CSU

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/3657, 15/4244 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und
des Futtermittelrechts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit der EU-Basisverordnung zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und
Anforderungen des Lebensmittelrechts und zur Festlegung von Verfahren zur
Lebensmittelsicherheit (Verordnung (EG) Nr. 178/2002) sowie der Kontroll-
Verordnung (EG) Nr. 882/2004 wurde es notwendig, das nationale Lebensmit-
tel- und Futtermittelrecht an das EU-Recht anzupassen. Der Gesetzentwurf
trägt diesem Anliegen inhaltlich Rechnung, indem Regelungen des neuen
Rechts aus dem alten Lebensmittel- und Futtermittelrecht herausgenommen
werden und der verbleibende Teil des nationalen Rechts, der noch nicht EU-
harmonisiert ist, angepasst bzw. fortgeführt wird.
Im Gesetzentwurf werden aber nicht nur EU-Recht und nationales Recht einan-
der angepasst, es werden darüber hinaus das Lebensmittelrecht und das Futter-
mittelrecht in einem Gesetzbuch zusammengeführt. So begrüßenswert dieses
Anliegen insbesondere unter der Erfassung der gesamten Warenkette „vom
Acker bis zum Teller“ erscheint, so führen diese Maßnahmen zu einem nur
noch schwer überschaubaren Regelwerk, das den praktischen Umgang für den
Rechtsanwender in der Lebensmittel- und Futtermittelwirtschaft sowie in der
Verwaltung gegenüber dem bisherigen Zustand deutlich erschwert.
Ebenso wird die Gefahr gesehen, dass die Anwendung des Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuches (LFGB) in der Praxis aufgrund des Nebeneinander
von EG- und Bundesrecht einerseits und das Verlagern von Inhalten auf Verord-
nungsebene erhebliche Probleme aufwerfen wird. Dies gilt nicht zuletzt im
Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen zur

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Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie
Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz, die zum Teil unterschied-
liche Regelungen enthalten, wie z. B. Regelungen über die Probeentnahme oder
über die Behandlung von Lebensmitteln oder Futtermitteln aus Drittstaaten.
In der Vergangenheit waren die wesentlichen Regelungen des Lebensmittel-
und Futtermittelrechts in getrennten, formellen Gesetzen enthalten. Ergänzend
wurden spezielle Regelungen in Verordnungen festgelegt. Nach dem neuen Ge-
setzbuch sollen hingegen künftig fast alle Regelungsbereiche, wie z. B. das ge-
samte Fleischhygienerecht, in Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bun-
desrates geregelt werden. Die Entscheidungen im Lebens- und Futtermittelrecht
werden damit in Zukunft weitgehend ohne Beteiligung des Deutschen Bundes-
tages und allein von Bundesregierung und Bundesrat getroffen. Hinzu kommt,
dass die Ermächtigungsnormen nicht hinreichend bestimmt sind. Des Weiteren
wird auf die Bedeutung der parlamentarischen Beratung der Vorschriften über
die Erzeugnisse im Sinne des Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und
Futtermittelrechts gerade in der jüngsten Vergangenheit (z. B. BSE, Verfütte-
rungsverbot von Tiermehl) ausdrücklich hingewiesen. Das Gesamtkonzept der
vielen Verordnungsermächtigungen im vorliegenden Gesetzentwurf erscheint
im Hinblick auf das in Artikel 20 Grundgesetz verankerte Gewaltenteilungs-
prinzip insgesamt als fragwürdig.
Die Anhörung am 20. Oktober 2004 im Ausschuss für Verbraucherschutz, Er-
nährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages hat u. a. im Einzelnen
ergeben:
• Lebensmittel- und Futtermittelrecht behandeln zwei Regelungsbereiche, die

in ihrer Zielsetzung, dem Kreis der Betroffenen und in ihrer Anwendung in
der Praxis deutliche Unterschiede aufweisen.

• Auch wenn durch die sog. EU-Basisverordnung erstmals Futtermittel- und
Lebensmittelrecht in einer einheitlichen Kodifikation zusammengeführt
werden, muss dies nicht zwingend zur Folge haben, das deutsche Futtermit-
tel- und Lebensmittelrecht in einem Gesetz zusammenzufassen, zumal auch
die Europäische Gemeinschaft beispielsweise die Hygieneanforderungen für
Futtermittel und Lebensmittel getrennt regelt.

• Das Gesetz stellt im Bereich des Futtermittelrechts keine Deregulierung dar.
Anstelle von bislang 25 Paragraphen des Futtermittelgesetzes, das bei einer
Zusammenführung mit dem Verfütterungsverbotsgesetz in 27 Paragraphen
geregelt werden kann, sind nach dem Gesetzentwurf nunmehr über 50 Para-
graphen für Futtermittel relevant, zum Teil in Verbindung mit anderen
Erzeugnissen. Damit werden die zu beachtenden Vorschriften praktisch
verdoppelt. Das Verständnis des Futtermittelrechts wird sowohl für die
zuständigen Behörden wie auch gerade für die Rechtsunterworfenen we-
sentlich erschwert. Damit widerspricht das Gesetz – zumindest unter diesem
Gesichtspunkt – dem selbst gesteckten Ziel der Deregulierung.

• Durch das Gesetz wird eine Vielzahl bislang nur auf das Lebensmittelrecht
bezogener Verordnungsermächtigungen (§§ 32 ff.) nunmehr auf das Futter-
mittelrecht erweitert. Damit besteht eine nicht mehr absehbare Möglichkeit,
durch Rechtsverordnungen das Futtermittelrecht weiter zu regeln. Dies
widerspricht der Notwendigkeit und dem Ziel der Deregulierung.

• Durch die Erweiterung der bisher nur für Lebens- und Futtermittel geltenden
Verordnungsermächtigungen auf den „Erzeugnisbegriff“ des Gesetzes wer-
den die Verordnungsermächtigungen in Inhalt, Zweck und Ausmaß im Ver-
gleich zu bisher wesentlich weniger bestimmt.

• Die Herausnahme der Tabakerzeugnisse aus dem LFGB ist nicht sachge-
recht. Es handelt sich hier, wie bei den sonstigen Vorschriften des LFGB, um

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verbraucherschützende Regelungen. Das bisherige Lebensmittel- und Be-
darfsgegenständegesetz (LMBG) soll als „vorläufiges Tabakgesetz“ mit
insgesamt 26 Textseiten verbleiben, statt der bisherigen vier spezifischen
Paragraphen zu Tabakerzeugnissen im LMBG. Ein solches vorläufiges
Tabakgesetz verkompliziert das Verständnis der Rechtsvorschrift, mindert
die Rechtstransparenz und erschwert die Überwachung. Bundesweit werden
Tabak und Tabakerzeugnisse überwiegend von den für die Lebensmittel-
überwachung zuständigen Institutionen untersucht und beurteilt.

Der Überarbeitung bedarf ebenfalls der mit Änderungsantrag der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft (Ausschussdrucksache 15(10)527) eingefügte
Abschnitt „Verbraucherinformation“. Mit der Einfügung dieses Abschnittes in
den Gesetzentwurf zur Neuordnung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts
sowie der Ablehnung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion „Bessere Verbrau-
cherinformation bei Lebensmitteln, Produkten und Dienstleistungen“ (Bundes-
tagsdrucksache 15/927) haben die Bundesregierung und die Regierungsfraktio-
nen ein eigenständiges auch auf sonstige gewerbliche Produktionsbereiche an-
wendbares Verbraucherinformationsgesetz aufgegeben. Die jetzt vorgesehene
punktuelle Verankerung von Informationsrechten im Fachgesetz vermag in kei-
ner Weise ein eigenständiges Verbraucherinformationsgesetz zu ersetzen. Dabei
haben die Regierungsfraktionen seit längerem ein eigenständiges und umfas-
sendes Verbraucherinformationsgesetz gefordert. Parallel hat die Bundesregie-
rung Initiativen für ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz des Bundes
ergriffen. Neben diesen geplanten umfassenden Regelungen der Informations-
rechte der Bürgerinnen und Bürger mutet sich der eingebrachte Änderungs-
antrag wie Flickwerk an. Außerdem scheinen die beiden Gesetzesvorhaben
nicht aufeinander abgestimmt zu sein. Anstatt eine durchdachte und kohärente
Regelung von Informationszugangsrechten zu schaffen, versuchen die Regie-
rungsfraktionen ein reduziertes Verbraucherinformationsgesetz durch die Hin-
tertür einzuführen. Derartige Verfahren verhindern ausgewogene und von allen
Betroffenen mit diskutierte interessengerechte Lösungen.
Vor diesem Hintergrund wird deshalb zu erörtern sein, wie für andere als die
vom Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch erfassten Erzeugnisse Verbrau-
cherinformationsansprüche gegenüber den Behörden künftig zu regeln sind.
Bestimmte für die Verbraucher relevante Informationen und Daten können über
die Behörden erschlossen werden. Um die bereits vorhandenen Informations-
quellen zu vervollständigen und so ein umfassendes Konzept der Verbraucher-
information zu schaffen, müssen die behördlichen Informationen für den Ver-
braucher auch aufgearbeitet werden, sofern dies mit vertretbarem Aufwand
möglich ist. Informationen, die der Verbraucher abrufen kann, müssen für ihn
verständlich und verwertbar sein. Der Gesetzentwurf sieht dieses Erfordernis
lediglich als Soll-Vorschrift vor. So kann es diesbezüglich zu einer uneinheit-
lichen Auskunftspraxis seitens der verschiedenen Behörden kommen, die zur
Verunsicherung der Verbraucher und zu negativen Auswirkungen für die Unter-
nehmen führen kann. So reichen z. B. alleinige Informationen über bestimmte
Höchstwerte in Lebensmitteln nicht aus, wenn sie nicht in Relation zu einer
möglichen Gesundheitsgefährdung gesetzt werden. Ebenso wird der Informa-
tionsanspruch während eines laufenden Verwaltungsverfahrens nicht ausdrück-
lich ausgeschlossen, um so den Grundsatz der Vertraulichkeit des Verwaltungs-
verfahrens zu wahren und wirtschaftliche Schäden bei Unternehmen durch die
Veröffentlichung nicht verifizierter Verdachtsmomente zu meiden.
Wie die Lebensmittelskandale der jüngsten Zeit gezeigt haben, brauchen wir im
Interesse der Verbraucher und der Wirtschaft eine bundeseinheitliche Risiko-
kommunikation. Der Informationsstand der Verbraucher kann nicht davon ab-
hängen, ob einzelne Länder Regelungen zur Verbraucherinformation haben und

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wie diese ausgestaltet sind. Zudem muss die Wirtschaft wissen, wann und wie
die Behörden informieren. So darf es Warnungen ins Blaue hinein nicht geben.
Es ist somit richtig, im Fachrecht den Bereich der Warnung und aktiven Infor-
mation der Öffentlichkeit durch die Behörden zu regeln, damit Rechtsunsicher-
heiten und unverhältnismäßige Eingriffe in grundrechtlich geschützte Inte-
ressen der Hersteller vermieden werden. Diesbezüglich ist in Fällen mit Ge-
sundheitsrelevanz eine in Bezug auf das Ob und Wie klare bundeseinheitliche
Regelung zur aktiven behördlichen Information unterhalb der Schwelle der Ge-
sundheitsgefahr zur Sicherstellung eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes zu
schaffen. Insgesamt gesehen werden die im Abschnitt 11 des Gesetzentwurfs
vorgesehenen Bestimmungen diesen Anforderungen jedoch nicht gerecht.
Vor diesem Hintergrund ist der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz-
entwurf zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts abzuleh-
nen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
den Gesetzentwurf in wesentlichen Punkten wie folgt zu ändern:
• die Struktur des Gesetzes grundlegend redaktionell zu überarbeiten, um die

Rechtsanwendung und damit auch die Rechtssicherheit und die Einhaltung
der Normen zu erleichtern. Es sollte im Gesetzbuch das Lebensmittel- und
Futtermittelrecht in vollständig getrennten Kapiteln abgehandelt werden.
Der enge Zusammenhang von Lebensmittel- und Futtermittelrecht sollte
entsprechend dem Vorbild der EU-Verordnungen durch einheitliche Be-
griffe, einen einheitlichen Aufbau sowie wortgleiche Ge- und Verbote im
verfügenden Teil zum Ausdruck gebracht werden;

• das Futtermittelrecht im Hinblick auf die Zunahme der für Futtermittel rele-
vanten Paragraphen, die zudem teilweise „Erzeugnisse“ betreffen und im
Hinblick auf die Zunahme der Verordnungsermächtigungen zu überarbeiten;

• die im Gesetzentwurf vorgesehen Verordnungsermächtigungen zu präzisie-
ren und einzugrenzen;

• Tabak und Tabakerzeugnisse wie bisher im Lebensmittelrecht durch vier
spezifische Paragraphen im LFGB zu regeln;

• den Anspruch auf Verbraucherinformation bei Behörden dahin gehend zu
verbessern, dass die Informationen bei vertretbarem Aufwand verpflichtend
aufgearbeitet und verständlich zur Verfügung zu stellen sind;

• den Informationsanspruch während eines laufenden Verwaltungsverfahrens
ausdrücklich auszuschließen;

• die Bestimmungen der Verbraucherinformation dahin gehend zu erweitern,
dass sie nicht nur das Risiko einer konkreten Gesundheitsschädigung ab-
decken, sondern in gesundheitsrelevanten Fällen auch bundeseinheitlich die
Sicherstellung des vorbeugenden Gesundheitsschutzes gewährleisten.

Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert, darzulegen, wie sie
künftig die Verbraucherinformationsrechte außerhalb des LFGB regeln möchte
und wie die inhaltliche Verzahnung mit dem Informationsfreiheitsgesetz er-
folgt.

Berlin, den 22. November 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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