BT-Drucksache 15/3683

Familien spürbar durch einen Kinder-Bonus entlasten - Keine Beitragserhöhungen in der Sozialen Pflegeversicherung - Grundlegende Reform beginnen

Vom 7. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3683
15. Wahlperiode 07. 09. 2004

Antrag
der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Dieter Thomae,
Rainer Brüderle, Helga Daub, Otto Fricke, Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann,
Joachim Günther (Plauen), Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Eberhard Otto (Godern), Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max
Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Familien spürbar durch einen Kinder-Bonus entlasten – Keine Beitragserhöhungen
in der Sozialen Pflegeversicherung – Grundlegende Reform beginnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 3. April 2001 vier Urteile verkündet, die
sich mit der Pflegeversicherung befassen, von denen zwei Urteile von grund-
sätzlicher Bedeutung sind. Das Urteil AZ. 1 BvR 1629/94 betrifft die Höhe des
Beitragssatzes in der sozialen Pflegeversicherung. Das Gericht hat einemKläger
mit Kindern, der einen niedrigeren Beitragssatz wegen der Kindererziehung ge-
fordert hatte, vom Grundsatz her Recht gegeben. Es hat entschieden, dass es mit
dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegever-
sicherung, die Kinder betreuen und erziehen, mit einem gleich hohen Pflegever-
sicherungsbeitrag wie kinderlose Versicherte belastet werden. Abhilfe sei bis
Ende 2004 zu schaffen. In der Begründung stellt das Gericht ausschließlich auf
eine verfassungswidrige Benachteiligung von Eltern auf der Beitragsseite der
sozialen Pflegeversicherung ab. Da die Pflegeversicherung ein mit dem Alter
der Versicherten zunehmendes Risiko abdecke und im Umlageverfahren finan-
ziert werde, müsse die jeweils erwerbstätige Generation die Kosten für die vor-
angehende Generation mittragen. Für das System sei deshalb nicht nur die mo-
netäre Beitragszahlung, sondern auch die Kindererziehung konstitutiv. Kinder-
losen, die nur monetäre Beiträge zahlten, aber keinen „generativen Beitrag“ leis-
teten, erwachse ein Vorteil gegenüber Versicherten mit Kindern. Diese
Benachteiligung von Eltern müsse ausgeglichen werden.
Das Urteil AZ. 1 BvR 1681/94 betrifft die Prämiengestaltung der privaten Pfle-
geversicherung. Diese Klage, die sich dagegen wandte, dass Privatkrankenver-
sicherte zur Absicherung des Pflegerisikos in der privaten Pflegeversicherung
verpflichtet werden und deshalb nicht in den Genuss der für sie günstigeren Bei-
tragsregelung der sozialen Pflegeversicherung kommen, ist vom Bundesverfas-
sungsgericht zurückgewiesen worden. Die Tatsache, dass die Erziehung von
Kindern in der privaten Pflegeversicherung nicht prämienmindernd berücksich-
tigt wird, verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Begründet wird dies damit, dass
die private Pflegeversicherung nach dem Kapitaldeckungsverfahren finanziert

Drucksache 15/3683 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
wird und daher nicht wie die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung auf
die Prämienzahlungen der nachwachsenden Generation angewiesen sei.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Familienlastenausgleich in der
sozialen Pflegeversicherung zwingt den Deutschen Bundestag, bis zum 31. De-
zember 2004 eine gesetzliche Regelung zu treffen. Die Regelungen müssen
sicherstellen, dass kindererziehende Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung
gegenüber den nicht kindererziehenden Mitgliedern bei gleichem Einkommen
beitragsmäßig relativ entlastet werden. Der Deutsche Bundestag spricht sich da-
her für eine Begünstigung der Kindererziehenden aus. Eine Beitragserhöhung
für nichterziehende Versicherungsnehmer lehnt der Deutsche Bundestag ab.
Des Weiteren kann die Berücksichtigung der Erziehungsleistung von Eltern an-
gesichts der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder im System der sozialen
Pflegeversicherung nicht alleinige Aufgabe der Pflegeversicherung sein, die be-
reits durch die beitragsfreie Mitversicherung eine erhebliche monetäre Würdi-
gung der Erziehungsleistung aufbringt.
Seit Jahren übersteigen die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung deutlich
deren Einnahmen. In den ersten Jahren der Pflegeversicherung sind Reserven
entstanden, die bis spätestens 2007 aufgebraucht sein werden. Dieses Jahr wird
das Defizit vermutlich 1 Mrd. Euro betragen. Die Defizite haben strukturelle
Ursachen: Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich bis zum Jahr 2050 nahezu
verdreifachen, wohingegen die Zahl der Beitragszahler im selben Zeitraum um
ein Drittel abnimmt. Ohne eine grundlegende Reform der sozialen Pflegever-
sicherung müsste der Beitragssatz dann auf mindestens sechs Prozent steigen.

II Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. ein Gesetz vorzulegen, wonach die Erziehenden jährlich 150 Euro pro gesetz-

lich pflegeversichertem Kind in den ersten drei Lebensjahren des Kindes er-
halten. Im Anschluss daran werden Erziehende und Nichterziehende wieder
einheitlich behandelt. Dieser Kinder-Bonus soll aus allgemeinen Steuermit-
teln finanziert werden. Um den bürokratischen Aufwand minimal zu halten,
soll die Auszahlung des Kinder-Bonus über die Auszahlung des Kindergeldes
erfolgen;

2. ein weiteres Gesetz vorzulegen, das die oben genannten Entwicklungen auf-
greift und eine grundlegende Reform der sozialen Pflegeversicherung mit
dem Aufbau eines Kapitalstocks verbindet.

Berlin, den 6. September 2004
Daniel Bahr (Münster)
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Dieter Thomae
Rainer Brüderle
Helga Daub
Otto Fricke
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer

Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Eberhard Otto (Godern)
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr.WolfgangGerhardt und Fraktion

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