BT-Drucksache 15/3067

zu der driten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -15/2820, 15/3064- Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Förderung des Fachkräftenachwuchses und der Berufsausbildungschancen der jungen Generation (Berufsausbildungssicherungsgesetz - BerASichG)

Vom 4. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3067
15. Wahlperiode 04. 05. 2004

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer, Ernst-
Reinhard Beck (Reutlingen), Dr. Christoph Bergner, Helge Braun, Cajus Julius
Caesar, Alexander Dobrindt, Vera Dominke, Ingrid Fischbach, Axel E. Fischer
(Karlsruhe-Land), Holger Haibach, Siegfried Helias, Ernst Hinsken, Volker Kauder,
Julia Klöckner, Michael Kretschmer, Helmut Lamp, Barbara Lanzinger, Werner
Lensing, Dr. MartinMayer (Siegertsbrunn),WolfgangMeckelburg, BernwardMüller
(Gera), Uwe Schummer, Marion Seib, DagmarWöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 15/2820, 15/3064 –

Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Förderung des
Fachkräftenachwuchses und der Berufsausbildungschancen der jungen
Generation (Berufsausbildungssicherungsgesetz – BerASichG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit dem Berufsausbildungssicherungsgesetz setzen die Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den rot-grünen Irrweg in der Wirtschafts- und
Beschäftigungspolitik konsequent fort – zum Schaden der Betriebe, der Ar-
beitslosen und der jungen Menschen, die in unserem Land eine Lehrstelle su-
chen.
Anstatt durch mutige Reformen insbesondere im Steuer- und Arbeitsrecht,
durch eine durchgreifende Entbürokratisierung und die Modernisierung des
Berufsbildungsrechts, die Voraussetzungen für mehr Wachstum, mehr Beschäf-
tigung und damit zugleich auch mehr Lehrstellen zu schaffen, werden mit dem
Berufsausbildungssicherungsgesetz zusätzliche Belastungen und neue bürokra-
tische Regelungen eingeführt, die das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort
Deutschland weiter schwächen werden. Dies ist der falsche Weg.
Gegen die Pläne zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe sprechen unter
anderem:
– Die vorgesehene Abgabe ist für die Schaffung neuer Ausbildungsplätze wir-

kungslos, da sie nicht an den Ursachen der Krise auf dem Ausbildungsmarkt
ansetzt. Die Wirtschaftsverbände haben klare Signale aus den Unternehmen,
dass eine Ausbildungsplatzabgabe die Ausbildungsbereitschaft senken wird.

Drucksache 15/3067 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– Eine Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation in Deutschland wird sich
nur erreichen lassen, wenn den Ursachen der Misere begegnet wird. Diese
liegen vor allem in der dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen
Lage, dem von der Bundesregierung verursachten Vertrauensverlust von
Konsumenten wie Investoren, in der mangelnden Ausbildungseignung vie-
ler Jugendlicher und in einem veralteten Berufsbildungsrecht.

– Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber, insbesondere die Kommunen,
würden durch die Maßnahmen erheblich belastet mit negativen Folgen für
die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und mit der Folge der Ver-
schlechterung kommunaler Leistungen.

– Die „Stellschrauben“ des Gesetzentwurfs sind willkürlich gegriffen. Dies
gilt sowohl für die geforderte Gesamtausbildungsquote von 15 Prozent über
Bedarf als auch für die vom einzelnen Arbeitgeber (Betrieb) geforderte ein-
heitliche Ausbildungsquote von 7 Prozent. Die optimalen Ausbildungsquo-
ten variieren in Abhängigkeit von Betriebsgröße, Branchenspezifität, Beruf,
Region, betrieblicher Organisationsform und Qualifikationsstrukturen. Auch
die Förderung ist nicht zielgenau. Sie führt zu einer überproportionalen För-
derung der Branchen, in denen Ausbildung nicht kostenintensiv ist. Kapital-
intensive Ausbildungen, die in der Regel zu einer höheren Qualifikation füh-
ren, werden benachteiligt.

– Das Berufsausbildungssicherungsgesetz wird, da es bei Betrieben mit mehr
als 10 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten greift, gerade in einer Grö-
ßenordnung von 10 bis 15 Beschäftigten zu einem Einstellungshemmnis
werden.

– Der bürokratische Aufwand ist immens. Er liegt schätzungsweise zwischen
70 und 160 Mio. Euro und einem Arbeitskräftebedarf für die Abwicklung
von 700 bis 1 000 Beschäftigten beim Staat.

– Gegen den Gesetzentwurf bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Beden-
ken. Die Gruppenhomogenität, die für die Erhebung einer Sonderabgabe
erforderlich ist, wird nicht konsequent durchgehalten. Der Gleichheitsgrund-
satz dürfte verletzt sein. Missachtet wird in dem Entwurf auch das Grund-
recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, weil Behörden die Befugnis erhal-
ten sollen, Betriebsräume der Arbeitgeber zu durchsuchen und Geschäfts-
unterlagen einzusehen. Damit werden behördliche Untersuchungen möglich,
die nach dem Grundgesetz nur durch einen Richter angeordnet werden kön-
nen.

– Weder die Durchsuchungs- und Kontrollrechte noch die hohen Bußgelder
stehen in einem angemessenen Verhältnis zur Sache.

– Die vorgenommenen Nachbesserungen sind nicht relevant. Sie bringen zwar
punktuelle Erleichterungen für die betroffenen Bereiche, erhöhen aber die
verfassungsrechtlichen Bedenken und den Verwaltungsaufwand. Vor allem
führen sie in gleicher Weise zu einer höheren Belastung derjenigen, bei de-
nen das Gesetz greift. Nach Berechnungen des Deutschen Industrie und
Handelskammertages (DIHK) dürfte der Betrag bei diesen Unternehmen auf
rund 500 Euro je sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ansteigen.

– Das geltende Berufsbildungsrecht erschwert die Anpassung der beruflichen
Bildung an technische und gesellschaftliche Veränderungen. Das auf seiner
Grundlage entwickelte System von Ausbildungsberufen ist zu starr und wird
weder den unterschiedlichen Begabungen der Ausbildenden noch den unter-
schiedlichen Anforderungen der Betriebe gerecht. Hinzu kommt, dass zwei
Drittel der Betriebe angeben, dass die Höhe der Ausbildungsvergütung für
sie ein Ausbildungshemmnis darstellt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3067

– Die Schaffung von Arbeitsplätzen wird indirekt bestraft. Die rot-grünen
Beschlüsse zur Ausbildungsplatzabgabe sehen vor, dass die Betriebe, die in
Relation zu ihren Beschäftigten zu wenig ausbilden, die Strafabgabe zahlen
müssen. Damit werden Unternehmen belastet, die zwar neue Arbeitsplätze,
nicht aber neue Ausbildungsplätze schaffen. Um der Ausbildungsplatz-
abgabe zu entgehen, wird es damit rational, keine zusätzlichen Jobs anzu-
bieten. Ein Irrsinn angesichts von rund 4,6 Millionen offiziell gemeldeter
Arbeitsloser.

– Freikaufen statt ausbilden. Mit der Ausbildungsplatzabgabe werden Unter-
nehmen von der gesellschaftlichen Verantwortung entbunden, jungen Men-
schen den Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen. Damit entstehen
letztlich weniger und nicht mehr Lehrstellen in unserem Land.

– Die Qualifikation der Bewerber bleibt völlig unbeachtet. Auch die Unter-
nehmen, die ausbilden wollen, aber keine oder keine geeigneten Auszubil-
denden finden, müssen die Zwangsumlage entrichten. Dabei ist schon heute
die mangelhafte Qualifikation vieler Bewerber vielfach der entscheidende
Grund gegen die Einstellung eines Lehrlings. Hinzu kommt, dass viele
Lehrstellen unbesetzt bleiben, weil junge Menschen sich darum gar nicht
erst bemühen. So wurden selbst im Herbst 2003 bspw. in der Metall-, Elek-
tro- und Textilindustrie nach wie vor händeringend geeignete Lehrlinge
gesucht – und nicht gefunden. Im Handel können einige tausend Ausbil-
dungsplätze nicht besetzt werden, weil sich keine oder keine geeigneten
Kandidaten bewerben.

– Das Problem der mangelhaften Ausbildungseignung vieler Jugendlicher
wird nicht gelöst. Wer die beruflichen Chancen junger Menschen verbessern
möchte, muss bereits bei der Schule anfangen. PISA hat erschreckende
Mängel in der Allgemeinbildung vieler junger Menschen aufgedeckt. 25
Prozent der Schulabgänger sind danach nicht ausbildungsreif. Die Folge
sind schlechte Bewerbungschancen, insbesondere für Bewerber mit Migra-
tionshintergrund, sowie die in der Folge drohende Arbeitslosigkeit. Notwen-
dig ist eine möglichst frühe Verzahnung von Schule und beruflicher Praxis.
Längere Praxismodule schon in der Schulzeit wären der richtige Weg, denn
sie haben mehrere Vorteile: Nähe zu einem Ausbildungsbetrieb, Vertrauen
zwischen Ausbilder und Schüler und zudem könnten sie die Möglichkeit er-
öffnen, durch Anerkennung von Teilleistungen die spätere Berufsausbildung
zu verkürzen.

Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, die duale Berufsausbildung zu stär-
ken, den Betrieben die Schaffung von Ausbildungsplätzen zu erleichtern und
jungen Menschen Einstiegschancen zu verschaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Entwurf des Berufsausbildungssicherungsgesetz der Fraktionen SPD und

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksachen 15/2820, 15/3064)
ebensowie andere Pläne zur Einführung einer gesetzlichenAusbildungsplatz-
abgabe abzulehnen,

2. auf Angebote der Wirtschaft zur Schließung eines Ausbildungspaktes ein-
zugehen und in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die Ausbildungsplatz-
lücke zu schließen. Darüber hinaus soll – wegen der spezifischen Probleme
in den neuen Bundesländern – das „Ausbildungsplatzprogramm Ost“ 2004
unverändert fortgeführt werden;

3. Reformen in derWirtschafts-, Finanz- undArbeitsmarktpolitik durchzuführen
entsprechend den Anträgen der Fraktion der CDU/CSU „Ein modernes
Steuerrecht für Deutschland – Konzept 21“ (Bundestagsdrucksache 15/2745)

Drucksache 15/3067 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
und „Weichen stellen für eine bessereBeschäftigungspolitik –Wachstumspro-
gramm für Deutschland“ (Bundestagsdrucksache 15/2670) und damit die
Grundlage für mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen,

4. das Berufsbildungsgesetz nach der Maßgabe des von der Fraktion der
CDU/CSU vorgelegten Gesetzentwurfs (Bundestagsdrucksache 15/2821)
umgehend praxisorientiert zu novellieren mit den Kernpunkten
– Ausweitung der Stufenausbildung kombiniert mit Modularisierung um

den unterschiedlichen Begabungen der Jugendlichen Rechnung zu tragen
und den Weg in lebenslanges Lernen zu weisen,

– schnellere Entwicklung von Berufen durch Schlichtermodell,
– Aufwertung der Verbundausbildung,
– Weiterentwicklung der Prüfungsordnung von der derzeitigen Zwischen-

und Abschlussprüfung hin zu einer gestreckten Abschlussprüfung,
– Förderung der Mobilität durch Einführung eines europatauglichen Aus-

bildungspasses,
– Flexibilität für die Betriebe in Bezug auf Ausbildungsinhalte und Aus-

bildungsvergütung bis zu einem Drittel unter den tarif- bzw. branchen-
üblichen Sätzen.

Berlin, den 5. Mai 2004
Katherina Reiche
Thomas Rachel
Dr. Maria Böhmer
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)
Dr. Christoph Bergner
Helge Braun
Cajus Julius Caesar
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Holger Haibach
Siegfried Helias
Ernst Hinsken
Volker Kauder
Julia Klöckner
Michael Kretschmer
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Werner Lensing
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Wolfgang Meckelburg
Bernward Müller (Gera)
Uwe Schummer
Marion Seib
Dagmar Wöhrl
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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