BT-Drucksache 15/3748

"Tanktourismus" in den Grenzregionen

Vom 21. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3748
15. Wahlperiode 21. 09. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Michael Kretschmer, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann,
Peter Hintze, Ilse Aigner, Peter Altmaier, Veronika Bellmann, Dr. Rolf Bietmann,
Renate Blank, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Klaus Brähmig, Georg Brunnhuber,
Hubert Deittert, Alexander Dobrindt, Thomas Dörflinger, Enak Ferlemann,
Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Erich G. Fritz, Dr. Michael
Fuchs, Hans-Joachim Fuchtel, Roland Gewalt, Ralf Göbel, Dr. Reinhard Göhner,
Josef Göppel, Peter Götz, Kurt-Dieter Grill, Michael Grosse-Brömer, Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg, Olav Gutting, Ursula Heinen, Michael Hennrich,
Bernd Heynemann, Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Klaus Hofbauer,
Bernhard Kaster, Gerlinde Kaupa, Norbert Königshofen, Gunther Krichbaum,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Werner Kuhn (Zingst), Peter Letzgus,
Eduard Lintner, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Patricia Lips, Wolfgang
Meckelburg, Friedrich Merz, Laurenz Meyer (Hamm), Maria Michalk, Klaus Minkel,
Dr. Gerd Müller, Bernward Müller (Gera), Henry Nitzsche, Günter Nooke,
Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier, Eduard Oswald, Dr. Joachim Pfeiffer,
Thomas Rachel, Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Franz Romer,
Kurt J. Rossmanith, Albert Rupprecht (Weiden), Anita Schäfer (Saalstadt),
Dr. Wolfgang Schäuble, Hartmut Schauerte, Andreas Scheuer, Dr. Andreas
Schockenhoff, Wilhelm Josef Sebastian, Thomas Silberhorn, Johannes
Singhammer, Gero Storjohann, Max Straubinger, Lena Strothmann,
Michael Stübgen, Volkmar Uwe Vogel, Andrea Voßhoff, Gerhard Wächter,
Ingo Wellenreuther, Annette Widmann-Mauz und der Fraktion der CDU/CSU

„Tanktourismus“ in den Grenzregionen

Seit der EU-Erweiterung ist das Verkehrsaufkommen in den deutschen Grenz-
regionen zu den EU-Beitrittsstaaten sehr stark angestiegen. Die Belastung für
Bürger und lokale Wirtschaft durch Stau, Abgase und Lärm ist enorm.
Ein Grund dafür ist der zunehmende „Tanktourismus“ nach Polen und der
Tschechischen Republik. Kernursache hierfür sind die erheblichen steuerlichen
Unterschiede auf beiden Seiten der Grenzen für Benzin- und Dieselkraftstoffe.
Insbesondere die Ökosteuer hat auf deutscher Seite die Preise für Kraftstoffe
massiv erhöht und so die Standortbedingungen hierzulande nachhaltig ver-
schlechtert.
Die durch Wegfall der Zollkontrollen verringerte Wartezeit an der Grenze hat
den „Tanktourismus“ zudem jetzt noch attraktiver gemacht. Immer mehr
Bewohner der deutschen Grenzregionen tanken im benachbarten Ausland und
nutzen so die dort deutlich niedrigeren Benzin- und Dieselpreise. In den Grenz-

Drucksache 15/3748 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

regionen zu unseren südlichen und westlichen Nachbarländern besteht dieses
ungelöste Problem bereits seit Jahren. Die Tankstellen auf der deutschen Seite
erleiden einen rapiden Umsatzeinbruch. Die Folgen sind: Zahlreiche mittelstän-
dische Existenzen und noch mehr Arbeitsplätze sind bedroht, dem deutschen
Staat gehen beachtliche Steuereinnahmen verloren.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Tankstellen gibt es in den deutschen Grenzregionen zu Polen,

Tschechien, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien und
den Niederlanden?

2. Wie viele Mitarbeiter sind dort beschäftigt?
3. Über welche Eigentümerstruktur verfügen diese Tankstellen?
4. Wie viele Tankstellenstandorte sind seit 1998 aufgelöst worden und auf

welche Zahl beläuft sich das „Tankstellensterben“ konkret im Jahr 2002,
2003 und im 1. Halbjahr 2004?

5. Wie viele Arbeitsplätze sind an Tankstellen in diesen Regionen seit 1998
verloren gegangen?

6. Wie viele drohen mittelfristig verloren zu gehen?
7. Durch welche Maßnahmen plant die Bundesregierung die Auswirkungen

dieser Arbeitsplatzverluste auf die strukturschwachen Grenzregionen abzu-
federn?

8. Welche Unterschiede gibt es entlang dieser Grenzen in der Besteuerung
von Benzin und Dieselkraftstoffen?

9. Wie haben sich die Preise für Benzin und Dieselkraftstoffe in Deutschland
in den vergangenen zehn Jahren entwickelt?
Wie hat sich dieses seit 1998 entwickelt?
Wie verhält es sich mit dem absoluten Preisgefüge bei Benzin und Diesel
in den jeweiligen Regionen?
Wie ist diese Entwicklung in den europäischen Nachbarstaaten verlaufen?

10. Welche weitere Entwicklung des Preisgefälles wird von der Bundesregie-
rung erwartet, vor allem im Hinblick auf die Umsetzung des Acquis com-
munautaire in den neuen EU-Mitgliedstaaten?

11. Welche Auswirkungen hat die Öko-Steuer auf die Preisentwicklung für
Kraftstoffe seit 1998?
Wie haben sich die einzelnen Stufen der Öko-Steuer auf die Kraftstoffent-
wicklung ausgewirkt?

12. Wie hoch waren die jährlichen Einnahmen des Bundes aus Mineralöl-,
Öko- und Mehrwertsteuer aus dem Tankstellenbetrieb seit 1998?

13. Wie hoch waren die Ausfälle infolge des „Tanktourismus“, die dem Bund
seit 1998 durch nicht eingenommene Mineralöl-, Öko- und Mehrwert-
steuer entstanden sind?

14. Wie hoch ist dieses Steueraufkommen bisher im Jahr 2004?
15. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den gesamtwirtschaftlichen Scha-

den, vor allem den Kaufkraftrückgang im Einzelhandel und der Gastrono-
mie in den östlichen Grenzregionen Deutschlands durch den „Tanktouris-
mus“ sowie damit verbundene Ausflüge und Einkaufsfahrten ein?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3748

16. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen „Tanktouris-
mus“ und Zigaretteneinkaufstourismus und welche Schlussfolgerungen lei-
tet sie, angesichts der aktuellen Pläne, die Tabaksteuer anzuheben, daraus
ab?

17. Wie viel geringer wären die Benzinpreisunterschiede von Deutschland
nach Polen, Tschechien und den anderen Staaten ohne die Einführung der
Ökosteuer?

18. Hat die Bundesregierung in der Vergangenheit erwogen, weitere Öko-
steuer-Stufen nicht oder später einzuführen, um die Unterschiede zwischen
dem Benzinpreis in Deutschland und seinen Nachbarländern nicht noch
weiter ansteigen zu lassen?

19. Wie schätzt die Bundesregierung die wegen des erhöhten „Tanktouris-
mus“-Verkehrsaufkommens verursachte Umweltbelastung ein?

20. Welche Menge CO2 wird seit 1998 jährlich wegen des erhöhten Verkehrs-aufkommens durch „Tanktourismus“ zusätzlich ausgestoßen?
Welche Auswirkungen hat dies auf die angestrebte Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich?

21. Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich der zusätzlichen
Lärmbelastung vor, die durch das erhöhte „Tanktourismus“-Verkehrsauf-
kommen verursacht wird?

22. Welche gesundheitlichen Auswirkungen hat diese Lärmbelastung auf die
davon betroffenen Menschen?
Welcher volkswirtschaftliche Schaden ist bisher dadurch entstanden?

23. Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um den nega-
tiven Umweltwirkungen durch „Tanktourismus“ entgegenzuwirken?

24. Welcher Schaden entsteht dem Transportgewerbe wegen des erhöhten Ver-
kehrsaufkommens?

25. Was hat die Bundesregierung außer dem Versuch der stärkeren Harmoni-
sierung der EU-Steuersätze in den vergangenen Jahren unternommen, um
dem „Tanktourismus“ und seinen Folgen vorzubeugen?

26. Was unternimmt die Bundesregierung aktuell hierfür?
27. Hat die Bundesregierung bezüglich des „Tanktourismus“ Kontakt zur

Europäischen Kommission aufgenommen?
Wenn ja, welche Ergebnisse erwartet die Bundesregierung aus den Ver-
handlungen und Gesprächen?

28. In welchen Ländern der EU gibt es Sonderregelungen in den Grenzregio-
nen aufgrund der steuerlichen Unterschiede der nationalen Kraftstoffbe-
steuerung und wie sind diese ausgestaltet?

29. Wie bewertet die Bundesregierung beispielsweise das Modell der geringe-
ren Mineralölbesteuerung in den norditalienischen Grenzregionen zur
Schweiz und zu Slowenien?

30. Ist der Bundesregierung bekannt, ob und ggf. welche Steuerausfälle der
italienische Staat durch dieses Modell vermieden hat?

31. Hat die Bundesregierung erwogen, das italienische Modell auch an den
deutschen Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik, die damals
noch EU-Außengrenze waren, einzuführen?
Wenn nein, warum?
Wenn ja, woran ist die Einführung gescheitert?

Drucksache 15/3748 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
32. Ist das italienische Modell nach Meinung der Bundesregierung vereinbar
mit europarechtlichen Vorgaben?
Wenn nein, warum ist nach Meinung der Bundesregierung dieses Modell
in Italien anwendbar, aber nicht in Deutschland?

33. Welche beihilferechtlichen Vorgaben müssten nach Meinung der Bundes-
regierung geändert werden, um das italienische Modell in Deutschland an-
wenden zu können?

34. Wie beurteilt die Bundesregierung den Entwurf einer Mitteilung der Euro-
päischen Kommission „Ein neuer Gemeinschaftsrahmen für die Bewertung
staatlicher Beihilfen mit begrenzten Auswirkungen auf den innergemein-
schaftlichen Handel“ im Hinblick auf die Anwendung des italienischen
Modells in Deutschland?

35. Plant die Bundesregierung das italienische Modell in Deutschland anzu-
wenden, wenn besagte Mitteilung der Europäischen Kommission rechts-
kräftig und staatliche Beihilfen im Bereich des Kraftstoffverkaufs explizit
gestattet werden sollten?

36. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen würde die Bundesregierung er-
greifen und wie sähe der konkrete Zeitplan aus?

37. Welche anderen Modelle außer dem italienischen Modell sind nach Mei-
nung der Bundesregierung beihilferechtlich möglich, um sowohl die Steu-
erausfälle infolge des „Tanktourismus“ zu reduzieren als auch die Tank-
stellenbetreiber in den deutschen Grenzregionen zu entlasten?

38. Bestehen innerhalb der Bundesregierung zwischen dem Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Arbeit und dem Bundesministerium der Finanzen
Differenzen zur Einführung einer Sonderbesteuerung von Mineralöl und
Diesel in den Grenzregionen?
Wenn ja, welche?

Berlin, den 21. September 2004
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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