BT-Drucksache 15/3993

Auslandsschulden der Republik Argentinien und außenpolitische Handlungsoptionen der Bundesregierung

Vom 20. Oktober 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3993
15. Wahlperiode 20. 10. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Dr. Hermann Otto Solms, Harald
Leibrecht, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Auslandsschulden der Republik Argentinien und außenpolitische
Handlungsoptionen der Bundesregierung

Die argentinische Staatsverschuldung hat zum Jahresende 2003 nach offiziellen
Angaben rund 185 Mrd. US-Dollar betragen. Seit der Default-Erklärung im
Dezember 2001 hat der Staat den Schuldendienst auf gut die Hälfte der
Verschuldung eingestellt. Den weitaus größten – umzuschuldenden – Betrag
machen die Staatsanleihen aus, die sich einschließlich der inzwischen aufgelau-
fenen Zinsrückstände mittlerweile auf ca. 105 Mrd. US-Dollar summiert haben.
Die Hälfte der umzuschuldenden Staatsanleihen befindet sich im Auslandsbe-
sitz und ebenfalls knapp die Hälfte der Anleiheverschuldung besteht gegenüber
einer Vielzahl von Privatanlegern. Auf deutsche Gläubiger entfällt dabei ein
Betrag, der von Fachleuten auf zusammen 7 bis 8 Mrd. US-Dollar geschätzt
wird. Die Papiere werden in Deutschland von schätzungsweise 40 000 bis
70 000 Privatanlegern gehalten. Argentinien hatte 20 Monate nach der Er-
klärung des Default „Leitlinien zur Restrukturierung der argentinischen Staats-
verschuldung“ bekannt gegeben. Nach diesen Leitlinien soll ein nominaler Ab-
schlag auf die Anleiheverschuldung in Höhe von 75 % erfolgen (so genannter
Dubai-Vorschlag). Die Auszahlung soll – je nach Anleiheform – in durch-
schnittlichen Laufzeiten zwischen acht und 32 bzw. 20 und 42 Jahren erfolgen.
Der 75-prozentige Abschlag auf die Anleiheverschuldung – die rückständigen
Zinsen sollen vollständig gestrichen werden – impliziert jedoch, dass Barwert-
verluste zwischen 88 und 94 % entstehen können. Der Vorschlag Argentiniens
wurde von nahezu allen Anleihegläubigern abgelehnt. Die argentinische Regie-
rung hält jedoch bislang noch strikt an ihrem Vorschlag fest und scheint noch
nicht zu wirklichen Verhandlungen bereit zu sein.
Die Investoren haben sich angesichts der besonderen Problematik der argentini-
schen Verschuldungsstruktur sowie des erwarteten harten Angebots bereits früh
zu unterschiedlichen Interessengruppen wie der Italian Task Force Argentina
(TFA), der Argentine Bond Restructuring Agency (ABRA), der International
Group of Rome for Argentine Bondholders (IGOR), dem Global Committee of
Argentinia Bondholders und weiteren zusammengeschlossen und/oder den
Klageweg gegen Argentinien eingeschlagen. Die in Deutschland bedeutendste
Vereinigung ist die ABRA, die mit Wertpapieren u. a. von deutschen Anlegern

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in Höhe von 1,2 Mrd. Euro größte Vertreterin von Einzelgläubigern Argenti-
niens ist. Die ABRA äußert insbesondere Zweifel an der Gleichbehandlung
aller Anleihegläubiger u. a. deshalb, weil sie eine Bevorzugung von institutio-
nellen in- und ausländischen Investoren befürchtet. Diese stünden als Kapital-
geber nach Umschuldungen regelmäßig früher wieder bereit.
Argentinien hatte infolge der Erklärung des Default der Staatsschulden, um
Urteilen deutscher Privatanleger zu entgehen, Antrag auf einstweiligen Rechts-
schutz vor dem Bundesverfassungsgericht gestellt. In einer ersten Entscheidung
hatte das Bundesverfassungsgericht am 13. Februar 2004 den Antrag Argenti-
niens auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt, da zunächst der ordentliche
Rechtsweg ausgeschöpft werden müsse. Deutsche Anleger haben am 14. März
2004 vor dem Landgericht Frankfurt/Main ein Zahlungsurteil gegen Argen-
tinien in Höhe von ca. 1,5 Mio. Euro erlangen können. Das Verfahren wurde
jedoch ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100
Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) zur Entscheidung der für dieses Verfahren
maßgeblichen Zweifelsfrage vorgelegt, ob der seitens der Beklagten erklärte
Staatsnotstand wegen Zahlungsunfähigkeit diese Kraft einer Regel des Völker-
rechts berechtigt, die Erfüllung berechtigter Zahlungsansprüche zeitweise zu
verweigern und gegebenenfalls, ob es sich dabei um eine allgemeine Regel des
Völkerrechts handelt, die gemäß Artikel 25 GG Bestandteil des Bundesrechts
ist, die unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen – hier die Parteien
erzeugt. Nach telefonischer Auskunft des Bundesverfassungsgerichts gegen-
über Privatanlegern wird die Sache frühestens im Jahr 2006, eher jedoch 2007
oder 2008 zur materiellen Entscheidung gebracht.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie schätzt die Bundesregierung die finanzielle Entwicklung von Argen-

tinien ein?
2. Wie hat Argentinien gegenüber der Bundesregierung bislang die eigene

finanzielle Situation dargestellt?
3. Welche Auffassung hat die Bundesregierung zum vorgelegten Dubai-Vor-

schlag?
4. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Ausfall an Kapitalertragsteuer

in Deutschland für die nächsten Jahre insbesondere angesichts des vorge-
schlagenen 75-prozentigen Abschlags und der langen Laufzeiten der Rück-
zahlung ein?

5. Wie schätzt die Bundesregierung die Chancen der Anleger auf Rückzahlung
angesichts der langen Verfahrenszeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
und der Frage der Verjährung von Zinsansprüchen nach § 801 Abs. 2 BGB
ein?

6. Sieht die Bundesregierung in der Behandlung deutscher Staatsanleihen-
investoren von argentinischer Seite her eine Verletzung einer Völkerrechts-
norm?
Wenn ja, welche?

7. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung bisher gegenüber der
argentinischen Regierung unternommen, um in bilateralen Gesprächen einen
für die deutschen Privatanleger Erfolg versprechenden Umschuldungsplan
einzufordern?

8. Welche Anstrengungen wird die Bundesregierung in Zukunft unternehmen,
um jenseits der Beschreitung des Rechtsweges durch deutsche Anleger zu
versuchen, einen vernünftigen Umschuldungsplan zu erwirken?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3993

9. Wird die Bundesregierung auf den Internationalen Währungsfonds (IWF)
einwirken, keine weiteren Zahlungen an Argentinien mehr zu leisten,
solange Argentinien die Auflagen des IWF nicht erfüllt?
Wenn nein, welche Lösung bevorzugt die Bundesregierung?

10. Wie beabsichtigt die Bundesregierung auf den Umstand zu reagieren, dass
nach dem Willen der argentinischen Regierung keine juristischen Maßnah-
men gegen die Behandlung der Anleihen deutscher Investoren bzw. gegen
die Enteignungen eingeleitet werden dürfen, obwohl die rechtlichen Schritte
in den Anleihebedingungen vorgesehen sind?

11. Wenn nach Kenntnis der Bundesregierung Argentinien wieder über Gold-
reserven verfügen sollte: Hält es die Bundesregierung eingedenk dieser Tat-
sache für geboten, einen baldigen Schuldenabbau einzufordern?

12. Gibt es Gespräche zwischen der Bundesregierung und den verschiedenen
Gläubiger-Interessenvertretungen über deren Befürchtungen?

13. Wie hoch sind die deutschen Investitionen in Argentinien von staatlicher
und privater Seite derzeit?

14. Wie schätzt die Bundesregierung das derzeitige Geschäftsklima für zu-
künftige Investitionen deutscher Kapitalgeber in die argentinische Wirt-
schaft angesichts des derzeitigen Vertrauensverlustes ein?

15. Wie schätzt die Bundesregierung ausgehend vom Vertrauensverlust gegen-
über Argentinien die Auswirkungen auf deutsche Staatsanleihen ein?

Berlin, den 20. Oktober 2004
Angelika Brunkhorst
Dr. Hermann Otto Solms
Harald Leibrecht
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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