BT-Drucksache 15/3285

Anerkennung der Altersversorgung aus bergmännischer Tätigkeit in der Carbochemie

Vom 10. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3285
15. Wahlperiode 10. 06. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Haupt, Dr. Heinrich L. Kolb, Helga Daub, Rainer Funke,
Birgit Homburger, Sibylle Laurischk, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia
Pieper, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Anerkennung der Altersversorgung aus bergmännischer Tätigkeit
in der Carbochemie

Die Carbochemie ist eine Schwelkohle verarbeitende Industrie, die aufgrund
spezieller Vorkommen von Schwelkohle nur im nordwestsächsischen Kohle-
revier (Region Leipzig), vor allem zur Zeit der DDR, bis 1997 existiert hat. Die
Arbeit in der Carbochemie fand unter extremer gesundheitlicher Belastung statt.
Durch den Umgang mit toxischen Gasen und Stoffen unterlagen Arbeiter in der
Carbochemie einem erhöhten Risiko, an Krebs zu erkranken.
Aufgrund dieser starken gesundheitlichen Belastungen wurde die Tätigkeit der
Arbeiter in der Carbochemie durch die Anordnung Nummer 1 – Katalog berg-
männischer Tätigkeit – des DDR-Ministerrats vom 29. Mai 1972 einer berg-
männischen Untertagetätigkeit gleichgestellt. Durch den Artikel 2 § 23 Abs. 1
und 2 Rentenüberleitungsgesetz wurde dieser Status nach der Wiedervereini-
gung als fünfjährige Vertrauensschutzregelung in das Bundesrecht übernom-
men.
Mit dem Wegfall der Anerkennung der Arbeit in der Carbochemie als „berg-
männische Tätigkeit“ zum 31. Dezember 1996 wurden die auf Basis des DDR-
Rechts und nach der Wiedervereinigung weiterhin erworbenen Rentenanwart-
schaften für „bergmännische Untertagetätigkeiten“ rückwirkend aberkannt.
Für Arbeiter in der Carbochemie, die nach dem 31. Dezember 1996 ihre Rente
beansprucht haben, hatte dies den Verlust des Rechts auf abschlagsfreie Frühver-
rentung ab dem 60. Lebensjahr, nach § 138 SGB VI, und den Verlust des Ren-
tenaufschlags für Untertagetätigkeiten, nach Artikel 2 § 33 Rentenüberleitungs-
gesetz bzw. § 85 SGB VI, zur Folge. Damit werden auch die durch anerkannte
„Untertagetätigkeit“ in der DDR langjährig erworbenen Ansprüche rückwir-
kend aberkannt.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:
1. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Arbeiter in der Carbochemie

durch diese Regelung betroffen sind?
2. Ist der Bundesregierung bekannt, auf welche Summe sich der finanzielle Ver-

lust der Rentenansprüche bei einer durchschnittlichen Erwerbsbiografie be-
misst?

Drucksache 15/3285 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

3. Kann die Bundesregierung beziffern, in welcher Höhe durch die Aberken-
nung der bergmännischen Tätigkeit für Beschäftigte der Carbochemie
Ersparnisse beim zuständigen Rentenversicherungsträger eingetreten sind?

4. Zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 28. April 1999 die Konsequenz, dass die rückwirkende Aberkennung
der bergmännischen Tätigkeit ein Verstoß gegen Artikel 14 GG ist?

5. Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung ihre Rechtsansicht, dass die
Aberkennung des Status der bergmännischen Tätigkeit kein Verstoß gegen
Artikel 14 GG ist?

6. Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung den Eigentumsschutz der Ren-
tenanwartschaften wiederherzustellen?
Wann gedenkt die Bundesregierung eine konkrete Gesetzesinitiative zur
Anerkennung der Altersversorgung aus bergmännischer Tätigkeit in der
Carbochemie vorzulegen?

7. Wie begründet die Bundesregierung die Aberkennung der Gleichstellung
der Tätigkeit der Carbochemiearbeiter mit einer bergmännischen Untertage-
tätigkeit und die damit verbundene Aberkennung erworbener Rentenan-
wartschaften, die gesetzlich in der ehemaligen DDR festgestellt und nach
der Wiedervereinigung bis Frist zum 31. Dezember 1996 durch Bundes-
recht anerkannt wurden?

8. Artikel 2 § 1 Satz 3 Rentenüberleitungsgesetz schützt die in der DDR erwor-
benen Rentenansprüche der Mitarbeiter in der Carbochemie, die bis zum
31. Dezember 1996 das Rentenalter erreicht hatten. Wie begründet die Bun-
desregierung die Wahl des Stichtags nach dem der Statusverlust der Mit-
arbeiter eintritt?

9. Artikel 30 Abs. 5 Satz 2 EinigV ist nach dem Urteil des 8. Senats des Bun-
dessozialgerichts vom 30. Juni 1999 (Az. B 8 KN 9/98 R ) dahin gehend
auszulegen, dass der sämtliche nach früherem DDR-Recht erworbenen
Rechtspositionen im Rentenrecht geschützt werden. Eine Gesetzeslücke bei
der Umsetzung in das Rentenüberleitungsgesetz in Bezug auf die Berück-
sichtigung bergmännischer Rentenansprüche wurde festgestellt. Teilt die
Bundesregierung die Rechtsansicht des Bundessozialgerichts?

10. Wenn ja, ist die Bundesregierung ebenfalls der Rechtsansicht, die nachträg-
liche Aberkennung der bergbaulichen Untertagetätigkeit und der damit zu-
sammenhängende Verlust der Rentenansprüche ist nicht rechtskonform zu
Artikel 30 Abs. 5 Satz 2 EinigV im Sinne der Auslegung des Bundessozial-
gerichts?
Kommt die Bundesregierung zu dem Schluss, es handele sich in diesem Fall
ebenfalls um eine Gesetzeslücke im Rentenüberleitungsgesetz?

11. Wenn ja, sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit der rückwirkenden
Anerkennung der Altersversorgung aus bergmännischer Tätigkeit der
Arbeitnehmer in der Carbochemie aufgrund des Urteils des 8. Senats des
Bundessozialgerichts vom 30. Juni 1999 (Az. B 8 KN 9/98 R)?

12. Ist der Bundesregierung die „Bitterfelder Liste“ bekannt?
13. Wenn ja, welche Rechtsfolgen entfaltet die „Bitterfelder Liste“ und welche

Konsequenzen hat dies für den Rentenbezug der Betroffenen?
14. Wenn sich rentenrechtlich begünstigende Rechtsfolgen aufgrund der „Bit-

terfelder Liste“ ergeben, warum findet diese nicht auch für die Mitarbeiter
der Carbochemie Anwendung?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3285

15. Mit dem Beschluss vom 14. Juni 2002 (Bundestagsplenarprotokoll 14/243)
hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf zum Hüttenknappschaft-
lichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz (Bundestagsdrucksachen
14/9007, 14/9442) verabschiedet. Ist im Hüttenknappschaftlichen Zusatz-
versicherungs-Neuregelungs-Gesetz eine Vertrauensschutzregelung für das
Saarland von 10 Jahren vorgesehen?

16. Ist die Bundesregierung im Hinblick auf die Regelungen des Hüttenknapp-
schaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes der Rechtsan-
sicht, dass eine Vertrauensschutzregelung von lediglich 5 Jahren im Renten-
überleitungsgesetz mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist?

17. Gibt es aus Sicht der Bundesregierung zwingende Gründe, warum im Ren-
tenüberleitungsgesetz eine andere Regelung als im Hüttenknappschaft-
lichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetz gefasst wurde?

18. Wenn nein, wird die Bundesregierung eine Rechtsänderung zur Verlänge-
rung der Vertrauensschutzregelung auf 10 Jahre im Rentenüberleitungs-
gesetz vorlegen?

19. Wenn ja, wann wird die Bundesregierung diese vorlegen?
20. Mit dem Ministerratsbeschluss 13/6/90 – Beschluss über die Entschei-

dungsvorschläge für die Senkung der Umweltbelastung durch die Betriebe
Espenhain, Böhlen, Deuben, Rositz undWebau – vom 8. Februar 1990 wur-
de vom DDR-Ministerrat die Stilllegung aller carbochemischen Anlagen
zum Dezember 1991 beschlossen. Absatz 6 der Anlage 2 des Ministerrats-
beschlusses 13/6/90 vom 8. Februar 1990 regelt rentenrechtliche Fragen im
Zusammenhang mit der Einstellung der Produktion. Absatz 6.1 der An-
lage 2 gewährt ausscheidenden Mitarbeitern eine Rente für Bergleute ent-
sprechend der §§ 33 bis 45 der Rentenverordnung vom 23. November 1979
der DDR. Ist die Bundesregierung der Rechtsauffassung, dass der Minister-
ratsbeschluss 13/6/90 durch Artikel 19 EinigV in seinem Fortbestand wei-
terhin geltendes Recht ist?

21. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Arbeitnehmer, die nach Einstellung
der Produktion nicht unmittelbar aus dem Berufsleben ausgeschieden sind
und die weniger als 5 Jahre bergbaulich versichert waren, bei der Berech-
nung ihrer Altersrente, entsprechend Absatz 6.2 der Anlage 2 zumMinister-
ratsbeschluss 13/6/90, für die Jahre ihrer bergbaulichen Tätigkeit einen
erhöhten Steigerungssatz von 2 Prozent erhalten?
Wie begründet die Bundesregierung, dass dieser Steigerungssatz bei der Be-
rechnung der Renten der Carbomitarbeiter keine Berücksichtigung findet?

Berlin, den 10. Juni 2004
Klaus Haupt
Dr. Heinrich L. Kolb
Helga Daub
Rainer Funke
Birgit Homburger
Sibylle Laurischk
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Cornelia Pieper
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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