Vom 6. Oktober 2004
Deutscher Bundestag Drucksache 15/3893
15. Wahlperiode 06. 10. 2004
Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
(17. Ausschuss)
1. zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Helmut Heiderich,
Dr. Maria Böhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 15/423 –
Weiterentwicklung einer Biotechnologiestrategie für den Forschungs- und
Wirtschaftsstandort Deutschland
2. zu dem Antrag der Abgeordneten Katherina Reiche, Helmut Heiderich,
Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 15/2160 –
Biotechnologie als Schlüsseltechnologie stärken
3. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 15/858 Nr. 2.9 –
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat
und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss
Biowissenschaften und Biotechnologie: eine Strategie für Europa
Fortschrittsbericht und künftige Ausrichtung
KOM (2003) 96 endg.; Ratsdok. 7473/03
A. Problem
Zu den Nummern 1 und 2
Die Biotechnologie ist nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU eine der
wichtigsten Leittechnologien für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort
Deutschland. Sie bietet die Chance zur Lösung zahlreicher globaler Probleme
im Zusammenhang mit Gesundheit, Alter, Ernährung, Umwelt und nachhal-
tiger Entwicklung. Die Biotechnologie hat nach Auffassung der Antragsteller in
Drucksache 15/3893 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
der Politik der Bundesregierung nicht den Stellenwert, den die Zukunftstechno-
logie dringend benötigt. In Deutschland fehle eine erfolgreiche nationale Bio-
technologiestrategie.
Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, die nationale Biotechnologie-
strategie weiterzuentwickeln und die Rahmenbedingungen für die Biotechnolo-
gie als Schlüsseltechnologie mit einem Bündel von Maßnahmen zu stärken.
Zu Nummer 3
Mit ihrer Mitteilung kommt die Europäische Kommission der Aufforderung
des Europäischen Rates von Barcelona nach, vor der Frühjahrstagung 2003 des
Europäischen Rates über den Stand der Arbeiten zur europäischen Strategie der
Biowissenschaften und Biotechnologie zu berichten.
B. Lösung
Zu Nummer 1
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 15/423 mit den Stimmen der Frak-
tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Zu Nummer 2
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 15/2160 mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Zu Nummer 3
Kenntnisnahme der Unterrichtung auf Drucksache 15/858 Nr. 2.9
C. Alternativen
Annahme des Antrags der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 15/423 – und/
oder Annahme des Antrags der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 15/2160 –
D. Kosten
Wurden nicht erörtert.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3893
Beschlussempfehlung
Der Bundestag wolle beschließen,
in Kenntnis der Unterrichtung – Drucksache 15/858 Nr. 2.9 –
1. den Antrag – Drucksache 15/423 – abzulehnen,
2. den Antrag – Drucksache 15/2160 – abzulehnen.
Berlin, den 28. September 2004
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Ulrike Flach
Vorsitzende/Berichterstatterin
René Röspel
Berichterstatter
Katherina Reiche
Berichterstatterin
Hans-Josef Fell
Berichterstatter
Drucksache 15/3893 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Bericht der Abgeordneten René Röspel, Katherina Reiche, Hans-Josef Fell
und Ulrike Flach
I. Überweisung
Zu Nummer 1
Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
15/423 in seiner 44. Sitzung am 9. Mai 2003 beraten und an
den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung zur federführenden Beratung und zur Mitbera-
tung an den Rechtsausschuss, Finanzausschuss, Ausschuss
für Wirtschaft und Arbeit, Ausschuss für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft, Ausschuss für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend, Ausschuss für Gesundheit
und Soziale Sicherung, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, Ausschuss für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe, Ausschuss für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung, Ausschuss für die Angelegen-
heiten der Europäischen Union und den Haushaltsausschuss
überwiesen.
Zu Nummer 2
Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
15/2160 in seiner 97. Sitzung am 11. März 2004 beraten und
an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
folgenabschätzung zur federführenden Beratung und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit,
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend, Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung und
den Haushaltsausschuss überwiesen.
II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen
Zu Nummer 1
Die Bio- und Gentechnologie bieten nach Auffassung der
Fraktion der CDU/CSU die Chance zur Lösung zahlrei-
cher globaler Probleme, da sie als Leittechnologie breite
Anwendungsmöglichkeiten in der Genom- und Proteomfor-
schung, Bioinformatik, Pharmazie und Medizin, Landwirt-
schaft, Lebensmittelherstellung und Umweltschutz eröff-
nen. Die Antragsteller diagnostizieren Schwächen der Bio-
technologiepolitik der Bundesregierung, die zur Stagnation
und teilweise zur Existenzgefährdung der Biotechnologie-
unternehmen führe.
Die Bundesregierung wird daher zu einem umfassenden
Maßnahmenpaket aufgefordert, mit dem eine nationale Bio-
technologiestrategie zur Stärkung des Forschungs- und
Wirtschaftsstandortes Deutschlands entwickelt werden soll.
Die Maßnahmen betreffen im Einzelnen: Bildungs- und
Forschungspolitik, Grüne, Rote und Weiße Gentechnik,
Bioinformatik, Gesundheitspolitik, Akzeptanz der Bio- und
Gentechnik, wirtschaftliche Stärkung der Biotechnologieun-
ternehmen, Patentschutz, nationale und internationale Rah-
menbedingungen sowie Verbesserungen der internationalen
Zusammenarbeit.
Zu Nummer 2
Die Fraktion der CDU/CSU hält die Biotechnologie für
eine der wichtigsten Leittechnologien für den Forschungs-
und Wirtschaftsstandort Deutschland. Das von der Bundes-
regierung am 20. Oktober 2003 angekündigte Biotechnolo-
gieprogramm reiche für die Verbesserung der Rahmenbe-
dingungen nicht aus; eine nationale Biotechnologiestrategie
fehle in Deutschland völlig. Dadurch sei der Neugründungs-
boom in der Biotech-Branche zum Stillstand gekommen.
Die Impulse des durch den damaligen Bundesminister
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie,
Dr. Jürgen Rüttgers, 1995 initiierte BioRegio-Wettbewerbs
müssten erneuert werden.
Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung aufge-
fordert, mit folgendem Maßnahmenbündel die Rahmenbe-
dingungen der Biotechnologie in Deutschland zu stärken:
– Umschichten der Haushaltsmittel zugunsten der Bio-
technologie und Erleichterung der Einwerbung von Pri-
vatkapital,
– Auflegen eines Zehnjahresprogramms zur Förderung der
Sektoren Ernährung, natürliche Rohstoffversorgung,
Energieeinsparung und Umweltentlastung sowie eine
Fokussierung der Grundlagenforschung auf wesentliche
Zukunftsfelder der Biotechnologie,
– Förderung nationaler Netzwerke,
– Schaffen verbindlicher Regelungen für den Umgang mit
der genetischen Diagnostik und zügige Novellierung des
Gentechnikrechts.
Zu Nummer 3
Im Januar 2002 hat die EU-Kommission eine Mitteilung mit
dem Titel „Biowissenschaften und Biotechnologie: eine
Strategie für Europa“ angenommen. Sie besteht aus zwei
Teilen: einem Strategiepapier und einem Aktionsplan mit
30 Einzelaktionen zur Umsetzung der Strategie. Im ersten
Bericht über den Stand der Arbeiten wird dargelegt, welche
Fortschritte in der Politikentwicklung und der praktischen
Umsetzung bezüglich der Biowissenschaften und Bio-
technologie vor Ort erzielt wurden und welche anstehenden
Probleme anzugehen sind. Ferner entwickelt er Leitlinien,
äußert Empfehlungen und kündigt neue Initiativen an.
Die Kommissionsstrategie für Biowissenschaften und Bio-
technologie wird als richtungweisend angesehen. In einigen
wichtigen Bereichen müssten die Arbeiten jedoch beschleu-
nigt werden. Der Mangel an Forschung und an finanziellen
Ressourcen, die Lückenhaftigkeit des Systems zum Schutz
des geistigen Eigentums und die Verzögerungen im Bereich
der gentechnisch veränderten Organismen (GVO) stellten
auf lange Sicht den Erfolg der Biotechnologie in der EU
ernsthaft in Frage. Die Defizite wirkten sich unmittelbar auf
die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der euro-
päischen Biotechnologie aus.
Die Kommission ist bereit, ihre Verpflichtung auchweiterhin
zu erfüllen. Zahlreiche vorgeschlagene Aktionen fielen je-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/3893
doch ganz oder zum Großteil in den Zuständigkeitsbereich
der Mitgliedstaaten oder privatwirtschaftlicher Stakeholder.
Die Strategie könne nur dannErfolg haben,wenn sie begleitet
werde durch ergänzende Maßnahmen in den einzelnen Mit-
gliedstaaten, z. B. durch die Ausarbeitung und Umsetzung
klarer und schlüssiger nationaler Biotechnologiestrategien.
III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse
Zu Nummer 1
Der mitberatende Rechtsausschuss und die mitberatenden
Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit, für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft, für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend, für Gesundheit und Soziale
Sicherung, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit, für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, für
die Angelegenheiten der Europäischen Union und der
Haushaltsausschuss haben jeweils mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen
die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthal-
tung der Fraktion der FDP empfohlen, den Antrag auf
Drucksache 15/423 abzulehnen.
Der mitberatende Finanzausschuss hat mit den Stimmen
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ge-
gen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
ebenfalls empfohlen, den Antrag auf Drucksache 15/423
abzulehnen.
Zu Nummer 2
Die mitberatenden Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit,
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft,
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, für Gesund-
heit und Soziale Sicherung und der Haushaltsausschuss
haben jeweils mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP empfohlen, den Antrag auf
Drucksache 15/2160 abzulehnen.
Zu Nummer 3
Der mitberatende Rechtsausschuss, der Ausschuss für
Wirtschaft und Arbeit, Gesundheit und Soziale Siche-
rung sowie der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfehlen, die Unterrichtung auf
Drucksache 15/858 Nr. 2.9 zur Kenntnis zu nehmen.
Der mitberatende Ausschuss für Verbraucherschutz, Er-
nährung und Landwirtschaft verzichtet auf die Beratung,
weil die Mitteilung der Kommission auf EU-Ebene erledigt
sei.
IV. Beratungsverlauf und -ergebnisse
im federführenden Ausschuss
Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung hat am 10. Dezember 2003 eine öffentli-
che Anhörung mit dem Titel „Weiterentwicklung einer Bio-
technologiestrategie für den Forschungs- und Wirtschafts-
standort Deutschland“ durchgeführt. Er hat die Anträge in
seiner Sitzung am 24. März 2004 beraten und empfiehlt:
Zu Nummer 1
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 15/423 mit den
Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP.
Zu Nummer 2
Ablehnung des Antrags auf Drucksache 15/2160 mit den
Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP.
Zu Nummer 3
Kenntnisnahme der Unterrichtung auf Drucksache 15/858
Nr. 2.9.
Von Seiten der Fraktion der CDU/CSU wird ausgeführt,
dass vor dem Hintergrund des ersten Fortschrittsberichts
2003 das Erreichen der Zielvorgaben des Lissabon-Prozes-
ses fraglich erscheine. Nach der Verhinderungspolitik der
Grünen in den 80er Jahren wären diese zwischenzeitlich
zwar auch der Überzeugung, dass die Rote Gentechnik Nut-
zen bringen könne. Sie würden allerdings jetzt die Entwick-
lung der Grünen Gentechnik blockieren.
In den 90er Jahren habe es einen spektakulären Aufhol-
prozess in der Forschung und einen Gründungsboom in der
Biotechnologiebranche gegeben. Die Gentechnikwelle 1993
und der BioRegio-Wettbewerb seien Meilensteine in diesem
Prozess gewesen. Die Bundesregierung habe in der Tat viel
Geld für einen kurzen Zeitraum ausgegeben, jedoch nicht
klar gemacht, wie dieser Stand weiter aufrechterhalten wer-
den könne. Die Biotechnologie liege in vielen Bereichenweit
hinter den USA und Großbritannien zurück. Zwar gebe es in
Deutschland mehr Technologieunternehmen als in Groß-
britannien, aber dort sei der Umsatz wesentlich höher, und
jedes Unternehmen beschäftige deutlich mehr Mitarbeiter.
Da für die Entwicklung von Produkten viel Geld notwendig
sei, wären Börsengänge von zukunftsträchtigen Biotech-
Unternehmen und steuerliche Entlastungen unumgänglich.
Die Antragsteller weisen auf eine gute Forschungsbasis der
Grünen Gentechnik hin. Kompetenzstreitigkeiten der Bun-
desregierung, Haftungsregelungen beim Anbau von gen-
technisch veränderten Organismen und Kompetenzverschie-
bungen von Ämtern zu Ungunsten der Grünen Gentechnik
wären nicht im Sinne der biotechnologischen Forschung
und Entwicklung. Mit den beiden Anträgen werde aber eine
vernünftige Gesamtstrategie für die Biowissenschaften und
die Biotechnologie aufgezeigt.
Von Seiten der Fraktion der SPD wird auf drei Kernprob-
leme der europäischen Situation in der Biotechnologie
„Fragmentierung“, „Zugang zu Finanzressourcen“ und
„Schutz des geistigen Eigentums“ hingewiesen. Die Frei-
setzung von gentechnisch veränderten Organismen sei kein
rein deutsches Problem. Seit 1998 gebe es ein EU-Morato-
rium, die Freisetzung nicht zu realisieren. Durch einen Be-
schluss des Europäischen Parlaments am 18. September
2003 würden EU-Parlament, die Kommission und die Mit-
gliedstaaten aufgefordert, die Genehmigung für die Freiset-
zung jeder gentechnisch veränderten Pflanze solange aus-
zusetzen, bis verbindliche Regelungen für die Koexistenz
Drucksache 15/3893 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
auf Grundlage des Verursacherprinzips angenommen und
umgesetzt würden. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglich-
keit haben, den Anbau von gentechnisch veränderten Orga-
nismen in geographisch begrenzten Gebieten zur Gewähr-
leistung der Koexistenz gänzlich zu untersagen.
Die Patentrichtlinie sei von acht Mitgliedstaaten nicht um-
gesetzt worden. In der Enquete-Kommission der letzten Le-
gislaturperiode wären die Probleme mit der Biopatentricht-
linie diskutiert und auch in der Fraktion der CDU/CSU kon-
trovers gesehen worden. Zur Frage der Koexistenzregelung
gebe es einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der in
die Beratung gehen werde. Hier werde im Sinne des Euro-
päischen Parlaments agiert. Die Biopatentfrage werde ge-
meinsam diskutiert, und die Vorschläge der Opposition wür-
den mit Spannung erwartet.
Die Wurzeln für die Entwicklung einer Biotechnologiestra-
tegie lägen unbestrittener Maßen in der Zeit der CDU/CSU-
geführten Bundesregierung. Aber auch jetzt würde eine
Menge Geld in diesen Bereich investiert und mit den Pro-
grammen Systembiologie, Nanobiotechnologie, Nanotech-
nologie und mit dem Nationalen Genomforschungsnetz sei
man auf einem guten Weg. Viele Programme richteten sich
auch auf Forschungsinhalte wie BioRegio, BioFuture und
BioChance Plus, das sich gezielt an kleine und mittlere Un-
ternehmen wende und sie bei der Gründung biotechnologi-
scher Verfahren und der Platzierung auf dem Markt unter-
stütze. Letztlich könne die Regierung aber, was das Bereit-
stellen von Kapital angehe, nicht leisten, was der Markt
oder Banken unternehmen müssten, nämlich jungen Unter-
nehmen die Möglichkeit zu geben, sich über eine Startphase
hinaus am Markt zu etablieren.
Was den Vergleich mit der Situation in Großbritannien an-
gehe, wird festgestellt, dass in Deutschland viel später mit
der Entwicklung der Biotechnologie begonnen worden sei.
Man könne daher nicht erwarten, dass Start-up-Firmen be-
reits als Konzerne auf den Markt treten.
Insgesamt hätten die Bundesregierung und die Rot-Grüne
Koalition keinen Grund, sich zu verstecken. Viele der For-
derungen der EU-Kommission wären bereits erfüllt worden.
In den Anträgen werde gefordert, die Mittel für Biotechno-
logie durch Umschichten im Rahmen einer Umorientierung
der Haushaltspolitik zu erhöhen. Aber es bleibe unklar, wo-
her die Mittel genommen werden sollten. Man wäre daher
froh, wenn von Seiten der Fraktion der CDU/CSU konkrete
Vorschläge gemacht und die Verbesserungen in Europa kon-
struktiv unterstützt würden.
Von Seiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wird festgestellt, dass Maßnahmen ergriffen wurden, aber
dass es internationale Defizite gebe. Es sei allgemein an-
erkannt, dass mehr privates Kapital aufgebracht werden
müsse. Aber es dürften nicht einzelne umstrittene Bereich
der grünen Gentechnik in den Vordergrund gestellt werden.
Dadurch würde dem Standort Deutschland letztlich gescha-
det. Große Bereiche seien gesellschaftlich unumstritten und
würden auch stark gefördert. So hätten sich die USA zum
Ziel gesetzt, bis 2020 20 % der auf Erdöl basierenden Pro-
dukte durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen.
Genfood würde von 80 % der Bevölkerung abgelehnt. Wer
gentechnisch veränderte Pflanzen anbaue, müsse auch für
das Risiko haften.
Es sei nicht klar, wie die Fraktion der CDU/CSU zur Umset-
zung der Biopatentrichtlinie stehe. Sie betone immer wie-
der, dass es kein Patent auf Leben geben dürfe. Eine 1:1-
Umsetzung sei daher wahrscheinlich auch nicht in der Frak-
tion der CDU/CSU mehrheitsfähig. Deswegen müsste kla-
rer und intensiver diskutiert werden, wie eine Stärkung der
Biotechnologie erreicht werden könne, besonders die Stär-
kung großer Bereiche der Biotechnologie und der nach-
wachsenden Rohstoffe, die gesellschaftlich unumstritten
seien und von allen Fraktionen gewünscht würden.
Von Seiten der Fraktion der FDP wird erklärt, dass sowohl
in der Regierung Kohl als auch unter der jetzigen Regierung
keine Gegner der deutschen Biotechnologie wahrzunehmen
seien. Erkennbar wären allerdings unterschiedliche Strate-
gien. Die Fraktion der FDP habe den Eindruck, dass die
Atmosphäre, was die Grüne Gentechnik angehe, gestört sei
und zwar deutlicher als in anderen EU-Ländern. Deutsche
Biotech-Unternehmen hätten offensichtlich Liquiditäts-
probleme. Von 320 Unternehmen seien zwischen 120 und
150 durch Übernahmen oder Insolvenzen gefährdet. Kredite
fehlten. Weder der alten noch der neuen Bundesregierung
sei es gelungen, das entsprechende Venture Capital locker
zu machen. Es sei nicht die Aufgabe der Politik, das Kapital
zur Verfügung zu stellen, sondern Rahmenbedingungen zu
schaffen, dass dieses fließen könne.
Von Seiten der Bundesregierung wird darauf hingewiesen,
dass sie mit ihrem Gesetzentwurf zur Biopatentrichtlinie die
Richtlinie weitgehend 1:1 in deutsches Recht umsetzen
wolle. Der Entwurf sehe u. a. vor, dass die Möglichkeit der
Erteilung von Stoffpatenten für Gene und Gensequenzen
beibehalten werde. Allerdings müsse die konkrete Funktion
und die gewerbliche Anwendbarkeit beschrieben werden,
denn es gehe nicht um die Patentierung von Leben an sich.
Die Möglichkeiten, die schwierige Finanzierungssituation
durch politische Initiativen anzugehen, seien begrenzt. Man
habe versucht, das Risiko für Venture Capital zu minimie-
ren. Mit dem Dachfonds solle mehr privates Kapital mobili-
siert werden. Dieser Schritt sei von allen Parteien anerkannt
worden. Mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens
könne man jetzt die Besteuerung in diesen Technologie-
bereichen international vergleichbar machen. Das BMBF
könne sich aber nicht mit weiteren steuerlichen Ausnahme-
tatbeständen durchsetzen. Die Bundesregierung sei über-
zeugt, dass ein Technologiesegment an der Börse gebraucht
werde. Das könne aber nicht die Politik entscheiden, son-
dern diejenigen, die Verantwortung auf den Finanzmärkten
trügen. Die Bundesregierung könne dies nur unterstützen.
Berlin, den 28. September 2004
René Röspel
Berichterstatter
Katherina Reiche
Berichterstatterin
Hans-Josef Fell
Berichterstatter
Ulrike Flach
Berichterstatterin
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/3893
KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN
Brüssel, den 5.3.2003
KOM(2003) 96 endgültig
MITTEILUNG DER KOMMISSION
AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT UND DEN EUROPÄISCHEN
WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS
BIOWISSENSCHAFTEN UND BIOTECHNOLOGIE: EINE STRATEGIE FÜR
EUROPA
FORTSCHRITTSBERICHT UND KÜNFTIGE AUSRICHTUNG
{ SEK (2003) 248 }
Anlage
Drucksache 15/3893 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
ZUSAMMENFASSUNG
Im Januar 2002 hat die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Biowissenschaften und
Biotechnologie: eine Strategie für Europa“ angenommen. Sie besteht aus zwei Teilen: einem
Strategiepapier und einem Aktionsplan mit 30 Einzelaktionen zur Umsetzung der Strategie.
Die Kommission wird regelmäßig über den Stand der Arbeiten Bericht erstatten. Das
vorliegende Papier ist der erste Fortschrittsbericht. Der Bericht legt dar, welche Fortschritte in
der Politikentwicklung und der praktischen Umsetzung vor Ort erzielt wurden und er
behandelt die anstehenden Probleme. Wo die bisherigen Aktionen auszuweiten sind, gibt er
Leitlinien vor, äußert Empfehlungen und kündigt neue Initiativen an.
Die vorliegende Mitteilung setzt sich mit einer Reihe von Kernfragen auseinander, die von
entscheidender Bedeutung sind für den Erfolg des Aktionsplans. Sie ist begleitet von einem
Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, in den die kurzfristigen und mittelfristigen
zielgerichteten Aktionen aufgeführt sind in Verbindung mit einem genaueren Zeitplan für die
Maßnahmen der Kommission.
Mit dieser Mitteilung kommt die Kommission der Aufforderung des Europäischen Rates von
Barcelona nach, noch vor der Frühjahrstagung 2003 des Europäischen Rates über den Stand
der Arbeiten zu berichten.
Die Kommissionsstrategie für Biowissenschaften und Biotechnologie gilt als
richtungsweisend ……
In Lissabon wurde das Ziel vorgegeben, diesen Hochtechnologiebereich zu fördern, denn er
schafft Wachstum und neue Arbeitsplätze, wirkt sich stimulierend in einer ganzen Reihe
weiterer Sektoren aus und trägt gleichzeitig bei zur Verwirklichung unserer weiter gefassten
Ziele, z. B. der nachhaltigen Entwicklung. Deswegen unterstützen die Europäischen
Institutionen den von der Kommission vorgeschlagenen integrierten Ansatz. Am
26. November nahm der Rat Wettbewerbsfähigkeit Schlussfolgerungen an, die einen
"Fahrplan" für die Mitgliedstaaten (und die Kommission) beinhalten mit prioritären Aktionen,
Zuweisung von Verantwortlichkeiten und einem Zeitplan für die Umsetzung. In Verbindung
mit dem Aktionsplan stecken diese Schlussfolgerungen klare Rahmenbedingungen ab für die
europaweite kooperative Entwicklung der Biotechnologie. Ein starkes positives Signal zur
Unterstützung der Biotechnologie in Europa ging am 21. November vom Europäischen
Parlament aus. Mit großer Mehrheit nahm es eine Entschließung an, in der die
Biotechnologiestrategie der Kommission befürwortet wird.
Die Mitgliedstaaten und die Regionen, die Wissenschaft und der private Sektor haben bereits
konkrete Maßnahmen festgelegt und tragen in vielen Bereichen zur praktischen Umsetzung
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/3893
bei. Die Strategie verkörpert einen integrierten Ansatz in diesem Bereich auf europäischer
Ebene. Sie beinhaltet sowohl die Förderung der biotechnologischen Entwicklung als auch
eine verantwortungsvolle Governance dieses Prozesses.
Im Einklang mit den im Aktionsplan enthaltenen zeitlichen Vorgaben hat die Kommission
eine ganze Reihe von in ihre Zuständigkeit fallenden Einzelaktionen auf den Weg gebracht
und verschiedene von den Regionen, der Wissenschaft und Industrieorganisationen
eingeleitete eigenständige Aktionen unterstützt. In einigen Mitgliedstaaten laufen bereits
verschiedene Aktionen, die der Biotechnologiestrategie folgen. Die Umsetzung der Strategie
ist zwar noch in den Anfängen, doch sind bereits Fortschritte erkennbar. Ein wichtiger Schritt
war die Annahme des 6. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung
(FP6), das auch weiterhin die Grundlagenforschung unterstützen und zum Aufbau eines
europäischen Forschungssystems beitragen wird. Erhebliche Fortschritte sind bei den
regulatorischer Rahmenbedingungen für GVO zu verzeichnen.
……aber in einigen wichtigen Bereichen müssen die Arbeiten beschleunigt werden
In einigen Teilbereichen sind die Aussichten jedoch nicht durchweg positiv. Zum Teil besteht
sogar Anlass zu Besorgnis. Die Rede ist hier von Defiziten, die auf lange Sicht den Erfolg der
Biotechnologie in der EU ernsthaft in Frage stellen und globale Auswirkungen haben
könnten: der Mangel an Forschung und an finanziellen Ressourcen, die Lückenhaftigkeit des
Systems zum Schutz des geistigen Eigentums und die Verzögerungen im Bereich der GVO.
Diese Defizite wirken sich unmittelbar aus u. a. auf die Innovationskraft und die
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Biotechnologie.
Was Patente und kooperative FuE-Projekte angeht, liegt Europa hinter den USA zurück.
Unser Hauptkonkurrent ist in der Innovation führend, während in der EU in den letzten vier
Jahren die GVO-Feldforschung rapide zurückgegangen ist. Es besteht die Gefahr, dass die
Zielvorgaben des Lissabon-Prozesses im Bereich Biowissenschaften und Biotechnologie
verfehlt werden. In einer Reihe von im vorliegenden Bericht genannten Bereichen besteht
zwingender Handlungsbedarf.
Was bei allen wissenschaftlichen Fortschritten festzustellen ist, gilt auch für die rasante
Entwicklung der Biowissenschaften: Sie weckt hohe Erwartungen - neue Heilungschancen bei
Krankheiten und bessere Lebensqualität -, gleichzeitig aber auch Befürchtungen, was die
ethischen und sozialen Implikationen angeht. Diesen Besorgnissen müssen die öffentlichen
Behörden bei Grundsatzentscheidungen in diesem Bereich Rechnung tragen. Dessen
eingedenk hat die Kommission sich verpflichtet, ethische, rechtliche, soziale und im weitesten
Sinne kulturelle Aspekte sowie die diesen zu Grunde liegenden unterschiedlichen
Denkweisen in einem frühestmöglichen Stadium bei von der Gemeinschaft finanzierten
Drucksache 15/3893 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Forschungsvorhaben zu berücksichtigen. Stark in der öffentlichen und politischen Debatte
stehen das Klonen von Menschen und die Forschung an menschlichen embryonalen
Stammzellen. Die Auseinandersetzung mit ethischen und sozialen Fragen muss integraler
Bestandteil der Forschungs- und Entwicklungsprozesse bleiben, wobei die gesellschaftlichen
Belange so weit wie möglich einzubeziehen sind.
Und schließlich muss mehr getan werden, um das Verständnis der Biotechnologie auf
internationaler Ebene zu erweitern. Zu diesem Zweck erwogen wird die Einsetzung eines
multilateralen Konsultationsforums, in dem ein das ganze Spektrum der Biotechnologie
abdeckender Dialog geführt werden kann.
Alle privaten und öffentlichen Stakeholder müssen sich stärker engagieren und
entschlossener handeln
Mit der Strategie hat die Kommission sich verpflichtet, eine kohärentere Politik zu betreiben
und in allen Teildisziplinen der Biowissenschaften und der Biotechnologie einen integrierten
Ansatz zu fördern. Die Kommission ist bereit, diese Verpflichtung auch weiterhin zu erfüllen.
Die Kommission ist jedoch nur einer von vielen Stakeholdern in diesem Bereich. Zahlreiche
der vorgeschlagenen Aktionen fallen ganz oder zum Großteil in den Zuständigkeitsbereich
von Mitgliedstaaten oder privatwirtschaftlichen Stakeholdern. Die Strategie kann nur dann
Erfolg haben, wenn sie begleitet wird durch ergänzende Maßnahmen in den einzelnen
Mitgliedstaaten, z. B. die Ausarbeitung und Umsetzung nationaler Biotechnologiestrategien.
Die Kommission ist willens, auch weiterhin die ihr obliegende Rolle zu spielen, d. h. andere
Stakeholder in deren Bemühungen zu unterstützen und dabei insbesondere darauf zu achten,
dass kohärente europäische Rahmenbedingungen gewahrt bleiben.
Entscheidend ist, dass in den Mitgliedstaaten eine klare und schlüssige Biotechnologiepolitik
betrieben wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Alleingänge und Mangel an Koordination die
Wirkung, die Effektivität und die Kohärenz der EU-Strategie ernsthaft gefährden. Auf eine
Ungereimtheit sollte in diesem Kontext hingewiesen werden: Einerseits wurde auf den
Gipfeltreffen von Lissabon, Stockholm, Barcelona und Sevilla das Ziel vorgegeben, die EU
zu einem führenden wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, wobei es gelte,
das volle Potenzial der Biotechnologie auszuschöpfen und die Wettbewerbsfähigkeit des
europäischen Biotech-Sektors zu stärken. Andererseits agiert man nicht immer mit derselben
Konsequenz, wenn es darum geht, diese Erklärungen in verbindliche Regelungen und
Verpflichtungen umzusetzen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/3893
INHALTSVERZEICHNIS
Zusammenfassung................................................................................................................................8
1. Einführung ................................................................................................................................12
2. Reaktionen auf die Kommissionsstrategie................................................................................13
Rat und Europäischer Rat ......................................................................................13
Europäisches Parlament, Europäischer Wirtschafts- und
Sozialausschuss und Ausschuss der Regionen ......................................................15
3. Überblick über die politische Entwicklung und die künftigen
Aktionsschwerpunkte................................................................................................................15
a) Europäische Forschung ........................................................................................................16
b) Wissenschaft und Gesellschaft.............................................................................................19
c) Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und geistiges Eigentum.................................................21
Fragmentierung und Zugang zu Finanzmitteln......................................................22
Schutz des geistigen Eigentums.............................................................................25
d) Genetisch veränderte Organismen (GVO)...........................................................................27
Regulatorischer Rahmen und Außenwirkung........................................................27
e) Internationale Fragen ...........................................................................................................30
4. Schlussfolgerungen ..............................................................................................................35
Drucksache 15/3893 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
1. EINFÜHRUNG
Im Januar 2002 hat die Kommission eine Strategie für Europa im Bereich Biowissenschaften
und Biotechnologie1 angenommen. Sie folgte damit einem Auftrag des Europäischen Rates,
der der Biotechnologie große Bedeutung beimisst. Die Strategie zeichnet die Entwicklung bis
zum Jahr 2010 vor. Biowissenschaften und Biotechnologie stehen damit ganz oben in der
Rangordnung der Spitzentechnologien, die der Europäischen Union dabei helfen sollen, das
vom Europäischen Rat in Lissabon im März 2000 formulierte strategische Ziel zu realisieren,
die EU binnen eines Jahrzehnts “zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten
wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, einen Wirtschaftsraum, der fähig ist,
ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem
größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“.
Die Kommissionsstrategie besteht aus zwei Teilen: strategischen Leitlinien und einem
30 Punkte umfassenden Aktionsplan zur Umsetzung der Politik in die Praxis. Das
Strategiepapier legt dar, was die Kommission und die anderen europäischen Institutionen
beitragen müssen, und es richtet Empfehlungen an andere öffentliche und private Stakeholder.
Die Strategie gibt somit die Rahmenbedingungen vor für die eigenverantwortlichen Aktionen
der zahlreichen Stakeholder und für deren Zusammenarbeit.
Der Europäische Rat von Barcelona hat den Aktionsplan geprüft und die Kommission und
den Rat aufgefordert, einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten und einen Zeitplan aufzustellen.
Gestützt auf diese beiden Instrumente soll die Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, das
ganze Potenzial der Biotechnologie auszuschöpfen unter Berücksichtigung des
Vorsorgeprinzips und der ethischen und sozialen Belange. Die Kommission wurde
aufgefordert, noch vor der Frühjahrstagung 2003 des Europäischen Rates über den Stand der
Arbeiten zu berichten.
Die Kommission wird regelmäßig über den Stand der Arbeiten Bericht erstatten. Mit dem
vorliegenden Bericht wird diese Berichterstattung aufgenommen. Der Bericht legt dar, welche
Fortschritte in der Politikentwicklung und der praktischen Umsetzung vor Ort erzielt wurden
und er behandelt die anstehenden Probleme. Sein Zweck ist es nicht, die durch den
Aktionsplan vorgegebene strategische Ausrichtung erneut darzulegen. Zahlreiche dem
Aktionsplan folgende Maßnahmen werden in EU bereits entwickelt oder implementiert.
Soweit in einigen prioritären Bereichen ein neuer politischer Anstoß erforderlich ist, werden
in dem Bericht jedoch auch Orientierungen vorgegeben, Empfehlungen ausgesprochen und
neue Initiativen angekündigt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/3893
Die vorliegende Mitteilung behandelt eine Reihe von Kernfragen, die entscheidend sind für
die erfolgreiche Umsetzung des Aktionsplans. Unterstützende Funktion dabei haben ein
Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, in dem sowohl die kurz- als auch die
mittelfristigen Aktionen dargelegt sind, und ein von der Kommission einzuhaltender
detaillierterer Zeitplan. In der gegenwärtigen Frühphase der Umsetzung beschränkt sich der
vorliegende erste Bericht weitgehend auf die Maßnahmen der Kommission und verweist nur
gelegentlich auf die Tätigkeit anderer Stakeholder.
2. REAKTIONEN AUF DIE KOMMISSIONSSTRATEGIE
Im Allgemeinen stößt die Strategie für Biowissenschaften und Biotechnologie auf
Zustimmung. Die Mitgliedstaaten und die Regionen, die Wissenschaft und der private Sektor
haben bereits konkrete Maßnahmen festgelegt und tragen in vielen Bereichen zur praktischen
Umsetzung bei. Die Strategie verkörpert einen integrierten Ansatz in diesem Bereich auf
europäischer Ebene. Sie beinhaltet sowohl die Förderung der biotechnologischen Entwicklung
als auch eine verantwortungsvolle Governance dieses Prozesses. Es ist gelungen,
widerstreitende Interessen und die unterschiedlichen Belange einzelner Sektoren weitgehend
miteinander zu vereinbaren und ein einheitliches, wenn auch evolvierendes strategisches
Konzept zu entwickeln.
Die Strategie wird als Signal interpretiert, dass die Gemeinschaft in diesem sensitiven
Bereich, der immer mehr Politikfelder der Gemeinschaft beeinflusst, das Gesetz des Handelns
wieder übernommen hat. Die Strategie und die Art und Weise, wie sie entworfen wurde, sind
ein gutes Beispiel europäischer Governance in der politischen Praxis.
Nachstehend ein kurzer Überblick über die einschlägigen Maßnahmen der Europäischen
Institutionen:
Rat und Europäischer Rat
Im März 2002 verwies der Europäische Rat von Barcelona auf die Bedeutung der
Spitzentechnologie für das künftige Wachstum. Er begrüßte die strategische Vision der Kommission
für Biowissenschaften und Biotechnologie als Basis künftiger politischer Rahmenbedingungen. Er
forderte den Rat und die Kommission auf, Maßnahmen zur Umsetzung des Konzepts zu entwickeln
und rechtzeitig vor der Tagung des Europäischen Rates 2003 über den Stand der Arbeiten zu
berichten.
In Sevilla forderte der Europäische Rat zusätzlich den Rat auf, die von der Kommission
vorgeschlagene Biotechnologiestrategie zu implementieren.
Die Reaktion darauf waren die Schlussfolgerungen des Rates Wettbewerbsfähigkeit im November
2002. Darin wird die Kommissionsstrategie befürwortet und ein „Fahrplan“ für die Mitgliedstaaten
1 KOM(2002) 27 endgültig.
Drucksache 15/3893 – 14 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
(und die Kommission) aufgestellt, der die prioritären Aktionen nennt, die Verantwortungen zuweist
und einen Zeitplan für die Umsetzung vorgibt.
Diese Schlussfolgerungen bilden einen soliden Rahmen für eine kooperative europaweite
Entwicklung der Biotechnologiepolitik.
Einige Mitgliedstaaten sehen sich jedoch noch nicht in der Lage, die in den
Schlussfolgerungen enthaltenen Zielvorgaben in konkrete Aktionen umzusetzen in Bereichen,
die von entscheidender Bedeutung sind für die Entwicklung von Biowissenschaften und
Biotechnologie. Die Ursache hierfür sind insbesondere Verzögerungen in der Umsetzung von
Rechtsvorschriften zu Biotechnologie-Patenten und bei der Zulassung neuer genetisch
veränderter Organismen (GVO). Bescheiden sind die Fortschritte auch beim Vorschlag zum
Gemeinschaftspatent.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 15 – Drucksache 15/3893
Europäisches Parlament, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss und Ausschuss der
Regionen
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm am 24. September seinen Bericht an, in
dem die Kommissionsstrategie begrüßt und der Aktionsplan als gut durchdacht, präzise, dynamisch
und proaktiv bezeichnet wird.
Am 21.November ging vom Europäischen Parlament ein starkes positives Signal für die
Entwicklung der Biotechnologie in Europa aus: Mit großer Mehrheit nahm es eine Entschließung an,
mit der die Biotechnologiestrategie der Kommission ausdrücklich gebilligt wird. Das Parlament nutzte
die Gelegenheit, um alle Aspekte der Biotechnologieentwicklung in einem umfassenden Dokument
zusammenzufassen. Dies trug dazu bei, die wichtige Funktion der Biowissenschaften klar und
schlüssig darzustellen. Insbesondere verwies das Parlament auf die Notwendigkeit eines
Gemeinschaftspatents und von Fortschritten bei der Zulassung neuer GVO. Beides sei erforderlich,
um die Innovation in diesem Sektor anzuregen.
Der Ausschuss der Regionen hat nicht zur Biotechnologiestrategie der Kommission Stellung
genommen.
Diese Reaktionen zeigen, dass die Europäischen Institutionen einen integrierten Ansatz
favorisieren, um das in Lissabon festgelegte Ziel der Förderung dieses
Hochtechnologiebereichs zu verwirklichen. Dahinter steht die Absicht, das
Wachstumspotential des Sektors zu nutzen und neue Arbeitplätze zu schaffen - eine
Entwicklung, die auch auf eine Vielzahl anderer Sektoren ausstrahlen und zur Realisierung
unseres umfassenderen Ziels der nachhaltigen Entwicklung beitragen soll.
3. ÜBERBLICK ÜBER DIE POLITISCHE ENTWICKLUNG UND DIE KÜNFTIGEN
AKTIONSSCHWERPUNKTE
Dem im Aktionsplan vorgegebenen Zeitplan folgend hat die Kommission eine Vielzahl
spezifischer Aktionen in ihrem Zuständigkeitsbereich eingeleitet und verschiedene Aktionen
der Regionen, der Wissenschaft und von Industrieorganisationen unterstützt (das einschlägige
Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen gibt im Einzelnen Aufschluss über den Stand
der Durchführung dieser Aktionen, einschließlich der jeweiligen genauen Zeitpläne2).
In einigen Mitgliedstaaten wurden bereits Maßnahmen eingeleitet, die der
Biotechnologiestrategie folgen.
Die Umsetzung der Strategie befindet sich zwar noch in einem Frühstadium, doch sind bereits
Erfolge erkennbar.
In einigen Teilbereichen sind die Aussichten jedoch nicht durchweg positiv. Zum Teil besteht
sogar Anlass zu Besorgnis. Die Rede ist hier von Defiziten, die auf lange Sicht den Erfolg der
Biotechnologie in der EU ernsthaft in Frage stellen und globale Auswirkungen haben
könnten: der Mangel an Forschung und an finanziellen Ressourcen, die Lückenhaftigkeit des
2 SEK(2003) 248
Drucksache 15/3893 – 16 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Systems zum Schutz des geistigen Eigentums und der Nachholbedarf im Bereich der GVO.
Diese Defizite wirken sich in verschiedenen Bereichen unmittelbar aus. Beeinträchtigt werden
u. a. die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Beziehungen zu unseren
internationalen Handelspartnern, einschließlich der Entwicklungsländer.
Es besteht also durchaus die Gefahr, dass die Ziele von Lissabon im Bereich der
Biowissenschaften und der Biotechnologie verfehlt werden.
In einem jüngsten gemeinsamen Schreiben zur Vorbereitung des Frühjahrsgipfels 2003
betonen Bundeskanzler Gerhard Schröder, Präsident Jacques Chirac und Premierminister
Tony Blair, wie wichtig die Weiterentwicklung aller Bereiche der europäischen Wirtschaft für
den Erfolg der Lissabonner Strategie ist. Insbesondere verweisen sie in diesem Kontext
darauf, dass die Biotechnologie erheblich dazu beitragen kann, die Wettbewerbsfähigkeit der
europäischen Industrie zu steigern und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
a) Europäische Forschung
Forschung ist der Motor der Biotechnologieentwicklung. Wenn Europa in den
Biowissenschaften Erfolg haben will, dann muss es einen echten Europäischen
Forschungsraum schaffen und mehr, gezielter und auf der Basis einer besseren Koordinierung
in die Forschung investieren.
Die europäische Forschung im Allgemeinen und die Forschung in den Biowissenschaften und
der Biotechnologie im Besonderen leidet nach wie vor an Ressourcenmangel und an einer
starken Fragmentierung. Nationale und regionale Forschungsprogramme sind unzureichend
aufeinander abgestimmt und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen
Universitäten und Industrieunternehmen ist nur schwach ausgeprägt.
Unterstützt wird die Schaffung eines Europäischen Forschungsraums durch das Sechste EU-
Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung (FP6)3. Die Annahme
dieses Programms im Rat und im Europäischen Parlament im Juni 2002, sechs Monate vor
seinem Inkrafttreten, ist die herausragende Errungenschaft in dem Jahr, das seit dem Einleiten
der Strategie vergangen ist. Sie ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Integration der
Forschungs- und Wissenschaftsnetze Europas in die Lissabonner Agenda der wirtschaftlichen,
sozialen und ökologischen Erneuerung.
Sechstes Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung (FP6)
FP6 ist das Hauptinstrument der EU-Forschungspolitik. Ausgestattet ist es mit insgesamt 17,5
Milliarden € für den Vierjahreszeitraum 2003-2006. Dies macht etwa 5 % der Gesamtausgaben für die
öffentliche Forschung in Europa aus. Die Finanzierungsmodalitäten wurden neu gestaltet: Sie
erlauben es jetzt, ehrgeizige wissenschaftliche Vorhaben mit einer kritischen Masse von Fachwissen
3 Beschluss Nr. 1513/2002/EG (ABl. L232 vom 29.8.2002, S.1).
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17 – Drucksache 15/3893
und Ressourcen auszustatten und die Forschungslandschaft in Europa besser zu strukturieren.
Universitäten, Unternehmen und Forschungszentren werden in gemeinsamen Projekten
zusammenarbeiten und gesamteuropäisch ausgerichtete Exzellenznetze einrichten. Die
Biotechnologieforschung ist in den meisten der sieben FP6-Schwerpunktbereiche gut vertreten,
einschließlich Gesundheitsbiotechnologie, Nanotechnologien, Lebensmittelqualität und
Lebensmittelsicherheit sowie nachhaltige Entwicklung. Besondere Aufmerksamkeit wird der
Mitwirkung der KMU gelten. Zusätzliche Mittel werden bereitgestellt für die internationale
wissenschaftliche Zusammenarbeit, für Forschungsinfrastrukturen und für die Mobilität und Schulung
von Wissenschaftlern.
Herzstück des FP6 ist die Schaffung eines echten Europäischen Forschungsraums, d. h. eines
Binnenmarkts für Wissenschaftler, Wissen und Technologie. Die Ziele dabei sind, die
wissenschaftliche Exzellenz zu fördern, die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft
durch verstärkte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern zu steigern und die
Koordination zwischen den Instanzen der Forschungsförderung, einschließlich der nationalen
Programme, zu verbessern.
FP6 hat auch die Funktion, einige der noch ungelösten Probleme anzugehen, die nach wie vor
die Entwicklung der Biotechnologie in Europa hemmen: unzureichende Mobilität, Brain-
Drain, Fragmentierung der Forschung und schleppende Umsetzung der Forschungsergebnisse
in Produkte und Dienstleistungen. Dieses europäische Programm wird die Investitionen der
Biotechnologieunternehmen in die Forschung, in 2001 insgesamt 7,5 Milliarden €, ergänzen
und aufwerten.
Investitionen in die Forschung
Wissensinvestitionen sind eine unabdingbare Voraussetzung, soll Europa das vom
Europäischen Rat in Lissabon vorgegebene Ziel erreichen, zum „wettbewerbsfähigsten
wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ zu werden. Das gegenwärtige Niveau der FuE-
Investitionen reicht dazu jedoch nicht aus: Die Europäische Union investiert 1,9% des BIP in
FuE; die Vergleichszahl für die USA ist 2,7% und für Japan 3,0%. In 2000 investierten die
USA 124 Milliarden € mehr in FuE als die EU. Bezogen auf konstante Preise hat der Abstand
sich seit 1994 verdoppelt. Mehr als 80% des Rückstands in FuE sind bedingt durch den
niedrigeren Forschungsaufwand der EU-Wirtschaft.
Auf der Tagung des Europäischen Rates in Barcelona im März 2002 gab die EU sich das Ziel
vor, bis 2010 die Gesamtausgaben für FuE auf 3% des BIP anzuheben; zwei Drittel davon
sollen von der Privatwirtschaft aufgebracht werden. Am 11. September 2002 wurde die
Mitteilung der Kommission „Mehr Forschung für Europa - hin zu 3% des BIP“ angenommen.
Mit dieser Mitteilung hat die Kommission eine Debatte mit allen Stakeholdern über die Mittel
zur Realisierung der in Barcelona festgelegten ehrgeizigen Zielvorgaben auf den Weg
gebracht. Für das Frühjahr 2003 plant sie die Vorlage eines Aktionsplans.
Die Kommission fordert eine Mobilisierung der Kräfte in zahlreichen Politikbereichen, um
Drucksache 15/3893 – 18 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
für private Investitionen in FuE günstigere Rahmenbedingungen zu schaffen und eine
wirkungsvollere Nutzung der Mechanismen der öffentlichen FuE-Finanzierung zu
gewährleisten.
Künftige Aktionsschwerpunkte
Die Biowissenschafts- und Biotech-Industrie hat ihre Wurzeln in der öffentlichen Forschung.
Dies wird sich auch künftig nicht ändern. Maßnahmen auf europäischer Ebene müssen
unterstützt werden durch einen soliden Unterbau national finanzierter Forschung, die auf
nationaler und lokaler Ebene konkrete Ergebnisse bringt und eine uneingeschränkte
grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Spitzenforschern aus dem öffentlichen und
dem privaten Sektor in spezifischen Forschungsbereichen ermöglicht.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 19 – Drucksache 15/3893
b) Wissenschaft und Gesellschaft
Was bei allen wissenschaftlichen Fortschritten festzustellen ist, gilt auch für die rasante
Entwicklung der Biowissenschaften: Sie weckt hohe Erwartungen - neue Heilungschancen bei
Krankheiten und bessere Lebensqualität -, gleichzeitig aber auch Befürchtungen, was die
ethischen und sozialen Implikationen angeht. Diesen Besorgnissen müssen die öffentlichen
Behörden bei Grundsatzentscheidungen in diesem Bereich Rechnung tragen.
Dessen eingedenk hat die Kommission sich verpflichtet, ethische, rechtliche, soziale und im
weitesten Sinne kulturelle Aspekte sowie die diesen zu Grunde liegenden unterschiedlichen
Denkweisen in einem frühestmöglichen Stadium bei von der Gemeinschaft finanzierten
Forschungsvorhaben zu berücksichtigen.
Den informierten öffentlichen Dialog fördern
Wie in der Vergangenheit, wird die Kommission insbesondere in der Implementierung des
FP6 und in anderen Aktionen sicherstellen, dass ethische und soziale Aspekte auch weiterhin
integraler Bestandteil des Forschungs- und Entwicklungsprozesses sind, d. h. sie wird
gewährleisten, dass gesellschaftliche Belange so weitgehend wie möglich einbezogen werden.
Dementsprechend möchte die Kommission die Wissenschaftler veranlassen, in ihren
Projekten die Öffentlichkeit einzubeziehen und mit ihr einen Dialog zu führen. Zu diesem
Zweck fordert sie die Abhaltung von Diskussionsforen als strategische Komponente der
Forschungsarbeit. Große Forschungscluster, z. B. in den Bereichen Sicherheitsbewertung von
GVO und Probiotika, haben neue Wege der Forschung vorgezeichnet unter Einbeziehung von
NRO als Projektpartner.
Aus dem FP6 unterstützt die Kommission Maßnahmen, die Forschern helfen sollen,
Kommunikatoren zu werden, vertraut mit den Möglichkeiten, alle Teil der Gesellschaft in
neue Formen des kollektiven Lernens einzubeziehen. Ein konkretes Beispiel ist das Projekt
„Science Generation“, das Partnerschaften begründet zwischen lokalen Gemeinschaften,
Medien und Wissenschaftlern in Frankreich, Italien und Schweden.
Darüber hinaus ist FP6 das erste Programm, das ein Teilprogramm „Wissenschaft und
Gesellschaft“ beinhaltet. Dieses Unterprogramm unterstützt die vergleichende prospektive
Technologiefolgenabschätzung in Verbindung mit ethischen Fragen, die von neuen
Wissenschaftsbereichen und deren praktischer Nutzung aufgeworfen werden.
Stark in der öffentlichen und politischen Diskussion stehen in jüngster Zeit das Klonen von
Menschen und die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen.
Reproduktives Klonen von Menschen
In jüngster Zeit angestellte Überlegungen über die Möglichkeit des reproduktiven Klonens
von Menschen haben erneut die Debatte über die ethische und wissenschaftliche
Drucksache 15/3893 – 20 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Vertretbarkeit entfacht. Zu diesem Aspekt wurde eine Reihe nationaler und internationaler
Initiativen eingeleitet. Angekündigt wurde z. B. eine französisch-deutsche Initiative, die eine
Weltkonvention zum Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen anstrebt. Darüber
wird gegenwärtig in den Vereinten Nationen diskutiert. Japan hat vor kurzem den Wunsch
geäußert, zusammen mit anderen in diesem Bereich bereits aktiven Ländern einen
Weltvertrag auszuarbeiten über das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen.
Das Europäische Parlament hat eine Reihe von Entschließungen verabschiedet zum Klonen
menschlicher Embryonen und zu den ethischen und rechtlichen Problemen der Gentechnik4.
Ein interner Bericht des Europäischen Parlaments über die ethischen, rechtlichen,
wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Humangentechnik wurde vom Plenum
abgelehnt5.
Verboten ist das reproduktive Klonen von Menschen gemäß Artikel 3 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union6. Auch die Europäische Gruppe für Ethik der
Naturwissenschaften und der neuen Technologien (EGE) hat sich gegen das Klonen
ausgesprochen7. Diesem Grundsatz folgend wird im Sechsten Rahmenprogramm der
Europäischen Gemeinschaft jede Art von Forschung, die reproduktives Klonen von Menschen
impliziert, von der finanziellen Förderung ausgeschlossen.
Die Kommission bekräftigt ihre volle Unterstützung eines weltweiten Verbots des
reproduktiven Klonens von Menschen.
Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen
Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen war ein wichtiges Thema im
Prozess der Verabschiedung des FP6 und der zugehörigen Umsetzungsmaßnahmen8.
4 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. März 1989 zu den ethischen und
rechtlichen Problemen der Genmanipulation, Entschließung des Europäischen
Parlaments vom 28. Oktober 1993 zur Klonierung des menschlichen Embryos,
Entschließung des Europäischen Parlaments B4-0209 vom 12. März 1997,
Entschließung des Europäischen Parlaments B4-0050/98 vom 15. Januar 1998 und
Entschließung des Europäischen Parlaments B5-0710 vom 7. September 2000 zum
Klonen von Menschen.
5 Bericht über die ethischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der
Humangenetik – A5-0391/2001, vom Plenum am 29.11.2001 abgelehnt.
6 ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.
7 „Ethische Aspekte von Klonungstechniken“, Stellungnahme Nr. 9 vom 28. Mai 1997.
Informationen über die EGE finden sich auf folgender Webseite:
http://europa.eu.int/comm/european_group_ethics.
8 Entscheidung des Rates 2002/834/EG (ABl. L294 vom 29.10.2002, S.1), Entscheidung
des Rates 2002/835/EG (ABl. L294, vom 29.10.2002, S.44), Entscheidung des Rates
2002/836/EG (ABl. L294 vom 29.10.2002, S.60), Entscheidung des Rates
2002/837/Euratom (ABl. L294 vom 29.10.2002, S.74), Entscheidung des Rates
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21 – Drucksache 15/3893
Besonders eingehend behandelt wurde diese Frage in den abschießenden Diskussionen im Rat
und im Parlament über das spezifische Programm „Integration und Stärkung des
Europäischen Forschungsraums“ zur Durchführung von FP6.
Standpunkt des Rates zur Stammzellenforschung
Auf der Sitzung des Rates am 30. September 2002 einigten sich der Rat und die Kommission darauf,
dass genaue Umsetzungsverfahren zu möglicherweise im Rahmen von FP6 finanzierten
Forschungstätigkeiten, bei denen menschliche Embryonen und menschliche embryonale Stammzellen
verwendet werden, bis zum 31. Dezember 2003 festzulegen sind. Gleichzeitig erklärte die
Kommission, dass sie im entsprechenden Zeitraum und bis zur Festlegung detaillierter
Durchführungsbestimmungen keine Vorschläge zur finanziellen Unterstützung derartiger Vorhaben
vorlegen wird, ausgenommen Forschung an Stammzellen, die aus bereits existierenden Zellbanken
oder Zellkulturen stammen.
Die Kommission verfolgt aufmerksam die wissenschaftlichen Fortschritte und Erfordernisse
sowie die Entwicklung des internationalen und nationalen Rechts, der Rechtsvorschriften und
der ethischen Regelungen in dieser Frage. Dabei berücksichtigt sie die Stellungnahmen des
Beraterausschusses für ethische Frage im Zusammenhang mit der Biotechnologie (1991-
1997) und der Europäischen Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der neuen
Technologien (ab 1998).9
Künftige Aktionsschwerpunkte
Im Einklang mit der Erklärung des Rates zu dem spezifischen Programm "Integration und
Stärkung des Europäischen Forschungsraums“ wird die Kommission
� im Frühjahr 2003 einen Bericht für das Europäische Parlament und den Rat über die
Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen vorlegen; dieser Bericht wird die
Diskussionsgrundlage sein für ein interinstitutionelles Seminar über Bioethik, von dem man
einen Beitrag erwartet zur europaweiten Diskussion über ethische Fragen der modernen
Technologie und insbesondere über die Verwendung menschlicher embryonaler
Stammzellen;
� einen Vorschlag auf der Grundlage von Artikel 166 Absatz 4 des Vertrags vorlegen,
der weitere Leitlinien vorgibt für Entscheidungen über die finanzielle Unterstützung von
Forschungsvorhaben, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden,
durch die Gemeinschaft.
c) Wettbewerbsfähigkeit, Innovation und geistiges Eigentum
Es gibt ermutigende Anzeichen für wirtschaftliche Dynamik: eine Welle von
Neuregistrierungen spezialisierter Biotechnologieunternehmen in einer Reihe europäischer
2002/838/Euratom (ABl. L294 vom 29.10.2002, S.86).
9 Stellungnahme Nr. 15 vom 14. November 2000 zu ethischen Fragen der Forschung mit
menschlichen Stammzellen und deren Verwendung; Stellungnahme Nr. 16 vom 7. Mai
2002 zu den ethischen Aspekten der Patentierung von Erfindungen im Zusammenhang
mit menschlichen Stammzellen.
Drucksache 15/3893 – 22 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Länder. Die europäische Biotech-Industrie ist ein Spätentwickler, was die Größe der
Unternehmen, den Umsatz und die Produktpipeline angeht. Es besteht dringender Bedarf
einer Weiterentwicklung und Konsolidierung dieses Industriezweigs. Die Biotechnologie ist
global ausgerichtet, extrem kapitalintensiv und wissensbasiert. Ihre Entwicklung wird in
hohem Maße davon abhängen, inwieweit es gelingt, drei grundlegende Probleme zu lösen:
Fragmentierung, Zugang zu Finanzressourcen und Schutz des geistigen Eigentums.
Fragmentierung und Zugang zu Finanzmitteln
Die Fragmentierung in der Forschung setzt sich in der europäischen Industrie fort.
Zurückzuführen ist sie zum Teil auf allgemeine regulatorische, unternehmenspolitische,
fiskalische und finanzielle Faktoren, überwiegend jedoch auf den traditionell nationalen
Charakter der Forschung, der sich überträgt auf durch die Forschungstätigkeit generierte
Unternehmen. Die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten ist wenig ausgeprägt, und es
hat sich gezeigt, dass europäische Unternehmen in der Forschung häufiger mit US-
Unternehmen kooperieren als mit ihren europäischen Pendants. Außerdem ist die Schnittstelle
zwischen öffentlicher Forschung und Industrie unterentwickelt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 23 – Drucksache 15/3893
Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in der europäischen Biotechnologie
Eine Studie10 zeigt, dass die europäische Biotechnologie bei Patenten und kooperativen FuE-Projekten
hinter den USA hinterherhinkt, und dass unser Hauptwettbewerber im Bereich der Innovation einen
gewaltigen Vorsprung hat.
Zu den wirksamsten Mittel gegen diese Fragmentierung zählen die Unterstützung der
öffentlichen Grundlagenforschung und die bereits angelaufene Schaffung eines Europäischen
Forschungsraums.
Unbestreitbar kann sich gegenwärtig in der Unternehmens- und Produktentwicklung kein
Biotechnologiecluster in Europa mit der Dynamik der führenden US-Biotechnologiecluster in
Neuengland und Kalifornien messen. Ein Innovationsanzeiger über Biotechnologie, der in
Kürze vorliegen wird, zeigt, dass die leistungsstärksten EU-Unternehmen mit den US-
Unternehmen durchaus konkurrieren können, zu einem großen Teil aber noch nicht die
erforderliche kritische Masse erreicht haben. Seit Veröffentlichung der Mitteilung der
Kommission über die Biotechnologiestrategie wurde eine Vielzahl von Initiativen eingeleitet
und Konferenzen abgehalten unter Mitwirkung von Regionen, Clustern, Unternehmen und
Forschungsinstitutionen. Die europäischen Regionen sind dabei, ein offenes Netz
einzurichten, das eine gezielte Zusammenarbeit zwischen Netzpartnern vorsieht. Eine Reihe
weiterer vielversprechender Aktionen wurde auch von der Privatwirtschaft, der Wissenschaft
und von NRO mit dem Ziel eingeleitet, den Dialog zwischen Stakeholdern und der
Öffentlichkeit zu intensivieren. Die Kommission begrüßt derartige Initiativen und vor allem
den ihnen zu Grunde liegenden Bottom-up-Ansatz, der gewährleisten dürfte, dass diese
Initiativen sich mit den Anliegen der beteiligten Parteien decken. Nach einer vor kurzem
abgeschlossenen Auswertung von Vorschlägen wird in 2003 mit Unterstützung der
Kommission ein europäisches Webportal für Biotechnologie geschaffen, das als zentrales
Linkup zwischen den Stakeholdern des Biotechnologiesektors fungieren soll.
G10-Arzneimittel und Überarbeitung des Arzneimittelrechts
Im Mai 2002 legte die hochrangige Arbeitsgruppe „Innovation und Bereitstellung von
Arzneimitteln“ (G10-Arzneimittelgruppe) ihren Bericht11 vor über die Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie unter Berücksichtigung der
öffentlichen Gesundheit und sozialer Ziele. In Anbetracht der wichtigen Rolle der
10 Studie über die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Biotechnologieindustrie:
„Innovation and competitiveness in European Biotechnology“, Enterprise Papers No
7, 2002, Europäische Kommission.
11 Einzusehen unter “http://pharmacos.eudra.org”.
Drucksache 15/3893 – 24 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Biotechnologie in der Entwicklung der Pharmaprodukte von morgen unterstreicht der Bericht
den hohen Stellenwert der Biotechnologiestrategie der Kommission und verwies insbesondere
auf die Notwendigkeit, die Richtlinie über biotechnologische Erfindungen vollständig
umzusetzen. Die Kommission wird auf die Empfehlungen des Berichts mit der Ausarbeitung
einer Mitteilung reagieren, mit deren Annahme im Sommer 2003 zu rechnen ist.
Viele wichtige Maßnahmen zur Steigerung der Innovativkraft der europäischen
Pharmaindustrie werden im Zuge der laufenden Neugestaltung des Arzneimittelrechts der
Gemeinschaft in einschlägige Bestimmungen Eingang finden. Grundlage hierfür sind die
Verordnung Nr. 2309/93 und die Richtlinie 2001/83/EG. Ein entscheidender Faktor in den
Bemühungen der Kommission, die gegenwärtige Fragmentierung der Märkte zu überwinden
und den erforderlichen Schutz des geistigen Eigentums zu gewährleisten, sind bestimmte
Anpassungen des so genannten zentralisierten Verfahrens, einschließlich Entwicklung der
wissenschaftlichen Beratung der Unternehmen und einheitlicher Datenschutzfristen.
Die Biotechnologieindustrie ist stark abhängig vom Zugang zu Risikokapital.
Bis zur Präsentation eines marktfähigen Produkts müssen die Unternehmen einen sehr langen
und kostspieligen Forschungs- und Entwicklungsprozess durchhalten. In einigen Fällen
scheitern sie vor Erreichen dieses Ziels. Öffentliche und private Investoren müssen bei
Investitionen in Hochrisikounternehmen einen langen Atem haben. In den letzten fünf Jahren
ist in Europa eine Vielzahl neuer Biotechnologieunternehmen entstanden, die zu einem
großen Teil jetzt vor der Notwendigkeit stehen, auf einem sehr schwierigen Finanzmarkt neue
Gelder zu beschaffen.
Zweifellos werden im Zuge des Konsolidierungsprozesses verschiedene
Biotechnologieunternehmen von der Bildfläche verschwinden; einige wären selbst unter
guten Marktbedingungen nicht überlebensfähig gewesen. Andere werden ihr Überleben
sichern durch Zusammenschlüsse oder Eingliederung in größere Unternehmen. Dies ändert
jedoch nichts daran, dass Europa Gefahr läuft, nicht nur eine Reihe potenziell lebensfähiger
Unternehmen zu verlieren, sondern auch eine Generation von Wissenschaftlern und deren
geistiges Kapital, d. h. Europa riskiert den Verlust von geistigem Vermögen. Um den Verlust
einzudämmen, gilt es diejenigen Unternehmen zu unterstützen, die ein bereits
fortgeschrittenes Entwicklungsstadium erreicht haben. Das beratende Forum der Kommission
„Biotechnologie und Finanzierung“ veranschlagt die Finanzierungslücke im Jahr 2003 mit bis
zu 1 Milliarde USD.
Künftige Aktionsschwerpunkte
Es gibt Indizien für den Umfang und die Akutheit des Finanzproblems in der
Biotechnologieindustrie. Die Mitgliedstaaten, die Kommission und die Finanzinstitutionen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25 – Drucksache 15/3893
müssen sich überlegen, durch welche Maßnahmen sie verhindern können, dass Europa
Wissensvermögen einbüßt.
Schutz des geistigen Eigentums
Ein klares, ausgewogenes, finanzierbares und leistungsfähiges Patentsystem, das EU-weit
einheitlich angewandt wird, ist von zentraler Bedeutung, wenn wir das medizinische,
ökologische und wirtschaftliche Potenzial der Biotechnologie unter Wahrung eines hohen
ethischen Standards nutzen wollen. Gebührend zu berücksichtigen dabei sind die Vorbehalte
in der Öffentlichkeit in Bezug auf Erteilung von Patenten für biotechnologische Innovationen.
Eine wichtige Rolle hierbei spielen
– das Gemeinschaftspatent und
– die Richtlinie über biotechnologische Erfindungen.
Der Patentschutz in der EU wird gegenwärtig durch zwei Systeme geregelt, die sich beide
nicht auf ein Rechtsinstrument der Gemeinschaft stützen: Das europäische Patentsystem und
die nationalen Patentsysteme. Als Folge davon ist der Patentschutz in Europa teuer und durch
Rechtsunsicherheit belastet. Ein in allen Mitgliedstaaten uneingeschränkt gültiges
Gemeinschaftspatent bleibt ein äußerst erstrebenswertes Ziel, insbesondere auf einem so
universellen Gebiet wie der Biotechnologie. Folgerichtig hat die Kommission einen
Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent12 vorgelegt, der nach der
Stellungnahme des Parlaments gegenwärtig im Rat erörtert wird. Dort wurde am 3. März
2003 eine politische Einigung erzielt.
Die Richtlinie 98/44/EG13 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen wurde
nach einer langen und konstruktiven Debatte verabschiedet, die sich sowohl im Rat als auch
im Parlament über etwa zehn Jahre hinzog. In diesen Verhandlungen war man sich bewusst,
dass die Biotechnologie ein stark expansiver Sektor ist. Die Entwicklung und Vermarktung
der Prozesse und Produkte in diesem Sektor benötigt einen soliden Rechtsrahmen. Neue
vielversprechende Techniken für Heilverfahren, industrielle Prozesse und Lebensmittel
etablieren sich sehr rasch, und der europäische Gesetzgeber hält es für angezeigt, die
Entwicklung in diesem Bereich nicht zu behindern.
Diese Richtlinie - von entscheidender Bedeutung für den wissenschaftlichen Fortschritt, für
Innovation und für Wettbewerbsfähigkeit - ist seit dem 30. Juli 2000 in Kraft. Die
Europäische Patentorganisation, eine nicht der Gemeinschaft unterstehende Institution, die
u. a. auch in den Mitgliedstaaten gültige Patente erteilt, hat ihre Durchführungsverordnung im
Jahr 1999 abgeändert, um den Bestimmungen der Richtlinie 98/44/EG Rechnung zu tragen.
12 KOM(2000) 412.
Drucksache 15/3893 – 26 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Gemäß Artikel 16 Buchstabe c) der Richtlinie 98/44/EG hat die Kommission den
Jahresbericht für das Europäische Parlament und den Rat über die Entwicklung und die
Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Bio- und Gentechnologie angenommen14.
Zweck dieses Berichts ist es, die Entwicklung zu überwachen und Fehlfunktionen in diesem
Bereich zu vermeiden. Insbesondere beleuchtet der Bericht die entscheidenden
Bestimmungen der Richtlinie vor dem Hintergrund des Urteils des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaft vom 9. Oktober 200115.
In seinem Urteil wies der Gerichtshof die Nichtigkeitsklage der Niederlande ab. Dabei verweist er de
jure auf die Grundprinzipien der Richtlinie und bringt neue Aspekte ein in Bezug auf eine Reihe von
Einzelbestimmungen. Der Gerichtshof bestätigte den Geltungsbereich der Richtlinie und seine
Vereinbarkeit mit bestehenden internationalen Vereinbarungen im Bereich der Biotechnologie.
Der Gerichtshof erklärte, dass die Richtlinie mit den relevanten Grundrechten in Einklang steht, d. h.
nicht gegen den Grundsatz der Menschenwürde verstößt.
Schließlich erläuterte der Gerichtshof auch die Patentierbarkeit von Erfindungen, die sich auf Pflanzen
beziehen.
Dessen ungeachtet haben bisher lediglich sechs Mitgliedstaaten16 die Richtlinie 98/44/EG in
nationales Recht umgesetzt. In den anderen Mitgliedstaaten ist der Umsetzungsprozess noch
nicht abgeschlossen und unterschiedlich weit gediehen. Mit Gründen versehene
Stellungnahmen, zweite Stufe des formellen Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Artikel
226 EG-Vertrag, wurden den betreffenden Mitgliedstaaten mit der Aufforderung übermittelt,
die Richtlinie 98/44/EG in nationales Recht umzusetzen.
Die Umsetzung dieser Richtlinie ist gemäß Vertrag eine gesetzliche Verpflichtung. Sie dient
dazu, Unterschiede in der Rechtsauslegung zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden. Die
gegenwärtige Situation hemmt die Entwicklung der Biotechnologie in Europa beträchtlich
und schwächt damit die Wettbewerbsposition.
13 ABl. L 213 vom 30.7.1998, S.13.
14 KOM(2002) 545 endgültig vom 7.10.2002.
15 Rechtssache C-377/98.
16 Dänemark, Finnland, Irland, Vereinigtes Königreich, Griechenland und Spanien.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 27 – Drucksache 15/3893
Künftige Aktionsschwerpunkte
� Im Anschluß an die politische Einigung am 3. März 2003 fordert die Kommission den Rat
auf, die verbleibenden Schwierigkeiten dringend zu beseitigen und die Patentverordnung
der Gemeinschaft bis Ende 2003 anzunehmen. Der Rat wird weiterhin aufgefordert,
rasch eine Entscheidung über die Schaffung eines zentralisierten Gerichts zu treffen, für
welche die Kommission nunmehr in Kürze einen Vorschlag vorlegen kann. Außerdem
müssen Änderungen des Europäischen Patentübereinkommens vereinbart werden, damit
das Europäische Patentamt Gemeinschaftspatente erteilen kann.
� Gestützt auf das Urteil des Gerichtshofs appelliert die Kommission nachdrücklich an die
säumigen Mitgliedstaaten, die Richtlinie 98/44/EG so rasch wie möglich und in vollem
Umfang umzusetzen und anzuwenden.
� Ihrerseits wird die Kommission die folgenden beiden im Bericht aufgeworfenen Fragen
klären:
a) Schutzumfang von Patenten auf Gensequenzen bzw. Teilsequenzen, die aus dem
menschlichen Körper isoliert werden;
b) Patentierbarkeit menschlicher Stammzellen und daraus hergestellter Zellreihen.
Eine Gruppe unabhängiger Sachverständiger (aus den Bereichen Wirtschaft, Recht und
Naturwissenschaften) wird diese beiden Themen erörtern und analysieren. Diese Gruppe
wird die Kommission auch dabei unterstützen, Schwerpunktthemen für künftige Berichte
festzulegen.
d) Genetisch veränderte Organismen (GVO)
Regulatorischer Rahmen und Außenwirkung
Der regulatorische Rahmen, der seit 1990 besteht für die absichtliche Freisetzung genetisch
veränderter Organismen in die Umwelt (Richtlinie 90/220/EWG), und seit 1997 für neuartige
Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (Verordnung (EG) Nr. 258/97), bietet bereits
ein hohes Maß an Schutz des Menschen und der Umwelt.
In der Ausarbeitung des regulatorischen Rahmens für GVO wurden weitere erhebliche
Fortschritte erzielt:
Drucksache 15/3893 – 28 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
– Richtlinie 2001/18/EG17, die ein umfassenderes Genehmigungsverfahren für GVO einführt, ist seit dem 17. Oktober
2002 in Kraft. Diese Richtlinie verbessert die Rechtsvorschriften über die absichtliche Freisetzung von GVO in die
Umwelt und bildet eine solide Grundlage für ein transparentes und verantwortungsbewusstes GVO-Risikomanagement.
Verabschiedet zum gleichen Datum wurden auch die für die Anwendung der Richtlinie erforderlichen
Durchführungsmaßnahmen18, einschließlich Leitlinien für Risikobewertung und Risikoüberwachung.
– Politische Einigung im Rat nach der ersten Lesung der zwei Kommissionsvorschläge zu genetisch veränderten
Organismen (GVO) im Europäischen Parlament. Mit dieser Einigung wird eine umfassende Regelung der Gemeinschaft
für die Rückverfolgung und Kennzeichnung von GVO eingeführt und das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung von
gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln19,20.
– Fortschritte in der Umsetzung des Cartagena-Protokolls, das es allen Unterzeichnerstaaten freistellt, vor Einfuhr eines
neuen GVO-Typs eine Risikobewertung vorzunehmen. Am 17. Oktober 2002 wurde im Rat Umwelt politische Einigung
erzielt über den Kommissionsvorschlag zur Umsetzung des Cartagena-Protokolls in EU-Recht, d. h. über Bestimmungen
für GVO-Exporte21.
Außerdem wurde ein Europäisches Netz von GVO-Laboratorien (ENGL) eingerichtet. Es
soll zu einer einheitlicheren Rechtsauslegung in der Gemeinschaft beitragen durch
Vereinheitlichung und Normung der Mittel und Verfahren für die Probenahme sowie für die
Erkennung, Bestimmung und Quantifizierung von GVO und daraus gewonnenen Produkten,
u. a. Saatgut, Getreide, Lebensmittel, Futtermittel und Umweltproben.
Das ENGL soll als wissenschaftliches und technisches EU-Exzellenznetz im Kontext der GVO-
Verordnung der EU fungieren.
Das Netz wurde am 4. Dezember 2002 in Brüssel eingerichtet. Ihm gehören mittlerweile 44
Laboratorien aus der EU und aus Norwegen an; verschiedene andere Länder, zum Beispiel
Beitrittsländer, haben Beobachterstatus. Das GVO-Labor der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS)
der Kommission koordiniert die Tätigkeit des ENGL. Gleichzeitig fungiert es als EU-Referenzlabor
für das GVO-Lebensmittel- und -Futtermittelrecht.
17 ABl. L 106 vom 17.4.2001, S. 1.
18 Entscheidung des Rates 2002/813/EG zur Festlegung des Schemas für die
Zusammenfassung der Anmeldeinformationen Teil B (ABl. L280 vom 10.8.2002, S.
62), Entscheidung des Rates 2002/812/EG zur Festlegung des Schemas für die
Zusammenfassung der Anmeldeinformationen Teil C (ABl. L280 vom 10.8.2002, S.
37), Entscheidung der Kommission 2002/623/EG über Leitlinien zur Ergänzung des
Anhang II der Richtlinie 2001/18/EG (ABl. L200 vom 30.7.2002, S. 22), Entscheidung
des Rates 2002/811/EG über Leitlinien zur Ergänzung des Anhang VII der Richtlinie
2001/18/EG (ABl. L280 vom 10.8.2002, S. 27).
19 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur
Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen und zur
Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen gewonnenen
Lebensmitteln und Futtermitteln (KOM (2001) 182 endgültig).
20 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über
genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel (KOM (2001) 425 endgültig).
21 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die
grenzüberschreitende Verbringung von GVO (KOM (2002) 85 endgültig).
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29 – Drucksache 15/3893
Der neue regulatorische Rahmen für GVO und genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel
ist eines der weltweit ausgeklügeltsten und transparentesten Regelwerke für GVO. Es soll ein
hohes Schutzniveau für Mensch und Umwelt garantieren, den Marktteilnehmern
Rechtssicherheit bieten, den Bedenken in der Öffentlichkeit, einschließlich ethischer
Bedenken, Rechnung tragen, den Verbrauchern die Wahl erleichtern und das Vertrauen der
Öffentlichkeit in die Verwendung von GVO fördern. Die Kommission ist der Auffassung,
dass sie ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, das GVO-Zulassungsverfahren operationell
zu machen. Sie ist bereit, an der Durchführung des neuen Verfahrens mitzuwirken. Den
Mitgliedstaaten obliegt es in diesem Kontext, die Zulassungsverfahren zu optimieren.
Ungeachtet der Verbesserung des regulatorischen Rahmens sind GVO weiterhin Anlass zu
Besorgnis in der Öffentlichkeit und in der Politik. Fortschritte sind in den medizinischen
GVO-Anwendungen zu verzeichnen, nicht aber in der Verwendung von GVO in der
Landwirtschaft. Bei den landwirtschaftlichen Anwendungen sind Vorteile für die Verbraucher
bisher nicht deutlich erkennbar.
Seit Oktober 1998 sind die Fortschritte bei der Zulassung neuer GVO eher bescheiden.
Grundlage für die Vermarktung von aus GVO hergestellten Lebensmitteln im Rahmen der
Verordnung über neuartige Lebensmittel22 ist allein die „weitgehende Vergleichbarkeit“ mit
herkömmlichen Produkten.
Schlusstermin für die Umsetzung der Richtlinie 2001/18/EG war der 17. Oktober 2002. Bis
heute haben nur Dänemark und Schweden die gesamten Umsetzungsmaßnahmen für diese
Richtlinie mitgeteilt. Die Kommission hat bereits an 13 Mitgliedstaaten formelle
Fristsetzungsschreiben wegen Nichtmitteilung der Umsetzungsmaßnahmen gerichtet und sie
erwägt, ein solches Schreiben auch an das VK zu richten, weil die Umsetzungsmaßnahmen
nur zum Teil mitgeteilt wurden.
Die jüngsten Eurobarometer-Umfragen zur Meinung der Europäer über die Biotechnologie
zeigen, dass ungeachtet einer weniger reservierten Haltung gegenüber der Biotechnologie im
Allgemeinen genetisch veränderte Lebensmittel nach wie vor als entbehrlich und
risikobehaftet angesehen werden.
Während es den öffentlichen Behörden obliegt, einen klaren und schlüssigen Rechtsrahmen für die
Zulassung von GVO und Produkten auf GVO-Basis festzulegen, ist es Sache der Biotech-Industrie,
die Vorteile der Verwendung von GVO öffentlich darzulegen und zu dokumentieren.
Die Stagnation bei den GVO-Zulassungen wirkt sich unmittelbar auf die GVO-Forschung
22 Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europaeischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997
über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. L 43 vom 14.2.1997, S. 1).
und GVO-Feldversuche in Europa aus.
Drucksache 15/3893 – 30 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Auswirkungen auf GVO-Forschung und -Entwicklung
Bei im Bereich GVO tätigen Privatunternehmen und Forschungsinstituten wurde eine Umfrage
durchgeführt, um einen Überblick zu erhalten über die Grundlagenforschung und angewandte
Forschung über GVO in Europa23. Das Ergebnis: 39 % der befragten Einrichtungen haben in den
letzten vier Jahren FuE-Projekte im Bereich genetisch veränderte Organismen (GVO)
eingestellt. Als Hauptgründe angeführt wurden der unklare regulatorische Rahmen und die unsichere
Marktsituation. Die Tendenz, FuE-Projekte einzustellen, ist im öffentlichen Sektor weit weniger
ausgeprägt als im privaten Sektor (23 % gegenüber 61 %).
Die Zahl der Anmeldungen von GVO-Feldversuchen in der EU stieg von 1991 bis 1998 rasch an,
nahm danach aber ebenso abrupt wieder ab (um 76 % bis Ende 2001). In 2001 gingen bei der
Datenbank der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS), die ein Verzeichnis der EU-Feldversuche führt,
61 Anmeldungen für Feldversuche mit genetisch veränderten Pflanzen ein, gegenüber mehr als 250 in
1998. Ein derartig starker Rückgang der GVO-Feldversuche war außerhalb Europas (z. B. in den
USA) nicht zu verzeichnen. Massiv ausgewirkt haben sich der Studie zufolge hier die Stagnation bei
den kommerziellen Freisetzungen von GVO sowie die weitgehende Ablehnung von GVO in der
europäischen Öffentlichkeit.
Diese Situation verdeutlicht, dass ein klarer und schlüssiger regulatorischer Rahmen nicht nur
wichtig ist für die Akzeptanz bei den Verbrauchern und die Rechtssicherheit bei den
Marktteilnehmern in Produktion und Handel, sondern auch eine unabdingbare Voraussetzung,
um und den Trend der raschen Abnahme der GVO-Feldversuche in der EU umzukehren.
Künftige Aktionsschwerpunkte
Vor diesem Hintergrund fordert die Kommission, dass
� die säumigen Mitgliedstaaten die Richtlinie 2001/18/EG vollständig und rasch umsetzen
und anwenden, und die Zulassung von gentechnisch veränderten Produkten, die den
geltenden gesetzlichen Anforderungen entsprechen, nicht verweigern;
� das Europäische Parlament und der Rat die zwei Kommissionsvorschläge über die
Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO und genetisch veränderten Lebens-
und Futtermitteln so rasch wie möglich annehmen.
Dies ist erforderlich, um den Rechtsrahmen transparenter und effizienter zu gestalten, um
den Verbrauchern Wahlfreiheit zu garantieren und um den Marktteilnehmern
Rechtssicherheit zu geben.
e) Internationale Fragen
Die Biotechnologie expandiert weltweit, insbesondere in der Landwirtschaft und im
Lebensmittelsektor. 2002 wurden etwa 58 Mio. ha mit GVO-Kulturpflanzen bebaut. Führend
in der Produktion von GVO-Lebensmitteln sind nach wie vor die USA, doch bauen bereits
mehrere Entwicklungsländer GVO-Pflanzen an oder haben damit begonnen, GVO in der
23 "Review of GMOs under Research and Development and in the pipeline in Europe",
eine noch laufende Studie des Institute of Prospective Technological Studies (IPTS-
JRC) und des Europäischen Wissenschafts- und Technologienetzes (ESTO)".
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 31 – Drucksache 15/3893
Landwirtschaft zuzulassen.
Internationale Foren und Initiativen
Fragen der Biotechnologie und verwandte Fragen werden heute in einer Vielzahl
internationaler Foren erörtert. Eine Reihe internationaler Organisationen verfügt über
einschlägige fachliche Kompetenz. Mit der biologischen Sicherheit befasst sich das
Cartagena-Protokoll, mit der biologischen Vielfalt das Übereinkommen über die biologische
Vielfalt (CBD = Convention on Biological Diversity), mit landwirtschaftlichen Fragen die
Food and Agriculture Organisation (FAO), mit geistigen Eigentumsrechten und
Technologietransfer die World Intellectual Property Organisation (WIPO) und die
Welthandelsorganisation (WTO), mit dem Handel die WTO, mit der Risikoanalyse von nach
modernen biotechnologischen Verfahren gewonnenen Lebensmitteln der Codex Alimentarius
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die FAO, mit dem Pflanzenschutz das
Internationale Pflanzenschutzübereinkommen (IPPC = International Plant Protection
Convention) und mit der Erarbeitung von Konsensdokumenten die Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Kürzlich wurden neue Initiativen eingeleitet und haben andere Organisationen damit
begonnen, sich mit der Biotechnologie auseinanderzusetzen. Die OECD organisierte 2000
und 2001 Weltkonferenzen über genetisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel, die UNIDO
beabsichtigt, Ende 2003 ein Global Biotech Forum zu veranstalten, die WHO befasst sich mit
der Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel und die Weltbank hat einen
Konsultationsprozess eingeleitet, um internationale Stellungnahmen einzuholen über die
Rolle der Agrarwissenschaft und Agrartechnologie in der Bekämpfung des Hungers, der
Verbesserung der Lebensbedingungen im ländlichen Raum und in der Förderung des
umweltverträglichen Wirtschaftswachstums.
Der Dialog muss intensiviert werden
Die wachsende Zahl internationaler Initiativen spiegelt die Besorgnisse und die kontroverse
Haltung in Bezug auf die Biotechnologie wider und wirft grundlegendere Fragen der
internationalen Governance auf. Jede der vorgenannten Organisationen spielt in ihrem
spezifischen Bereich eine wesentliche Rolle. Offenbar schickt sich jedoch keine dieser
Organisationen an, als Forum eines offenen und transparenten Dialogs zwischen allen
Stakeholdern zu fungieren. Ein derartiger Dialog, der alle Aspekte der Biotechnologie
einbeziehen müsste, würde das gegenseitige Verständnis der Besorgnisse und der Absichten
der verschiedenen Länder und Regionen erleichtern. Unterbleibt dieser Dialog, dann besteht
die Gefahr, dass die internationale Auseinandersetzung mit der Biotechnologie
bruchstückhaft, inkohärent und repetitiv geführt wird. Und für die Entwicklungsländer würde
Drucksache 15/3893 – 32 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
es zunehmend schwierig, die Ressourcen aufzubringen, um an allen laufenden Aktivitäten
mitzuwirken.
Eine Verbesserung des Dialogs ist besonders dort wichtig, wo die regulatorischen
Anforderungen und die Besorgnisse der Länder und Regionen in unterschiedliche Richtungen
gehen. Vor allem die jüngsten Entwicklungen in den einschlägigen EU-Regelwerken werden
von zahlreichen Drittländern aufmerksam verfolgt, die zum Teil starke Vorbehalte
angemeldet haben in Bezug auf die Umsetzung bestehender Rechtsvorschriften und die
Gestaltung künftiger Regelungen.
Die Tätigkeit der wirtschaftlichen Stakeholder und die wirtschaftlichen Interessen beim
Anbau genetisch veränderter Pflanzen machen nicht an den nationalen Grenzen Halt. Die
biotechnologische Innovation beherrschen heißt deshalb, gemeinsame Regeln und Grundsätze
im globalen Maßstab festzulegen unter Tolerierung unterschiedlich motivierter Ansätze in
verschiedenen Teilen der Welt. Dies erweist sich zunehmend als eine große Herausforderung.
Wenn man zu Rechtsmitteln greift oder die berechtigten Anliegen von Regierungen
missachtet, dann wird man die in verschiedenen Ländern geäußerten Bedenken nicht
zerstreuen, sondern eher Kontroversen und die Polarisierung schüren.
Die gegenwärtigen Meinungsverschiedenheiten zwischen der EU und einigen ihrer
Handelspartner verstärken den Eindruck, dass es im Bereich der Biotechnologie, insbesondere
der Agrarbiotechnologie, an internationaler Governance mangelt.
Augenfälligstes Beispiel sind die Drohungen von Drittländern, auf der Ebene der WTO gegen
die Biotechnologie-Rechtsvorschriften der EU anzugehen.
Drohung einer Anfechtung auf der Ebene der WTO
Auf der Sitzung des Ausschusses für Gesundheits- und Pflanzenschutz (SPS) der WTO im November
2002 äußerten die USA, Kanada, Argentinien und die Philippinen erneut Vorbehalte gegen die GVO-
Zulassungspraxis der EU und die Vereinbarkeit geplanter neuer europäischer Rechtsvorschriften, d. h.
er Kommissionsvorschläge zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO und genetisch
veränderten Lebensmitteln und Futtermitteln, mit den WTO-Grundsätzen.
Die Einführung von GVO in der Landwirtschaft wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, u. a.
in den Bereichen menschliche Gesundheit, Umwelt, nach wirtschaftlichen Kriterien
realisierbare Koexistenz unterschiedlicher landwirtschaftlicher Produktionssysteme, geistige
Eigentumsrechte und Handel.
Viele Entwicklungsländer setzen sich noch nicht auf politischer Ebene mit diesen Fragen
auseinander und eine ganze Reihe dieser Länder verfügt noch nicht über die Möglichkeiten,
Biotechnologiegesetze zu erarbeiten und umzusetzen.
Genetisch veränderte Kulturpflanzen und die Entwicklungsländer
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33 – Drucksache 15/3893
Die jüngste Lebensmittelkrise in Südafrika und in diesem Kontext der GVO-Gehalt in Hilfsgütern hat
die Öffentlichkeit erneut auf das Problem der Verbreitung von GVO in bestimmten
Entwicklungsländern aufmerksam gemacht.
Ausgelöst wurde die Kontroverse durch die Bereitstellung beträchtlicher Mengen von
Lebensmittelhilfe durch die USA zur Behebung der ernsthaften Lebensmittelknappheit in Südafrika.
Die US-Lieferungen enthielten genetisch veränderten Mais.
Einige Länder der Region24 verweigerten zunächst die Abnahme des Maises. Angeführt wurden
verschiedene Gründe: menschliche Gesundheit, Umweltbelange, Fragen des geistigen Eigentums,
Gefahr der Verbreitung von Transgenen in einheimischen Maiskulturen und deren Auswirkungen auf
den regionalen und internationalen Handel.
Nach Auffassung der Kommission haben alle Länder das Recht, die ihnen angezeigt
erscheinenden Maßnahmen zu ergreifen, um die beabsichtigte oder unbeabsichtigte
Verbreitung genetisch modifizierter Organismen auf ihrem Territorium einzudämmen. Die
entsprechenden Regelungen sollten jedoch grundsätzlich entsprechend dem Stand der
Technik wissenschaftlich fundiert, transparent, in sich schlüssig sein. Und sie sollten vor
allem nur so restriktiv sein, wie es unter Berücksichtigung des angestrebten Schutzniveaus
ihre Zweckbestimmung erfordert. Im Bereich der Biotechnologie besteht Bedarf an einer
besseren internationalen Governance, wobei auch zu gewährleisten ist, dass unterschiedliche
Regelungen koexistieren können.
Bis heute ist das EU-US-Konsultationsforum für Biotechnologie, von Präsident Prodi und
Präsident Clinton im Mai 2000 eingesetzt, das einzige Beispiel einer unabhängigen Gruppe
von Sachverständigen von beiden Seiten des Atlantik. Das Forum ist ein Beispiel der
Förderung des Verständnisses und des Konsens bei den schwierigen und strittigen Fragen, die
im Bereich der Biotechnologie Ursache sind für die Meinungsverschiedenheiten zwischen der
EU und den USA und zwischen den jeweiligen Regierungen. In Anbetracht der Kontroversen
auf diesem Gebiet und der raschen Entwicklung der Biotechnologie sprach das Forum eine
Reihe von Empfehlungen aus, einschließlich weiterführender Arbeiten und Analysen. Die
Kommission hat ihre Stellungnahme zu den Empfehlungen des Forums veröffentlicht25 und
ist bereit, den Dialog fortzusetzen, um auf diese Weise die anstehenden Fragen
partnerschaftlich zu lösen.
In der Tat wurde in jüngster Zeit die Idee einer institutionalisierten internationalen
24 Anfang Oktober ließen Lesotho und Swasiland den genetisch modifizierten Mais ins
Land, und Malawi, Simbabwe und Mosambik erklärten sich bereit, das jeweilige Verbot
aufzuheben, vorausgesetzt der genetisch modifizierte Mais wird vor der Ausgabe
gemahlen; auf diese Weise soll eine Auskreuzung des genetisch modifizierten Maises
und damit eine Vermischung mit einheimischen Kulturen vermieden werden. Sambia
verweigert immer noch die Abnahme von genetisch modifiziertem Mais.
25
http://europa.eu.int/comm/external_relations/us/biotech/ec_commentary.htm.
Drucksache 15/3893 – 34 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Zusammenarbeit lanciert, um möglichst viele Stakeholder einzubeziehen. Auf dem Okinawa-
Gipfel im Juli 2000 einigten sich die G8, „in Absprache mit internationalen Organisationen
und anderen interessierten Kreisen, einschließlich der Wissenschaft, zu prüfen, wie sich der
gegenwärtige Wissensstand in einen globalen Prozess der Konsensbildung zur Biotechnologie
und zu anderen Aspekten der Sicherheit von Lebensmitteln und Kulturpflanzen integrieren
lässt.“ Seit den tragischen Ereignissen des 11. September 2001 befasst die G8 sich
hauptsächlich mit der Terrorismusbekämpfung; die Behandlung der Fragen der
Lebensmittelsicherheit und der Biotechnologie hat sich demzufolge verzögert.
Am 30. und 31. Januar 2003 organisierte die Kommission eine Konferenz in Brüssel über
Biotechnologie in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern. An der Konferenz nahmen
900 Teilnehmer aus aller Welt teil, darunter Wissenschaftler, Regierungsvertreter, NRO,
Industrie und Medien.
Künftige Aktionsschwerpunkte
Es ist jetzt an der Zeit, die Idee der Einrichtung eines multilateralen Konsultationsforums
wieder aufzugreifen, um eine offene, konstruktive Debatte zwischen allen Stakeholdern zu
erleichtern und die Kohärenz der in den verschiedenen Foren erzielten Vereinbarungen zu
steigern.
Ein derartiges beratendes Gremium sollte in der Lage sein, einem weiten Spektrum
unterschiedlicher Interessen Ausdruck zu verleihen. Dies gilt auch für die Anliegen der
Wissenschaftler und der Bürgergesellschaft in ihrer gesamten Bandbreite. Ziel sollte sein,
zum Prozess der internationalen Konsensbildung in Fragen der Biotechnologie beizutragen
ohne Redundanz mit den Arbeiten in etablierten internationalen Foren. Eine solche Initiative
sollte als ein unerlässlicher Schritt angesehen werden zu einem global besseren Verständnis
der Fragen der Biotechnologieanwendungen und der unterschiedlichen regulativen Ansätze
in den einzelnen Ländern und Regionen.
Die Kommission wird diese Angelegenheit weiterverfolgen und prüfen, inwieweit ein
derartiges Forum machbar ist und inwieweit unsere Handelspartner bereit sind, in einen
derartigen Dialog einzutreten. Die Kommission wird ebenfalls eine unabhängige Überprüfung
des wissenschaftlichen Kenntnisstands im Bereich der landwirtschaftlichen Biotechnologie in
Entwicklungsländern unterstützen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 35 – Drucksache 15/3893
4. Schlussfolgerungen
– Die Kommissionsstrategie für Biowissenschaften und Biotechnologie wird weitgehend als
eine wichtige Initiative anerkannt.
– Mit der Strategie verpflichtet sich die Kommission, die Kohärenz der politischen
Maßnahmen zu verbessern, um in allen Praxisanwendungen der Biowissenschaften und der
Biotechnologie einen integrierten Ansatz zu fördern. Die Kommission ist bereit, auch
weiterhin dieser Verpflichtung Folge zu leisten.
– In einigen Bereichen sind Fortschritte erzielt worden, in anderen hat sich die Entwicklung
erheblich verzögert. Alle privaten und öffentlichen Stakeholder müssen zur Umsetzung der
Strategie beitragen. Die Kommission ist einer dieser Stakeholder. Viele der
vorgeschlagenen Aktionen fallen zum Großteil oder ganz in den Zuständigkeitsbereich von
Mitgliedstaaten oder privaten Stakeholdern. Die Strategie kann nur erfolgreich sein, wenn
sie durch Maßnahmen auf nationaler Ebene gestützt wird, z. B. durch die Entwicklung und
Umsetzung nationaler Biotechnologiestrategien. Die Kommission ist bereit, ihre Funktion
weiterhin zu erfüllen: die Arbeiten anderer Akteure unterstützen mit dem Ziel, kohärente
europäische Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Die Schlussfolgerungen des Rates
vom November 2002 sind ein wesentlicher Beitrag zu diesen Rahmenbedingungen. Jetzt
ist eine konzertierte Anstrengung vonnöten, um den Umsetzungsprozess weiterzuführen.
– Wichtig ist, dass die Mitgliedstaaten ihre Biotechnologiepolitik klar und kohärent
gestalten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Alleingänge und Mangel an Koordination die
Wirksamkeit und die Kohärenz der EU-Strategie in diesem Bereich ernsthaft gefährden.
Auf eine Ungereimtheit sollte in diesem Kontext hingewiesen werden: Einerseits wurde
auf den Gipfeltreffen von Lissabon, Stockholm, Barcelona und Sevilla das Ziel
vorgegeben, die EU zu einem führenden wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu
machen, wobei es gelte, das volle Potenzial der Biotechnologie auszuschöpfen und die
Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Biotech-Sektors zu stärken. Andererseits agiert
man nicht immer mit derselben Konsequenz, wenn es darum geht, diese Erklärungen in
verbindliche Regelungen und Verpflichtungen umzusetzen. Nachteilige Auswirkungen auf
Wettbewerbsfähigkeit, Forschungspotenzial und Handel haben insbesondere die weiterhin
bestehende Rechtsunsicherheit und hier vor allem die Verzögerungen im Bereich GVO,
sowie die Nichtumsetzung der EG-Patentvorschriften und die Verzögerung in der
Festlegung einer einheitlichen Gemeinschaftspatentregelung. In verschiedenen in dem
vorliegenden Bericht genannten Bereichen besteht jetzt dringender Handlungsbedarf.
– Die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen für GVO, einschließlich der
Kommissionsvorschläge zur Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO und
Drucksache 15/3893 – 36 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
genetisch veränderten Lebens- und Futtermitteln, garantieren ein hohes Schutzniveau für
Mensch und Umwelt, bieten den Marktteilnehmern Rechtssicherheit, tragen den Bedenken
in der Öffentlichkeit Rechnung, erleichtern den Verbrauchern die Wahl und fördern das
Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwendung von GVO. Wichtig ist auch, dass der
regulatorische Rahmen klar definiert und in sich schlüssig ist, was auch dazu beitragen
soll, die stark rückläufige Tendenz der GVO-Feldforschung in der EU umzukehren.
– Was bei allen wissenschaftlichen Fortschritten festzustellen ist, gilt auch für die rasante
Entwicklung der Biowissenschaften: Sie weckt hohe Erwartungen - neue Heilungschancen
bei Krankheiten und bessere Lebensqualität -, gleichzeitig aber auch Befürchtungen, was
die ethischen und sozialen Implikationen angeht. Diesen Besorgnissen müssen die
öffentlichen Behörden im weitesten Sinn bei Grundsatzentscheidungen in diesem Bereich
Rechnung tragen. Dessen eingedenk hat die Kommission sich verpflichtet, ethische,
rechtliche, soziale und im weitesten Sinne kulturelle Aspekte sowie die diesen zu Grunde
liegenden unterschiedlichen Denkweisen in einem frühestmöglichen Stadium bei von der
Gemeinschaft finanzierten Forschungsvorhaben zu berücksichtigen. Die
Auseinandersetzung mit ethischen und sozialen Fragen muss integraler Bestandteil der
Forschungs- und Entwicklungsprozesse bleiben, wobei die gesellschaftlichen Belange so
weit wie möglich einzubeziehen sind.
– Schließlich sind gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um das Verständnis der
Biotechnologie auf internationaler Ebene zu erweitern. Zu diesem Zweck wird erwogen,
ein multilaterales Konsultationsforum einzusetzen, d. h. ein Gremium, in dem ein das
ganze Spektrum der Biotechnologie abdeckender Dialog geführt werden kann.