BT-Drucksache 15/423

Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland

Vom 11. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/423
15. Wahlperiode 11. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Katherina Reiche, Helmut Heiderich, Dr. Maria Böhmer,
Thomas Rachel, Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Dr. Christoph Bergner,
Peter Bleser, Helge Braun, Peter H. Carstensen (Nordstrand), Gitta Connemann,
Albert Deß, Vera Dominke, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Dr. Maria Flachsbarth,
Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, Dr. Peter Jahr, Volker Kauder, Julia
Klöckner, Michael Kretschmer, Werner Lensing, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn),
Marlene Mortler, Bernhard Schulte-Drüggelte, Uwe Schummer, Kurt Segner,
Marion Seib, Jens Spahn, Angelika Volquartz, Ingo Wellenreuther und
der Fraktion der CDU/CSU

Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den Forschungs- und
Wirtschaftsstandort Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Biowissenschaften bieten die Chance, zur Lösung zahlreicher globaler Pro-
bleme im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung und Umwelt sowie
nachhaltiger Entwicklung beizutragen. Die Bio- und Gentechnologie ist eine
Leittechnologie der nächsten Jahrzehnte mit sehr breiten Anwendungsmöglich-
keiten in der Genom- und Proteomforschung, Bioinformatik, Pharmazie und
Medizin, in Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung und Umweltschutz. Die
Schlüsselfaktoren für die Entwicklung der Biotechnik sind erstklassige For-
schung, öffentliche Förderung, Mobilisierung privater Mittel, Vernetzung der
Forschung, strenge Sicherheitsregeln, gesellschaftliche Akzeptanz durch Trans-
parenz und Wahlfreiheit, Rechtssicherheit und Nachwuchsförderung.
Die Biotechnologiepolitik der Bundesregierung von SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN hat deutliche Schwächen und ist inkonsistent. Weite Bereiche
der Biotechnologie befinden sich inzwischen in einer Phase der Konsolidierung
bzw. Stagnation, zum Teil bis zur Existenzgefährdung. Wichtige Querschnitts-
und Schlüsselfelder, wie die Bioinformatik, kommen zu kurz. Die grüne Gen-
technik wird aus ideologischen Gründen ausgebremst. In der Forschungsförde-
rung fehlt die Planungssicherheit. Den Biotechnologieunternehmen fehlen
finanzielle Mittel. Durch die langen Forschungs- und Genehmigungslaufzeiten
sind sie von Venture Capital abhängig. Die zur Verstärkung der Genomfor-
schung aus den UMTS-Zinsersparnissen bereitgestellten Mittel decken nicht
den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) festgestellten Bedarf
und stehen nur bis Ende 2003 zur Verfügung. Auch gibt es kein wirtschaftliches
Rahmenkonzept, das den seit Mitte der 90er Jahre in einer großen Zahl gegrün-
deten Biotechnologieunternehmen eine stetige und gesunde Entwicklung er-
möglicht. Es gibt nur punktuelle Maßnahmen der Nachwuchsförderung, aber
kein abgestimmtes nationales Konzept. Ebenso ist die Frage des Umgangs mit

Drucksache 15/423 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

den rasant steigenden Möglichkeiten der Gendiagnostik, insbesondere im Hin-
blick auf ihre Anwendung im Versicherungswesen und im Arbeitsleben, recht-
lich nicht geregelt. Um den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland
zu stärken, muss die nationale Biotechnologiestrategie ergänzt und weiterent-
wickelt werden.
Erforderlich ist vor allem:
– Planungssicherheit in der Forschungsförderung;
– Fokussierung der Grundlagenforschung auf Zukunftsfelder, wie zum Bei-

spiel die Funktionsanalyse der entschlüsselten Genome, die Proteomfor-
schung und die Technologieentwicklung für die Genom- und Proteinfor-
schung;

– ein Konzept für den Ausbau der Bioinformatik. Der Bedarf an Bioinformati-
kern wächst rapide;

– die Entwicklung von nationalen Netzwerken unter Beteiligung von Unter-
nehmen, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen so-
wie ihre Einbindung in internationale Netzwerke unter Berücksichtigung des
6. EU-Forschungsrahmenprogramms;

– die verstärkte Einwerbung von privatem Kapital für die Biotechnologiefor-
schung und -anwendung sowie eine Wirtschaftspolitik, die die Entwicklung
der jungen Biotechunternehmen stabilisiert und ihnen verlässliche Zukunfts-
perspektiven gibt;

– Beseitigung des Nachwuchskräftemangels in der Biotechnologie. Engpässe
gibt es nicht nur bei Wissenschaftlern, sondern auch bei Laboranten und
Technikern. Erforderlich sind eine Verstärkung des naturwissenschaftlichen
Unterrichts in den Schulen, die Verbesserung der Studienbedingungen in
den naturwissenschaftlichen Fächern, eine Reform der Fachschulausbil-
dung, die intensivere Förderung von Nachwuchswissenschaftlern und klare
Regelungen für die Beschäftigung von ausländischen Spezialisten;

– Beendigung der Vernachlässigung der grünen Biotechnologie. Auflage eines
10-Jahres-Programms für die Entwicklung der biotechnischen Potenziale in
den Sektoren Ernährung, natürliche Rohstoffversorgung, Energieeinsparung
und Umweltentlastung. Beendigung des De-facto-Moratoriums hinsichtlich
der Zulassung und des Inverkehrbringens von genetisch veränderten Orga-
nismen in Europa und Deutschland, schnellstmögliche Umsetzung der EU-
Freisetzungsrichtlinie und Etablierung von praktikablen Kennzeichnungs-
regelungen mit allen für den Verbraucher relevanten Informationen;

– Rechtssicherheit bei Genehmigungs- und Zulassungsverfahren sowie bei der
Verwertung biotechnologischer Erfindungen. Das heißt, zunächst die EU-
Biopatentrichtlinie unter Ausschöpfung des gesetzgeberischen Spielraumes
in deutsches Recht umzusetzen und gleichzeitig darauf hinzuwirken, dass
das internationale Patentrecht innovationsfördernd sowie ethisch und sozial-
verträglich weiterentwickelt wird;

– die Schaffung verbindlicher Regelungen für den Umgang mit genetischer
Diagnostik, insbesondere prädiktiver Diagnostik im Bereich der Medizin,
der Versicherungen und im Arbeitsrecht.

1. Bildungs- und Forschungspolitik
Die Bio- und Gentechnik wird eine der wichtigsten Leittechnologien der nächs-
ten Jahrzehnte. Die gentechnische Forschung durchdringt die gesamte Medizin,
Biologie sowie weitere Teile der übrigen Natur- und Ingenieurwissenschaften.
Eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau einer funktionierenden Bio-
technologiestruktur ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/423

Deutschland muss in den Schulen das Interesse an den Naturwissenschaften
fördern. Wir brauchen mehr Naturwissenschaftler.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) biotechnische Forschungsschwerpunkte im Dialog mit den Ländern und den

Wissenschaftseinrichtungen festzulegen sowie die Forschungsmittel tatsäch-
lich stetig zu erhöhen statt nur von „Verdoppelung“ zu reden, vor allem um
die Spitzenforschung zu unterstützen;

b) die Mittel für die Forschung auch nach dem Auslaufen der Sonderförderung
aus UMTS-Mitteln, d. h. auch nach dem Jahr 2003, kontinuierlich zu erhö-
hen und dabei vor allem die Projektförderung auszubauen;

c) die Effizienz der Forschung durch mehr Wettbewerb bei der Vergabe von
Forschungsmitteln zu steigern;

d) den weiteren Auf- und Ausbau von Kompetenzzentren und von Netzwerken
bestehend aus Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitären For-
schungseinrichtungen zu fördern. Dabei ist insbesondere die Voraussetzung
für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Biologen, Medizinern, Che-
mikern, Physikern, Informatikern und Ingenieuren zu schaffen. Die Integra-
tion der nationalen Bio-Netzwerke in die internationalen Netzwerke ist zu
unterstützen;

e) die Länder-, Bundes- und EU-Aktivitäten (insbesondere das 6. EU-For-
schungsrahmenprogramm) zu koordinieren;

f) die Forschungsmittel auch im Bereich der grünen Gentechnik aufzustocken;
g) die Umweltforschung in Bezug auf die Bio- und Gentechnik besser zu

koordinieren;
h) die Grundlagenforschung im Bereich ernährungsbedingter Erkrankungen

und der Nutrigenomics weiterzuführen;
i) spezifische Ausbildungsprogramme für die klinische Forschung im biotech-

nologischen Bereich zu entwickeln;
j) die Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler an deutschen Hoch-

schulen und Forschungseinrichtungen dahin gehend zu verbessern, dass die
Neuregelung über die befristeten Beschäftigungsverhältnisse im Hochschul-
rahmengesetz novelliert oder durch einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag
ersetzt wird, um die Abwanderung junger Wissenschaftler in die Wirtschaft
oder ins Ausland zu stoppen;

k) den internationalen Austausch von Studenten und Wissenschaftlern zu
intensivieren;

l) bei den Bundesländern dafür zu werben, dass der naturwissenschaftliche
Unterricht in den Schulen und das Interesse der Schüler für die Naturwissen-
schaften gestärkt, die Hochschulausbildung an internationalen Standards
orientiert und die Fachschulausbildung für Techniker modernisiert werden.

2. Grüne Gentechnik
Die Gentechnik wird in der Landwirtschaft vorwiegend in der Tier- und Pflan-
zenzucht eingesetzt. Weitere Entwicklungen erfolgen in der Nahrungsmittelher-
stellung sowie in der Tierseuchenbekämpfung. Durch die Anwendung der Gen-
technik bei Pflanzen und Tieren erwarten wir Entlastungen für die Umwelt,
Vorteile für den Verbraucher und neue Einkommensquellen für Landwirte. Bei-
spiele sind Pflanzen mit veränderten Inhaltsstoffen für die industrielle Produk-
tion (nachwachsende Rohstoffe) oder Hilfs- und Aromastoffe für die Nahrungs-
mittelherstellung. Letztere werden bereits heute zu ca. 60 % mit gentechni-

Drucksache 15/423 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

schen Methoden hergestellt. Für das Inverkehrbringen gentechnisch veränder-
ter Organismen besteht EU-weit seit 1998 ein faktisches Moratorium. Es ist ein
Zulassungsstau entstanden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) ein 10-Jahres-Zukunfts-Programm für die Entwicklung der biotechnischen

Potenziale in den Sektoren Ernährung, natürliche Rohstoffversorgung und
Umweltentlastung aufzulegen;

b) die Forschung und Entwicklung von Nahrungsmitteln mit verbesserten In-
haltsstoffen, die insbesondere der gesundheitlichen Prävention dienen, ver-
stärkt zu fördern;

c) das De-facto-Moratorium hinsichtlich der Zulassung und des Inverkehrbrin-
gens von gentechnisch veränderten Organismen in Deutschland schnellst-
möglich aufzuheben;

d) die Transparenz für die Verbraucher zu verbessern, indem die Kennzeich-
nungsregelungen in der EU und in Deutschland im Interesse der Entschei-
dungsfreiheit der Verbraucher praktikabel weiterentwickelt und gesetzlich
fixiert werden;

e) die von Wissenschaft und EU vorgeschlagene 0,9-%-Regelung generell als
Schwellenwert für die Kennzeichnung gentechnischer Inhaltsstoffe einzu-
führen sowie standardisierte Nachweisverfahren zu entwickeln;

f) bei der gentechnischen Veränderung von Tieren ethische Aspekte mit zu be-
rücksichtigen und den Tierschutz zu gewährleisten; gentechnisch veränderte
Tiere dürfen nur dann in der Forschung und Landwirtschaft eingesetzt wer-
den, wenn feststeht, dass dies im Hinblick auf Gesundheit und Wohlbefin-
den der Tiere vertretbar ist;

g) über behördliche Entscheidungen, entsprechend der Praxis in den USA,
offen zu informieren und rechtswidrige Eingriffe von Bundesministern in
Genehmigungsverfahren und damit in die Unabhängigkeit von Genehmi-
gungsbehörden (wie bei der Zulassung von Bt-Mais geschehen) zu unter-
lassen;

h) die grüne Gentechnik zur Bekämpfung weit verbreiteter Volkskrankheiten
intensiv zu nutzen und entsprechende Forschungen entschlossen zu unter-
stützen.

3. Rote Gentechnik
Wichtige Anwendungen finden Bio- und Gentechnik vor allem im medizinisch-
pharmazeutischen Bereich, etwa in der Medikamenten- und Impfstoffentwick-
lung, der molekularen Diagnostik oder der Therapeutik. Aufgrund der Ergeb-
nisse der Gen- und Biotechnikforschung erwarten Experten, dass künftig viele
bisher nicht beeinflussbare schwere Erkrankungen geheilt werden können.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) die Akzeptanz für die biopharmazeutische Industrie in Deutschland weiter

zu verbessern; die Entwicklung von Arzneimitteln auch im biotechnischen
Bereich als Aufgabe der Wirtschaft zu unterstützen;

b) die Bereiche Humangenetik und Proteomforschung sowie die Entwicklung
neuer Technologien zur Entdeckung von Wirkstoffen für Arzneimittel in der
Forschungsförderung stärker zu berücksichtigen;

c) das Verbot der Keimbahntherapie beizubehalten. Es muss beim ethischen
Grundsatz bleiben, dass das Erbgut von künftigen Generationen nicht gezielt
genetisch beeinflusst wird. Die Wissenschaft steht hinsichtlich der Folgen-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/423

abschätzung bei der Gentechnik noch am Anfang. Sie ist noch weit davon
entfernt, die komplexen Funktionszusammenhänge auch nur annähernd zu
verstehen. Es wäre daher unverantwortlich, Manipulationen am mensch-
lichen Genom vorzunehmen, die sich auf nachfolgende Generationen erstre-
cken. Bisher gibt es auch keine medizinische Notwendigkeit, über den Ein-
satz von Keimbahntherapie nachzudenken;

d) die somatische Gentherapie umsichtig weiterzuentwickeln. Auch hier ist
weiter ein umsichtiges Vorgehen notwendig. Für Untersuchungen in diesem
Bereich wie auch in der Biopharmaforschung spielen Hochschulkliniken
eine besondere Rolle. Sie müssen personell, organisatorisch und finanziell in
die Lage versetzt werden, derartige Entwicklungen vorzunehmen;

e) die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass bei
der Stammzellforschung mit Stammzellen tierischen Ursprungs und mit
humanen adulten Stammzellen gearbeitet wird, um ethische Probleme zu
vermeiden. Es müssen Alternativen zur Forschung an embryonalen Stamm-
zellen verstärkt gefördert werden. Auch das Potenzial von Stammzellen aus
Nabelschnurblut von Neugeborenen ist weiter gezielt zu untersuchen;

f) klare Regelungen für die genetische Diagnostik, insbesondere die prädiktive
Diagnostik, vorzuschlagen:
l wegen der Bedeutung genetischer Diagnosen darf die Inanspruchnahme

von genetischer Beratung und Diagnostik nur auf freiwilliger Basis nach
Einwilligung des Betroffenen erfolgen. Humangenetische Untersuchun-
gen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar erzwungen werden. Es muss
jedem Menschen freigestellt bleiben, ob und welchen Tests er sich unter-
zieht;

l jeder muss auch das Recht haben, seine genetische Disposition nicht zu
kennen. Insofern darf jeder ein Recht auf Nichtwissen seiner genetischen
Konstitution für sich in Anspruch nehmen;

l die rechtswidrige Vornahme eines Gentests hat einem strafbewehrten
Verbot zu unterliegen;

l jeder muss das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Versiche-
rungs- und Arbeitsrecht haben, um Nachteile beim Zugang zu Arbeits-
plätzen, während einer Beschäftigung und beim Abschluss von Versiche-
rungen einschließlich der Kranken- und Lebensversicherung auszuschlie-
ßen;

l prädiktive Gentests dürfen im Rahmen von medizinischen Eignungs-
untersuchungen weder vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages noch
während der Dauer eines bestehenden Arbeitsverhältnisses weder ver-
langt noch angenommen noch in irgendeiner Form verwertet werden.
Dies schützt den Arbeitnehmer vor Diskriminierung aufgrund seiner ge-
netischen Disposition;

g) das Angebot von Gentests (so genannte Selbsttests) auf dem freien Markt zu
unterbinden;

h) den Rückstand der Therapien auf die Diagnostik so schnell wie möglich zu
verringern. Dies gilt auch für die Pränataltherapie, um möglichst viele der
erkannten Krankheiten im Mutterleib behandeln zu können.

4. Weiße Gentechnik
Durch die Anwendung von gentechnisch erzeugten Enzymen und gentechnisch
veränderten Organismen werden biotechnische Verfahren im Umweltschutz
und bei der Schonung natürlicher Ressourcen an Bedeutung gewinnen.

Drucksache 15/423 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l bio- und gentechnische Verfahren im Bereich der Umweltdiagnostik – ins-

besondere bei der Entwicklung von Biosensoren auf biotechnischer Grund-
lage – in der Forschungspolitik angemessen zu berücksichtigen,

l das Potenzial von Bioremediatoren und Phytoremediatoren, die Schadstoffe
im Boden abbauen können, stärker zu fördern,

l die umweltverbessernden Potenziale der gesamten Biotechnologie stärker
herauszustellen und durch Forschungsaufträge zu unterstützen.

5. Bioinformatik
Erfolgreiche Forschung in der Biologie, Chemie und Pharmazie setzt zuneh-
mend den umfassenden Einsatz von komplexer Datentechnik voraus. Wer in
der Molekularbiologie, Neurobiologie, Chemie oder Pharmazie neue Erkennt-
nisse gewinnen oder bessere Forschungsmethoden entwickeln will, muss sich
auch an der Weiterentwicklung der informatischen Methoden beteiligen. Be-
reits heute werden jährlich rund 800 bis 1 000 zusätzliche Bioinformatiker
benötigt.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) die Projektförderung im Bereich der Bioinformatik zu verstärken,
b) Anreize zu schaffen, um die Einführung des Studienganges Bioinformatik

an den Hochschulen zu beschleunigen,
c) verstärkt Mittel für die Weiterbildung von Naturwissenschaftlern und

Mathematikern zu Bioinformatikern zur Verfügung zu stellen.
6. Gesundheitspolitik
Im Gesundheitsbereich brauchen wir weltweit innovative Konzepte, die den
Bedürfnissen einer alternden Bevölkerung in den Industrieländern und der
Menschen in den armen Ländern gerecht werden. Noch immer gibt es für die
Hälfte aller Krankheiten in der Welt keine Heilung; selbst bekannte Behand-
lungsmethoden wie der Einsatz von Antibiotika verlieren aufgrund zunehmen-
der Resistenz der Erreger an Wirkung. Die Biotechnologie erlaubt bereits heute
eine billigere, sichere und ethisch eher vertretbare Entwicklung von weiteren
traditionellen, wie auch neuartigen Medikamenten (etwa Wachstumshormone
für den Menschen, die nicht das Risiko einer Creutzfeldt-Jacob-Erkrankung mit
sich bringen, Humaninsulin und Impfstoffe gegen Hepatitis B sowie Tollwut).
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) eine schnellere Zulassung von „orphan drugs“ (Medikamente für seltene

Krankheiten) durch vereinfachte und damit kostengünstigere Verfahren zu
gewährleisten,

b) innovative Diagnosetests und Arzneimittel in den Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen,

c) eine frühzeitigere Zulassung von Medikamenten mit Auflagen zu ermög-
lichen (conditional approval),

d) „Compassionate Use“-Programme in Deutschland einzuführen.
7. Verbesserung der Akzeptanz
Die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist entscheidend für die Nutzung der Poten-
ziale der Bio- und Gentechnik. Um diese zu verbessern, müssen wir zum einen
die ethischen und gesellschaftlichen Fragen und Bedenken ernst nehmen, zum

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/423

anderen aber auch stärker auf den Nutzen einer Anwendung der Gentechnik
hinweisen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) für mehr Transparenz und eine verstärkte Wissenschaftsorientierung bei der

Risikobewertung und dem Risikomanagement zu sorgen,
b) die Ergebnisse der nationalen und internationalen Sicherheitsforschung mit

Hilfe auch moderner Kommunikationstechnik (Internet) in der Öffentlich-
keit bekannt zu machen,

c) den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Verbraucher zu fördern
und zu institutionalisieren,

d) eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur ganzheitlichen
Diskussion der Biowissenschaften zu unterstützen.

8. Wirtschaftliche Stärkung der Biotechnologieunternehmen
Über die speziellen Forderungen in Bezug auf die rote, grüne und weiße Gen-
technik hinaus müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert
werden. Ohne finanziell gesunde Biotech-Unternehmen kann Deutschland im
Bereich Life-Sciences im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. Diese
sind forschungsintensiv und liefern Forschungs- und Entwicklungsergebnisse
für die Pharma-, Chemie- und Agrobioindustrie. Biotech-Unternehmen brau-
chen in der Startphase Eigenkapital in Form auch von Wagniskapital, günstige
steuerliche Rahmenbedingungen und den Verzicht auf unnötige bürokratische
Hürden im Bereich der Genehmigungs- und Zulassungsverfahren. Sie benöti-
gen in der zweiten Phase der Entwicklung verstärkt die Chance zur Eigenkapi-
talbildung und zur Unterstützung durch Risikokapitalgeber.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) das „Steuervergünstigungsabbaugesetz“ zurückzunehmen,
b) öffentliche Eigenkapitalförderprogramme in Ausrichtung, Dotierung und

Konditionen beizubehalten und insbesondere für Erweiterungsphasen der
jungen Unternehmen zu verstärken,

c) bürokratische Hemmnisse gerade in der Phase der Gründung und Konsolidie-
rung von Unternehmen abzubauen, z. B. durch die Abschaffung des Schein-
selbstständigengesetzes sowie durch Erleichterungen bei der Vereinbarung
von Teilzeitarbeit, von Zeitarbeit und von befristeten Arbeitsverhältnissen.

9. Patentschutz
Ein wirksamer Patentschutz ist eine wesentliche Voraussetzung für Investitio-
nen von Biotechnologieunternehmen. Unternehmen sind nur dann bereit, die
hohen Kosten für die Entwicklung von Produkten, z. B. Arzneimitteln, aufzu-
bringen, wenn Investitionen durch Patente geschützt werden.
Vor allem kleine, forschungsintensive Biotech-Unternehmen sind auf einen
ausreichenden Patentschutz angewiesen, da nur so Zufluss von Kapital sicher-
gestellt werden kann. Venture Capitalists oder Anleger in börsennotierte Unter-
nehmen gehen branchenübliche Risiken nur ein, wenn die für den Geschäfts-
erfolg wesentlichen Produkte oder Verfahren durch Patente geschützt werden
können.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) einen Entwurf zur Umsetzung der EU-Biopatentrichtlinie zügig unter Aus-

schöpfung des gesetzgeberischen Spielraumes vorzulegen;

Drucksache 15/423 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

b) den Aufbau privatwirtschaftlich organisierter und unternehmerisch handeln-
der Patent-/Lizenzverwertungsgesellschaften an den Hochschulen und im
Bereich institutionell geförderter Forschungseinrichtungen zu unterstützen;

c) den Sortenschutz von der Patentierung im biotechnologischen Bereich klarer
abzugrenzen und so zu harmonisieren, so dass es nicht zur getrennten
Lizenzerhebung kommt. Pflanzensorten und Tierrassen, auf denen Patente
beruhen, müssen von direkten und mittelbaren Patentansprüchen ausgenom-
men bleiben; Patentierung darf nicht dazu führen, dass Landwirte mit dop-
pelten Lizenzgebühren belastet werden.

10. Nationale und internationale Rahmenbedingungen
Eindeutige rechtliche Rahmenbedingungen sind die Basis für ein funktionie-
rendes Zusammenspiel zwischen der Industrie, der Forschung und der Öffent-
lichkeit. Sie geben dem Verbraucher Sicherheit und den Unternehmen Investi-
tionssicherheit, worauf vor allem kleine und mittlere Unternehmen angewiesen
sind.
Die Harmonisierung von nationalen und internationalen Regelwerken in der
Bio- und Gentechnik hat zunehmende Bedeutung für den weltweiten Handel
und die internationale Zusammenarbeit.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) sich dafür einzusetzen, dass die von der EU geplante zentrale Zulassungsbe-

hörde, die Europäische Lebensmittel-Behörde, die bei Anträgen auf Zulas-
sung von gentechnisch veränderten Organismen, Pflanzen und Futtermitteln
für einheitliche wissenschaftliche Maßstäbe und Grundsätze sorgt, in ihrem
zügigen Aufbau gefördert wird;

b) die Vorschriften für Genehmigungsverfahren, die zu beachtenden Standards
und die Kennzeichnungsvorschriften international zu vereinheitlichen sowie
Vereinbarungen wie den Codex Alimentarius und das Biosafety-Protocol zu
unterstützen;

c) das Gentechnikrecht in Deutschland zügig zu novellieren, dabei die Zulas-
sungs- und Genehmigungsverfahren zu straffen sowie das materielle Gen-
technikrecht zu vereinfachen, ohne das bestehende hohe Schutzniveau für
Mensch und Umwelt in Frage zu stellen;

d) die Wissenschaft stärker in Entscheidungsprozesse einzubeziehen;
e) die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG zügig in deutsches Recht umzuset-

zen;
f) die EU-Kommissionsvorschläge zur Kennzeichnung und Rückverfolgung

von gentechnisch veränderten Organismen sowie zur Regulierung von gen-
technisch veränderten Lebens- und Futtermitteln sollten zügig in nationales
Recht umgesetzt werden. Bei der Festlegung eines Rückverfolgbarkeitssys-
tems („Traceability“) sollte die internationale Handelssituation berücksich-
tigt werden;

g) die EU-Kommissionsvorschläge im Ministerrat zu Schwellenwert- und
Kennzeichnungsregeln zu unterstützen und für eine zügige Implementierung
einzutreten;

h) auf UN-Ebene eine Initiative einzubringen, die sowohl das therapeutische
als auch das reproduktive Klonen menschlicher Embryonen umfasst, und
unverzüglich Anstrengungen mit dem Ziel eines völligen Klonverbotes auf-
zunehmen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/423

11. Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit
Biowissenschaften und Biotechnologie bieten die Chance, einige der grund-
legenden Probleme der Dritten Welt in Bezug auf Nahrung und Gesundheit zu
lösen. Biowissenschaften sind kein Allheilmittel und können nicht die Vertei-
lungsprobleme der Dritten Welt lösen – sie können dazu aber einen wichtigen
Beitrag zum Abbau des Hungers in der Welt leisten. Die Innovationen können
den Entwicklungsländern helfen, Ertragssteigerungen mit einer nachhaltigen
Nutzung natürlicher Ressourcen, wirtschaftlicher Effizienz und Sozialverträg-
lichkeit zu vereinbaren.
Die UNDP (United Nations Development Programme) betont in ihrem Human
Development Report 2001 das Potenzial der Biotechnologie für die Dritte Welt.
Einige Schwellenländer wie China, Indien und Mexiko haben bereits ehrgei-
zige nationale Entwicklungsprogramme aufgelegt.
Potenzielle Anwendungen müssen untersucht und bewertet werden. Dabei sind
als Aspekte die Umweltsicherheit, die Verringerung von Armut, die Stärkung
der Versorgungssicherheit und die Nahrungsmittelqualität zu berücksichtigen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) für Rahmenbedingungen einzutreten, die es allen Ländern erlauben, Bio-

wissenschaften und Biotechnologie nach ihren eigenen Bedürfnissen und
Gegebenheiten zu entwickeln;

b) die Entwicklungsländer im Bereich der Forschung und darüber hinaus bei
der Ausbildung von Fachpersonal, beim Aufbau von Behörden und bei der
Zulassung von Produkten zu unterstützen;

c) die Möglichkeiten für Gerichte zu verbessern, für Erfindungen mit hohem
therapeutischen Wert gegebenenfalls Zwangslizenzen zu erteilen, damit
auch in Entwicklungsländern Krankheiten wie Aids wirkungsvoll bekämpft
werden können;

d) die Interpretation des Biosafety-Protocols und der Aarhus-Konvention („en-
vironmental information“) auf streng wissenschaftlicher Basis vorzunehmen;

e) zu helfen, auf allen internationalen Foren (einschließlich FAO, UNEP, CBD,
WTO, WHO und UNCTAD) ein kohärentes, umfassendes, wirksames,
transparentes und integratives Konzept für die Biotechnologie zu ent-
wickeln, um Überschneidungen zu vermeiden und den jeweiligen Sachver-
stand optimal zu nutzen. Dies gilt insbesondere für die OECD und beim
Codex Alimentarius („Ad Hoc Intergovernmental Task Force on Foods
Derived from Biotechnology“).

Berlin, den 11. Februar 2003
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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