BT-Drucksache 15/3451

Arbeitsmarktstatistik aussagekräftig gestalten - Ausmaß der Unterbeschäftigung verdeutlichen

Vom 29. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3451
15. Wahlperiode 29. 06. 2004

Antrag
der Abgeordneten Johannes Singhammer, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl,
Veronika Bellmann, Dr. Rolf Bietmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Cajus Julius Caesar, Alexander Dobrindt, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof),
Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Hans-Joachim Fuchtel, Dr. Reinhard Göhner,
Kurt-Dieter Grill, Ernst Hinsken, Robert Hochbaum, Volker Kauder,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Hermann Kues, Wolfgang Meckelburg, Friedrich Merz,
Laurenz Meyer (Hamm), Dr. Joachim Pfeiffer, Hans-Peter Repnik,
Dr. Heinz Riesenhuber, Franz Romer, Kurt J. Rossmanith, Hartmut Schauerte,
Max Straubinger und der Fraktion der CDU/CSU

Arbeitsmarktstatistik aussagekräftig gestalten – Ausmaß der
Unterbeschäftigung verdeutlichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Zahl der Arbeitslosen ist eine der wichtigsten ökonomischen wie politischen
Kennziffern unseres Landes. An ihr werden vielfach Erfolg oder Misserfolg der
jeweiligen Bundesregierung gemessen und so auch Wahlentscheidungen mitbe-
einflusst. Es ist daher unerlässlich, dass diese zentrale Kennzahl die Lage auf
dem Arbeitsmarkt und das Ausmaß der Unterbeschäftigung in Deutschland so
angemessen und so exakt wie möglich abbildet.
Dies ist gegenwärtig bei den von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten
Daten nicht der Fall. Eine klare und eindeutige Gegenüberstellung der Beschäf-
tigungs- und Unterbeschäftigungssituation in unserem Land fehlt bis heute voll-
ständig.
Stattdessen unterzeichnet die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) in den
Monatsberichten ausgewiesene Zahl zur Höhe der Arbeitslosigkeit das wahre
Ausmaß der Unterbeschäftigung in unserem Land deutlich.
So hat die BA im Mai dieses Jahres eine offizielle Arbeitslosigkeit von rund
viereinhalb Millionen veröffentlicht, während de facto zwischen sechs bis
sieben Millionen Menschen in Deutschland ohne Job sind. Um ein realistisches
Ausmaß der Unterbeschäftigung zu erhalten, müssten vielmehr neben den amt-
lich gemeldeten Arbeitslosen auch all diejenigen Personen in die Analyse und
Veröffentlichung einbezogen werden, die arbeiten wollen, aber keinen Arbeits-
platz finden und bislang nicht als arbeitslos von der BA in die Berechungen mit-
gezählt werden.

Drucksache 15/3451 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Hierzu zählen vor allem:
Erstens Teilnehmer an längerfristigen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-
politik wie bspw. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Trainingsmaßnahmen,
JUMP/JUMP-Plus, Personal-Service-Agenturen oder Weiterbildungsprojekten.
Hinzu kommen noch einmal fast 400 000 arbeitsfähige ältere Arbeitslose über
58 Jahre, die nach § 428 SGB III erleichterten Bezug des Arbeitslosengeldes be-
ziehen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung schätzt die „versteckte“ Arbeitslosigkeit aufgrund aktiver Arbeits-
marktpolitik auf insgesamt rund 1,7 Millionen Personen.
Zweitens rund 670 000 arbeitsfähige Rentner, die nicht aufgrund der Alters-
grenze, sondern wegen Arbeitslosigkeit ihr Altersgeld bereits vor dem 65. Le-
bensjahr erhalten.
Drittens muss eine Regelung gefunden werden, um die so genannte stille
Reserve in die amtliche Unterbeschäftigungsstatistik einzubeziehen. Hierbei
handelt es sich nach Schätzung der deutschen Forschungsinstitute um rund ein
bis zwei Millionen Menschen, die zwar arbeiten wollen, sich aber aufgrund feh-
lender Beschäftigungsperspektiven vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben.
Gleichzeitig ist die Arbeitslosenstatistik um die Personen zu bereinigen, die
keine Arbeit suchen und sich lediglich um Ansprüche auf anderweitige Sozial-
leistungen – wie bspw. Kindergeld, Rentenanwartschaften – zu erwerben,
arbeitslos gemeldet haben und dementsprechend lediglich aus formalen Grün-
den in der Arbeitslosenstatistik geführt werden.
Ursache für die große Diskrepanz zwischen der veröffentlichten Arbeitslosig-
keit und der tatsächlichen Unterbeschäftigung ist nicht mangelnder Sachver-
stand in der BA, sondern eine ungenügende Definition der Erwerbslosigkeit im
SGB III, das die Rechtsgrundlage für die Veröffentlichungen der BA bildet.
Diese Rechtsgrundlage ermöglich derzeit sowohl die Manipulation der Arbeits-
losenzahlen durch Statistiktricks – wie dies zu Jahresbeginn erneut geschehen
ist, als 80 000 Arbeitslose, die sich in Trainingsmaßnahmen befunden haben, per
Federstreich aus der Statistik entfernt worden sind. Das SGB III ermöglich aber
auch eine nur scheinbare Reduzierung der Arbeitslosigkeit durch ein kurzfris-
tiges intensives Ausnutzen von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik,
das zwar Kosten verursacht und die amtlichen Zahlen beschönigt, nicht aber
eine echte Verbesserung der Beschäftigungslage schafft.
Sowohl aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland als auch für die
politischen Entscheidungsträger ist es daher erforderlich, dass die offizielle
Arbeitslosenstatistik neu gefasst wird und wieder eine realistischere Lage-
beschreibung unseres Arbeitsmarktes liefert. Nur wenn dies gelingt, können die
Menschen in unserem Land ihre Wahlentscheidungen auf einer seriösen Infor-
mationsgrundlage fällen. Zugleich ist eine derartige Neufassung der Arbeitslo-
senstatistik auch deshalb erforderlich, um in der Politik die richtigen und ziel-
führenden Entscheidungen für Reformmaßnahmen fällen zu können. Denn eine
erfolgreiche Politik-Therapie der deutschen Beschäftigungsmisere ist nur dann
möglich, wenn eine korrekte Diagnose über die Ursachen der Massenarbeits-
losigkeit und deren wahres Ausmaß den Ausgangspunkt der Entscheidungen
bildet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ins Zen-
trum der Arbeitsmarktstatistik zu rücken. Direkt danebenmuss auch die Zahl der
Unterbeschäftigung ausgewiesen werden, um das Ausmaß an Beschäftigung
und Unterbeschäftigung in unserem Land klar und unmissverständlich zu ver-
deutlichen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3451

das SGB III so zu überarbeiten, dass die von der Bundesagentur für Arbeit
monatlich veröffentlichten Arbeitslosenzahlen das wahre Ausmaß der Unter-
beschäftigung in unserem Land künftig wieder deutlich besser abbilden;
den Trend, immer mehr Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-
politik aus der amtlichen Arbeitslosenstatistik zu streichen, wie dies u. a. zu Jah-
resbeginn mit den Trainingsmaßnahmen geschehen ist, umgehend rückgängig
zu machen;
in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-
wirtschaftlichen Entwicklung, den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten
sowie den Arbeitsmarktexperten in der BA eine Analyse vorzulegen, welche
Personen, die sich in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik befinden,
sinnvoller Weise als arbeitslos in der amtlichen Arbeitslosenstatistik geführt
werden sollten;
sämtliche arbeitsfähigen älteren Personen, die Altersrenten aufgrund vonArbeits-
losigkeit als auch den erleichterten Bezug von Arbeitslosengeld nach § 428
SGB III beziehen, wieder in die amtliche Arbeitslosenstatistik aufzunehmen;
in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt-
wirtschaftlichen Entwicklung, den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten
sowie den Arbeitsmarktexperten in der BA einenMaßstab zu entwickeln, um die
so genannte stille Reserve in der amtlichen Arbeitslosenstatistik zu integrieren;
unter anderem auf der Grundlage der Analysen des Bundesrechnungshofes
sowie der Bundesagentur für Arbeit die Arbeitslosenstatistik um die Personen zu
bereinigen, die zwar arbeitslos gemeldet sind, aber tatsächlich kein Beschäfti-
gungsverhältnis suchen;
einen Vorschlag zu unterbreiten, wie verhindert werden kann, dass sich Perso-
nen lediglich deshalb arbeitslos melden, weil sie auf diesemWege anderweitige
Sozialleistungen erhalten können.

Berlin, den 29. Juni 2004
Johannes Singhammer
Karl-Josef Laumann
Dagmar Wöhrl
Veronika Bellmann
Dr. Rolf Bietmann
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Cajus Julius Caesar
Alexander Dobrindt
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Reinhard Göhner
Kurt-Dieter Grill
Ernst Hinsken

Robert Hochbaum
Volker Kauder
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Wolfgang Meckelburg
Friedrich Merz
Laurenz Meyer (Hamm)
Dr. Joachim Pfeiffer
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Kurt J. Rossmanith
Hartmut Schauerte
Max Straubinger
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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