BT-Drucksache 15/4063

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/3676, 15/3986, 15/4045- Entwurf eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Tagesbetreuungsausbaugesetz - TAG)

Vom 27. Oktober 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4063
15. Wahlperiode 27. 10. 2004

Entschließungsantrag
der AbgeordnetenMaria Eichhorn, Dr. Maria Böhmer, Gerda Hasselfeldt, Peter Götz,
Antje Blumenthal, Thomas Dörflinger, Ingrid Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth,
Markus Grübel, Volker Kauder, Dr. Günter Krings, Barbara Lanzinger, Werner
Lensing, Walter Link (Diepholz), Michaela Noll, Rita Pawelski, Hannelore Roedel,
Andreas Scheuer, Angela Schmid, Antje Tillmann, Annette Widmann-Mauz,
Willi Zylajew und der Fraktion der CDU/CSU

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/3676, 15/3986, 15/4045 –

Entwurf eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau
der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe
(Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz soll die Tagesbetreuung für Kinder,
insbesondere im Alter unter drei Jahren, in den westdeutschen Bundesländern
ausgebaut sowie die Sicherung und Weiterentwicklung eines bedarfsgerechten
Angebots an Tagesbetreuung für unter Dreijährige in den ostdeutschen Bundes-
ländern erreicht werden.
CDU und CSU setzen sich bereits seit langer Zeit für eine bessere Kinderbetreu-
ung für Kinder aller Altersstufen ein. Kernpunkt der Familienpolitik von CDU
und CSU ist die Wahlfreiheit für Eltern. Aufgabe des Staates ist es, den Eltern
möglichst viele Handlungsoptionen für ihre Lebensgestaltung und für die Erzie-
hung ihrer Kinder zu eröffnen.
Mit dem Angebot an vielfältigen und bedarfsgerechten Betreuungsangeboten
für Kinder sollen Eltern sowohl bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsauf-
gaben, als auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt werden.
Damit kann demWunsch insbesondere von Müttern nach einer Erwerbstätigkeit
besser entsprochen werden. Gerade imHinblick auf die demografische Entwick-
lung ist der Ausbau von Angeboten der Kinderbetreuung wichtig, um Paaren die
Entscheidung für Kinder zu erleichtern. Zudemmüssen Kinder früher und inten-
siver gefördert und gefordert werden, wie zahlreiche Studien (TIMSS, PISA,
IGLU) belegen. Dies gilt sowohl für die Erziehung und Bildung vor Eintritt in
die Schule als auch für die Schulzeit selbst. Da Kinder gerade in den ersten
Lebensjahren besonders wissbegierig sind und spielerisch lernen, muss diese
Chance für eine intensivere frühkindliche Förderung genutzt werden. Obwohl

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mit dem § 22 SGB VIII ein klarer Auftrag zur Betreuung, Bildung und Erzie-
hung besteht, werden diese drei Ziele bisher nicht gleichgewichtig umgesetzt.
Frühkindliche Bildung und ihre Unterstützung im Rahmen der Förderung von
Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege muss vor dem Hintergrund der
aktuellen bildungspolitischen Debatte deutlich verbessert werden. Die Jugend-
ministerkonferenz und die Konferenz der Kultusminister haben in diesem Jahr
gleich lautende Beschlüsse zur „Stärkung und Weiterentwicklung des Gesamt-
zusammenhangs von Bildung, Erziehung und Betreuung“ gefasst.
Die bessere Betreuung und Bildung von Kindern ist für CDU und CSU ein wich-
tiges Anliegen. Dies wird bereits imAntrag „Elternhaus, Bildung und Betreuung
verzahnen“ (Bundestagsdrucksache 15/3488) deutlich zum Ausdruck gebracht.
Vor allem unionsregierte Bundesländer haben Bildungspläne für Kinder bis zum
zehnten Lebensjahr vorgelegt, die gemeinsam von allen Verantwortlichen – El-
tern, Fachkräften, Trägern der Einrichtungen und Politik – umgesetzt und ver-
antwortet werden müssen.
Eine wichtige Voraussetzung für eine quantitativ und qualitativ bessere Betreu-
ung, die Eltern nicht übergebührlich finanziell belastet, und sie bei der Erzie-
hung unterstützt, ist eine verlässliche Finanzierungsgrundlage. In der Anhörung
zum Tagesbetreuungsausbaugesetz wurde von allen Experten erklärt, dass der
Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder unter drei Jahren ein wichtiges ge-
sellschaftspolitisches Ziel sei. Gleichzeitig wurde aber auch deutlich gemacht,
dass eine verlässliche Finanzierungsgrundlage die wesentliche Voraussetzung
dafür ist, dass in den Kommunen qualifizierte und dauerhafte Betreuungsange-
bote für Kinder entstehen können.
CDU und CSU haben daher in verschiedenen Stellungnahmen die Bundesregie-
rung wiederholt aufgefordert, ein seriöses Finanzierungskonzept vorzulegen.
Noch Ende April 2004 hatte die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Renate Schmidt, im Bundestagsausschuss versprochen, dass sie das
Gesetz nur dann in den Deutschen Bundestag einbringen wolle, wenn die Finan-
zierung gesichert sei. Diese Zusage wurde nicht eingehalten. Das vorliegende
Finanzierungskonzept ist unseriös. Das Tagesbetreuungsausbaugesetz ist defini-
tiv nicht finanziert. Bei einer Umsetzung des Gesetzentwurfs in der vorliegen-
den Fassung wird es unweigerlich dazu kommen, dass die höheren Kosten letzt-
lich von den Eltern getragen werden müssen.
Die Bundesregierung geht aktuell davon aus, dass den Kommunen zukünftig
jährlich 2,5 Mrd. Euro Entlastung aus der Zusammenlegung von Sozial- und
Arbeitslosenhilfe zuwachsen werden, von denen 1,5 Mrd. Euro für den Ausbau
der Kinderbetreuung verwendet werden sollen. Nach übereinstimmenden Schät-
zungen der kommunalen Spitzenverbände und der Jugendministerkonferenz
reichen die von der Bundesregierung zugesagten 1,5 Mrd. Euro zumAusbau der
Kinderbetreuung keinesfalls aus, sondern es sind dafür jährlich mindestens
2,5 Mrd. Euro in der Endstufe erforderlich und nicht bis zu 1,76 Mrd. Euro jähr-
lich, wie die Begründung zum Gesetzentwurf ausführt. Damit müssten jene Mit-
tel, die im Rahmen von Hartz IV als Entlastung für die Kommunen versprochen
worden waren vollständig für die Kinderbetreuung verwendet werden. Vor die-
sem Hintergrund ist es fraglich, wie die verheerende Finanzsituation der Kom-
munen (Finanzierungsdefizit 2003 8,5 Mrd. Euro) verbessert werden soll.
In der Anhörung wurde deutlich, dass die von der Gesetzesbegründung unter-
stellte Entlastung der Kommunen durch Hartz IV in Höhe von 2,5 Mrd. Euro
noch keineswegs gesichert ist. So hat das Land Nordrhein-Westfalen bereits
angekündigt, dass es seine etwaigen Einsparungen im Bereich des Wohngeldes
nicht vollständig an die Kommunen weitergeben will. Ein weiteres Problem bei
der Finanzierung durch Einsparungen aus Hartz IV ist auch, dass sich die Ent-
lastungen aus Hartz IV nicht mit den Belastungen aus dem TAG decken. So pro-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4063

fitieren zum Beispiel von den Einsparungen, die möglicherweise auf der kom-
munalen Ebene anfallen, vor allem die Sozialhilfeträger, also Kreise und kreis-
freie Städte. Diese sind aber nicht immer identisch mit dem Aufgabenträger. Die
Aufgaben der Kinderbetreuung werden überwiegend von kreisangehörigen
Städten und Gemeinden erfüllt, die durch dieses Finanzierungsvorhaben über-
haupt nicht finanziell entlastet werden. Zudem verteilen sich die Entlastungen in
Deutschland regional sehr unterschiedlich. In Kommunen, die nicht oder kaum
entlastet beziehungsweise sogar belastet werden, steht kein Geld zum Ausbau
der Kinderbetreuung zur Verfügung.
Erhebliche Diskrepanzen gibt es auch hinsichtlich der Berechnungen zu den Be-
triebs- und Investitionskosten für einen Kinderbetreuungsplatz. Die kommuna-
len Spitzenverbände haben nachweislich dem Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) Datenmaterial vorgelegt. Nach Berech-
nung der kommunalen Spitzenverbände liegen die Betriebskosten pro Platz und
Jahr bei 14 000 Euro. In Nordrhein-Westfalen wurde ermittelt, dass die Betriebs-
kosten pro Platz bei über 15 000 Euro liegen, die Länder Bremen und Hamburg
haben noch höhere Platzkosten von 18 000 Euro. Es ist daher zu befürchten, dass
der vom BMFSFJ angesetzte Betrag in Höhe von 12 000 Euro zu Lasten eines
qualifizierten Ausbaus von Betreuungsangeboten geht.
Auch hinsichtlich der Investitionskosten gibt es detaillierte Berechnungen der
kommunalen Spitzenverbände, die sich auf 42 000 Euro pro neu zu schaffendem
Platz belaufen. Auch hier ist das BMFSFJ mit 36 750 Euro deutlich unter dieser
Zahl geblieben.
Bedenken im Bereich der Finanzierung wurden von Experten auch dahin gehend
geäußert, dass die Kostenkalkulation eine angemessene Berücksichtigung der in
den neuen Bundesländern bereits seit Jahren getätigten Aufwendungen für die
Betreuung der Kinder unter drei Jahren vermissen lässt. So liegt die Versor-
gungsquote für diese Altersgruppe in den neuen Bundesländern bereits jetzt bei
36,9 Prozent. Bundesweit herausragend sind es in Sachsen-Anhalt 56,6 Prozent
bei einer Betreuungsquote (Anteil der Kinder in Einrichtungen an der Gesamt-
zahl der Kinder dieser Altersgruppe) von 48,3 Prozent. Allein für das Jahr 2004
betragen die Aufwendungen des Landes Sachsen-Anhalt für die laufenden Kos-
ten der Tagesbetreuung (ohne Investitionskosten) knapp 130 Mio Euro. Dage-
gen berücksichtigt die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugrunde ge-
legte Kostenkalkulation lediglich Investitions- und Betriebskosten für die Ange-
bote in den westlichen Bundesländern.
Die SPD-regierten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und
Rheinland-Pfalz haben in ihren Anträgen vom 24. September 2004 im Bundes-
rat (Bundesratsdrucksachen 586/3/04 und 586/2/04) die fehlende verlässliche
Finanzierung kritisiert. So fordern die Länder Nordrhein-Westfalen und Schles-
wig-Holstein in ihremAntrag: „Die Kostenfolgen des Gesetzentwurfes bedürfen
noch einer präziseren Berechnung. Insgesamt bieten die in der Kostenschätzung
des Gesetzentwurfs zugrunde gelegten Annahmen noch keine ausreichende
Grundlage für eine verlässliche Finanzplanung bei Länder und Kommunen.
Diese können angesichts der angespannten Haushaltslage keine weiteren Mehr-
belastungen verkraften. Dies macht es erforderlich, die dem Gesetzentwurf zu
Grunde liegende Kostenschätzung zu überarbeiten und zu konkretisieren.“
Das Land Rheinland-Pfalz stellt in seinem Antrag fest: „Der Bundesrat hält die
Finanzierung des Ausbauprogramms aus Hartz-IV-Einsparungen jedoch nicht
für tragfähig. Der Bundesrat stellt fest, dass die kommunalen Einsparungen aus
der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – anders als in der Be-
gründung zum Regierungsentwurf angenommen – weder an der richtigen Stelle
noch in ausreichender Höhe entstehen, um den zu erwartenden Mehraufwand
der Kommunen durch den Ausbau der Tagesbetreuung von unter Dreijährigen
zu decken. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im Zuge des Gesetz-

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gebungsverfahrens zum Tagesbetreuungsausbaugesetz für eine ausreichende
und langfristig verlässliche Finanzierung des Ausbaus und Betriebs der U-3-
Betreuung zu sorgen. Dabei sollte sie sicherstellen, dass der an der jeweiligen
Kinderzahl in den Ländern orientierte Anteil der für erforderlich gehaltenen
1,5 Mrd. Euro in allen Ländern zusätzlich zur Verfügung steht.“
Von Seiten der Länder und von den kommunalen Spitzenverbänden werden
zudem erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetz-
entwurfs geäußert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– die in der Koalitionsvereinbarung versprochene Förderung einer bedarfs-

gerechten Betreuung für Kinder unter drei Jahren umzusetzen;
– die Forderungen der Länder Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein,

Rheinland-Pfalz und der unionsregierten Länder zu berücksichtigen und
eine vom Hartz-IV-Gesetz unabhängige, solide Finanzierung sicherzustel-
len, die
l auf exakten und seriösen Berechnungen der Betriebs- und Investitions-

kosten pro Kinderbetreuungsplatz beruht,
l die Investitions- und Betriebskosten auch in den neuen Bundesländern

angemessen berücksichtigt und
l die Kommunen finanziell in die Lage versetzt, ein bedarfsgerechtes Kin-

derbetreuungsangebot bereitzustellen.

Berlin, den 27. Oktober 2004
Maria Eichhorn
Dr. Maria Böhmer
Gerda Hasselfeldt
Peter Götz
Antje Blumenthal
Thomas Dörflinger
Ingrid Fischbach
Dr. Maria Flachsbarth
Markus Grübel
Volker Kauder
Dr. Günter Krings
Barbara Lanzinger
Werner Lensing
Walter Link (Diepholz)
Michaela Noll
Rita Pawelski
Hannelore Roedel
Andreas Scheuer
Angela Schmid
Antje Tillmann
Annette Widmann-Mauz
Willi Zylajew
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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