BT-Drucksache 15/3048

Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen

Vom 4. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3048
15. Wahlperiode 04. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Günter Nooke, Bernd Neumann (Bremen), Renate Blank,
Dr. Peter Gauweiler, Dr. Günter Krings, Dr. Martina Krogmann, Vera Lengsfeld,
Dorothee Mantel, Erwin Marschewski (Recklinghausen), Melanie Oßwald,
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Erika Steinbach, Christian Freiherr von Stetten,
Edeltraut Töpfer, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU

Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland – Gesamt-
konzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Zu den konstitutiven Elementen des wiedervereinten Deutschlands gehört das
Gedenken an die Opfer der beiden totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts:
Nationalsozialismus und Kommunismus. Beide sind Bestandteile der deutschen
Geschichte. Sowohl die nationalsozialistische Herrschaft von 1933 bis 1945
als auch die kommunistische Diktatur von 1945 bis 1989 sind Kapitel unserer
Nationalgeschichte.
Das Nationalsozialistische Regime hat mit dem millionenfachen Mord an den
europäischen Juden ein singuläres Verbrechen begangen, das immer ein spe-
zielles Gedenken erfordern wird. Beide deutsche Diktaturen waren von einer
Gewaltherrschaft geprägt, die sich in der systematischen Verfolgung und Unter-
drückung ganzer Bevölkerungsgruppen manifestiert hat.
Es bedarf also eines Konzeptes, das Institutionen und historische Orte beinhal-
tet, die an beide Diktaturen erinnern. In diesem Zusammenhang ist auf eine
Reihe historischer Orte und heutiger Gedenkstätten zu verweisen, die von
beiden Diktaturen zur Unterdrückung von Opposition und Widerstand genutzt
wurden. Hier ist der Zusammenhang zwischen den Diktaturen evident. Der
Umgang mit der „doppelten Vergangenheit“ bildet eine besondere Herausforde-
rung.
Zur Umsetzung eines beide Diktaturen in Deutschland berücksichtigenden,
integralen Konzeptes sind inhaltliche, administrative und finanzielle Fragen
und Beteiligungen von Bund und Ländern zu klären. Folgende Ziele sollten in
einem Gesamtkonzept des Bundes formuliert werden:
1. Historische Orte, die an politische Gewaltverbrechen während der beiden

Diktaturen erinnern, müssen erschlossen werden.
2. Diese Orte sollten nach klaren und transparenten Maßstäben historisch ge-

wichtet werden und einen entsprechenden Rang in der nationalen Erinne-
rungskultur einnehmen.

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3. Diese Orte sollten als nationale Gedenkstätten gefördert und entsprechend
betreut werden.

4. Dafür in Frage kommen Orte, die entweder während beider oder jeweils wäh-
rend einer der Diktaturen als Orte von staatlich organisiertem Mord, politi-
schen Gewaltverbrechen, politischer Verfolgung bzw. Staatsterror fungierten.

5. Dazu zählen auchOrte, die inmarkanterWeise fürOpposition undWiderstand
gegen die beiden oder jeweils eine der Diktaturen authentisch sind.

6. Dazu zählen weiterhin Orte, die geeignet sind, Strukturen und Methoden der
jeweiligen Herrschaftssysteme für die Öffentlichkeit zu dokumentieren.

Die Orte gelten im öffentlichen Bewusstsein als exemplarisch für einen be-
stimmten Verfolgungskomplex. Nach Maßgabe der Unterrichtung durch die
Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/1569) handelt es sich um Orte mit
einem spezifischen, unverwechselbaren Profil, das sich auf die Authentizität
des Ortes gründet. Eine besondere Betrachtung verlangt das Denkmal für die
ermordeten Juden Europas, wo die Authentizität des Ortes nicht im Vorder-
grund steht. Für die meisten Orte liegen wissenschaftlich, museologisch und
gedenkstättenpädagogisch fundierte Konzepte vor.
Nach derzeitigem Stand sollte das Gesamtkonzept folgende Gedenkstätten,
Erinnerungsorte und Dokumentationszentren enthalten:
I. Zentrale Orte der Erinnerung an Repression und Widerstand während der

nationalsozialistischenGewaltherrschaft, Stätten vonOpposition undWider-
stand gegen die NS-Diktatur
l Stiftung Topographie des Terrors, Berlin;
l Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz;
l Denkmal für die ermordeten JudenEuropas;Gedenkender anderenOpfer;
l KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen, Dachau, Flossenbürg;
l Gedenkstätte Deutscher Widerstand;
l GedenkstätteMittelbau-Dora (in der StiftungBuchenwald undMittelbau-

Dora).
II. Authentische Orte der Erinnerung und des Gedenkens an die Verbrechen der

NS-Diktatur und der kommunistischen Gewaltherrschaft
l Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (KZ und sowjetisches Spezial-

lager Sachsenhausen und KZ Ravensbrück);
l Gedenkstätte Buchenwald (in der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-

Dora).
III. Orte der Erinnerung an Repression und Widerstand in der SED-Diktatur,

Stätten von Opposition und Widerstand, Flucht und Vertreibung
l Zentrale Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit

(MfS), Berlin-Hohenschönhausen;
l Ehemaliger Sitz des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im „Haus I

Normannenstrasse“, Berlin;
l Gedenkstätte Bautzen;
l Geschlossener Jugendwerkhof Torgau;
l Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Berlin.

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IV. Authentische Orte zur Geschichte der deutschen Teilung als Bestandteile der
Nationalgeschichte
l Gedenkstätte und Dokumentationszentrum Berliner Mauer;
l Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn;
l Deutsch-Deutsches Museum Mödlareuth.

Diese Erinnerungsorte sollten als Gedenkstätten von herausragender nationaler
Bedeutung dieser entsprechend vom Bund im Rahmen des Plafonds gefördert
werden. Bei der inhaltlichen Arbeit wirken Bund und das jeweilige Land
gleichberechtigt zusammen, die Wissenschaft wird dabei angemessen beteiligt.
Alle Gedenkstätten und Einrichtungen, die bisher vom Bund anteilig finanziert
wurden und hier nicht genannt sind, werden in der Praxis von diesem Antrag
nicht berührt.
Das Gesamtkonzept sollte folgende weitere Regelungen enthalten:
Der Bund garantiert die Pluralität der Konzeptionen, die Zusammenarbeit von
ehrenamtlichen und professionellenMitarbeitern sowie individuelles und kollek-
tives Engagement. Trotz der zentralen finanziellen Verantwortung garantiert der
Bund die dezentralen Lern- und Zugangsmöglichkeiten, insbesondere die Zu-
sammenarbeit der Gedenkstätten mit Schulen und anderen Trägern politischer
Bildungsarbeit. Die genannten herausragenden Orte und Einrichtungen müssen
in dieLage versetztwerden, sinnvoll an die universitäre Forschunggekoppelt und
nach Möglichkeit institutionell dort integriert zu werden. Im Einzelfall könnte
dies als eigenständiger Forschungsbereich innerhalb einer Fakultät etc. realisiert
werden. Die Arbeit der Gedenkstätten sollte national und international vernetzt
werden. Dies sollte in Form von Mitarbeiteraustausch sowie gemeinsamen Ver-
anstaltungsangeboten und Forschungsprojekten geschehen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
vor diesem Hintergrund in Abstimmung mit den Ländern einen Vorschlag vor-
zulegen, mit welchen Instrumenten und Regelungsmöglichkeiten (z. B. Staats-
vertrag) den unterschiedlichen Aspekten des Themenkomplexes Rechnung
getragen werden kann, um ein zukunftsfähiges und stringentes Gesamtkonzept
umsetzen zu können.

Berlin, den 30. April 2003
Günter Nooke
Bernd Neumann (Bremen)
Renate Blank
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Vera Lengsfeld
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Melanie Oßwald
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Edeltraut Töpfer
Wolfgang Zeitlmann
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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Begründung
Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Überwindung der
Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“ stellte in ihrem
Schlussbericht (Bundestagsdrucksache 13/11000) fest: „Die Erinnerung an die
beiden Diktaturen, die die Feindschaft gegen Demokratie und Rechtsstaat
verbunden hat, schärft das Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Recht und
Demokratie. Dies, wie die notwendige Aufklärung über die Geschichte der
beiden Diktaturen, ist der Kern des antitotalitären Konsenses und der demo-
kratischen Erinnerungskultur der Deutschen.“ (S. 227). In diesem Zusammen-
hang betont die Bundesregierung in einer Unterrichtung (Bundestagsdruck-
sache 14/1569), dass die Gedenkstätten an den authentischen Orten zur
Erinnerung an beide Diktaturen und zum Gedenken an ihre Opfer als Stütz-
punkte von zentraler Bedeutung seien. Die Erinnerungskultur müsse als
gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen werden. Die
Erinnerung an die NS-Terrorherrschaft und die SED-Diktatur und das Ge-
denken an die Opfer und den Widerstand sind Teile des demokratischen Selbst-
verständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Weiterhin betont die Bundes-
regierung, dass dieses Erinnern zur Festigung des Bewusstseins für Freiheit,
Recht und Demokratie beitrage und den antitotalitären Konsens in Deutschland
stärke. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt diese Einschätzung der
Bundesregierung.
In der Folge des Sieges der Alliierten des zweiten Weltkrieges über den Na-
tionalsozialismus und der Besetzung Deutschlands durch die Siegermächte
konnten Demokratie und Rechtsstaat nur in den westlichen Besatzungszonen
etabliert werden. Im Ostteil wurde mit massiver Hilfe der Siegermacht Sowjet-
union der kommunistischen SED zur Herrschaft verholfen. Diese war zu kei-
nem Zeitpunkt rechtsstaatlich und durch demokratische Wahlen legitimiert. Die
40-jährige SED-Herrschaft auf dem Boden der sowjetischen Besatzungszone
ist auch ein direktes Ergebnis der unmittelbar vorausgegangenen NS-Herr-
schaft. Beide Diktaturen standen jeweils auf ihre Weise einem demokratischen
Rechtsstaat diametral entgegen und bekämpften diesen. Der Widerstand gegen
diese Diktaturen war mit unzähligen Opfern verbunden. Vor dem Hintergrund
dieser historischen Entwicklungen und der offenkundigen Zusammenhänge er-
klärt sich auch die Genesis bundesrepublikanischer Erinnerungskultur. Bis zum
3. Oktober 1990 ist für beide Teile Deutschlands ein unterschiedlicher Umgang
beim Gedenken an die Diktaturen zu konstatieren. Im Mittelpunkt einer natio-
nalen Erinnerungskultur stand lediglich die Zeit des Nationalsozialismus. Im
Westen Deutschlands zog der Parlamentarische Rat in Form des Grundgesetzes
klare Konsequenzen aus den Erfahrungen mit der NS-Diktatur. Spätestens seit
den sechziger und siebziger Jahren erfuhren authentische Orte des Gedenkens
an die NS-Diktatur durch breite wissenschaftliche, publizistische, politische
und gesellschaftliche Auseinandersetzungen große Aufmerksamkeit. Sowohl
bürgerschaftliches Engagement als auch die klare und unmissverständliche
Übernahme gesamtstaatlicher Verantwortung durch die verschiedenen Bundes-
regierungen führten zu einer umfangreichen Dokumentation der historischen
Ereignisse und einer allmählich sich tief verwurzelnden, lebendigen Erinne-
rungskultur.
Für die öffentliche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur sowohl in der so-
wjetisch besetzten Zone (SBZ) als auch in der DDR war der ideologisch defi-
nierte Begriff vom „Antifaschismus“ maßgebend. Nicht zuletzt diente diese
Form der Interpretation des „antifaschistischen Kampfes“ zur Legitimierung
der SED-Herrschaft. Die in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren in
der DDR entstandenen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ waren in ihrem
Ansehen somit von Anfang an diskreditiert, wie auch die Enquete-Kommission
„Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“

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feststellte (S. 230 ff.). Diese spezifische, von der SED-Ideologie geprägte Erin-
nerungskultur wies erhebliche Defizite insbesondere bei der Darstellung der
Geschehnisse an den authentischen Orten auf. Außerdem wurde nicht aller
Opfer der NS-Diktatur gleichermaßen gedacht. Gleichwohl waren diese Orte
Stätten des Gedenkens und der Trauer. Die am 3. Oktober 1990 erfolgte Wie-
derherstellung der staatlichen Einheit ermöglichte die Um- bzw. Neugestaltung
dieser „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“. Schon in den späten achtziger
Jahren hatte das bürgerschaftliche Engagement einzelner Oppositionsgruppen
dazu Vorarbeiten geleistet. Neue Ausstellungen nach 1990, Grundlagenfor-
schung zur Geschichte der einzelnen Orte, die konservatorische Sicherung der
authentischen Orte und die Dokumentation der ideologischen Instrumentalisie-
rung der Gedenkstätten durch die SED führten zu einer differenzierten und plu-
ralistischen Gedenkstättenarbeit. Dieser Prozess der Umgestaltung dauert noch
an und ist an einzelnen Orten wie Buchenwald und Sachsenhausen weitestge-
hend abgeschlossen, wie die Bundesregierung in ihrer Unterrichtung (Bundes-
tagsdrucksache 14/1569) feststellt. Die Enquete-Kommissionen des Deutschen
Bundestages zur SED-Diktatur haben nicht allein wichtige Erkenntnisse und
zahlreiche wissenschaftliche Expertisen erbracht, sondern darüber hinaus einen
prinzipiellen Anstoß für die Erforschung der SED-Diktatur geliefert, der in
vielfältiger Weise durch wissenschaftliche Forschung, aber auch die Dokumen-
tations-Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung aufgenommen wird. Auch diese
vielgestaltige Arbeit sollte in den geplanten Gedenkstätten für einen breiteren
Kreis sichtbar werden.
Jedoch muss im Jahr 2004 festgestellt werden, dass dem Gedenken an die
Opfer der beiden Diktaturen nicht angemessen Rechnung getragen wird. Trotz
des unmittelbaren Zusammenhangs von NS- und kommunistischer Herrschaft
als Bestandteile unserer Nationalgeschichte wird an die Zeit der SED-Diktatur
auf nationaler Ebene nur marginal gedacht. Inzwischen ist zwar eine umfang-
reichere Dokumentation „Orte des Erinnerns“ Gedenkzeichen, Gedenkstätten
und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR erschienen, die ausdrücklich an die
1996 in zweiter Auflage erschienene, 1800 Seiten umfassende Dokumentation
„Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“ anknüpft. Dennoch
besteht vielfach der falsche Eindruck fort, dass die SED-Diktatur lediglich als
regionales Ereignis auf dem Boden der ehemaligen sowjetischen Besatzungs-
zone und späteren DDR zu betrachten und eben nicht als Bestandteil der
gemeinsamen deutschen Nationalgeschichte darzustellen sei. Dieser falschen
und für die Erinnerungskultur fatalen Fehleinschätzung sollte nicht weiterhin
Vorschub geleistet werden. Der für das Verständnis unserer Geschichte so wich-
tige Zusammenhang zwischen beiden Diktaturen und das Gedenken an deren
Opfer muss sich in einem stringenten Gesamtkonzept wiederfinden.
Zwar sind seit dem 3. Oktober 1990 neue Gedenkstätten entstanden. Dort wer-
den insbesondere die Geschichte der sowjetischen Speziallager in der SBZ, der
Haftanstalten für politische Gefangene in der DDR sowie Opposition, Wider-
stand, Flucht und Vertreibung dokumentiert. Aber diese Gedenkstätten sollten
in viel stärkerem Maße in den Fokus nationaler Gedenkkultur gerückt werden.
Die Erinnerung an die SED-Diktatur – wie die an die NS-Diktatur – beruht in
der Bundesrepublik Deutschland zu einem wesentlichen Teil auf bürgerschaft-
lichem Engagement. Aber diese Gedenkstätten stehen vor besonderen Heraus-
forderungen und benötigen eine gezielte Unterstützung seitens des Bundes.
Einerseits ist die Förderung der Erinnerung, des Gedenkens und von Gedenk-
stätten sowohl der NS-Terrorherrschaft als auch der SED-Diktatur Aufgabe der
Gesellschaft, der Kommunen und Länder. Aber der Bund sollte in viel stärke-
rem Maße als bisher Gedenkstätten und Projekte zur Erinnerung an die SED-
Diktatur und den Widerstand gegen sie fördern, wenn diese von nationaler

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Bedeutung sind. Dies entspräche auch den Intentionen, die von der Bundes-
regierung 1999 selbst aufgestellt wurden (Bundestagsdrucksache 14/1569).
Dennoch steht einer Erweiterung der Liste der im Antrag namentlich aufgezähl-
ten Gedenkstätten nicht nur die Begrenztheit der finanziellen Mittel, sondern
auch das grundsätzliche Ziel entgegen, gerade durch eine begrenzte Anzahl von
Orten deren besondere bundespolitische und exemplarische Bedeutung hervor-
zuheben. Eine Veränderung kann nur die mit dem Antrag verbundene Diskus-
sion und die wissenschaftliche Arbeit am Konzept selbst ergeben. Für eine Er-
weiterung im Bereich der NS-Gedenkstätten wäre beispielsweise Neuengamme
zu nennen; im Bereich der SBZ/DDR-Gedenkstätten Orte wie Point Alpha,
Salzgitter, Hötensleben und ein spezieller Gedenkort für die Opfer des
Volksaufstandes am 17. Juni 1953 und als weiterer Ort mit doppelter Diktatur-
geschichte ist an Brandenburg an der Havel und Halle (Saale) mit dem „Roten
Ochsen“ zu denken.
Zu diskutieren wäre auch eine alternative Form der Finanzierung, wenn alle
Bundesländer gleichermaßen ihren Beitrag leisten. Die konkrete Verantwortung
beim Umgang mit der historischen Vergangenheit beider Diktaturen in
Deutschland kann nicht nur von den Ländern getragen werden, auf deren
Territorium sich die Gedenkstätten von herausragender nationaler Bedeutung
befinden. Die Bundesländer, auf deren Territorium keine solchen Gedenkstätten
existieren, müssten in diesem Fall in die Verantwortung mit einbezogen
werden. Demnach sollte die finanzielle Aufteilung auf alle Bundesländer nach
einem festzulegenden Finanzierungsschlüssel verhandelt werden. Die Bun-
desregierung möge aktiv eine gesellschaftliche Debatte in Gang setzen, in der
sowohl die Eigenart der im Folgenden genannten Gedenkstätten respektiert
werden und vor allem die finanziellen Lasten gleichermaßen auf alle Bun-
desländer verteilt werden. Dies könnte in Form einer Bund-Länder-Stiftung
realisiert bzw. vorhandene Einrichtungen dafür genutzt werden.
Drei weitere, sehr unterschiedliche Ereignisse und Themenkomplexe, die mit
Diktaturgeschichte, Krieg und der Überwindung totalitärer Regime in Deutsch-
land eng verbunden sind, nicht aber die Erinnerung an die Opfer der beiden
deutschen Diktaturen betreffen, können in der Erinnerungskultur der Deutschen
zu Recht einen herausgehobenen Platz beanspruchen:
l Opfer von Krieg und Vertreibung;
l Zivile Opfer der alliierten Luftangriffe des zweiten Weltkrieges;
l Friedliche Revolution und Wiederherstellung der staatlichen Einheit.
Ziel einer gesellschaftlichen Debatte sollte es sein, auch an diese Ereignisse in
Form von jeweils zentralen Gedenkstätten von nationaler Bedeutung zu erin-
nern. Hier sollte schnellstens an die Diskussion um ein Zentrum gegen Vertrei-
bungen sowie ein Mahnmal für die Bombenopfer des alliierten Luftkrieges an-
geknüpft werden.
In Bezug auf die friedliche Revolution und Wiederherstellung der staatlichen
Einheit sei auf den Gruppenantrag zur Errichtung eines Denkmals für Freiheit
und Einheit auf der Berliner Schlossfreiheit vom 6. April 2000 (Bundes-
tagsdrucksache 14/3126) verwiesen. Hier sollte es sich um ein neues National-
denkmal handeln, dass besonders an die Aktiva neuster deutscher Geschichte
erinnert.
Alle drei noch zu schaffenden Gedenkorte sind in diesem Antrag nicht enthal-
ten, weil es zurzeit noch keine entsprechenden Zentren oder Denkmale gibt, die
darüber stattfindende gesellschaftliche Diskussion noch nicht abgeschlossen ist
und insbesondere der hier zu betrachtende Sachzusammenhang zwischen origi-

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närem Ort des Geschehens und klarer Täter-Opfer-Perspektive nicht gegeben
ist.
Da außer Zweifel steht, dass auch diese Ereignisse und das Gedenken daran
von herausragender nationaler Bedeutung sind, sollte die Möglichkeit geschaf-
fen werden, in nächster Zeit entsprechende Stätten zu errichten. Die Beziehun-
gen zu den bestehenden, vorn beschriebenen Einrichtungen sind zu klären.

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