BT-Drucksache 15/3370

Heimgesetz auf dem Prüfstand

Vom 15. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3370
15. Wahlperiode 15. 06. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Maria Eichhorn, Willi Zylajew, Dr. Maria Böhmer, Antje
Blumenthal, Cajus Julius Caesar, Thomas Dörflinger, Ingrid Fischbach, Markus
Grübel, Volker Kauder, Kristina Köhler (Wiesbaden), Walter Link (Diepholz),
Michaela Noll, Rita Pawelski, Christa Reichard (Dresden), Hannelore Roedel,
Andreas Scheuer und der Fraktion der CDU/CSU

Heimgesetz auf dem Prüfstand

Das Heimgesetz, das seit 1974 besteht und dem Schutz der Heimbewohner
dient, wurde auf Initiative der CDU/CSU-geführten Bundesländer im Jahr 2001
zum 1. Januar 2002 von der Bundesregierung novelliert. Diese Novellierung
war vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung, hierbei insbeson-
dere der Erhöhung des Durchschnittsalters beim Wechsel von der Wohnung in
ein Heim und die Zunahme der pflegebedürftigen Heimbewohnerinnen und
Heimbewohner dringend erforderlich.
Ziel der Gesetzesnovelle sollte sein, die Rechtsstellung und den Schutz von Be-
wohnerinnen und Bewohnern zu verbessern und die Qualität der Betreuung und
Pflege weiterzuentwickeln.

Wesentliche Schwerpunkte der Neufassung des Heimgesetzes sollten sein:
– Verbesserung der Transparenz bei den Heimverträgen
– Weiterentwicklung der Mitwirkung
– Stärkung der Heimaufsicht
– Verbesserung der Zusammenarbeit von Heimaufsicht, medizinischem Dienst

der Krankenversicherung, Pflegekassen und Trägern der Sozialhilfe
– Abgrenzung zwischen Heim und „Betreutem Wohnen“
Die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag hatte trotz einiger Beden-
ken der Novellierung zugestimmt, da Konsens bei der generellen Zielrichtung
bestand, den Schutz der Heimbewohner zu stärken und die Möglichkeiten der
Heimaufsicht auszubauen.
Insbesondere wurde vonseiten der Fraktion der CDU/CSU bereits im Gesetzge-
bungsverfahren kritisiert, dass die Ziele einer verbesserten Transparenz von
Heimverträgen, einer effektiveren Heimaufsicht, einer besseren Abgrenzung
zwischen Heimaufsicht und dem medizinischen Dienst der Krankenkassen
sowie eine klare Grenzziehung zwischen „Wohnen im Heim“ und Wohnen im
Bereich „Betreutes Wohnen“ mit der Novellierung nicht erreicht werden.
Die damals vorgebrachte Kritik der Fraktion der CDU/CSU wurde in den letz-
ten Monaten von verschiedenen Seiten immer wieder bestätigt. Gleichzeitig
wird gefordert, die Heime von gesetzlichen und bürokratischen Vorschriften zu

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entlasten, damit mehr Zeit bei den zu pflegenden älteren Menschen verbleibt
und die Kostensteigerungen der letzten Jahre in angemessener Weise einge-
dämmt werden können.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der vom Bundesministerium für

Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegebenen
Kurzexpertise mit dem Titel „Entbürokratisierungspotenziale in stationären
Einrichtungen der Altenpflege“ des Instituts für Gerontologie an der Univer-
sität Dortmund (Mai 2003, Bearbeitung: Dipl. Soz. Wiss. Frauke Schönberg,
Projektleitung: Dr. Eckart Schnabel), der zufolge es keine vollständige
Übersicht der gesetzlichen Regelungen gibt, die für den Aufbau und den Be-
trieb von Altenheimen relevant sind?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Schätzung der benannten Kurzexper-
tise, dass über 980 Rechtsvorschriften für Alten- und Pflegeheime relevant
sind?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung den Tatbestand, dass die in der oben ge-
nannten Kurzexpertise sich überschneidenden Prüfungskompetenzen der un-
terschiedlichsten Behörden als besonders belastend empfunden werden?
Durch welche Dienste, Einrichtungen und Aufsichten werden derzeit Quali-
tätsprüfungen und Kontrollen in Heimen durchgeführt?

4. In welchen zeitlichen Abständen werden diese Kontrollen und Qualitäts-
prüfungen von den oben genannten Diensten, Einrichtungen und Aufsichten
in der Regel durchgeführt und welche Kriterien und Inhalte werden jeweils
geprüft (bitte Inhalte separat für die jeweiligen Dienste und Aufsichten
nennen)?

5. Machen die zuständigen Prüfinstanzen nach Auffassung der Bundesregie-
rung in ausreichender Weise von ihrer Möglichkeit der unangemeldeten Prü-
fung Gebrauch?
Spiegeln angemeldete Prüfungen nach Ansicht der Bundesregierung das für
eine angemessene Beurteilung der Institution nötige, reale Bild über die
genauen Zustände in der Einrichtung wider?
Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf?

6. Wie groß ist der durchschnittliche, zeitliche Abstand zwischen Antrag-
stellung einer Bewohnerbegutachtung zwecks Einstufung in eine Pflegestufe
und der Mitteilung des Begutachtungsergebnisses und wie hoch sind nach
Wissen der Bundesregierung die Kosten und bürokratischen Belastungen für
die Träger von Alten- und Pflegeheimen, die dadurch entstehen?

7. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung unternehmen, um die stetig
wachsende Zeitspanne zwischen Antragstellung einer Begutachtung und
Mitteilung der Pflegestufe zu reduzieren?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Klagen zahlreicher Träger von Alten-
und Pflegeheimen, dass die Heimaufsichten erheblich in die betriebliche Ge-
staltung der Heime eingreifen?
Sieht die Bundesregierung hinsichtlich der überschneidenden Prüfungs-
kompetenzen, insbesondere wegen der unterschiedlichen Prüfungsschemata,
Handlungsbedarf?
Wenn ja, gibt es konkrete Planungen der Bundesregierung und wie sehen
diese Planungen aus?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3370

9. Inwiefern sind nach Auffassung der Bundesregierung solche Kontrollen
mit dem Grundsatz in § 2 Abs. 2 HeimG vereinbar, nach dem „die Selbst-
ständigkeit der Träger der Heime in Zielsetzung und Durchführung ihrer
Aufgaben unberührt bleiben“?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung der Arbeitsgemeinschaft
diakonischer Unternehmen in der Altenpflege nach einer klaren Definition
der Rechte im Heimgesetz zur Vermeidung von Missverständnissen, Irrita-
tionen und Doppelprüfungen?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Forde-
rung von Verantwortlichen in Alten- und Pflegeheimen, einen einheitlichen
Prüfkatalog zu erstellen, nach dem alle Prüfer vorgehen müssen?

12. Macht es nach Auffassung der Bundesregierung bei den Prüfungen Sinn,
ein stärkeres Gewicht auf die tatsächliche Pflegeleistung, also den physi-
schen und psychischen Gesamtzustand des zu Pflegenden, zu legen als auf
die reine Erfüllung von formalen Kriterien?

13. Wie viel Prozent der Arbeitszeit der Pflegekräfte wird nach Erkenntnissen
der Bundesregierung für verwaltende Tätigkeiten (Dokumentation von Ar-
beitsabläufen) aufgewandt?
Teilt die Bundesregierung die Schätzung des Verbandes Deutscher Alten-
und Behindertenhilfe e. V. (VDAB), der zufolge rund 40 Prozent der
Arbeitszeit von Pflegekräften für verwaltende Tätigkeiten aufgewandt wer-
den müssen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung der benannten Kurz-
expertise, dass das Heimgesetz und das Pflegequalitätssicherungsgesetz zu
unnötiger Bürokratie führen?

15. Wie hoch ist nach Ansicht der Bundesregierung der bürokratische Auf-
wand der Alten- und Pflegeheime hinsichtlich der Abwicklung von Grund-
sicherung, Wohngeld und SGB V-Zuzahlungen (SGB V: Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch)?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung den Tatbestand, dass in benannter Kurz-
expertise folgende Regelungen als unangemessen und bürokratisch bewer-
tet werden: Verfahrensregelungen bei den Vergütungsverhandlungen, An-
zeige, Melde- und Aufzeichnungspflichten (§ 13 HeimG), Durchführung
statistischer Erhebungen, Hygiene- und Arzneimittelregelungen, Rücker-
stattungsregelungen bei Nichterfüllung (§ 5 Abs. 11 HeimG), Anforderun-
gen an die Heimverträge (§ 5 HeimG) und einseitigen Kündigungsregelun-
gen (§ 8 HeimG)?
Sieht die Bundesregierung bei den einzelnen aufgezählten Regelungen
Handlungsbedarf?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die bestehenden Regelungen, die in
der Agenda „Weniger Bürokratie – Mehr Pflege“ des VDAB und der
CAREkonkret als unnötige bürokratische Regelungen bezeichnet werden
und die der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla
Schmidt, bereits am 18. Dezember 2003 übergeben wurde?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung die unter Kapitel 3.2. „Kritik an Geset-
zen – Ergebnisse aus Träger- und Heimleitungsperspektive (1)“ der be-
nannten Kurzexpertise der Universität Dortmund (vgl. auch Frage 1) vor-
geschlagenen 31 Regelungen mit Entbürokratisierungspotenzialen?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die folgenden Empfehlungen der be-
nannten Kurzexpertise: Juristische Überprüfung der genannten Normen,
Überarbeitung von Heimpersonalverordnung und Heimmindestbauverord-

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nung, Quantifizierung des Kontroll- und Prüfaufwands für stationäre Ein-
richtungen, Prüfung und ggf. Sicherstellung der Kooperationsverpflichtung
zwischen den Behörden bzw. Schaffung von Anreizen für eine Koopera-
tion, Herstellung von Transparenz und Aufklärung hinsichtlich bestehender
Gesetze sowie Heimleitungen in den Fokus des Interesses nehmen?
Plant die Bundesregierung einzelne Empfehlungen umzusetzen oder wer-
den diese bereits umgesetzt?
Wenn ja, welche Regelungen werden bereits umgesetzt und mit welchem
Erfolg bzw. wie ist der derzeitige Verfahrensstand der Umsetzung?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forderung des Kuratoriums
„Wohnen im Alter“ (KWA) vom 20. Januar 2004 nach einer Lockerung der
gesetzlichen Vorgaben des Heimgesetzes?

21. Wie hat sich nach Auffassung der Bundesregierung die Einrichtung des
Heimbeirates in der Praxis bewährt?

22. Sind nach Ansicht der Bundesregierung die Möglichkeit der Information
der Heimbewohner (Heimbeiräte), und die Möglichkeit der Akteneinsicht
als Maßnahme zur Mitwirkung in den Heimen zur Wahrung der Interessen
der Bewohner ausreichend?
Welche Erfahrungswerte gibt es hierzu?

23. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
Heimbewohner aufgrund ihrer eigenen Pflegebedürftigkeit ihre Interessen
nicht angemessen vertreten können und deren Angehörige oftmals keine
wirksame Interessenvertretung wahrnehmen wollen, ergreifen, um die
Stellung des Heimbeirates im Interesse der Heimbewohner zu stärken?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des Vorstandsvorsitzenden
des KWA, Dr. Helmut Braun, vom 10. Januar 2004, dass mit dem seit
1. Januar 2002 geltenden novellierten Heimgesetz die „viel zitierte Hetero-
genität der Gruppe der älteren Menschen durch eine Art ,Gleichmacherei‘
sehr undifferenziert negiert“ wird?

25. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik des Kuratoriums „Wohnen
im Alter“, dass das novellierte Heimgesetz auf die Differenzierung nach
unterschiedlichen Wohnformen verzichtet?
Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die unterschiedlichen
Wohnformen in Zukunft besser differenzieren zu können?

26. Werden nach Auffassung der Bundesregierung im Heimgesetz die speziel-
len Belange von Behinderten und insbesondere auch neue Betreuungs- und
Wohnkonzepte ausreichend berücksichtigt?
Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Bedingungen für
das Wohnen in Wohngemeinschaften im Rahmen der Umsetzung des
Grundsatzes ambulant vor stationär zu verbessern?
Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Gründung von
Wohngemeinschaften unbürokratischer zu gestalten?

27. Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung die wichtigsten bis-
herigen Ergebnisse des „Runden Tisches Pflege“, der von den Bundes-
ministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für Gesundheit
und Soziale Sicherung ins Leben gerufen wurde?
Welche Erkenntnisse haben sich aus den Sitzungen der Arbeitsgruppe III –
Entbürokratisierung des „Runden Tisches Pflege“ ergeben?
Wurden bereits konkrete Maßnahmen als Folge von Erkenntnissen, die im
Rahmen des „Runden Tisches Pflege“ gewonnen wurden, eingeleitet?

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28. Wann wird die Bundesregierung gemäß § 22 Heimgesetz einen ersten
Bericht über die Situation der Heime und die Betreuung der Bewohnerin-
nen und Bewohner vorlegen?

29. Was wird die Bundesregierung unternehmen, um den vielfältigen Bedürf-
nissen und Ansprüchen älterer Menschen, und hierbei insbesondere der zu-
nehmenden Pflegebedürftigkeit älterer Menschen in Heimen besser gerecht
zu werden?

30. Was will die Bundesregierung unternehmen, um die Diskrepanz zwischen
zugesicherter und tatsächlich erbrachter Leistung in den Pflegeeinrichtun-
gen nicht noch größer werden zu lassen?

31. Was wird die Bundesregierung zur besseren Abstimmung der Regelungen
des SGB XI und des Heimgesetzes unternehmen, um Irritationen bei der
Abwicklung bestimmter Vorgänge (z. B. Weiterzahlung nach Tod des
Heimbewohners) zu vermeiden?

Berlin, den 16. Juni 2004
Maria Eichhorn
Willi Zylajew
Dr. Maria Böhmer
Antje Blumenthal
Cajus Julius Caesar
Thomas Dörflinger
Ingrid Fischbach
Markus Grübel
Volker Kauder
Kristina Köhler (Wiesbaden)
Walter Link (Diepholz)
Michaela Noll
Rita Pawelski
Christa Reichard (Dresden)
Hannelore Roedel
Andreas Scheuer
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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