BT-Drucksache 15/4135

Wirkungen und Nebenwirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes - Kritische Bestandsaufnahme

Vom 9. November 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4135
15. Wahlperiode 09. 11. 2004

Antrag
der Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz,
Dr. Wolf Bauer, Verena Butalikakis, Monika Brüning, Dr. Hans Georg Faust,
Michael Hennrich, Hubert Hüppe, Volker Kauder, Gerlinde Kaupa, Barbara
Lanzinger, Maria Michalk, Hildegard Müller, Matthias Sehling, Jens Spahn,
Matthäus Strebl, Gerald Weiß (Groß-Gerau), Wolfgang Zöller und der
Fraktion der CDU/CSU

Wirkungen und Nebenwirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes –
Kritische Bestandsaufnahme

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben vor
einem Jahr gemeinsam das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) in den Deut-
schen Bundestag eingebracht. Ziel war es zum einen durch eine umfassende
Reform, Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zu verbessern
und zum anderen einen Beitrag zur Konsolidierung der gesetzlichen Kranken-
versicherung und damit zur Senkung der Lohnnebenkosten zu leisten.
Von den strukturellenMaßnahmen, die zu einer Verbesserung der medizinischen
Versorgung führen, sind insbesondere die Stärkung der Patientensouveränität
und die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen hervorzuheben. So sind
mit dem GKV-Modernisierungsgesetz die Versicherten stärker in die Entschei-
dungsprozesse eingebunden worden. Ihre gewachsenen Beteiligungsrechte kor-
respondieren mit entsprechenden Informationsrechten. Die Versicherten erhal-
ten zum Beispiel auf Verlangen vomArzt, Zahnarzt oder Krankenhaus eine Kos-
ten- und Leistungsinformation in verständlicher Form. Sie können sich zudem
über die Höhe der Beiträge und ihre Verwendung bei ihrer Krankenkasse infor-
mieren. Im Unterschied zur Vergangenheit haben jetzt auch die Pflichtversicher-
ten die Möglichkeit, sich für eine Kostenerstattung zu entscheiden.
Die Weiterentwicklung der ambulanten Versorgungsstrukturen erfolgt im We-
sentlichen über den Ausbau der integrierten Versorgung. Eine Anschubfinanzie-
rung in Höhe von jeweils einem Prozent der ärztlichen Gesamtvergütung und
des Krankenhausbudgets soll helfen, die Abschottung von ambulantem und
stationärem Sektor zu überwinden und die fachübergreifende medizinische Zu-
sammenarbeit zu fördern. Letzteres wird auch durch die Errichtung so genannter
medizinischer Versorgungszentren begünstigt.
Ein weiteres wichtiges Ziel der Gesundheitspolitik ist die Stärkung der Präven-
tion. Prävention und Gesundheitsförderung sind gleichermaßen wichtig, um der
Entstehung von Krankheiten vorzubeugen. Gerade einer alternden Gesellschaft
muss daran gelegen sein, die Gesundheit zu erhalten und damit Lebensqualität,
Mobilität und Leistungsfähigkeit der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern.

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Hierzu ist ein abgestimmtes Konzept aller Beteiligten erforderlich. Deshalb war
es übereinstimmender Wille der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und CDU/CSU, dass im Anschluss an das GKV-Modernisierungsgesetz ein
eigenständiges Präventionsgesetz erarbeitet wird.
Das Hauptproblem der gesetzlichen Krankenversicherung aber sind die weg-
brechenden Einnahmen. Denn seit geraumer Zeit halten die Einnahmen infolge
hoher Arbeitslosigkeit nicht mehr mit der Entwicklung der Ausgaben Schritt.
Diese Finanzierungslücke darf nicht mehr über eine schleichende Rationierung
medizinischer Leistungen oder über ständig steigende Beiträge geschlossen
werden. Rationierung im Gesundheitswesen trifft insbesondere chronisch
Kranke und sozial Schwache. Sie führt auf Dauer zu einer Zwei-Klassenmedi-
zin. Steigende Beiträge verteuern die Arbeitskosten und zwingen immer mehr
Betriebe, insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen, Arbeitsplätze
abzubauen bzw. ins Ausland zu verlagern. Die hohe Arbeitslosigkeit wiederum
gefährdet die Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung. Alle
Anstrengungen waren daher darauf gerichtet, die Finanzen der GKV durch aus-
gewogene Sparbeiträge aller neu zu ordnen sowie Effizienz und Qualität der
medizinischen Versorgung durch strukturelle Reformen zu verbessern.
Neun Monate nach Inkrafttreten des GMG zeichnet sich ab, dass das Gesetz
Wirkung entfaltet. Die gesetzlichen Krankenkassen haben im ersten Halbjahr
2004 einen Überschuss in Höhe von 2,4Mrd. Euro erzielt, nachdem sie im ersten
Halbjahr 2003 mit einem Defizit in Höhe von 1,8 Mrd. Euro abgeschlossen hat-
ten. Gleichwohl besteht kein Grund zur Euphorie. Viel zu groß sind die Finan-
zierungsrisiken und deutliche Beitragssatzsenkungen daher kaum realisiert. Der
allgemeine durchschnittliche Beitragssatz ist bisher nur um 0,1 Beitragssatz-
punkte gesunken. Dies hat seine Ursache u. a. in der hohen Verschuldung der
Krankenkassen, die von der Bundesbank brutto mit 8,3Mrd. Euro beziffert wird.
Dagegen hat die Bundesregierung in den zurückliegenden Konsensgesprächen
die Gesamtschulden der GKV zum Jahresende 2003 mit einer Größenordnung
von 4 Mrd. Euro angegeben. Heute wird deutlich, dass Bundesministerin für
Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt, in den Verhandlungen mit
falschen Zahlen operiert hat. Zwischen den damals vorgelegten Zahlen und den
heute bekannten Zahlen klafft eine riesige Lücke.
Dass die finanzielle Lage der GKV auf der Einnahmenseite dramatischer ist, hat
aber vor allem seine Ursache in der steigenden Arbeitslosigkeit, die Ausdruck
einer verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung ist. Der
Bundesregierung ist es nicht gelungen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die
Inlandsnachfrage stärken. Insbesondere ist die Senkung der Lohnzusatzkosten
und die Flexibilisierung der Arbeitsmarktordnung nicht in ausreichendemMaße
erfolgt. Infolgedessen haben Unternehmen und Betriebe keinen Anreiz, Investi-
tionen zu tätigen, die für die Schaffung neuer Arbeitsplätze von zentraler Bedeu-
tung sind.
Angesichts der Verschuldung zahlreicher Kassen und trotz der bisher erzielten
Überschüsse ist daher fraglich, ob die Beitragssätze noch in diesem Jahr auf
breiter Front signifikant sinken werden. Da immer mehr Versicherte von Zu-
zahlungen befreit sind und die Steuerungswirkung der Selbstbeteiligung damit
zurückgeht, könnten sich dadurch die Überschüsse in der zweiten Jahreshälfte
reduzieren.
Nach aktuellen Berechnungen des Schätzerkreises der GKV wird der Beitrags-
satz bis Jahresende 2004 allenfalls bei 14,1 Prozent liegen und nicht wie – vom
GMG angestrebt – bei 13,6 Prozent. Im Jahr 2005 erwarten die Experten sogar
wieder einen leichten Anstieg der Beitragssätze. Der Schätzerkreis der GKV
begründet seine pessimistische Prognose mit zu erwartenden Ausgabensteige-
rungen und stagnierenden Beitragseinnahmen.

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In diesem Zusammenhang sind auch die mit den Disease-Management-Pro-
grammen verbundenen Verwaltungsausgaben zu erwähnen. Der Schätzerkreis
der Spitzenverbände der Krankenkassen berechnet allein für die Verwaltung und
Dokumentation einen Betrag von 160 Euro pro eingeschriebenem Patient. Da-
von soll der Arzt eine „Aufwandsentschädigung“ in Höhe von 75 Euro erhalten.
Insgesamt werden für das Jahr 2003 Verwaltungskosten für die Disease-Ma-
nagement-Programme in Höhe von 12 Mio. Euro berechnet. Weitere 10 Mio.
Euro fallen wegen der Dokumentation an. Für das Jahr 2004 werden Verwal-
tungskosten in Höhe von 88 Mio. Euro und Dokumentationskosten in Höhe von
79 Mio. Euro veranschlagt. Diese Tendenz wird sich in den kommenden Jahren
verstärken. Auch dies stellt somit ein Finanzrisiko für die gesetzliche Kranken-
versicherung dar.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat von Anfang an den hohen bürokra-
tischen Aufwand der Disease-Management-Programme und die Verknüpfung
dieser Programme mit dem Finanzausgleich der Krankenkassen kritisiert. Die
gigantischen Bürokratiekosten bestätigen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in
ihrer Meinung. Es ist bislang nicht erwiesen, dass die in den Risikostrukturaus-
gleich eingebundenen Disease-Management-Programme zu einer besseren Ver-
sorgung der Patienten führen. Deshalb tritt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
dafür ein, diese Disease-Management-Programme vom Risikostrukturausgleich
zu entkoppeln.
Schon im Hinblick auf die pessimistische Prognose des Schätzerkreises der
GKV ist es geboten, eine kritische Bestandaufnahme des GKV-Modernisie-
rungsgesetzes in Form eines Berichts der Bundesregierung vorzunehmen. Sie ist
auch deshalb notwendig, weil sich in der Praxis gezeigt hat, dass das GKV-Mo-
dernisierungsgesetz in seiner Anwendung und Wirkung neue Fragen aufwirft,
die einer Klärung bedürfen, und weil unklar ist, ob einige der finanziellen und
strukturellen Maßnahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes den angestrebten
Erfolg herbeiführen werden.
So ist im Rahmen der Konsensgespräche vereinbart worden, die Finanzierungs-
zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung für die medizinische Be-
handlungspflege erst ab dem Jahr 2007 von der sozialen Pflegeversicherung auf
die gesetzliche Krankenversicherung übergehen zu lassen. Die notwendige
Verlängerung der im SGB XI (§ 41 Abs. 2, § 42 Abs. 2, § 43 Abs. 2, 3 und 5 so-
wie § 43b) genannten Fristen für die Geltung der derzeitigen stationären Sach-
leistungspauschalen sowie zur Übertragung der Finanzverantwortung für die
medizinische Behandlungspflege in zugelassenen stationären Pflegeeinrichtun-
gen ist aber bislang noch nicht geregelt worden. Die Bundesregierung wird
daher ersucht mitzuteilen, in welchem Zusammenhang eine entsprechende
Regelung vorgesehen ist.
Ferner ist in der Koalition die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen
über Steuermittel in Frage gestellt worden, weil das Aufkommen aus der Tabak-
steuer im Jahr 2004 weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist und zu-
rückbleiben wird. Bereits im Rahmen der letzten Steuerschätzung im Mai 2004
sind die Tabaksteuereinnahmen für dieses Jahr um mehr als 1,3 Mrd. Euro nach
unten korrigiert worden. Die November-Steuerschätzung hat ein weiteres Minus
in Höhe von 850 Mio. Euro ergeben. Damit liegen die Einnahmen aus der
Tabaksteuer 2004 voraussichtlich sogar unter den Ist-Einnahmen des Jahres
2003. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hatte schon bei der
Verabschiedung des GMG die Finanzierung sog. versicherungsfremder Leistun-
gen aus Steuermitteln unter Vorbehalt einer jährlichen Überprüfung im Hinblick
auf das Mehraufkommen aus der Erhöhung der Tabaksteuer gestellt.
Auch die Ausgliederung des Zahnersatzes aus dem Leistungskatalog der GKV
mit der Möglichkeit, den Zahnersatz über eine einkommensunabhängige Pau-
schalprämie in der GKV oder nach den Regeln der PKV privat abzusichern,

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wurde von Bundesregierung und Koalition mit dem Gesetz zur Anpassung der
Finanzierung von Zahnersatz wieder aufgehoben. Wenige Monate vor Inkraft-
treten der bereits beschlossenen Regelung zum Zahnersatz wurde damit das Ver-
trauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit von Gesetzesbeschlüssen erschüt-
tert. Viele Menschen beklagen den Verlust von Planungssicherheit, vor allem
diejenigen, die sich bereits für eine private Absicherung des Zahnersatzrisikos
entschieden haben. Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung,
Ulla Schmidt, und die Koalition nutzten ein technisches Problem, das die Bun-
desregierung hätte rechtzeitig lösen können und müssen, um die Regelungen
beim Zahnersatz zu torpedieren und nahmen dabei billigend die Verunsicherung
der Bevölkerung in Kauf. Mit der Neuregelung des Zahnersatzes haben Bundes-
regierung und Koalition den Kompromiss aufgekündigt.
Die öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Anpassung der Finanzierung von Zahnersatz
am 23. September 2004 vor dem Ausschuss für Gesundheit und Soziale Siche-
rung des Deutschen Bundestages hat gezeigt, dass die von der Bundesregierung
vorgelegte Änderung von dem Kompromiss abweicht und schlechter ist als die
bis dahin geltende Regelung des GKV-Modernisierungsgesetzes.
Ein Bericht der Bundesregierung sollte auch auf Änderungen und deren finanzi-
elle Wirkungen für die Betroffenen eingehen, die durch andere gesetzgeberische
Maßnahmen verursacht sind. So entfällt infolge des § 35 Abs. 2 im Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) der bisher im Bundessozialhilfegesetz
(BSHG) in § 21 Abs. 3 festgeschriebene zusätzliche Barbetrag für Menschen in
Einrichtungen, die einen Teil ihrer Unterbringungskosten selber zu tragen ha-
ben, für alle, die erst 2005 ins Heim kommen. Nach der von Rot-Grün zu verant-
wortenden Stichtagsregelung in § 133a SGB XII wird der Zusatz-Barbetrag nur
für die Personen über 2004 hinaus erbracht, die bereits am 31. Dezember 2004
einen Anspruch auf den Zusatz-Barbetrag haben. Damit werden die Bewohner
von stationären Einrichtungen, die erst 2005 ins Heim kommen, nur noch über
einen einheitlichen monatlichen Barbetrag von 26 Prozent des Eckregelsatzes
der Sozialhilfe verfügen. Das entspricht nach der Regelsatzverordnung einem
Betrag von rund 89 Euro in den alten und rund 86 Euro in den neuen Bundes-
ländern. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich für die Beibehaltung des
Zusatz-Barbetrages ausgesprochen. Wir sehen in der Stichtagsregelung eine
nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Heimbewohner, die insbeson-
dere in Behindertenwohnheimen über Jahrzehnte anhalten würde. Bislang konn-
ten Heimbewohner, die einen Teil der Unterbringungskosten selbst finanzieren,
einen zusätzlichen Barbetrag von 5 Prozent ihres Einkommens, maximal
15 Prozent des Regelsatzes (rund 42 bis 44 Euro) behalten.
Aus dem verbleibenden Barbetrag müssen die Heimbewohner sowohl die jähr-
lichen Zuzahlungen in Höhe von 72 Euro – bzw. 36 Euro bei chronischer Erkran-
kung – als auch die Finanzierung sog. nichtverschreibungspflichtiger Medika-
mente erbringen. Für viele Menschen stellt dies eine besondere Härte dar, zumal
wenn die Zuzahlung auf einmal fällig wird. Aus diesemGrunde sollten sich nach
den Vorstellungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Siche-
rung die Spitzenverbände der Krankenkassen mit den Sozialhilfeträgern über
monatliche Abschlagszahlungen einigen. Derartige Vereinbarungen sind aber
nicht flächendeckend zustande gekommen.
Daher begrüßt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Initiative der Koalitions-
fraktionen, die die Sozialhilfeträger zur Gewährung eines zinslosen Darlehens
an die Sozialhilfeempfänger in Heimen gesetzlich verpflichtet.
Im Übrigen ist zu prüfen, wie mehr Gerechtigkeit zwischen Selbstzahlern in
Heimen und Sozialhilfeempfängern zu erreichen ist. Für Selbstzahler, die einen
hohen Beitrag zur Unterbringung in einemHeim leisten, und mit ihrem Einkom-
men knapp über den Unterbringungskosten liegen, wird das gesamte Einkom-

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men ohne Berücksichtigung der Unterkunftskosten zur Ermittlung der Belas-
tungsgrenze herangezogen, obgleich den Selbstzahlern nicht mehr Geld zur
Verfügung steht als Sozialhilfeempfängern.
Als problematisch erweist sich weiterhin die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgenommene Anrechnung der Bruttoeinnahmen
von Beihilfeberechtigten bei der Ermittlung der Belastungsgrenze des gesetzlich
Versicherten. Grundsätzlich werden bei der Berechnung die Einkommen der mit
dem gesetzlich Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen
sowie des Lebenspartners mit gewissen Abschlägen zur Ermittlung der Belas-
tungsgrenze herangezogen. Da die Belastungsgrenze in Höhe von 2 Prozent
oder 1 Prozent als relative Größe auf das jeweilige Bruttoeinkommen bezogen
wird, sinkt bzw. steigt der absolute Wert der Belastungsgrenze mit der Höhe des
Bruttoeinkommens.
Bei der Berechnung der Belastung werden aber nur Zuzahlungen der gesetzlich
Krankenversicherten berücksichtigt. Die Eigenbehalte, die Beihilfeberechtigte
auf Grund einer wirkungsgleichen Übertragung der Regeln des GKV-Moder-
nisierungsgesetzes auf die Beihilfevorschriften ebenfalls bis zu 2 Prozent und
bei chronischer Erkrankung bis zu 1 Prozent tragen müssen, bleiben hingegen
unberücksichtigt. Dies hat zur Folge, dass der gesetzlich Versicherte, der mit
einem Beihilfeberechtigten in häuslicher Gemeinschaft lebt, alleine mit seinen
Zuzahlungen die Belastungsgrenze des sich aus seinem Einkommen und den
Beamtenbezügen zusammensetzenden Familieneinkommens erreichen muss,
bevor er befreit werden kann. Solchen Haushalten wird somit bei gleichem
Gesamteinkommen eine höhere Belastung zugemutet als Haushalten, in denen
alle GKV-versichert sind oder alle privat versichert sind, zumal die Beihilfe-
vorschriften umgekehrt auch das Einkommen des GKV-versicherten Ehegatten
bei der Ermittlung der Belastungsgrenze des Beamten nicht berücksichtigen.
Bei den nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist immer wieder darauf
hingewiesen worden, dass ihre Herausnahme aus dem GKV-Leistungskatalog
zu einer Substitution durch teure verschreibungspflichtige Arzneimittel führen
könne. In anderen Fällen kommt es hingegen nicht zu einer Substitution, son-
dern möglicherweise zu einer Unterversorgung. So befürchten Kinder- und Ju-
gendärzte bei einer Million Jugendlichen, die an Inhalationsallergien oder Neu-
rodermitis leiden, eine unzureichende Versorgung. Zum Therapiestandard ge-
höre bei diesen Erkrankungen die Behandlung mit sog. nicht-verschreibungs-
pflichtigen Arzneimitteln wie Augentropfen, Nasensprays und systemischen
Antihistaminika. Viele Eltern seien nun nicht mehr in der Lage, die Behand-
lungskosten, die sich oftmals auf mehrere 100 Euro pro Pollensaison je Kind be-
liefen, zu tragen. Viele Betroffene würden daher den Arzt erst gar nicht aufsu-
chen mit der Konsequenz einer schweren Verlaufsform der Erkrankung bis hin
zu einer Dauerschädigung durch Asthma bronchiale. Auch Hautärzte äußern
sich zunehmend besorgt.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich dafür aus, die Einwände der
Kinder- und Jugendärzte ernst zu nehmen und zu prüfen, ob es zu der behaup-
teten Unterversorgung kommt. Es darf jedenfalls nicht sein, dass diese Jugend-
lichen infolge des Ausschlusses nicht-verschreibungspflichtiger Arzneimittel
chronisch erkranken und dann wieder in die Chronikerprogramme eingeschleust
werden. Dies wäre eine kurzsichtige und weder für die Betroffenen sinnvolle
Verbesserung ihrer gesundheitlichen Versorgung noch für die Beitragszahler
eine effiziente Gesundheitspolitik. In jedem Fall sollte in einem ersten Schritt
geprüft werden, ob die im gesamten SGB V geltende Altersgrenze von 18 Le-
bensjahren auch für die Erstattungspflicht bei nicht-verschreibungspflichtigen
Medikamenten für Kinder und Jugendliche in Betracht kommt einschließlich der
damit verbundenen finanziellen Folgen.

Drucksache 15/4135 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

In den zurückliegenden Verhandlungen zur Gesundheitsreform hatten Bundes-
regierung und Koalitionsfraktionen eine Verdoppelung des Krankenversiche-
rungsbeitrages auf Betriebsrenten und andere Versorgungsbezüge gefordert und
dies damit begründet, dass die eigenen Beitragszahlungen der Rentner heute nur
noch gut 40 Prozent ihrer Leistungsausgaben in der Krankenversicherung
abdeckten. Vor drei Jahrzehnten habe dieser Anteil noch 70 Prozent betragen.
Um die Belastung der erwerbstätigen Beitragszahler nicht noch stärker an-
steigen zu lassen und die Lohnnebenkosten zu senken, sei es erforderlich, die
Rentner wieder stärker an der Finanzierung ihrer Leistungsausgaben zu beteili-
gen. Die Union hatte die Regelung nur mitgetragen, weil die Bundesregierung
in den Verhandlungen eine Überprüfung der Auswirkungen nach Inkrafttreten
des GKV-Modernisierungsgesetzes zugesagt hatte und weitere Belastungen für
die Rentnerinnen und Rentner ausschloss. Diese Zusagen sind aber nicht einge-
halten worden. Durch die nachgelagerte Besteuerung der Renten, die Beitrags-
verdoppelung bei der Pflege, die Nullrunden bei Renten etc. wird es zu kumula-
tiven Effekten bei den Rentnerinnen und Rentnern kommen. Insofern ist es jetzt
gerechtfertigt, die Regelung zur Erhebung von Beiträgen auf Betriebsrenten und
Direktversicherungen im Hinblick auf deren Auswirkungen und unter dem As-
pekt der Wahrung des Vertrauensschutzes durch die Verfassungsressorts prüfen
lassen und den Deutschen Bundestag über das Ergebnis der Prüfung zu unter-
richten. Darüber hinaus ist eine zeitnahe Weitergabe von Beitragssatzänderun-
gen zugunsten der Betriebsrentner anzustreben.
Für Klarheit sollte die Bundesregierung schließlich bei der Herausnahme des
Sterbegeldes aus dem Leistungskatalog der GKV sorgen. Nach wie vor gibt es
in der Öffentlichkeit Unsicherheit und Diskussionen, ob die Streichung des
Sterbegeldes auch tatsächlich zum 1. Januar 2004 erfolgt ist. Im Sinne der
Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit sind Bundesregierung und Koalitions-
fraktionen aufgefordert, dies unmissverständlich zu klären.
Im Hinblick auf die gemeinsam von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
CDU/CSU vorgenommenen Änderungen bei der künstlichen Befruchtung und
im Hinblick auf Äußerungen aus Kassenkreisen, die künstliche Befruchtung in
Zukunft über Steuermittel zu finanzieren, ist von Bedeutung, wie sich die Zahl
der Anträge auf künstliche Befruchtung nach § 27a SGB V seit Inkrafttreten des
GKV-Modernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2004 entwickelt hat. Insbeson-
dere wird die Bundesregierung um eine familienpolitische Bewertung der Neu-
regelung ersucht.
In dem Maße, wie die Eigenverantwortung der Versicherten wächst, muss auch
Ihre Teilhabe an den Entscheidungen in der GKV wachsen. In diesem Sinne
sieht das GKV-Modernisierungsgesetz eine Stärkung der Patientensouveränität
vor. Um den Anliegen der Patientinnen und Patienten auf Bundesebene besser
Ausdruck zu verleihen, hat die Bundesregierung eine Patientenbeauftragte be-
stellt. Da die Patientenbeauftragte selbst an den Verhandlungen zum Gesund-
heitskompromiss beteiligt war, stellt sich die Frage, ob diese aus Sicht der Pati-
entinnen und Patienten akzeptiert wird und deren Anliegen unabhängig wahr-
nimmt. Entscheidend für die Wahrnehmung der Aufgaben als Patientenbeauf-
tragte ist ihre personelle und organisatorische Ausgestattung und die Art und
Weise, wie sie ihre beratende Funktion gegenüber der Bundesregierung ausübt.
Ein Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag sollte hierüber
ebenso Auskunft geben wie über die Nutzung der Kosten- und Leistungsinfor-
mationen von Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern durch die Versicherten
sowie der Informationen der Kassen über die Höhe der Beiträge und Verteilung
der Beitragsmittel auf Leistungsausgaben einerseits und Personal- und Verwal-
tungsausgaben andererseits. Der Bericht sollte dabei auch auf die Aufklärungs-
arbeit durch Leistungserbringer, Kassen und Bundesregierung hinsichtlich der
neu geschaffenen Informationsmöglichkeiten eingehen und mögliche Hinder-
nisse für die Inanspruchnahme der Informationen aufzeigen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/4135

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Krankenkassen zu
Beginn des Jahres über die für alle Versicherten geschaffene Möglichkeit der
Kostenerstattung häufig mit einem negativen Unterton informiert haben und so
den Versicherten nahe legten, von der Wahl der Kostenerstattung abzusehen. Es
besteht daher Informationsbedarf im Hinblick auf die Praxis der Kassen und
hinsichtlich der Akzeptanz der Kostenerstattung durch die Versicherten, vor
allem die Pflichtversicherten. Freiwillig Versicherte, die in der Vergangenheit
bereits Kostenerstattung wählen konnten, beklagen, dass sie dies nun nicht mehr
für einzelne Leistungsbereiche tun können, insbesondere für Zahnbehandlung
und/oder Zahnersatz. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich dafür aus,
zumindest den Altfällen wieder dieMöglichkeit der auf einzelne Leistungsberei-
che begrenzten Kostenerstattung einzuräumen.
Darüber hinaus werfen Schreiben von Bürgern die Frage auf, ob bei einer
Leistungsinanspruchnahme im Ausland die Formulierungen im GKV-Moder-
nisierungsgesetz sicherstellen, dass nur Leistungserbringer zu Lasten der GKV
in Anspruch genommen werden können, die die berufsrechtlichen Vorausset-
zungen (z. B. Approbation) erfüllen.
Zahlreiche Krankenkassen haben in den zurückliegenden Monaten mit Bonus-
angeboten geworben, die auf den Erlass der Praxisgebühr oder eine vollständige
Reduktion der Zuzahlungen zielten. Diese Angebote sind nicht mit dem GKV-
Modernisierungsgesetz vereinbar, das nur eine Ermäßigung der Selbstbeteili-
gungen erlaubt. Fraglich ist daher, ob die Aufsichten des Bundes und der Länder
die Bonusangebote beanstanden und ob diese sich rechnen und daher mit dem
Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar sind. Außerdem können die Kassen freiwil-
lig Versicherten Tarife mit Beitragsrückgewähr und Selbstbehalt anbieten. Ob
und wie die Kassen über diese Möglichkeiten informieren, ist ebenso wenig
bekannt wie die Annahme der Tarife durch die Versicherten.
Zu prüfen ist ferner, ob die bisher nur für freiwillig Versicherte zugänglichen
Steuerungsinstrumente „Selbstbehalt“ und „Beitragsrückzahlung“ auf Pflicht-
mitglieder ausgedehnt werden können. Denn gegenwärtig sind die Pflichtmit-
glieder von der Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Mitwirkung an der
Höhe ihrer Beiträge ausgeschlossen. Diese Ungleichbehandlung der überwie-
genden Zahl der GKV-Versicherten ist nicht gerechtfertigt.
Neben der Stärkung der Patientensouveränität sind Maßnahmen zur Verbesse-
rung der Qualität der Patientenversorgung ergriffen worden. Insbesondere die
Gründung medizinischer Versorgungszentren sollte unter Wahrung der Freibe-
ruflichkeit des Arztberufes junge Ärztinnen und Ärzte veranlassen, ohne eigenes
Investitionsrisiko in der ambulanten Versorgung tätig zu werden und so den sich
insbesondere in den neuen Ländern abzeichnenden Ärztemangel zu beseitigen.
Die Gründung medizinischer Versorgungszentren wird offenbar vor allem von
privaten Klinikbetreibern forciert, indem diese Vertragsarztsitze aufkaufen, die
nicht in unterversorgten Regionen liegen. Es zeichnet sich ab, dass die neue
Versorgungsform für eine Ausweitung des stationären Sektors zu Lasten der
freiberuflich tätigen niedergelassenen Ärzte genutzt wird, zumal die Kranken-
häuser für bestimmte Indikationen und hochspezialisierte Leistungen sowie im
Rahmen von Disease-Management-Programmen zur ambulanten Versorgung
geöffnet sind.
Soweit Hausarzttarife angeboten werden, müssen diese dem gesetzlichen Typus
der hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V entsprechen. Dazu ge-
hört vor allem der Erwerb und Nachweis der besonderen Qualifikation der für
diese Versorgungsform befähigten Hausärzte. Deshalb sind hausarztbasierte
Versorgungsmodelle, in denen Disease-Management-Programme im Rahmen
von integrierten Versorgungsformen nach den §§ 140 ff. SGB V angeboten wer-
den, dann inakzeptabel, wenn sie offensichtlich in der Absicht geschlossen wer-
den, finanzielle Zuweisungen wegen der RSA-Koppelung zu erhalten, gleich-

Drucksache 15/4135 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

zeitig bis zu 1 Prozent der Gesamtvergütungen abzuschöpfen und im Übrigen
die Bedingungen der im Kompromiss vereinbarten Qualitätsverbesserungen in
der hausärztlichen Versorgung zu umgehen.
Ferner ist zu beobachten, dass Krankenkassen bei Verträgen zur Integrations-
versorgung nach § 140a SGB V auf eine Bereinigung von Gesamtvergütungs-
anteilen gemäß § 140d SGB V verzichten. Ärztliche Leistungen, die im Rahmen
der Integrationsversorgung erbracht werden, sollen demnach weiterhin aus der
Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigung vergütet werden. Dies
widerspricht der Regelung des § 140d SGB V.
Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass Krankenkassen, wenn sie gemäß
§ 140d Abs. 1 und 2 SGB V Teile der Gesamtvergütung einer Kassenärztlichen
Vereinigung einbehalten bzw. bereinigen, aus diesem Betrag auch sämtliche
im Rahmen der Integrationsversorgung erbrachten Leistungen vergüten. Eine
Mischfinanzierung muss ausgeschlossen werden.
Schließlich ist festzustellen, dass die geltenden Regelungen nicht ausreichen,
um ausreichend Transparenz über die Verwendung von einbehaltenen bzw.
bereinigten Mitteln zu gewährleisten, ohne Schiedsämter und Sozialgerichte
bemühen zu müssen. Es muss sichergestellt werden, dass die einbehaltenen bzw.
bereinigten Mittel im Rahmen von Integrationsverträgen und nicht zur Ver-
gütung anderer Leistungserbringer eingesetzt werden. Obgleich mit Stand Mitte
Juli 2004 ca. 100 Vertragsmeldungen von Krankenkassen bei der von der Selbst-
verwaltung eingerichteten Registrierstelle eingegangen sind, sehen einige Kas-
sen den nach § 140d Abs. 1 SGB V erforderlichen Nachweis abgeschlossener
Verträge nicht als verpflichtend an.
Probleme treten auch bei der Umsetzung des § 116b Abs. 2 SGB V auf. Bislang
gibt es keinen einzigen Vertrag zwischen den Krankenkassen und einem Kran-
kenhaus über die Erbringung hochspezialisierter Leistungen oder die Diagnostik
und Behandlung von seltenen Erkrankungen bzw. Erkrankungen mit besonde-
rem Krankheitsverlauf. Zur Begründung wird seitens der Kassen darauf hinge-
wiesen, dass sie mit der Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung
bereits eine finanzielle Abgeltung für Leistungen im ambulanten Sektor erbracht
hätten. Auch hier bedarf es einer Klarstellung, damit die Regelungen – wie im
Kompromiss vereinbart und gewünscht – Wirkung entfalten können.
Diskussionen löste vor kurzem ferner die Einbeziehung patentgeschützter
Arzneimittel in die Festbetragsregelung aus und in diesem Zusammenhang der
Vorschlag forschender Arzneimittelhersteller zur Einbeziehung patentgeschütz-
ter Arzneimittel in eine Festbetragsgruppe mit Generika (sog. Jumbo-Gruppen).
Auf der Grundlage einer Studie wurde dargelegt, die Generikapreise seien in
Deutschland zu hoch, andererseits würde bei der Bildung von Jumbo-Gruppen
der Festbetrag für die patentgeschützten Arzneimittel zu niedrig liegen, und da-
her ein Aufsplitten dieser Gruppe angeregt. Nach Gesprächen des Bundesminis-
teriums für Gesundheit und Soziale Sicherung mit den betroffenen Verbänden
und dem Gemeinsamen Bundesausschuss blieb es aber bei der durch den Ge-
meinsamen Bundesausschuss vorgenommenen Gruppenbildung, ohne dass die
Gründe hierfür deutlich wurden. Eine Beanstandung erfolgte auch nicht hin-
sichtlich des Kriteriums therapeutische Verbesserung, obgleich seitens der Phar-
mazeutischen Industrie Kritik an der Definition der therapeutischen Verbesse-
rung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss geübt wurde. Auch hier sind die
Beweggründe der Bundesregierung nicht hinreichend deutlich geworden.
Schließlich ist für die Akzeptanz der Festbeträge ein Höchstmaß an Transparenz
erforderlich. Es ist fraglich, ob bei der Bildung der Festbetragsgruppen für pa-
tentgeschützte Arzneimittel ohne signifikante therapeutische Verbesserungen
dieser Verfahrensgrundsatz ausreichend beachtet worden ist.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/4135

Am 31. Dezember dieses Jahres laufen sowohl der Herstellerrabatt als auch das
Preismoratorium bei Arzneimitteln aus. Im Hinblick auf die bereits heute von
den Spitzenverbänden der Krankenkassen befürchtete Entwicklung der Arznei-
mittelausgaben im nächsten Jahr stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung
diese Entwicklung bewertet und welche Maßnahmen sie ergreifen wird, um die
Ausgabenentwicklung in den Griff zu bekommen.
Nachdem das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
errichtet und ein Institutsleiter bestellt worden ist, drängt sich die Frage auf, ob
angesichts der vielfältigen Aufgaben die sachliche und personelle Ausstattung
angemessen ist. Auch ist nicht erkennbar, welche Aufgaben in den nächsten
zwei Jahren primär vom Institut angegangen werden und welche Verfahren
dabei ggf. entwickelt werden müssen, z. B. bei der Nutzen-Bewertung von
Arzneimitteln.
Durch das GKV-Modernisierungsgesetz ist es dem Apotheker ermöglicht wor-
den, neben einer Hauptapotheke maximal drei Filialapotheken zu betreiben. Da-
bei bestand zwischen den Verhandlungspartnern der Konsensrunde Einverneh-
men, dass es für den Betrieb einer Hauptapotheke mit bis zu drei Filialen nur ei-
ner Betriebserlaubnis bedürfe. Ursprünglich hatten Bundesregierung und Koali-
tionsfraktionen eine Aufhebung des Mehrbesitzverbotes angestrebt und dies mit
der kumulativen Erteilung mehrerer Betriebserlaubnisse verknüpft. Gesetzes-
technisch setzte diese Regelung voraus, dass die bis dahin geltende Regelung,
wonach eine Betriebserlaubnis erlischt, wenn der Apotheker eine neue Betriebs-
erlaubnis erhält, gestrichen wurde. Nach dem Ergebnis der Kompromissver-
handlungen wurde es aber versäumt, in das GKV-Modernisierungsgesetz die bis
zu seinem Inkrafttreten gültige Regelung wieder aufzunehmen mit der Folge,
dass der Inhaber einer Apotheke mehrere Betriebserlaubnisse haben könnte. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion legt Wert darauf, dass der Filialbesitz, der
rechtstechnisch an der eigenverantwortlichen Leitung einer Apotheke festhält
und der sich auf maximal vier Betriebsstätten erstreckt, nicht dadurch zur Dis-
position gestellt wird, dass durch die Erteilung mehrerer Betriebserlaubnisse
faktisch Mehrbesitz eingeführt wird.
Verunsicherung besteht schließlich bei den Zahntechnikern. Sie weisen darauf
hin, dass in Regionen wie Bayern die Kassen in den Verhandlungen bestrebt
sind, die Preise für zahntechnische Leistungen unter den bundeseinheitlichen
Preis zu drücken, und sich dabei auf das GKV-Modernisierungsgesetz berufen,
das einen Preiskorridor von bis zu 5 Prozent über oder bis zu 5 Prozent unter den
bundeseinheitlichen Preisen bei zahntechnischen Leistungen vorsieht. Ziel die-
ses Korridors ist es, die in 16 Bundesländern sehr unterschiedlichen Preis-
niveaus für zahntechnische Leistungen so zu harmonisieren, dass für die Zahn-
techniker aus der Angleichung der Preise keine Gefahren für ihre wirtschaftliche
Existenz ausgehen. Hierbei ist auch Sorge dafür zu tragen, dass die Zahn-
techniker in den neuen Bundesländern nicht benachteiligt werden. Denn die mit
dem Beitragssatzsicherungsgesetz vorgenommene Absenkung der Preise um
5 Prozent hat viele Betriebe in existentielle Bedrängnis gebracht. Bestrebungen
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bundesregierung und Koalition zu einer
Rücknahme der Preisabsenkung zu veranlassen, nachdem die Anhebung der
Mehrwertsteuer auf zahntechnische Leistungen ausgeblieben war und somit den
Patienten keine höheren Eigenanteile bei Zahnersatz drohten, blieben ohne
Erfolg.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. ein Jahr nach Verabschiedung des GKV-Modernisierungsgesetzes eine kriti-

sche Bestandsaufname vorzunehmen und in einem Bericht an den Deutschen
Bundestag die finanziellen und strukturellen Wirkungen des GKV-Moder-
nisierungsgesetzes auf Patienten, Versicherte, Leistungserbringer und Kran-

Drucksache 15/4135 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

kenkassen darzulegen und dabei insbesondere auf folgende Aspekte einzuge-
hen:
l Beurteilung der Finanzentwicklung der GKV bis zum Ende der Legisla-

turperiode, insbesondere unter Berücksichtigung der Zuschüsse aus dem
Bundeshaushalt und der Verschuldung der Krankenkassen;

l Darstellung der Gesamtbelastungen für Haushalte mit geringem Einkom-
men aus Beiträgen, Leistungsausgrenzungen und Selbstbeteiligungen in
den Jahren 2004, 2005 und 2006;

l Darstellung der Verteilung von Entlastungen für Arbeitgeber und für Ar-
beitnehmer in den Jahren 2004, 2005 und 2006;

l Steuerungswirkung von Praxisgebühr und anderen Zuzahlungen generell
und nach Eintritt der Befreiung;

l Beurteilung der Einführung eines sog. Zuzahlungsheftes zur Vermeidung
von Missbrauch;

l Vermeidung von Ungerechtigkeiten zwischen Selbstzahlern und Sozial-
hilfeempfängern in Heimen;

l Substitution nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch teure ver-
schreibungspflichtige Arzneimittel;

l Unterversorgung und Gefahr einer Dauererkrankung bei Kindern und Ju-
gendlichen mit Allergien durch die Herausnahme nicht-verschreibungs-
pflichtiger Arzneimittel;

l Wahrung des Vertrauensschutzes bei der Erhebung von Beiträgen auf Be-
triebsrenten und Direktversicherungen;

l Darstellung und Beurteilung der Einsparungen, die durch die in § 129
Abs. 1 Nr. 2 SGB V (in Verbindung mit dem entsprechenden Rahmen-
vertrag der Spitzenverbände der Krankenkassen und der maßgeblichen
Spitzenorganisationen der Apotheken im Sinne von § 129 Abs. 2 SGB V)
eingeführte Verpflichtung zur Abgabe von preisgünstigen importierten
Arzneimitteln, deren Abgabepreis mindestens 15 Prozent oder mindestens
15 Euro niedriger ist als der Bezugsarzneimittelpreis, erfolgt sind;

l Darstellung und Beurteilung der Auswirkungen der Begrenzung des Leis-
tungsanspruchs bei künstlicher Befruchtung nach § 27a SGB V auf die
Entwicklung der Antragszahlen;

l Akzeptanz der Patientenbeauftragten durch die Patientinnen und Patienten
sowie sachliche und personelle Ausstattung und unabhängige Amtsfüh-
rung;

l Aufklärung über und Nutzung der Kosten- und Leistungsinformationen
durch Versicherte;

l Aufklärung über Verwendung der Beitragsmittel durch Kassen;
l Informationen der Kassen über freie Wahl der Kostenerstattung und Mög-

lichkeit, diese wieder auf einzelne Leistungsbereiche zu begrenzen;
l Sicherstellung, dass auch im Ausland nur Leistungserbringer in Anspruch

genommen werden können, die die berufsrechtlichen Voraussetzungen
erfüllen;

l Übersicht der von den Kassen in Zusammenhang mit Tarifen für Hausarzt,
Prävention, Vorsorge, Integrierte Versorgung und Disease-Management-
Programmen angebotenen Boni und Bewertung dieser Tarife und Boni
unter juristischen Aspekten und im Hinblick auf finanzielle Folgen sowohl

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/4135

für die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes als auch für den Risiko-
strukturausgleich;

l Einhaltung und Beachtung der im Konsens vereinbarten Qualitätsanforde-
rungen an Hausärzte;

l Angebote der Kassen für Tarife mit Selbstbehalt und Beitragsrückgewähr;
l Gründung medizinischer Versorgungszentren und ihre Folgen für die Frei-

beruflichkeit des Arztberufes, die angestrebte Beseitigung des Ärzteman-
gels, die Versorgung in strukturschwachen Regionen und den ambulanten
Sektor, auch mit Blick auf die Teilöffnung der Krankenhäuser;

l Errichtung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-
heitswesen, insbesondere über seine sachliche und personelle Ausstattung
einschließlich der Frage, welche Aufgaben in den nächsten zwei Jahren
primär vom Institut angegangen werden und welche Verfahren ggf. ent-
wickelt werden müssen, z. B. bei der Nutzen-Bewertung von Arzneimit-
teln;

l Festbetragsregelung einschließlich einer Beurteilung der Entwicklung von
Generikapreisen in Deutschland und eines Vorschlages der forschenden
Arzneimittelhersteller zur Änderung der Jumbo-Gruppen sowie einer
Bewertung der Definition der therapeutischen Verbesserung durch den
Gemeinsamen Bundesausschuss;

l Entwicklung der Arzneimittelausgaben im Jahr 2004 und im Jahr 2005
sowie beabsichtigte Maßnahmen der Bundesregierung;

2. zu prüfen, ob gesetzliche Änderungen angezeigt sind, im Hinblick auf:
l die Altersgrenze von 12 Lebensjahren bei nicht-verschreibungspflichtigen

Arzneimitteln;
l die Ermittlung der Belastungsgrenze bei GKV-Versicherten, die im ge-

meinsamen Haushalt mit einem Beihilfeberechtigten leben;
l eine Klarstellung des Verweises zum Kinderfreibetrag bei der Ermittlung

der Belastungsgrenze in § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V;
l die zeitnahe Weitergabe von Beitragssatzänderungen an Empfänger von

Versorgungsbezügen;
l die Sicherstellung, dass das Sterbegeld nicht mehr gewährt wird;
l die freie Wahl der Kostenerstattung für einzelne ambulante Leistungs-

bereiche;
l die Einführung von „Selbstbehalt“ und „Beitragsrückgewähr“ für alle

Versicherten;
l die Sicherstellung des Mehrbesitzverbotes durch Gewährung nur einer

Betriebserlaubnis an den Inhaber einer Apotheke;
3. dafür Sorge zu tragen, dass

l der Übergang der Finanzierungszuständigkeit der gesetzlichen Kranken-
versicherung bei der medizinischen Behandlungspflege entsprechend der
Vereinbarung im Konsens erst ab dem Jahr 2007 vorgenommen wird;

l eine Bereinigung der Gesamtvergütung gemäß § 140d SGB V im Rahmen
der integrierten Versorgung erfolgt;

l mit den einbehaltenen bzw. bereinigten Gesamtvergütungsanteilen sämt-
liche im Rahmen der integrierten Versorgung erbrachten Leistungen ver-
gütet und Mischformen der Abrechnung ausgeschlossen sind;

Drucksache 15/4135 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
l keine Vergütung anderer Leistungserbringer durch einbehaltene bzw. be-
reinigte Mittel aus Integrationsverträgen erfolgt;

l der Abschluss von Verträgen über die Erbringung hochspezialisierter
Leistungen, u. a. durch die Krankenhäuser ermöglicht wird;

l das Verfahren der Festlegung von Festbetragsgruppen transparent gestal-
tet wird;

l der Preiskorridor von bis zu 5 Prozent über oder bis zu 5 Prozent unter den
bundeseinheitlichen Preisen bei zahntechnischen Leistungen auch von den
Landesverbänden der Krankenkassen nicht so ausgelegt wird, dass Regi-
onen, in denen die Preise für zahntechnische Leistungen bisher über dem
bundesdurchschnittlichen Preis liegen, nunmehr ungeachtet der Kaufkraft
erheblich darunter sind und damit die Existenz des hiesigen zahntechni-
schen Handwerks gefährdet ist, hilfsweise die im Beitragssatzsicherungs-
gesetz vorgenommene Preisabsenkung um 5 Prozent aufzuheben, zumal
die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer auf zahntechnische Leistun-
gen unterblieben ist.

Berlin, den 9. November 2004
Horst Seehofer
Andreas Storm
Annette Widmann-Mauz
Dr. Wolf Bauer
Verena Butalikakis
Monika Brüning
Dr. Hans Georg Faust
Michael Hennrich
Hubert Hüppe
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Barbara Lanzinger
Maria Michalk
Hildegard Müller
Matthias Sehling
Jens Spahn
Matthäus Strebl
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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