BT-Drucksache 15/317

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -15/124- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Fristen und Bezeichnungen im Neunten Buch Sozialgesetzbuch und zur Änderung anderer Gesetze

Vom 15. Januar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/317
15. Wahlperiode 15. 01. 2003

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss)

zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 15/124 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Fristen und Bezeichnungen
im Neunten Buch Sozialgesetzbuch und zur Änderung anderer Gesetze

A. Problem
§ 71 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schreibt vor, dass die Pflichtquote der Arbeitgeber
zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ab dem 1. Januar 2003 6 % der
Arbeitsplätze betragen soll, wenn die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten
Menschen im Oktober 2002 nicht um wenigstens 25 % geringer ist als die ent-
sprechende Zahl im Oktober 1999. Bis Ende Oktober 2002 konnte ein Abbau
der Arbeitslosigkeit um rund 23,9 % (45 305 Personen) erreicht werden. Die
mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom
29. September 2000 ergriffene Initiative hat damit das selbstgesteckte Ziel fast
erreicht. Vor dem Hintergrund dieses Zielerreichungsgrads wäre ein Anstieg
der Beschäftigungspflichtquote auf 6 % ab dem 1. Januar 2003 kontraproduk-
tiv. Zudem würde die Wirtschaft mit erheblichen Kosten belastet werden.
Als nicht sachgerecht hat sich auch die Ausrichtung der Beschäftigungspflicht
an der monatlichen Zahl der Arbeitsplätze erwiesen.
Der „Preisindex für die Lebenshaltung von 4-Personen-Haushalten von Arbei-
tern und Angestellten mit mittlerem Einkommen“, auf den bei der Anpassung
von Betriebsrenten gemäß § 16 BetrAVG u. a. Bezug genommen wird, wurde
vom Statistischen Bundesamt zum Ende des Jahres 2002 eingestellt. Künftig
gibt es nur noch einen einzigen Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten
Haushalte.
Des Weiteren bedingt der Neuzuschnitt der Bundesministerien redaktionelle
Änderungen im Hinblick auf die Zuständigkeit.
Die in § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V bestimmte gesetzliche Voraussetzung
einer zweijährigen unselbständigen Tätigkeit für die Zulassung als Leistungser-
bringer für Heilmittel ist eine von der Kommission der Europäischen Gemein-
schaft gerügte Beschränkung des Niederlassungsrechts nach Artikel 43 EG-
Vertrag.

B. Lösung
– Verschiebung der Anhebung der Pflichtquote der Arbeitgeber zur Beschäf-

tigung schwerbehinderter Menschen auf den 1. Januar 2004 und Ausrichtung

Drucksache 15/317 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

der Beschäftigungspflicht an der jahresdurchschnittlich monatlichen Zahl
der Arbeitsplätze.

– Ersatzlose Streichung der Regelung des § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V.
– Übernahme des Preisindexes für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte

in § 16 des Betriebsrentengesetzes.
– Vornahme der redaktionellen Änderungen in Folge des Neuzuschnitts der

Bundesministerien.
Einstimmige Annahme

C. Alternativen
Ablehnung des Gesetzentwurfs.

D. Kosten der öffentlichen Haushalte
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Durch die Beibehaltung der Beschäftigungspflichtquote von 5 % treten für die
öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden keine Mehrbelas-
tungen ein.
2. Vollzugsaufwand
Die Bundesanstalt für Arbeit wird durch die Umstellung auf eine jahresdurch-
schnittliche Beschäftigungsquote nicht zusätzlich belastet. Gleiches gilt für die
Integrationsämter.

E. Sonstige Kosten
Die Beschäftigungspflicht und damit die Pflicht zur Zahlung von Ausgleichsab-
gabe bei der Nichterfüllung entfällt auch für das Jahr 2003 für Arbeitgeber mit
jahresdurchschnittlich weniger als 20 Arbeitsplätzen monatlich. Durch die Bei-
behaltung der Pflichtquote von 5 % werden alle Arbeitgeber mit jahresdurch-
schnittlich 20 und mehr Arbeitsplätzen, die ihre Beschäftigungspflicht nicht er-
füllen, weiterhin entlastet.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/317

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/124 unverändert anzunehmen.

Berlin, den 15. Januar 2003

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Klaus Kirschner
Vorsitzender

Sylvia Schmidt (Eisleben)
Berichterstatterin

Drucksache 15/317 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Sylvia Schmidt (Eisleben)

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf der Frak-
tionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Druck-
sache 15/124 in seiner 14. Sitzung am 5. Dezember 2002 in
erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung über-
wiesen. Außerdem hat er ihn zur Mitberatung an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Arbeit überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem die Verschiebung der
Anhebung der Pflichtquote der Arbeitgeber zur Beschäfti-
gung schwerbehinderter Menschen auf 6 % der Arbeits-
plätze auf den 1. Januar 2004 vor. Nach § 71 Abs. 2 Satz 1
SGB IX hätte diese Pflichtquote zum 1. Januar 2003 in Kraft
treten müssen, da die Zahl der arbeitslosen schwerbehinder-
ten Menschen im Oktober 2002 nicht um 25 % geringer aus-
fiel als die entsprechende Zahl im Oktober 1999. Bis Ende
Oktober 2002 konnte allerdings ein Abbau der Arbeitslosig-
keit um 23,9 % (45 305 Personen) erreicht werden. Die mit
demGesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbe-
hinderter vom 29. September 2000 ergriffene Initiative hat
sich damit als erfolgreich erwiesen. Ein In-Kraft-Treten der
Pflichtquote der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwer-
behinderter Menschen in Höhe von 6 % der Arbeitsplätze ab
dem 1. Januar 2003 wäre vor diesem Hintergrund ein fal-
sches Signal und würde zu zusätzlichen Kostenbelastungen
für die deutsche Wirtschaft führen. Gleichzeitig soll sich die
Beschäftigungspflicht nicht mehr nach der monatlichen Zahl
der Arbeitsplätze, sondern nach der jahresdurchschnittlich
monatlichen Zahl richten.
Vorgesehen ist des Weiteren die Streichung des § 124 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 SGB V, wonach für die Zulassung als Leis-
tungserbringer für Heilmittel eine berufspraktische Erfah-
rungszeit von mindestens zwei Jahren in unselbständiger
Tätigkeit erforderlich ist. Die Kommission der Europäi-
schen Gemeinschaften hat die Bundesregierung gemäß Arti-
kel 226 Abs. 2 EG-Vertrag aufgefordert, die Übereinstim-
mung der deutschen Rechtsvorschriften in § 124 SGB V mit
dem Gemeinschaftsrecht herzustellen, da die Regelung in
§ 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V eine Beschränkung des
Niederlassungsrechts nach Artikel 43 EG-Vertrag darstellt.
Weil der „Preisindex für die Lebenshaltung von 4-Personen-
Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem
Einkommen“, auf den bei der Anpassung von Betriebsren-
ten § 16 BetrAVG Bezug nimmt, vom Statistischen Bundes-
amt zum Ende des Jahres 2002 eingestellt wurde, soll statt-
dessen der „Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten
Haushalte“ ins Betriebsrentengesetz übernommen werden.
Der Gesetzentwurf sieht ebenfalls verschiedene redaktio-
nelle Änderungen im Hinblick auf die Zuständigkeiten nach
dem Neuzuschnitt der Bundesministerien vor.

III. Stellungnahmen des mitberatenden
Ausschusses

Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat in seiner
7. Sitzung am 15. Januar 2003 mit den Stimmen aller Frak-
tionen empfohlen, denGesetzentwurf aufDrucksache 15/124
anzunehmen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung hat
in seiner 5. und 6. Sitzung am 18. Dezember 2002 und
15. Januar 2003 den Gesetzentwurf beraten und empfiehlt
einstimmig dessen unveränderte Annahme.
Für die Mitglieder der Fraktion der SPD ist die Reduzie-
rung der Arbeitslosenquote der Schwerbehinderten um fast
25 % zwischen Oktober 2002 und dem Vergleichsmonat
1999 ein großer Fortschritt bei der Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit Schwerbehinderter. Die deutsche Wirtschaft habe
sich sehr kooperativ gezeigt und die Beschäftigungsmög-
lichkeit für Schwerbehinderte ausgebaut. Deshalb sei die
Anhebung der Pflichtquote auf 6 % zum 1. Januar 2003 das
falsche Signal. Die Aussetzung der Anhebung der Pflicht-
quote für ein Jahr werde die Bundesregierung nutzen, um
ein Konzept zur Weiterentwicklung der Zielvorgaben und
zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten für
Schwerbehinderte zu erarbeiten. Die Bundesregierung
wolle erreichen, dass sich zukünftig die Arbeitslosenquote
der Schwerbehinderten nicht wesentlich von der allgemei-
nen Arbeitslosenquote unterscheide.
Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU erklärten,
dass auch sie dem Gesetzentwurf zustimmen. Die Anhe-
bung der Beschäftigungsquote für Schwerbehinderte auf
6 % wäre ein Fehler und würde die Arbeitgeber mit erheb-
lichen Mehrkosten belasten. Dies wäre kontraproduktiv und
würde die Motivation, behinderte Menschen einzustellen,
nicht erhöhen. Allerdings sei sehr bedauerlich, dass die
Bundesregierung nicht die gewünschten Zahlen über die
Reduzierung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter bis zur
abschließenden Beratung vorgelegt haben. Die von den Mit-
gliedern der Koalitionsfraktionen hervorgehobene Absen-
kung der Arbeitslosenquote um 23,9 % im Oktober 2002 im
Vergleich zum Oktober 1999 sei in der Sache nicht aussage-
kräftig. Diese Reduktion bedeute überhaupt nicht, dass ein
entsprechender Anstieg der Beschäftigung Schwerbehinder-
ter auf dem ersten Arbeitsmarkt erreicht worden sei. Der
Rückgang der Quote könne auch seine Ursachen in einer
zum Vergleich zum Oktober 1999 erhöhten Vermittlung
Schwerbehinderter in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und
auf das Ausscheiden vor allem älterer Schwerbehinderter
aus dem Arbeitsleben zurückzuführen seien. Der von den
Mitgliedern der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN erklärte Erfolg bei der Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit schwerbehinderter Menschen sei deshalb alles an-
dere als belegt. Die Arbeitslosenquote Schwerbehinderter
habe Ende 2002 mit 15 % um mehr als die Hälfte über der
allgemeinen Arbeitslosenquote gelegen. Ihr Anstieg um

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/317

0,7 Prozentpunkte allein vom November auf den Dezember
2002 dokumentiere wie alle anderen Wirtschaftsdaten auch
die verfehlte Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder.
Auch die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN vertraten die Ansicht, dass sich die mit dem Ge-
setz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinder-
ter vom 29. September 2000 ergriffene Initiative der Bun-
desregierung als erfolgreich erwiesen habe. Mit einem Ab-
bau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter um 45 305 Per-
sonen (23,9 %) zwischen dem Oktober 1999 und dem
Oktober 2002 sei ein großer Fortschritt erzielt worden. Die
private Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung blieben
aber auch weiterhin aufgefordert, die Beschäftigungsmög-
lichkeiten für schwerbehinderte Menschen auszubauen, um
eine Anhebung der Beschäftigungspflichtquote zum 1. Ja-
nuar 2004 überflüssig zu machen.

Auch die Mitglieder der Fraktion der FDP erklärten ihre
Zustimmung zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Die Ver-
schiebung der Anhebung der Pflichtquote um ein Jahr sei
ein sinnvoller Schritt, noch besser wäre aber der Verzicht
auf die Anhebung. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
schwerbehinderter Menschen habe im besonderen Focus der
Politik zu stehen. Jede Verbesserung werde deshalb auch
begrüßt. Allerdings sei auch für die Fraktion der FDP frag-
lich, ob der von der Bundesregierung und den Koali-
tionsfraktionen behauptete Erfolg bei der Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit wirklich eingetreten sei. Weder die Bun-
desregierung noch die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN hätten hierzu eindeutige Zahlen vorgelegt.
Zu Recht sei in der Diskussion im Ausschuss darauf hinge-
wiesen worden, dass allein die prozentuale Absenkung der
Arbeitslosenquote Schwerbehinderter um 23,9 % für sich
nicht aussagekräftig sei. Entscheidend sei, ob es auch einen
entsprechenden Beschäftigungsanstieg von schwerbehin-
derten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt gäbe.

Berlin, den 15. Januar2003

Sylvia Schmidt (Eisleben)
Berichterstatterin

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