BT-Drucksache 15/3375

Sachstand des Modellprojektes zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger

Vom 15. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3375
15. Wahlperiode 15. 06. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gerlinde Kaupa, Jens Spahn, Andreas Storm, Annette
Widmann-Mauz, Dr. Wolf Bauer, Monika Brüning, Verena Butalikakis, Dr. Hans
Georg Faust, Michael Hennrich, Hubert Hüppe, Volker Kauder, Barbara Lanzinger,
Maria Michalk, Hildegard Müller, Matthias Sehling, Matthäus Strebl, Gerald Weiß
(Groß-Gerau), Wolfgang Zöller und der Fraktion der CDU/CSU

Sachstand des Modellprojektes zur heroingestützten Behandlung
Opiatabhängiger

Nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung der Probanden läuft
die Studie zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger nun in sechs deut-
schen Städten. Das Modellprojekt sieht vor, im Rahmen einer wissenschaft-
lichen Studie Schwerstabhängige versuchsweise mit injizierbarem Heroin als
Medikament zu behandeln. Parallel erhält eine Kontrollgruppe die Ersatzdroge
Methadon. Beide Gruppen erhalten regelmäßige medizinische Betreuung und
eine psychosoziale Begleittherapie.
Seit Anfang März 2004 ist die auf 24 Monate festgelegte individuelle Studien-
dauer für die teilnehmenden Probanden in Bonn beendet. Erste konkrete For-
schungsergebnisse, die die Zielsetzung hinsichtlich der Verbesserung des ge-
sundheitlichen Zustandes, der Reduktion illegalen Drogenkonsums, Rückgang
der Delinquenz, Erhöhung der Erreichbarkeit und Haltekraft für die Therapie,
der sozialen Stabilisierung sowie der Loslösung und Abstinenz aus demDrogen-
kontext belegen, können nun dargelegt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
I. Studienaufbau und -ablauf
1. Wie erklärt sich die Bundesregierung die Schwierigkeiten bei der Rekrutie-

rung der Probanden, die zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen geführt ha-
ben, und warum waren die ursprünglichen Erwartungen hierzu zu optimis-
tisch?

2. Inwieweit ist die Zahl der Probanden repräsentativ und kann Basis valider
Daten sein?

3. Wie viele der Probanden haben zuvor eine Methadon-Behandlung abgebro-
chen, wie viele wurden zuvor gar nicht erreicht und wie viele sind aus einem
laufenden Methadonprogramm oder anderen Maßnahmen in das Modellpro-
jekt gewechselt?

4. Wie verteilt sich die Gesamtzahl der Probanden auf die einzelnen Standorte
des Projektes, auch im Vergleich zur ursprünglichen Planung, und inwieweit
ist bei unterschiedlichem Rekrutierungsstand an den Standorten mit unter-
schiedlichen Ergebnissen zu rechnen?

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5. Wie entwickelt sich der Rücklauf der Ergebnisse aus den einzelnen Städten
an die Lenkungsgruppe bzw. an die Projektleitung?

6. Warum wurde das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt als Projekt-
träger beauftragt, dessen Name und Tätigkeitsfeld nur bedingt einen Bezug
zur Drogenarbeit vermuten lassen?

7. Wie ist die Entwicklung des Beikonsums anderer Suchtmittel durch die Pro-
banden?
Inwieweit kann dieser Beikonsum überhaupt festgestellt werden und ist es
insbesondere möglich, den Beikonsum von herkömmlichem Straßenheroin
parallel zum Projekt zu erfassen?

8. Inwieweit sind die örtlichen Drogenhilfen und andere Institutionen in den
Städten in das Projekt eingebunden?

9. Inwieweit ist die Behandlungsumgebung, z. B. hinsichtlich der medizi-
nischen und psychosozialen Begleitung, zwischen dem Modellprojekt und
der herkömmlichen Methadonsubstitution überhaupt vergleichbar?

10. Welches Forschungsergebnis erwartet die Bundesregierung von dem in
Phase 2 des Projektes möglichen Wechsel von Methadon auf Heroin?

11. Betrachtet es die Bundesregierung als Rückschritt, wenn die Probanden be-
reits den Umstieg auf das Drogensubstitut Methadon vollzogen hatten und
nun wieder auf die Droge Heroin umsteigen?

12. Welche Bedingungen müssen die Probanden erfüllen, um die medizinischen
Voraussetzungen und Erfordernisse gemäß Phase 3 des Projektes zu erfül-
len, wonach eine heroingestützte Behandlung bis zur ggf. möglichen Zulas-
sung von Heroin als Medikament für eine Nachfolgebehandlung möglich
ist?
Was passiert mit den in der 3. Phase Behandelten, wenn es nicht zu einer Zu-
lassung kommt?

13. Wer legt diese Voraussetzungen nach welchen Kriterien fest und wie sollen
die Erfordernisse konkret definiert werden?
Auf welcher gesetzlichen Grundlage erfolgt eine solche Nachfolgebehand-
lung mit Heroin?

14. Sieht das Modellprojekt eine Möglichkeit zur Nachfolgebehandlung mit
Methadon vor?

15. Unter welchen medizinischen Voraussetzungen wäre eine Nachfolgebe-
handlung mit Methadon angezeigt?

16. Mit wie vielen Nachfolgebehandlungen rechnet die Bundesregierung?
17. Erfolgen die Nachfolgebehandlungen unter den gleichen medizinischen

Voraussetzungen und der gleichen psychosozialen Betreuung, wie sie beim
Heroinprojekt gegeben waren?
Wenn nein, welche langfristigen Folgen erwartet die Bundesregierung für
die Probanden hinsichtlich der mit dem Modellprojekt verfolgten gesund-
heitlichen, sozialen und polizeilichen Ziele des Modellprojekts?

II. Spezialstudien zur begleitenden Forschung
18. Sind bereits perspektivische Kosten und Einspareffekte für die Krankenkas-

sen, für die Kommunen und die Gesamtgesellschaft aus der gesundheits-
ökonomischen Begleitforschung absehbar?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3375

19. Mit welcher Kostenbelastung bei der heroingestützten und methadon-
gestützten Behandlung für die einzelnen Träger rechnet die Bundesregie-
rung?

20. Wie viele am Projekt teilnehmende Probanden sowohl der heroingestützten
als auch der methadongestützten Behandlung sind bereits jetzt in Arbeit ver-
mittelt worden oder nehmen die Angebote wahr, in gemeinnützige soziale
Hilfstätigkeiten (Gartenarbeit im Park, Straßenfeger etc.) vermittelt zu wer-
den?

21. Wie viele der in Arbeit vermittelten Probanden haben die Tätigkeitsaufnah-
me von Anbeginn bis zum heutigen Stand des Projektes durchgehalten und
konnten dem Anforderungsniveau einer Arbeitstätigkeit gerecht werden?

22. Wie soll die Kraftfahrereignung bei Probanden in heroingestützter Behand-
lung mit dem Fahrverbot unter Drogeneinfluss rechtlich vereinbart wer-
den?

23. Gibt es spezielle psychosoziale Behandlungsformen, die noch nicht in der
bisherigen Substitutionstherapie eingesetzt wurden?
Wie entwickeln sich die verschiedenen eingesetzten Behandlungsformen im
Vergleich?

24. Werden neue psychosoziale Behandlungsformen im Rahmen der heroin-
gestützten Behandlung erprobt?

25. Wie hat sich im bisherigen Verlauf der Studie die Delinquenz der teilneh-
menden Probanden verändert?

26. Welche polizeilichen Daten liegen bisher vor, die eine Minderung der
Delinquenz sowohl bei den heroingestützten als auch bei den methadon-
gestützten Probanden belegen können?

27. Wie viele der heroingestützten als auch der methadongestützten Probanden
wurden bei strafrechtlichen Handlungen polizeilich aufgegriffen und ent-
sprechend strafrechtlich verfolgt bzw. wie viele Polizeikontakte gab es?

28. Wie entwickeln sich die sozialen Kontakte der Probanden generell?

III. Kosten und Finanzierung der Studie
29. Wie hoch sind die bisher jeweils angefallenen Kosten von Bund, Ländern,

Kommunen und ggf. anderer Träger und inwieweit bewegen sich diese Kos-
ten im Rahmen der ursprünglich veranschlagten Summe?
Welche Kosten pro Tag und Teilnehmer ergeben sich daraus aktuell?

30. Wie hoch ist absolut und prozentual die für das Projekt insgesamt vorgese-
hene Summe im Vergleich zu den im gleichen Zeitraum aufgewendeten
Geldmitteln für die Drogenprävention, insgesamt und differenziert nach den
einzelnen Kostenträgern?

31. Wer trägt die Kosten für die Nachfolgebehandlungen mit Heroin und Me-
thadon?

32. Sind für die Nachfolgebehandlungen finanzielle Mittel im Bundeshaushalt
eingestellt und geplant, und wenn ja, an welcher Stelle, in welcher Höhe und
für welchen Zeitraum?

33. Welche finanziellen Mittel müssen die Kommunen und die Länder jeweils
bei den Nachfolgebehandlungen tragen?
Soll die Finanzierung eventuell von anderen Kostenträgern (Krankenkas-
sen, Rentenversicherern, etc.) übernommen werden?

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IV. Nachfolgebehandlungsphase
34. Wie viele der Probanden, die in Bonn am Heroinmodellversuch teilgenom-

menen haben, haben in Phase 2 von Methadon auf Heroin gewechselt?
35. Wie viele der teilnehmenden Probanden sind in eine Abstinenzbehandlung

übergetreten und haben diese auch tatsächlich durchgehalten?
36. Wie viele der teilnehmenden Probanden sind in ein Arbeitsverhältnis ver-

mittelt worden und haben dieses von Beginn bis Ende des Modellversuches
und in die Nachfolgebehandlung hinein durchgehalten?

37. Wie viele der teilnehmenden Probanden sind polizeilich und kriminalstatis-
tisch nicht mehr aufgefallen?

38. Bei wie vielen der teilnehmenden Probanden konnte keine Minderung der
Delinquenz festgestellt werden?

39. Wie vielen Probanden ist eine soziale Reintegration gelungen?
40. Wie sehen die ersten Schritte in Richtung einer sozialen Reintegration

aus?
41. Wie viele der teilnehmenden Probanden sind in die Nachfolgebehandlung

übergetreten?
42. Wie viele der teilnehmenden Probanden der heroingestützten Behandlung

sind in Nachfolgebehandlung?
43. Wie viele der teilnehmenden Probanden der methadongestützten Behand-

lung sind in Nachfolgebehandlung?
44. Wie gestaltet sich die Nachfolgebehandlungsphase?
45. Sind die medizinischen Behandlungsvoraussetzungen der Nachfolgebe-

handlungsphase die gleichen wie beim Modellversuch?
46. Welche medizinische Versorgung wird den Probanden zugesichert, die nach

dem 2-jährigen Modellversuch und der anschließenden Nachfolgebehand-
lung noch weiter einer Zuführung von Heroin bedürfen?

47. Woher und auf welcher rechtlichen Grundlage sollen diese Probanden an-
schließend das Heroin beziehen?

V. Drogenpolitische Schlussfolgerungen
48. Warum macht die Bundesregierung in ihrem Zwischenbericht an den Bun-

destagsausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 26. April 2004
wiederholt deutlich, dass eine Zulassung der Heroinsubstitution angestrebt
wird, ohne das endgültige Ergebnis der Projektstudie abzuwarten?

49. Trifft es zu, dass der Projektleiter bereits vor Beginn des Modellprojektes
antizipierte, dass Drogenabhängige generell „Heroin auf Krankenschein“
erhalten können sollen, und wenn ja, wie steht die Bundesregierung dazu?

50. Inwieweit kann man unter diesen Umständen von einer ergebnisoffenen
Studie sprechen?
Inwiefern waren und sind die Ergebnisse der Studie bereits für die interne
politische Willensbildung der Bundesregierung antizipiert?

51. Inwieweit sieht die Bundesregierung in der imModellprojekt erprobten Ori-
ginalstoffabgabe einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik, da der ak-
zeptanzorientierte Ansatz insbesondere hinsichtlich der Frage der ange-
strebten Rauschwirkung durch den Probanden sehr stark im Mittelpunkt
steht?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/3375

52. Welche Rolle spielt für die Bundesregierung das grundsätzliche Ziel der Ab-
stinenz und der Drogenfreiheit bei ihrer Drogenpolitik bzw. spielt dieses
grundsätzliche Ziel eine Rolle bei den akzeptanzorientierten Ansätzen der
Bundesregierung?

Berlin, den 15. Juni 2004
Gerlinde Kaupa
Jens Spahn
Andreas Storm
Annette Widmann-Mauz
Dr. Wolf Bauer
Monika Brüning
Verena Butalikakis
Dr. Hans Georg Faust
Michael Hennrich
Hubert Hüppe
Volker Kauder
Barbara Lanzinger
Maria Michalk
Hildegard Müller
Matthias Sehling
Matthäus Strebl
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Wolfgang Zöller
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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