BT-Drucksache 15/3098

Weltweite Armutsbekämpfung richtig machen

Vom 4. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3098
15. Wahlperiode 04. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Ralf Brauksiepe,
Hartwig Fischer (Göttingen), Helmut Heiderich, Siegfried Helias, Volker Kauder,
Julia Klöckner, Rudolf Kraus, Dr. Conny Mayer (Baiersbronn), Sibylle Pfeiffer,
Christa Reichard (Dresden), Peter Weiß (Emmendingen), Rainer Eppelmann,
Dr. Egon Jüttner, Arnold Vaatz und der Fraktion der CDU/CSU

Weltweite Armutsbekämpfung richtig machen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Über Jahrzehnte hinweg hat die deutsche Entwicklungspolitik die Armutsbe-
kämpfung zum Oberziel ihrer Entwicklungsanstrengungen erklärt. Die Grund-
lage hierfür war zunächst christlich-ethisch motiviert: Armutsbekämpfung
wurde als unverzichtbare Voraussetzung für eine weltweite sozial gerechte und
friedliche Entwicklung angesehen. Schließlich haben unter anderem der „Erwei-
terte Sicherheitsbegriff“ und der „Eine-Welt-Gedanke“ unsere Vorstellung von
Armutsbekämpfung auch im Sinne eigener Interessen nachhaltig beeinflusst. So
wird Armutsbekämpfung heute auch als ein Instrument zur Schaffung von Sta-
bilität, zur langfristigen Krisenprävention und Krisenbeilegung sowie zur Ein-
dämmung von Extremismus, sozialer Sprengsätze, Terrorismus und Umweltzer-
störung verstanden. Dabei ist deutlich geworden, dass Armutsbekämpfung nur
durch ein kohärentes Zusammenspiel der verschiedenen Politikbereiche erfolg-
reich sein kann. Entwicklungspolitik alleine ist eindeutig überfordert.
Die Bilanz der bisherigen weltweiten Armutsbekämpfung fällt zwiespältig aus.
Zwar verringerte sich der Anteil der Weltbevölkerung, die weniger als 1 US-
Dollar am Tag zum Lebensunterhalt verfügbar hat, von 29 Prozent in 1990 auf
23 Prozent in 2000. Weitere beeindruckende Fortschritte betreffen die Steige-
rung der Lebenserwartung, Senkung der Säuglingssterblichkeit und Erhöhung
der Alphabetisierungsrate in den meisten Entwicklungsländern. Auf der anderen
Seite sind heute 54 Länder, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, ärmer als noch
1990. Nur 30 von 155 Entwicklungsländern erreichen ein Wachstum von über
3 Prozent, das notwendig wäre, um die Armut signifikant weiter zu senken. In
21 Staaten ist der Anteil der Hungernden seit 1990 gestiegen. Betrug die welt-
weite Einschulungsrate 1990 noch 93 Prozent, ist sie 10 Jahre später auf nur
noch 84 Prozent abgesunken. Der Anstieg der Infektionsraten von Aids oder
Tuberkulose ist in vielen Entwicklungsländern kaum gebremst worden.
Die Erfahrung aus mehreren Jahrzehnten Entwicklungszusammenarbeit zeigt,
dass Armutsbekämpfung nur unter bestimmten Rahmenbedingungen erfolg-
reich sein kann. Dies sind zum einen intakte nationale Rahmenbedingungen im
Entwicklungsland selber: politische bzw. gesellschaftliche Stabilität, keine Be-
einträchtigung durch innere oder äußere bewaffnete Konflikte, Rechtssicherheit
und Rechtsstaatlichkeit, Achtung der Menschenrechte und demokratische

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Partizipation, eine funktionsfähige Administration, marktwirtschaftliche Betä-
tigungsfreiheit, ein breiterer Zugang zu Bildung und Einkommen – alles Kenn-
zeichen einer entwicklungsorientierten, guten Regierungsführung, die allerdings
genauso ein engagiertes Vorgehen gegen Korruption und einMaßhalten bei Rüs-
tungsausgaben beinhalten muss. Hierfür sind in erster Linie die Regierungen der
Entwicklungsländer selber verantwortlich. Zudem haben die internen Rahmen-
bedingungen eine entscheidende Bedeutung für die Anziehung privaten Aus-
landsinvestitionskapitals, das in vielen Entwicklungsländern mittlerweile eine
weitaus größere armutsbekämpfende Wirkung hat als die staatliche Entwick-
lungszusammenarbeit.
Zum anderen sind natürlich auch die internationalen Rahmenbedingungen aus-
schlaggebend für den Erfolg oder Nichterfolg der Armutsbekämpfungsstrate-
gien. Da der internationale Rahmen in entscheidender Weise von den Industrie-
ländern geprägt wird, kommt diesen Ländern eine große Verantwortung bei der
Ausgestaltung dieser Rahmenbedingungen insbesondere in Form der internatio-
nalen Handelsbeziehungen zu. Nach Weltbankeinschätzung könnte allein der
Abbau des Protektionismus das Einkommen der Entwicklungsländer um rund
5 Prozent steigern und viele Menschen aus der Armutsfalle bringen.
Einen neuen Anlauf nimmt die weltweite Armutsbekämpfung mit der auf dem
UN-Millenniumsgipfel 2000 von allen UN-Mitgliedstaaten angenommenen
Millenniumserklärung und der Formulierung der Millennium Development
Goals (MDGs). Diese fordern die internationale Staatengemeinschaft auf, den
Kampf gegen die weltweite Armut und Unterentwicklung zu forcieren.
Im Zentrum des Ansatzes der gegenwärtigen Bundesregierung steht das vom
Bundeskabinett am 4. April 2001 verabschiedete Aktionsprogramm 2015 der
Bundesregierung als Beitrag zur weltweiten Halbierung extremer Armut. Drei
Jahre danach bietet es sich an, eine Bilanz der Strategie der Bundesregierung zur
weltweiten Armutsbekämpfung zu ziehen. Dabei treten die folgenden gravieren-
den Mängel zu Tage:
Fehlgeschlagenes Aktionsprogramm 2015
Dieses stellt zwar insoweit einen innovativen Ansatz dar, als dass erstmalig die
gesamte Bundesregierung ressortübergreifend die weltweite Armutsbekämp-
fung als eine wichtige Aufgabe bezeichnet und ihren Beitrag dazu zumindest
deklaratorisch in den von den UN beschlossenen internationalen Rahmen ein-
ordnet. Die Bundesregierung hat jedoch dabei die Problematik unterschätzt, vor
der man steht, wenn man die von ihrer symbolischen Appellwirkung unverzicht-
baren, aber als Grundlage für konkretes Regierungshandeln eher untauglichen
MDGs zu einem konkreten nationalen Arbeitsauftrag umzuformulieren ver-
sucht. Eine reflektierende und gleichzeitig relativierende Betrachtung zum
Realitätsgehalt dieser entwicklungspolitisch anspruchsvollen Ziele fehlt völlig.
Symptomatisch ist das Unvermögen der Bundesregierung, trotz entsprechender
Ankündigung vor drei Jahren noch nicht den für die Programmsteuerung auf
nationaler Ebene notwendigen Umsetzungsplan vorgelegt zu haben. Stattdessen
versucht sie sich aus der Misere zu befreien, indem sie ihr Engagement für die
weltweite Armutsbekämpfung mit Definitions- und Statistikspielereien hoch-
zujubeln versucht. Zu Recht wurde dies als Etikettenschwindel entlarvt. Im
Ergebnis ist Armutsbekämpfung wieder der Entwicklungspolitik alleine zuge-
schoben bei gleichzeitigem an den sinkenden Budgetzahlen ablesbarem Bedeu-
tungsverlust dieses Politikfeldes.
Falsche regionale und sektorale Schwerpunktsetzung in der bilateralen Entwick-
lungszusammenarbeit
Vor dem Hintergrund immer knapper werdender Ressourcen wird eine inter-
national abgestimmte entwicklungspolitische Schwerpunktsetzung immer wich-

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tiger. Die Konzentrationskonzeption der gegenwärtigen Bundesregierung ent-
behrt allerdings einer konsequenten konzeptionellen Prioritätensetzung hin-
sichtlich regionaler, sektoraler und instrumenteller Schwerpunkte. Regional ge-
sehen regiert ein erratisches Gießkannenprinzip, das Zielgebiete deutscher
Entwicklungszusammenarbeit vor allem nach deren Publizitätswirkung auswählt.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) läuft somit
Gefahr, zu einem Ressort für internationale Katastrophen- und Sozialhilfe ohne
strategische Ausrichtung auf zielgerichtete Armutsbekämpfung abzurutschen.
Für die Armutsbekämpfung essentielle Kooperationssektoren wie Bildung, Ge-
sundheit und landwirtschaftliche bzw. ländliche Entwicklung finden immer sel-
tener Eingang in die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Ein Versuch,
diese Defizite durch andere Geber auffangen zu lassen, ist nicht erkennbar. Auch
besteht eine sektorale Schieflage insofern, als die für ein Wirtschaftswachstum
wichtige materielle Infrastruktur auf unverantwortliche Weise vernachlässigt
wird.
Die letztlich entscheidende politische Dimension von Entwicklung und Trans-
formation wird zwar über die Governance-Themen verbalisiert, aber die Hand-
lungsansätze orientieren sich zu stark an einer sehr theoretisch geprägten abs-
trakten internationalen Diskussion mit wenig Praxisbezug.
Mangelhafte finanzielle und personelle Ausstattung der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit
Der im Bundeshaushalt 2004 ausgewiesene BMZ-Etat ist Augenwischerei.
Denn angesichts der Verpflichtung zur Erwirtschaftung einer Globalen Minder-
ausgabe in Höhe von rund 39 Mio. Euro, den für den Kunduz-Einsatz abzuzwei-
genden 10 Mio. Euro sowie den an das Bundesministerium des Auswärtigen (AA)
zur dortigen Bewirtschaftung abzugebenden 80 Mio. Euro muss der Entwick-
lungshaushalt auch im Jahre 2004 wieder Einbußen hinnehmen. Damit erreicht
der Anteil des BMZ-Etats am Bundeshaushalt im Jahr 2004 den niedrigsten
Stand seit dem Amtsantritt der gegenwärtigen Bundesregierung. Das BMZ hat
somit in diesem Jahr über eine Viertelmilliarde 2004 weniger zur Verfügung als
1998 und kommt damit angesichts gleichzeitig gestiegener Anforderungen an
die Grenzen seiner finanziellen und personellen Leistungsfähigkeit. Die poli-
tische Zusage der Bundesregierung, die Entwicklungszusammenarbeit aus-
zuweiten und bis zum Jahr 2006 gemäß internationaler Übereinkünfte einen
offiziellen Entwicklungsausgabenanteil (ODA-Quote) von 0,33 Prozent des
Bruttonationaleinkommens zu erreichen, hat sich in der praktischen Haushalts-
politik der Bundesregierung endgültig in einen gegenläufigen Trend umgewan-
delt.
Fehlende Geberkoordinierung
Immer noch werden Entwicklungsressourcen verschwendet, weil entwicklungs-
politische Akteure auf internationaler, aber auch nationaler Ebene unkoordiniert
Doppelarbeit leisten oder gar gegeneinander agieren. Die gegenwärtige Bundes-
regierung ist ursprünglich mit dem Anspruch angetreten, die internationale Ge-
berkooperation und -koordinierung deutlich zu verbessern. Dabei kann es nicht
um eine zentralistisch bürokratische Lösung gehen, sondern um die Vereinheit-
lichung von Verfahren der Geber zur Verringerung der Transaktionskosten und
den aufeinander abgestimmten Einsatz des notwendigerweise pluralistischen
Instrumentariums, das die unterschiedlichen Organisationen und Institutionen
auszeichnet.
Die Koordinierungsbilanz fällt nach drei Jahren sehr dürftig aus. Selbst der von
der Weltbank angestoßene und von der Bundesregierung unterstützte Ansatz
einer besseren Geberharmonisierung auf Basis der im Empfängerland zu er-
arbeitenden Poverty Reduction Strategy Papers scheint die ursprünglich in ihn
gesetzten Erwartungen nicht zu erfüllen.

Drucksache 15/3098 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Ausgebliebene Reform der EU- und multilateralen Entwicklungszusammenar-
beit
Nach wie vor ist die Qualität der Entwicklungsarbeit von EU und multilateralen
Entwicklungsorganisationen sehr kritisch zu bewerten. Trotz anfänglicher Ver-
sprechungen hat die Bundesregierung bislang wenig gegen Reformblockaden,
fehlende Kooperationsbereitschaft und Hyperbürokratie bei EU und anderen in-
ternationalen Organisationen ausrichten können. Ihr Einfluss in den Leitungs-
gremien der maßgeblichen internationalen Organisationen ist trotz gegenteiliger
Beteuerungen marginal. Trotz dieser Defizite strebt sie an, den haushalts- und
entwicklungspolitischen Schwerpunkt weiter zugunsten der multilateralen Zu-
sammenarbeit zu verschieben. Die damit verbundenen Qualitäts-Effizienzein-
bußen und den schleichenden Bedeutungsverlust unserer bewährten bilateralen
Durchführungsorganisationen wie der KfW und GTZ nimmt sie dabei billigend
in Kauf. Dies ist umso bedauerlicher als diesen Organisationen international in-
zwischen aufgrund ihrer Umsetzungs- und Wirkungsorientierung eine hohe
„aid-effectivness“ bescheinigt wird.
Ins Leere laufende Entschuldung
Entschuldungsmaßnahmen zugunsten hoch verschuldeter Entwicklungsländer
können, wenn sie richtig gehandhabt werden, erhebliche armutsmindernde
Wirkung haben. Bei Entschuldungsmaßnahmen sollte aber mittels klarer Kon-
ditionen sicher gestellt werden, dass die aus der Entschuldung frei werdenden
Finanzmittel auch für die Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Bedauer-
licherweise hat es die Bundesregierung bei Entschuldungsabkommen unterlas-
sen sicherzustellen, dass die aus der Entschuldung frei werdenden Gelder nicht
einfach umgelenkt und zum Stopfen allgemeiner Haushaltslöcher oder zur
Finanzierung staatlicher Misswirtschaft missbraucht werden.
Widersprüche und Kohärenzdefizit im Handeln der Bundesregierung
Trotz der hohen Bedeutung der internationalen Rahmenbedingungen für die
Armutsbekämpfung hat es bisher wenig Fortschritte bei der Reduzierung der
Handelsbarrieren und der Umsetzung der WTO-Handelsbeschlüsse gegeben.
Die gegenwärtige Bundesregierung verfolgt in diesem Zusammenhang eine
widersprüchliche Politik. Sie hat einerseits z. B. mit der auf der WTO-Konfe-
renz in Cancun vorgestellten Baumwollinitiative publikumswirksam Aktionen
zur Reduzierung von Zollbarrieren und Exportsubventionen unterstützt. Ande-
rerseits hat sie zugestimmt, die Agrarsubventionen der EU bis mindestens 2013
festzuschreiben.
Ein anderes eklatantes Beispiel für die inkohärente Politik der Bundesregierung
ist das strategielose Bemühen um die Verhinderung und Entschärfung von be-
waffneten Konflikten in Entwicklungsländern. Als Beispiel mag das krisen- und
armutsgeschüttelte Subsahara-Afrika dienen. Das Afrika-Engagement des Bun-
deskanzlers und Bundesminister des Auswärtigen war bislang durch freund-
liches Desinteresse gekennzeichnet. AA und BMZ stimmten ihr Vorgehen kaum
aufeinander ab. Einerseits beteiligte sich die Bundesregierung an der von der EU
geführten Mission ARTEMIS zur Stabilisierung der Sicherheitslage in Bunia,
Provinz Ituri in der Demokratischen Republik Kongo, andererseits unterließ
man es, entwicklungspolitisch Druck auf Ruanda und Uganda auszuüben, die
destabilisierende, auf die illegale Rohstoffausbeutung abzielende Einmischung
im Osten der Demokratischen Republik Kongo künftig zu unterlassen.
Die Politik der Bundesregierung zur Bekämpfung der weltweiten Armut konnte
die in sie gesetzten Erwartungen bislang nicht erfüllen. Nur erhebliche konzep-
tionelle und finanzielle Korrekturen sowie eine merklich stärkere Übernahme
politischer Verantwortung auf nationaler und internationaler Ebene durch die
gegenwärtige Bundesregierung werden es unserem Land ermöglichen, den ihm

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/3098

gebührenden Beitrag zur Beseitigung weltweiter Armut und sozialer Spreng-
sätze zu leisten.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die Effizienz der Strukturen der deutschen Armutsbekämpfungspolitik zu

steigern und hierfür
a) endlich den Umsetzungsplan zumAktionsprogramm 2015, verbunden mit

einem entsprechenden Finanzierungsplan, vorzulegen sowie an Stelle des
bisherigen Berichts über die Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbst-
hilfe alle zwei Jahre einen Bericht über den deutschen Beitrag zur Errei-
chung der Millenniumsziele und zur Umsetzung des Aktionsprogramms
2015 anzufertigen;

b) engagierter als bisher unter Einbeziehung aller Ressorts politische Verant-
wortung für die Umsetzung der MDGs zu übernehmen und dafür im Res-
sortkreis stärker als bisher auf Kohärenz und Koordinierung der verschie-
denen Politikbereiche im Hinblick auf die Bekämpfung der weltweiten
Armut zu achten. Besonders wichtig ist dabei eine engere Verzahnung von
Entwicklungs-, Außen-, Sicherheits- und Außenwirtschaftspolitik;

c) die Strukturen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit weiter zu re-
formieren und zu straffen sowie deren Arbeitsabläufe zu beschleunigen
und zu flexibilisieren. Hierzu zählt die zukünftige Konzentration des BMZ
auf politische Steuerungs-, Konzeptions-, Planungs- und Koordinations-
aufgaben bei gleichzeitiger verstärkter Verlagerung der Durchführungs-
verantwortung in die Vorfeldorganisationen genauso wie eine Vertiefung
der Koordinierung und Kooperation der deutschen Vorfeld- und Durch-
führungsorganisationen, z. B. der GTZ und KfW;

2. die Entwicklungszusammenarbeit gezielter auf die Schlüsselsektoren der Ar-
mutsbekämpfung auszurichten und hierfür
a) Ansätze für gute Regierungsführung intensiver zu unterstützen. In den

entscheidenden Governance-Fragen müssen die abstrakten theoretischen
Vorstellungen der internationalen Diskussion verlassen werden zugunsten
von umsetzungsorientierten, den unterschiedlichen Bedürfnissen der je-
weiligen Entwicklungs- und Transformationsländer entsprechenden rele-
vanten Ansätzen. Hierzu gehört nicht nur eine verstärkte Förderung von
Initiativen, die soziale Gerechtigkeit sowie angemessene Agrarreformen
etablieren, sondern auch die Hilfestellung bei der Verhinderung und Ent-
schärfung von Konflikten, beim Kampf gegen Korruption und Vettern-
wirtschaft, bei der Menschenrechtsbildung sowie bei der breiteren Einbin-
dung der Zivilgesellschaften in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse;

b) die für die Armutsbekämpfung ausschlaggebenden Kooperationssektoren
Bildung, Gesundheit, landwirtschaftliche bzw. ländliche Entwicklung ein-
schließlich des Wassersektors und Aufbau funktionsfähiger staatlicher
Strukturen verstärkt zu fördern. Auch dem wichtigen Bereich der mater-
iellen Infrastruktur ist wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen;

c) der wichtigen Bedeutung von nachhaltig arbeitenden Mikrofinanzinsti-
tutionen für die Armutsbekämpfung Rechnung zu tragen und das entwick-
lungspolitische Engagement hierfür zu verstärken;

d) zur Steigerung des sozialen Verantwortungsbewusstseins politischer und
gesellschaftlicher Eliten in Entwicklungsländern intensiver als bisher bei-
zutragen und vor allem die Arbeit der politischen Stiftungen und der Kir-
chen zu unterstützen;

Drucksache 15/3098 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

3. die richtigen Länderprioritäten zu setzen und hierfür
a) den Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit bei „good performer“

Staaten zu setzen, die sich selber tatkräftig um die Sicherstellung stabiler
interner Rahmenbedingungen sowie um gute Regierungsführung bemü-
hen und damit einen möglichst effizienten Einsatz unserer entwicklungs-
politischen Ressourcen erwarten lassen;

b) Konzepte auszuarbeiten für eine sinnvolle Kooperation sowohl mit „fai-
ling/failed states“ wie auch mit „bad performer“ Staaten und hierdurch
sicherzustellen, dass trotz weitgehend oder komplett eingestellter bilatera-
ler staatlicher Entwicklungskooperation die Grundbedürfnisse der Bevöl-
kerung befriedigt und Anstöße für Reformen gegeben werden können.
Hierbei sind gerade auch die Kirchen, politischen Stiftungen und Nichtre-
gierungsorganisationen mit ihrer bewährten Entwicklungsarbeit wichtige
Partner. Im Hinblick auf besonders dramatische Fälle müssen die Defizite
von UN-Friedenseinsätzen behoben und die Arbeit an den EU-Fähigkei-
ten zur Krisenbewältigung verstärkt werden. Die Bundesregierung muss
auf internationaler Ebene stärker auf die Erarbeitung eines Konzeptes für
ein konsequenteres und kohärenteres zivil-militärisches Vorgehen zur Ver-
hinderung bzw. Entschärfung von Konflikten drängen und dies auf natio-
naler Politikebene umsetzen;

c) wegen der dortigen hohen Armutskonzentration und der „Ankerwirkung“
für umliegende ärmere Entwicklungsländer ein besonderes Augenmerk
auf die Armutssituation in Schwellenländern wie China, Indien, Südafrika
oder Brasilien zu legen. Angesichts des finanziellen Spielraums dieser
Länder kommt es darauf an, diese mittels eines intensiven Politikdialogs
und gezielter Beratung von Modellen für eine sozialere Ausgestaltung der
dortigen Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme zu überzeugen;

4. eine neue und effektivere internationale Arbeitsteilung anzustreben und hierfür
a) die Aktivitäten der zahlreichen multilateralen, bilateralen und nichtstaatli-

chen Gebern besser zu koordinieren;
b) Struktur und Arbeitsweise der multilateralen Institutionen sowie deren

Koordinierung und Kooperation untereinander zu reformieren. Die haus-
halts- und entwicklungspolitische Tendenz einer Schwerpunktverschie-
bung in Richtung multilaterale Institutionen ist angesichts des dortigen
Qualitätsdefizits und Reformstaus zu korrigieren;

c) in Abstimmung mit den multilateralen Geberinstitutionen auf eine Be-
grenzung bilateraler Geberaktivitäten in Entwicklungsländern von gerin-
ger Größe und niedrigem Entwicklungsniveau hinzuwirken, um deren
begrenzte Absorptionsfähigkeit und schwache Verwaltungsstruktur nicht
zu überfordern;

5. Entschuldungsmaßnahmen konsequenter auf die Armutsbekämpfung aus-
zurichten und hierfür
a) bei künftigen Schuldenerlassen klare Vereinbarungen über die Mittelver-

wendung zugunsten der Armutsbekämpfung zu treffen;
b) die Armutsbekämpfungsanstrengungen eines entschuldeten Entwick-

lungslandes aufmerksam zu begleiten und bei unbegründeten Abweichun-
gen von der vereinbarten Armutsbekämpfungsstrategie bzw. im Falle der
Zweckentfremdung von Geldern, die aus der Entschuldung frei wurden,
konsequent, notfalls mit entwicklungspolitischen Sanktionen, hierauf zu
reagieren;

c) insbesondere bei fortwährend zahlungsunfähigen Entwicklungsländern
die vollzogene Entschuldung nicht zum Vorwand für Kürzungen der Ent-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/3098

wicklungszusammenarbeit zu nehmen, sondern die nationalen Armutsbe-
kämpfungsanstrengungen auch zukünftig mit angemessenen Koopera-
tionsmaßnahmen zu unterstützen;

6. die Integration der Entwicklungsländer in die internationale Politik undWirt-
schaft zu forcieren und hierfür
a) sich konsequenter als bisher für die Umsetzung der Vereinbarungen wich-

tiger internationaler Konferenzen wie der UN-Konferenz zur Entwick-
lungsfinanzierung von Monterrey oder dem UN-Gipfel von Johannesburg
auf deutscher und internationaler Ebene einzusetzen;

b) sich mittels einer konsequenteren Ausrichtung der zukünftigen WTO-
Runden auf den weiteren Abbau von wettbewerbsverzerrenden Subven-
tionen und Protektionismus für eine intensivere Einbindung der Entwick-
lungsländer in die Weltwirtschaft einzusetzen;

c) multilaterale wirtschafts- und finanzpolitische Institutionen wie die WTO
oder den IWF intensiver in die Bekämpfung der weltweiten Armut und die
Umsetzung der MDGs einzubinden und in diesem Zusammenhang einen
neuen Anstoß zur wirksamen Durchsetzung weltweit gültiger Umwelt-
und Sozialstandards sowie zur Prüfung des Vorschlags einer internationa-
len Insolvenzordnung für unabhängige Staaten zu geben;

c) den entwicklungspolitischen Beitrag für eine bessere Integration der Ent-
wicklungsländer in die Weltwirtschaft zu verstärken;

d) die Ansätze für regionale Kooperationen und Märkte zwischen Entwick-
lungsländern noch stärker zu fördern. Hierbei sollte die Betonung auf die
Stärkung der regionalen Zusammenarbeit gelegt werden, in denen schwa-
che Ökonomien günstige Entwicklungsperspektiven besitzen. Dies würde
eine engere Kooperation gerade mit Schwellenländern wie Brasilien, Ar-
gentinien und Südafrika einschließen.

Berlin, den 4. Mai 2004
Dr. Christian Ruck
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ralf Brauksiepe
Hartwig Fischer (Göttingen)
Helmut Heiderich
Siegfried Helias
Volker Kauder
Julia Klöckner
Rudolf Kraus
Dr. Conny Mayer (Beiersbronn)
Sibylle Pfeiffer
Christa Reichard (Dresden)
Peter Weiß (Emmendingen)
Rainer Eppelmann
Dr. Egon Jüttner
Arnold Vaatz
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

Drucksache 15/3098 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

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