BT-Drucksache 15/2971

Mit Innovationen auf Wachstumskurs - eine einheitliche Strategie

Vom 27. April 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2971
15. Wahlperiode 27. 04. 2004

Antrag

der Abgeordneten Katherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. Maria Böhmer,
Dr. Christoph Bergner, Helge Braun, Cajus Caesar, Vera Dominke, Axel E. Fischer
(Karlsruhe-Land), Volker Kauder, Michael Kretschmer, Helmut Lamp,
Werner Lensing, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Bernward Müller (Gera),
Melanie Oßwald, Uwe Schummer, Marion Seib und der Fraktion der CDU/CSU

Mit Innovationen auf Wachstumskurs – eine einheitliche Strategie

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Deutschland braucht mehr Wachstum. Unser Land ist in Bezug auf die Wachs-
tumsrate am Ende der europäischen Wachstumsskala mit negativen Folgen für
Wohlstand und Arbeitsplätze. „Es ist viel leichter, jedem Einzelnen aus einem
immer größer werdenden Kuchen ein größeres Stück zu gewähren als einen Ge-
winn aus einer Auseinandersetzung um die Verteilung des Kuchens ziehen zu
wollen, weil auf diese Weise jeder Vorteil mit einem Nachteil bezahlt werden
muss“ (Ludwig Erhard: Wohlstand für alle, 1957).
Innovationen spielen mittel- und langfristig für die Sicherung des Wirtschafts-
wachstums eine wesentliche Rolle. Schon 1956 fand der amerikanische Nobel-
preisträger Robert Solow heraus, dass 7/8 des Wirtschaftswachstums durch In-novationen erzeugt werden. Gerade am hochindustrialisierten und -entwickel-
ten Standort Deutschland mit hohen Arbeitskosten und Löhnen lässt sich zu-
künftiger Wohlstand nur noch mit innovativen Gütern und Dienstleistungen
sowie der Schaffung und Veredlung von Wissen erreichen.
Je rascher es gelingt, neues Wissen zu generieren und umzusetzen in neue
Technologien, neue Produkte, neue Verfahren, neue Werkstoffe, neues Design,
wissensbasierte Dienstleistungen und intelligente Systemlösungen, desto eher
werden Märkte erschlossen, Arbeitsplätze geschaffen, Wohlstand gemehrt und
der soziale Frieden bewahrt. Der Zugang zum Wissen und die Fähigkeit zu sei-
ner Verwertung entscheiden ebenso über betriebswirtschaftliche Erfolge wie
über die Prosperität der Volkswirtschaft als Ganzes. Deutschland muss deshalb
bei der Nutzung von Zukunftstechnologien einen vorderen Platz anstreben und
den Weg in die wissensbasierte Wirtschaft konsequent bestreiten.
Noch befindet sich Deutschland im internationalen Vergleich in einer respek-
tablen Position. Unsere Forschungsbasis ist breit und qualitativ gut. Unsere
Wirtschaft ist weltweit renommiert im Bereich der höherwertigen Technolo-
gien, wie Maschinenbau und Automobiltechnik. Trotzdem besteht dringender
Handlungsbedarf, denn unsere Weltmarktkonkurrenten geben eine Dynamik
vor, die in Deutschland nicht mehr vorhanden ist. Wichtige Branchen, wie Che-

Drucksache 15/2971 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

mie und Pharmazie, fallen bereits zurück und die deutsche Unterhaltungselekt-
ronik ist fast vollständig verschwunden. In den High-Tech-Bereichen ist
Deutschland oft nur Mitspieler statt Spitze. Es gibt zu wenig Firmen, die in Zu-
kunftsbereichen, wie der Informationstechnologie, der Biotechnologie, den Ma-
terialwissenschaften, oder der Telekommunikation eine weltweit führende
Rolle spielen.
Bei Forschung und Entwicklung ist Deutschland ins Mittelfeld abgerutscht. La-
gen wir früher immer auf Platz 3 hinter den USA und Japan belegt Deutschland
heute Rang 7 der OECD-Staaten. Die Investitionen in Forschung und Entwick-
lung sind in Deutschland zu gering. Das trifft für den öffentlichen wie für den
privaten Sektor gleichermaßen zu. Zwischen 2000 und 2002 sind die öffentli-
chen Forschungsausgaben in Deutschland nur um 6 Prozent gestiegen, in
Schweden waren es 30 Prozent, in den USA 25 Prozent und selbst in Japan 15
Prozent. Auch die FuE-Aktivitäten (FuE = Forschung und Entwicklung) des
Wirtschaftssektors flachen dramatisch ab. Nach Informationen des Stifterver-
bandes für die deutsche Wissenschaft sind die Aufwendungen der Wirtschaft in
Deutschland rückläufig, insbesondere im Mittelstand. Die großen Firmen täti-
gen ihre Forschungsaufgaben derweil im Ausland, vor allen Dingen den USA.
5 Mrd. Euro betrug der Nettoabfluss der FuE-Mittel aus der EU im Jahr 2000.
Der Technologietransfer hinkt. Es gelingt unseren Firmen nicht oder nicht
schnell genug, aus Erfindungen neue Produkte zu machen.
Jährlich verlassen über 100 000 Höherqualifizierte unser Land und die Nach-
wuchszahlen bei Naturwissenschaften und im Ingenieurwesen sind zu gering.
Unsere Hochschulen leiden an Überbelegung, Unterfinanzierung und vielerorts
an bürokratischer Gängelung. International erkennbare „Leuchttürme“ gibt es
kaum. Die Studienabbrecherquote fürs Erststudium liegt bei 27 Prozent. Im in-
ternationalen Vergleich ist auch unsere Schulbildung nicht mehr Spitze. PISA
und andere Studien haben die Mängel offen gelegt. Nach Berechnungen des
Weltwirtschaftsforums belegt Deutschland bei der Qualität des Unterrichts in
Mathematik und Naturwissenschaften gerade noch Platz 47.
Gelingt es nicht, diese Trends umzukehren, wird Deutschlands Wirtschaftskraft
nicht mehr wachsen. Die Bundesregierung hat es bis heute versäumt, den nega-
tiven Entwicklungen entgegenzuwirken. Sie verschlimmert die Probleme des
Innovationsstandortes Deutschland durch Haushaltskürzungen in Zukunftsbe-
reichen, durch ideologische Blockaden wichtiger Forschungsbereiche, wie der
Grünen Gentechnik, der Kerntechnik oder der Fusionsforschung. Es fehlen
Strategien für die Schlüsseltechnologien der Zukunft wie Optik und Biotechno-
logie. Die Anwendung von Technologien in Deutschland ist unzureichend. Be-
sonders negative Beispiele sind der Transrapid und die LKW-Maut.
Die Innovationspolitik der Bundesregierung ist überholt, weil sie konventionell
nach Projektförderung und institutioneller Förderung unterteilt und rein additiv
ist. Sie ist weder an einem übergreifenden Forschungskonzept ausgerichtet,
noch ist sie mit Instrumenten der Wachstumspolitik verzahnt. Es war und ist
falsch, die Innovationspolitik auf die Förderung anwendungsorientiertrer For-
schung mit dem Ziel kurzfristig verwertbarer Ergebnisse zu reduzieren.
Wenn Deutschland mit Innovationen auf Wachstumskurs kommen will, braucht es
– ein sicheres Fundament für Innovationen mit den Bausteinen: flexibler Ar-

beitsmarkt, einfaches und gerechtes Steuersystem und zukunftsfeste soziale
Sicherungssysteme. Wir brauchen Reformen, denn ohne sie gibt es keine
Basis und keine Finanzmittel für Bildung, Wissenschaft und Forschung;

– eine Innovationspolitik, in der alle Elemente von Bildung, Forschung, Un-
ternehmertum, rechtlichen Rahmenbedingungen und innovationsfreund-
lichem gesellschaftlichen Klima ineinander greifen wie die Zähne eines

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Reißverschlusses. Denn Innovationen entstehen im Zusammenspiel von Bil-
dung, Grundlagenforschung, anwendungsorientierter Forschung, Wirtschaft
und Gesellschaft.

Es geht um:
– die Verbesserung der schulischen Bildung. Notwendig sind: frühere Ein-

schulungen, Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre bis zum Abitur, zentrale
Abschlussprüfungen, Förderung nach Fähigkeiten, d. h. speziell zugeschnit-
ten auf Lernschwache wie Hochbegabte, Stärkung des naturwissenschaftli-
chen und technischen Unterrichts. Die Länder sind mit der Einführung ver-
bindlicher Bildungsstandards für eine Reihe von Fächern und Stufen auf
dem richtigen Weg. Sie müssen diesen Weg konsequent weitergehen;

– die Modernisierung der beruflichen Bildung. Sie muss wieder attraktiv so-
wohl für Auszubildende als auch Betriebe werden. Auf die Einführung einer
Ausbildungsabgabe, die keine Ausbildungsplätze schafft, sondern Belastun-
gen, ist zu verzichten;

– die Entwicklung eines zukunftsträchtigen Hochschulsystems. Die deutschen
Hochschulen brauchen mehr Freiheit, mehr Geld und mehr Forschung. Sie
brauchen die Freiheit, Studienbeiträge erheben zu können, über das Geld ei-
genverantwortlich zu verfügen, die Balance zwischen Forschung und Lehre
zu finden, die Position und das Profil im Wettbewerb mit anderen Hochschu-
len zu definieren und sich die Studenten und das Personal auszusuchen;

– vermehrte Anstrengungen in der Weiterbildung. Lebenslanges Lernen und
regelmäßige berufliche „Updates“ sind das Ziel;

– Forschung und Wissenschaft auf hohem Niveau. Dafür gilt es, die Grundla-
genforschung zu stärken sowie Hochschulforschung und außeruniversitäre
Forschungseinrichtungen stärker als bisher zu vernetzen. Die deutsche For-
schung muss interdisziplinärer und internationaler werden und sich an Ex-
zellenzkriterien messen. Nur so können wissenschaftliche Exzellenzzentren
als Ausgangspunkt innovativer Cluster entstehen;

– die stärkere Vernetzung von Forschung und Wirtschaft. Verbundprojekte
und die Förderung der Zusammenarbeit sind die Instrumente. Ziel ist es, den
Technologietransfer zu erleichtern. Kleinere und mittlere Unternehmen sind
dabei besonders zu berücksichtigen;

– die richtige Setzung der Forschungsschwerpunkte. Die Schlüsseltechnolo-
gien der Zukunft bedürfen einer besonderen Förderung;

– eine neue Kultur der Selbständigkeit. Dafür gilt es, insbesondere Finanzie-
rungshemmnisse zu beseitigen, die Bedingungen für Beteiligungskapital zu
verbessern sowie ein gründerfreundliches Klima zu forcieren;

– die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Erleichterungen bei
der Patentierung, Rechtssicherheit, Vereinfachung von Genehmigungsver-
fahren, Abbau bürokratischer Hemmnisse sind wesentliche Voraussetzun-
gen, damit aus Forschungsergebnissen Produkte und aus Produkten Markter-
folge werden;

– die Verwirklichung innovativer Projekte. In Deutschland entwickelte Tech-
nik muss auch hier eingesetzt werden. Technologisch ehrgeizige Projekte
sollten auch in funktionierenden Formen von Public-Private Partnership in
die Anwendung gebracht werden. Dafür bedarf es verlässlicher Verträge und
intelligenter Standardsetzung;

– die Förderung von Innovationsfähigkeit und Innovationsfreundlichkeit in
der Gesellschaft. Deutschland hat eine Schwäche für endlose Risikodebatten
und vergisst dabei häufig, die mit neuen Technologien verbundenen Chan-

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cen zu nutzen. Es ist auch Aufgabe von Politik, die Menschen basierend auf
wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Nutzen neuer Technologien zu
informieren und Vertrauen für deren Anwendung zu schaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die berufliche Bildung zu modernisieren, die Weiterbildung zu verstärken

und lebenslanges Lernen möglich zu machen.
Im Zuge des weltweiten Strukturwandels verändern sich Beschäftigungs-
strukturen, Arbeitsformen und notwendige Qualifikationen der Erwerbs-
tätigen. Dies erfordert zeitnahe Modernisierungen im Berufsbildungssystem
und eine entsprechende Anpassung der Qualifikationen und Kompetenzen.
1.1 Das Berufsbildungsrecht muss novelliert werden mit den Zielen, die

Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu stärken, eine schnelle Anpas-
sung der beruflichen Bildung an technische, organisatorische und gesell-
schaftliche Veränderungen zu gewährleisten und möglichst vielen Ju-
gendlichen eine Beruflichkeit zu ermöglichen. Die Reform muss deshalb
folgenden Kernpunkten folgen:
– Differenzierung der Ausbildung für unterschiedliche Begabungspo-

tenziale und Ausweitung von Stufenausbildungen,
– stärkere Orientierung der Berufsbildung an betrieblichen Aufgaben

und Arbeitsprozessen,
– Modularisierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung,
– Erhöhung der Durchlässigkeit der unterschiedlichen Bildungswege,
– Internationalisierung der beruflichen Bildung,
– Entbürokratisierung des Prüfungswesens,
– schnellere Entwicklung von Berufsbildern und Ausbildungsordnun-

gen und
– Erweiterungen der Möglichkeiten zur Abweichung von tarif- oder

branchenüblichen Vergütungen (bis zu einem Drittel).
1.2 Eine gesetzliche Ausbildungsabgabe muss unterbleiben, da sie keine tat-

sächlichen Ausbildungsplätze schafft, sondern Bürokratie verursacht,
das duale System aushöhlt und Unternehmen und öffentliche Haushalte
belastet.

1.3 Selbständigkeit und Unternehmertum müssen als Bildungsziel auch in
der beruflichen Bildung etabliert werden.

1.4 Qualifizierung erfordert mehr Zeitsouveränität der Arbeitnehmer. Dazu
gehören das Ansparen von Überstunden oder die flexible Verrechnung
von zeitweiliger Mehrarbeit auf Langzeit- und Lebensarbeitszeitkonten.
Dafür müssen sie gegen Insolvenz geschützt sein. Zur Stärkung der
Zeitsouveränität sind baldmöglichst gesetzliche Grundlagen zu schaffen.

1.5 Für alle Berufsbildungsangebote, insbesondere in der beruflichen Wei-
terbildung, sind Qualitätsstandards zu setzen und ist ein Qualitätssiche-
rungsverfahren aufzubauen (Stiftung Bildungstest).

1.6 Der Qualifizierung Arbeitssuchender durch vorbereitende Maßnahmen
und Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung muss weiterhin auch in
der Arbeitsmarktpolitik ein hoher Stellenwert eingeräumt werden;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2971

2. ihren Beitrag zur zukunftsträchtigen Entwicklung des deutschen Hochschul-
systems zu leisten.
An den Hochschulen wird sich die Zukunft unseres Landes entscheiden.
Deutschland ist auf einen gut ausgebildeten Akademikernachwuchs und auf
Innovationen aus der Hochschulforschung angewiesen.
Unsere Hochschulen müssen in Zukunft einen noch größeren Anteil der Ju-
gendlichen sowohl für die Wissenschaft als auch für die außerwissenschaft-
liche Berufswelt qualifizieren, Spitzenforschung, Weiterbildungsangebote
machen und dem wissenschaftlichen Nachwuchs interessante Perspektiven
bieten.
Dazu müssen sie in die Lage versetzt werden, eigene Profile auszubilden.
Die vielfältigen Herausforderungen verlangen nach einer stärkeren Differen-
zierung mit Hochschulen, die sich selbst bedarfsgerecht unterschiedliche
Schwerpunkte setzen. Profilbildung kann aber nur gelingen, wenn wir uns
zu Freiheit und Wettbewerb bekennen und beides auch zulassen. D. h., den
Ländern mehr Spielraum für ihre Hochschulpolitik einzuräumen und die
Hochschulen selbst stärker in die Autonomie zu entlassen. Für sie ist Orga-
nisations-, Personal- (Dienstherrenrechte) und Finanzhoheit und -autonomie
anzustreben. Zudem benötigen sie eine bessere finanzielle Ausstattung.
Die Hochschulen brauchen wettbewerbsfördernde und leistungsorientierte
Rahmenbedingungen.
Folgende konkrete Schritte sind vorzunehmen:
2.1 Die Hochschulfinanzierung ist zu sichern. Das Hochschulfinanzierungs-

system der Zukunft muss aus drei Säulen bestehen:
1. der staatlichen Grundfinanzierung. Der Bund darf sich nicht aus seiner

Verantwortung zurückziehen. Dies heißt vor allem die gemeinsame
Bund-Länder-Hochschulbauförderung zu erhalten. Kürzungen der
Hochschulbaufördermittel des Bundes und die geplante Absenkung
der Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung sind zurückzunehmen.
Allerdings sollte die Hochschulbauförderung unter Effizienzkriterien
evaluiert werden. Ein Hochschulsonderprogramm, finanziert aus der
Rückführung der Steinkohlesubventionen, ist aufzulegen;

2. der unternehmerischen Tätigkeit, der Hochschulen (Einnahmen aus
Lizenzen, Patenten, Liegenschaftsbewirtschaftung, Weiterbildungs-
angeboten);

3. der Erhebung von Studienbeiträgen.
2.2 Das Hochschulrahmengesetz muss novelliert und von den Reglementie-

rungen befreit werden, die seit 1998 eingeführt wurden. Das Hochschul-
rahmengesetz ist auf zwingende bundeseinheitlich zu regelnde Inhalte,
wie Zugang und Abschlüsse, zurückzuführen
Hierzu zählen:
– Streichung des Gebührenverbots für das Erststudium,
– Auswahlrechte der Hochschulen bei der Studienplatzvergabe und

Abschaffung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen in
der bestehenden Form,

– Lockerung der kapazitätsrechlichen Vorgaben und Änderung der
Curricularnormwerte,

– Abschaffung der Verpflichtung zur Bildung verfasster Studenten-
schaften,

Drucksache 15/2971 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– Flexibilisierung der Regelung für die Befristung der Arbeitsverträge
im Hochschulbereich, um Wissenschaftlern Chancen zu erhalten und
umForschungsprojektemit Drittmittelfinanzierung nicht zu gefährden,

– Wiederanerkennung der Habilitation als mögliche Voraussetzung zur
Berufung auf eine Professur neben der Juniorprofessur, um so den
unterschiedlichen Fächerkulturen Rechnung zu tragen.

Perspektivisch ist als weiterer Schritt die vollständige Abschaffung des
Hochschulrahmengesetzes zu prüfen.

2.3 Spitzenleistungen an Hochschulen müssen besonders unterstützt wer-
den. Die Bund-Länder-Vereinbarung, Hochschulen auf der Grundlage
der Leistungen von Wissenschaftsbereichen, Exzellenzzentren und
Netzwerke im Forschungsbereich sowie Graduiertenschulen zu fördern,
ist grundsätzlich zu begrüßen. Dabei darf es keine Festlegung von oben
geben. Der Wettbewerb muss offen und wissenschaftsgeleitet sein, er
muss im Wesentlichen zwischen den Fachbereichen stattfinden und al-
lein an Exzellenzkriterien ausgerichtet werden.

2.4 Ein Bund-Länder-Programm sollte aufgelegt werden, mit dem Hoch-
schulen als Kern von Innovationsclustern entwickelt werden. Im Wett-
bewerb soll denjenigen Einrichtungen ein Kapitalstock zur Verfügung
gestellt werden, die in einem abgegrenzten technologischen Feld heraus-
ragende Leistungen erbringen können. Mit den bereitgestellten Mitteln
können die Einrichtungen in Personal, Ausstattung und Unternehmens-
gründungen investieren.

2.5 An den Hochschulen ist die Forschung zu stärken, auch durch die engere
Kooperation und Vernetzung mit den außeruniversitären Forschungsein-
richtungen. Die Kooperation muss in Zukunft weit über gemeinsame
Berufungen und Projekte hinausgehen. Denkbar und zu prüfen ist, ob
einzelne Forschungsinstitute in Hochschulen bzw. deren Fakultäten ein-
gegliedert werden sollten.

2.6 Bei der Weiterführung des Bologna-Prozesses zur Schaffung eines euro-
päischen Hochschulraums und bei der Einführung von Bachelor und
Master ist die Qualität der Studiengänge und Abschlüsse zu sichern.

2.7 Die Nachwuchsförderung bedarf besonderer Anstrengungen, insbeson-
dere ist der Aufbau von Graduiertenkollegs zu unterstützen.

2.8 Den Hochschulen sind Abschlüsse von flexiblen Arbeitsverträgen zu
ermöglichen. Dienstrecht und Besoldungsstrukturen müssen sicher-
stellen, dass Leistung sich auszahlt und die besten Fachkräfte in Lehre,
Forschung und Entwicklung gewonnen werden können. Die Einführung
eines Wissenschaftstarifs ist zu prüfen. Dieser müsste den Personalaus-
tausch zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft
– auch über die Staatsgrenzen hinweg – erleichtern und eine leistungs-
bezogene Vergütung ermöglichen.

2.9 Ein neues System der Bildungsfinanzierung einschließlich der Finanzie-
rung von Studienbeiträgen muss in Absprache von Bund und Ländern
ausgearbeitet werden;

3. Forschung und Wissenschaft zu stärken.
Damit Forschung und Wissenschaft wesentliche Beiträge zur Innovationsfä-
higkeit Deutschlands leisten können, müssen die finanzielle Basis, die
Strukturen, die Förderinstrumente und die Schwerpunkte stimmen.
Mit den Hochschulen und seinen außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen, d. h. vor allem mit der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/2971

Gesellschaft, der Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft verfügt unser Land
über eine leistungsfähige Forschungslandschaft und mit der Deutschen For-
schungsgemeinschaft (DFG) über ein effizientes Organ der Selbstverwal-
tung der Forschungsförderung.
Die deutsche Forschungslandschaft hat allerdings auch Schwächen. Sie ist
zu stark „versäult“, d. h. nach Organisationszugehörigkeit getrennt. Auch
fehlt es der deutschen Forschung an einer Gesamtkonzeption und an Strate-
gie. Die Hochschulforschung ist oft das schwächste Glied, obwohl ihr durch
die unmittelbare Anbindung an den Nachwuchs die größte Bedeutung zu-
kommt. Effizienzreserven gibt es vor allem in der Ressortforschung. Sie ist
zu wenig in die nationalen und internationalen Wissenschaftsgemeinschaf-
ten eingebunden und zu starr.
Forschung bewegt sich in mehrjährigen Zyklen. Sie braucht Planungssicher-
heit in Bezug auf Finanzen, Organisation und Inhalte.
Innovationen können nur dort entstehen, Spitzenleistungen nur dort erbracht
werden, wo Freiheit und Wettbewerb die Forschung bestimmen. Fördermit-
tel sollten deshalb im Wettbewerb, vor allem im wissenschaftsgeleiteten
Wettbwerb, vergeben werden.
Die Freiheit der Forschung ist zu gewährleisten und gegen jede politische
Einmischung und Einflussnahme zu schützen. Diese erfolgt derzeit etwa
durch ideologische Ausblendung von Forschungsbereichen wie der Kern-
technik oder durch Eingriffe in die Methodenwahl bei den Bundesfor-
schungsanstalten (Verbot der Pflanzung von gentechnisch gezüchteten Ap-
felbäumen).
Gute Forschungspolitik setzt auf Exzellenz, Internationalität und Interdiszi-
plinarität. Zusammengefasst heißt dies mehr Strategie, mehr Vernetzung der
Forschungslandschaft – thematisch und strukturell (Wissenschaftsnetz-
werke-Cluster, Exzellenzzentren) – und stärkere Kooperation mit der Wirt-
schaft (siehe unter 4.), europäische und internationale Ausrichtung, mehr
Wettbewerbselemente in der Forschungsförderung und Sicherung der For-
schungsfreiheit.
3.1 Die staatlichen Forschungsausgaben sind durch Haushaltsumschichtun-

gen zu erhöhen und zu verstetigen. Konkret geht es um einen kontinuier-
lichen Mittelaufwuchs für die Wissenschaftsorganisationen und um aus-
reichend Mittel für die Programm- und Projektförderung.

3.2 Die gemeinsame Finanzierung und Zuständigkeit von Bund und Län-
dern in der Forschungsförderung ist beizubehalten. Die gemeinsame
Verantwortung trägt zu einem kontinuierlichen Mittelfluss bei, gewähr-
leistet die Freiheit von politischen Einflussnahmen und erleichtert die
Zusammenarbeit der außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit
den Hochschulen. Es sollten jedoch verstärkt Wettbewerbselemente in
die Zuordnung der Mittelverteilung integriert und die Abstimmungspro-
zesse vereinfacht werden.

3.3 Die Forschungs- und Technologiepolitik der Bundesregierung muss stär-
ker gebündelt, ressortübergreifend abgestimmt und auch mit derjenigen
der Länder und der EU koordiniert werden.

3.4 Die öffentlich finanzierte Forschungslandschaft braucht optimale Struk-
turen. D. h.,
– Forschungseinrichtungen künftig stärker nach Managementkriterien

zu leiten und dafür Globalhaushalte einzuführen, verstärkt mit Pro-
grammbudgets zu arbeiten und sowohl Ex-Post- als auch Prozesseva-
luationen durchzuführen;

Drucksache 15/2971 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– den Forschungseinrichtungen beim Personalmanagement und bei In-
vestitionsentscheidungen mehr Autonomie einzuräumen. Anstelle
von Beamtenstatus und öffentlichem Tarifrecht sollten verstärkt frei
aushandelbare Arbeitsverträge und flexible Arbeitszeiten treten. Die
Möglichkeit der leistungsabhängigen Zahlungen muss über den Kreis
der leitenden Wissenschaftler hinaus ausgedehnt werden. Die Ein-
gruppierung sollte stärker an der Tätigkeit als an Abschlüssen und na-
tionalen Berufsbildern orientiert sein. Die Besetzung von Drittmittel-
stellen muss flexibel möglich sein;

– die Forschungslandschaft stärker zu vernetzen. Gleichartige For-
schungsthemen an verschiedenen Forschungseinrichtungen sollten
zusammengeführt werden in Kompetenznetzwerken, um wirkungs-
vollere Schwerpunkte zu bilden und die Kräfte zu bündeln;

– außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stärker als bisher mit den
Hochschulen zu vernetzen und zu innovativen Clustern entwickeln;

– Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen zu überschreiten durch fle-
xible, problemorientierte Forschungsstrukturen mit fächerübergrei-
fenden Arbeitsgruppen, um der zunehmenden Interdisziplinarität der
Forschung Rechnung zu tragen;

– organisationsübergreifende Kooperationen und Fusionen von For-
schungsinstituten sowie den Wechsel von Forschungsinstituten von
einer Forschungsorganisation zur anderen zu erleichtern;

– Einbeziehung der Ressortforschung des Bundes in den Wettbewerb,
deren Begrenzung auf hoheitliche Aufgaben, ihre stärkere Vernet-
zung mit der übrigen Wissenschaft und systematische Evaluierung.
Auch die Ressortforschung muss unabhängig, d. h. frei von politi-
scher Gängelung arbeiten können. Auf Vorschriften zur Methodik
und Eingriffe in Forschungsvorhaben ist zu verzichten, die Vorgaben
sind auf Ziele zu beschränken;

– ausreichende Bereitstellung von Großgeräten für die Forschung.
Deutschland muss sich auch ernsthaft um die Ansiedlung interna-
tionaler Einrichtungen und Anlagen bemühen.

3.5 Die Forschungsförderung muss noch effizienter gestaltet werden, mit
dem Ziel, Spitzenleistungen hervorzubringen und den Hebeleffekt der
öffentlichen Forschung zu verstärken. D. h.,
– Stärkung der Grundlagenforschung einschließlich der Geisteswissen-

schaften. Zukünftige Innovationen brauchen exzellente Basis- und
Orientierungswissenschaften;

– Verstärkung der Forschung in besonders relevanten, strategisch
wichtigen Forschungsfeldern und konsequente Förderungen der
Schlüssel- und Querschnittsbreiche, Biotechnologie, Nanotechnolo-
gie, optische Technologien, Elektronik- und Chiptechnologien, neue
Materialien und Werkstoffe sowie wissensbasierte moderne Dienst-
leistungen und Produktionssysteme;

– Spezifische Forschung um den Herausforderungen der demographi-
schen Entwicklung und der alternden Gesellschaft begegnen zu kön-
nen;

– Fortentwicklung interner und einrichtungsübergreifender Wettbe-
werbsformen auf allen Ebenen des Förderspektrums, vor allen Din-
gen Ausweitung des Projektwettbewerbs mit Erhöhung des Anteils
der Programm- und Projektförderung;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/2971

– Verteilung eines Teils der Mittel entsprechend dem Erfolg im Wettbe-
werb, d. h. orientiert an der Einwerbung von Drittmitteln (Wirtschaft,
DFG, Projekt- und Programmförderung). Insbesondere sollten die
Hochschulen eine Prämie für eingeworbene Drittmittel erhalten zur
eigenverantwortlichen Verwendung, z. B. zur Verbesserung der Re-
strukturierungsfähigkeit, zur Verbesserung der Chancen beim inter-
nationalen Berufungswettbewerb oder zur Verbesserung der instituti-
onellen Infrastruktur.

3.6 Der wissenschaftliche Nachwuchs muss besonders gefördert werden.
Dafür sind
– die Anstrengungen zu erhöhen, junge Menschen aus dem In- und

Ausland, speziell für die Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie
für die weiterführende wissenschaftliche Laufbahn zu gewinnen,

– Graduiertenkollegs und -schulen auszubauen,
– jüngeren Wissenschaftlern attraktive Beschäftigungsperspektiven zu

geben,
– frühe wissenschaftliche Selbständigkeit zu gewährleisten und der

Aufbau von Nachwuchsgruppen zu unterstützen sowie
– eine Initiative „Nachwuchs für Schlüsseltechnologien“ zu starten und

Nachwuchsgruppen einzurichten, deren inhaltliches Profil dem Be-
darf der Wirtschaft entspricht.

3.7 Die internationale Zusammenarbeit und europäische Vernetzung der
Forschung müssen vorangetrieben werden durch
– Konzentration der europäischen Forschungspolitik auf die Steigerung

der internationalen technologischen Leistungsfähigkeit Europas statt
der Ausrichtung auf innereuropäischen Ausgleich,

– stärkere Koordinierung sowohl der finanziellen Mittel als auch der
Verwertung von Forschungsergebnissen zwischen den EU-Mitglied-
staaten,

– Vereinfachung und Entbürokratisierung der Antragsverfahren und der
Projektadministration für EU-Forschungsvorhaben,

– Ausbau europäischer Nachwuchsgruppen,
– Verstärkung der Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Kooperation,

insbesondere im Zuge der EU-Osterweiterung,
– Unterstützung der Einrichtung eines European Research Council zur

Etablierung eines qualitätsbasierten wissenschaftsgetriebenen Wett-
bewerbs in der Grundlagenforschung,

– probeweise Förderung der Gründung von bilateralen Instituten deut-
scher Forschungsorganisationen im Ausland,

– Beseitigung von Mobilitäts- und Kooperationshemmnissen (z. B.
Dienst- und Rentenrecht),

– Optimierung der deutschen Vertretung wissenschafts- und for-
schungspolitischer Interessen bei der EU und

– Einrichtung von „Wissenschaftsbotschaften“ in EU-Drittländern, die
konsularische Aufgaben und Aufgaben der Wissenschaftsvertretung
kombinieren;

Drucksache 15/2971 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

4. die Forschungsfinanzierung auf eine sichere Basis zu stellen.
Deutschland hat sich in der EU verpflichtet, mindestens 3 Prozent des Brutto-
inlandsproduktes in Forschung und Entwicklung fließen zu lassen. Traditio-
nell werden 2/3 der Forschungsausgaben in Deutschland von der Wirtschaftgetätigt. Diese braucht entsprechende Rahmenbedingungen, um ihre Finanz-
mittel fließen zu lassen. Aber es kommt auch ganz entscheidend auf die Aus-
gaben des öffentlichen Sektors an, denn es besteht ein enger Zusammenhang
zwischen der Höhe der Ausgaben der öffentlichen Hand und der der Wirt-
schaft. Gerade hier kann Deutschland mit den Zuwachsraten und Anstren-
gungen, die in anderen Ländern unternommen werden, nicht mithalten. Vor
dem Hintergrund der Situation der öffentlichen Haushalte bedarf es deshalb
einer klaren Prioritätensetzung zu Gunsten von Bildung und Forschung sowie
der Mobilisierung von mehr privaten Mitteln und Mitteln aus der Wirtschaft
durch neue Instrumente, die über die klassische Drittmittelgewährung und
Antragsforschung hinausgehen. Dies kann erreicht werden durch
4.1 Umorientierung der Haushaltspolitik hin zu einer stärkeren Forschungs-,

Technik- und Innovationsfreundlichkeit. Dies gilt für die nationalen
Haushalte ebenso wie für den Haushalt der Europäischen Union. Auf al-
len Ebenen müssen auch Umschichtungen für Zukunftsaufgaben, wie
der Forschungsförderung, erfolgen;

4.2 Subventionsabbau zu Gunsten der Forschungsförderung und der
Hochschulfinanzierung. So sollten z. B. die Steinkohlesubventionen um
5 Mrd. Euro zu Gunsten von Forschung und Bildung reduziert werden;

4.3 weitere Reformen des Stiftungsrechts. Die steuerliche Abzugsfähigkeit
von Stiftungskapital im Bereich Bildung und Wissenschaft und der
Höchstbetrag der steuerlichen Abzugsfähigkeit bei der Errichtung einer
Stiftung sollen verbessert werden. Zudem wollen wir eine praktikable
Anhebung der steuerfreien Rücklage erreichen;

4.4 Finanzierung von Forschungsvorhaben und Innovationsprojekten in
Public-Private Partnership;

5. die Vernetzung von Forschung und Wirtschaft zu fördern und die Bedingun-
gen für die Wirtschaftsforschung und den Technologietransfer zu begünsti-
gen.
Das Zusammenspiel von Grundlagen- und angewandter Forschung, die Zu-
sammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ist für die Entwicklung
innovativer Produkte und die Beschleunigung von wirtschaftlichen und sozi-
alen Innovationsprozessen unerlässlich.
Dazu bedarf es der strategischen Erschließung innovativer Felder, auf denen
die deutsche Wirtschaft stark ist und die ein großes Marktpotenzial haben,
eines Gesamtkonzepts für die Forschungsförderung, verbesserten FuE-Fi-
nanzierungsbedingungen für den Mittelstand und mehr Innovationsbewusst-
sein der Unternehmensleitungen.
5.1 Staatliche Fördermaßnahmen für privatwirtschaftliche FuE-Aktivitäten

sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie in ein langfristiges, für die
Unternehmen kalkulierbares Rahmenkonzept eingebunden sind, wenn
sie die Kooperation mit der Wissenschaft und den Hochschulen interes-
sant machen und wenn die einzelnen Förderkonzepte durch eine sachge-
rechte Koordinierung der dafür verantwortlichen Stellen aufeinander ab-
gestimmt sind. Der Staat darf bei der Dosierung der den Unternehmen
zugedachten einzelbetrieblichen Fördermittel weder ein zu geringes
noch ein zu hohes Subventionsniveau wählen, da sonst einerseits die
Anreizfunktion ausbleibt und andererseits ungewollte Mitnahmeeffekte
entstehen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/2971

Die Forschungsförderung für die Wirtschaft ist deshalb wie folgt zu ge-
stalten:
– Innovationsstrategien für besonders wichtige Felder sollten in Zu-

sammenarbeit mit Wirtschaft und Wissenschaft erarbeitet werden. Er-
gebnis ist eine themenfokussierte Förderung, die Leitvisionen und
Projekte zur Steigerung der technologischen Leistungsfähigkeit ent-
hält. Beispiele dafür sind die Erarbeitung eines neuen Energiefor-
schungsprogramms auf der Basis einer konsistenten realistischen und
an den Zielen Klimaschutz und Versorgungssicherheit ausgerichteten
Energiepolitik, die Erarbeitung von Strategien in der Verkehrstechno-
logie, die umweltfreundliche und verlässliche Mobilität sicher stel-
len, eine nationale Biotechnologiestrategie, Strategien zur Implemen-
tierung und Stärkung von Zukunfts- und Schlüsseltechnologien wie
der Nanotechnologie und der Optoelektronik, Stärkung des Netzwer-
kes Medizintechnik durch Integration der beteiligten Forschungsbe-
reiche Bildgebung, Materialforschung, Messtechnik.

– In einer zweiten Schiene müssen breit wirksame Förderinstrumente,
die vor allem auf Kooperation ausgerichtet sind, gestärkt werden, ins-
besondere solche, die die Unterstützung für innovative Ideen erlau-
ben ohne an thematische Vorgaben oder Zieldefinitionen gebunden
zu sein.

– Ein Teil der Finanzmittel ist für „Hochrisikoprojekte“, für unkonven-
tionelle Konzepte mit dem Ziel möglicher Sprunginnovationen zu re-
servieren.

– Der Aufbau regionaler Kompetenzzentren und Wissenschafts-Cluster
sowie eine sachgerechte Beteiligung der Wirtschaft an den von den
Wissenschaftsorganisationen angestrebten Exzellenzzentren müssen
unterstützt und gefördert werden, u. a. durch die Anknüpfung an er-
folgreiche Fördermodelle wie den BioRegio-Wettbewerb bzw. die
Auflage von neuen Programmen mit im Wettbewerb ausgeschriebe-
nen Mitteln.

– Die Instrumente sind, wo immer notwendig, auf die Verhältnisse in
den neuen Bundesländern zu justieren, etwa durch höhere Förder-
sätze oder z. B. durch die Bildung von Schwerpunkten im Innovati-
onsmanagement. Zudem ist die Förderung der Forschungs-GmbHs
auf eine verlässliche Grundlage zu stellen. Die Öffnung von For-
schungsprogrammen für die grenzüberschreitende Kooperation muss
ebenfalls geprüft werden.

– Speziell im Interesse der kleineren und mittleren Unternehmen sind
– statt der Auflage immer neuer Miniprogramme die Förderung zu

bündeln, transparenter und beständiger zu machen. Programm-
Namen sind zu „Marken“-Namen weiterzuentwickeln;

– Defizite bei der industriellen Gemeinschaftsforschung abzubauen.
Aufgrund ihres themenoffenen Charakters und der branchenüber-
greifenden Nutzung ist die industrielle Gemeinschaftsforschung
eine der breit wirkendsten Fördermaßnahmen im Bereich der
Industrieforschung. Sie ermöglicht vielen kleineren und mittleren
Unternehmen erst eine eigene Forschung;

– erfolgreiche Programme, wie PRO INNO, mit ausreichend Finanz-
mitteln auszustatten bzw. rechtzeitig Nachfolgeprogramme (PRO
INNO II) zu starten;

Drucksache 15/2971 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– Förderinstrumente zu entwickeln, die auf längerfristige Inno-
vationspartnerschaften zwischen mittelständischen Unternehmen
bzw. ihren Forschungsvereinigungen und den Hochschulen und
Forschungseinrichtungen setzen, um eine kontinuierliche Arbeit
an übergreifenden Themen zur Steigerung der Nachhaltigkeit von
Forschung- und Entwicklungsanstrengungen im Mittelstand zu
gewährleisten;

– Mittelstandsprogramme auf nationaler wie insbesondere auf euro-
päischer Ebene zu entbürokratisieren, z. B. durch ihre Durchfüh-
rung in zweistufigen Verfahren.

5.2 Technologieorientierte Existenzgründungen sind wegen ihres großen In-
novationspotentials und ihres Beitrags zu einem schnellen und effizien-
ten Technologietransfer besonders zu fördern durch
– die Unterstützung von Ausgründungen aus Hochschulen und For-

schungseinrichtungen. Eingeworbene Fördermittel sollten zu einem
Teil für Existenzgründungen aufgewandt werden. Die Einrichtungen
und Hochschulen müssen mehr Freiheit haben, sich selbst an Start-ups
zu beteiligen;

– Vermittlung von Wirtschafts-, Unternehmens- und Gründerkenntnis-
sen an Hochschulen;

– Initiierung von Gründerwettbewerben;
– eine grundlegende Reform der Steuerstruktur, deren Ziel ein ein-

faches, gerechtes und leistungsfreundliches Steuersystem mit niedri-
gen Sätzen ist – wie im Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
„Ein modernes Steuerrecht für Deutschland – Konzept 21“ (Bundes-
tagsdrucksache 15/2745) gefordert;

– Initiativen zur Integration der europäischen Risikokapitalmärkte;
– Koordinierung der vielen Förder-, Darlehens- und Gründerpro-

gramme über Ressort- und Ländergrenzen hinweg;
– Beiträge zur Verbesserung des Klimas für Selbständigkeit, damit

nicht die Angst vor dem Scheitern Existenzgründungen verhindert.
5.3 Die Maßnahmen des Technologietransfers sind zu verbessern. Das vor-

handene Netzwerk der Beratungs-, Transfer- und Verwertungsstellen
(einschließlich der Patentverwertungsoffensive des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung) sollte in Zusammenarbeit mit den Ländern
unter den Gesichtspunkten des Wettbewerbs, der Effizienz wie auch des
Bedarfs evaluiert werden. Im Übrigen ist ein rechtzeitiger, direkter
Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik über Forschungs-
ziele, der Kooperation und Arbeitsteilung zwischen diesen Partnern
fördert, erfolgversprechender als ein nachgeschalteter aufwendiger
Wissens- und Technologietransfer über Dritte. Gefordert sind zudem
integrierte Forschungs- und Innovationsprojekte mit Ergänzung durch
Marketing- und Organisationskompetenz und Überleitung zur Markt-
einführung. Auch müssen sich die Hochschulen stärker der Aufgabe
Wissenstransfer zuwenden;

6. die rechtlichen, wirtschaftlichen und administrativen Rahmenbedingungen
innovationsfreundlich zu gestalten.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre administrative Ausführung
entscheiden in einem hohen Maße darüber, ob innovative Branchen sich eta-
blieren können und aus Forschungsergebnissen Produkte werden. Der Staat
spielt zudem auf vielen Zukunftsmärkten eine entscheidende Rolle, weil er

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/2971

die Wettbewerbsregelungen festsetzt, wie z. B. in Bezug auf die Finanz-
märkte, die Telekommunikation, die Energie und den Gesundheitssektor,
und weil er zum anderen mit seiner Investitions- und Beschaffungspolitik
über die Etablierung neuartiger Technik entscheidet.
6.1 In einer Zeit, in der das wichtigste Kapital Wissen und Forschungsergeb-

nisse sind, gewinnen Patente und Schutzrechte auf geistiges Eigentum
eine große Bedeutung. Die Anstrengungen ein wettbewerbsfähiges
Patentrecht in Deutschland und Europa zu schaffen, müssen verstärkt
werden. National steht die Umsetzung der Biopatentrichtlinie auf der
Tagesordnung – Biotechnologie- und Pharmaunternehmen brauchen
endlich Rechtssicherheit. Auf europäischer Ebene ist das EU-Gemein-
schaftspatent, das dem Anwender ermöglichen soll, mit nur einer
Anmeldung EU-weiten Patentschutz zu erlangen, voranzubringen.
Dabei muss es jedoch zu einer deutlichen Reduzierung der Kosten, vor
allen Dingen der Übersetzungskosten, in Richtung auf das US-ameri-
kanische und japanische Niveau kommen.

6.2 Die Chemikalienpolitik der EU muss unbürokratisch ausgestaltet wer-
den, insbesondere muss es möglich sein, bereits vorhandene Daten in die
Nachzulassung von sog. Altchemikalien einzubringen.

6.3 Die Anwendung der Grünen Gentechnik muss auch in Deutschland ermög-
licht werden und zwar nach der Maßgabe der echten Wahlfreiheit. Um zu
Erfahrungswerten und Daten für praktikable Koexistenzregelungen zu
kommen, ist schnellstmöglich ein Probeanbau in Deutschland zu starten.

6.4 Der Emissionshandel ist in Deutschland so umzusetzen, dass Wirt-
schaftskraft und Innovationsfähigkeit der Unternehmen gestärkt werden.
Von nationaler Seite dürfen keine zusätzlichen Belastungen in die Rege-
lungen eingeführt werden.

6.5 Unterschiedliche Politikbereiche müssen besser aufeinander abgestimmt
werden, so darf z. B. die Gesundheitspolitik die innovative Medikamen-
tenentwicklung nicht behindern.

6.6 Genehmigungsverfahren müssen entbürokratisiert und vereinfacht wer-
den, innovationsfreundliches Verwaltungshandeln muss in Zukunft eine
Selbstverständlichkeit sein.

6.7 Staatliches Handeln muss darauf ausgerichtet sein, Technik, die in
Deutschland entwickelt wurde bzw. produziert wird, zur Anwendung zu
bringen und dafür auch die Möglichkeiten des Public-Private Partnership
zu nutzen. Dies gilt für den Transrapid ebenso wie für moderne Verkehrs-
managementsystemewie auch für Satellitenanwendungen (Gallileo). Der
Staat muss zudem dazu beitragen, dass es zu einer noch schnelleren und
intensiveren Diffusion von IuK-Techniken (IuK = Information und Kom-
munikation) in alle Lebensbereiche kommt. Von den Ressorts des Bun-
des, von den Ländern und Gemeinden ist eine innovationsfreundliche
Beschaffungspolitik zu fordern.

6.8 Innovationsfreundliche Standardsetzung und die zügige Weiterentwick-
lung technischer Normen bestimmen ganz entscheidend die Innovations-
bedingungen. Überholte Regulierungen können Anwendungshemmnisse
sein. Der Staat sollte einen Dialog mit der Wirtschaft zur Identifizierung
und Beseitigung überholter Regulierungen institutionalisieren.

6.9 Der Ausstieg aus der Kernenergie, der zum Verlust des Know-hows in
einem großen Bereich der Technik führt, ist zurückzunehmen. Auch sind
politische Widerstände gegen die Fusionsforschung aufzugeben.

Drucksache 15/2971 – 14 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

6.10 Politische Entscheidungen müssen an wissenschaftlichen Erkenntnis-
sen orientiert sein und dürfen nicht zur reinen Bedienung ideologi-
scher Vorstellungen gefällt werden;

7. zum Erhalt der Innovationsfähigkeit der Gesellschaft beizutragen.
Die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft wird darüber entscheiden,
welchen Weg in die Zukunft wir nehmen. Deutschland hat zum einen Plus-
punkte, da unsere Jugend, wie verschiedene Studien der Vergangenheit
bewiesen, modernen Produkten, Verfahren und Technologien gegenüber auf-
geschlossen ist. Deutschland hat aber auch Probleme, denn es hat eine
Schwäche für endlose Risikodebatten und vergisst dabei häufig, die mit
neuen Technologien verbundenen Chancen zu nutzen. Deutschland ist eine
alternde Gesellschaft, die es ganz natürlicherweise schwieriger hat, ihre In-
novationsfähigkeit zu erhalten als Gesellschaften mit einem hohen Anteil an
Kindern und Jugendlichen. Deutschland muss sich anstrengen, seine Inno-
vationskraft zu erhalten.
7.1 Es müssen in Bezug auf Technologien nicht nur die Risiken, sondern

auch die Chancen diskutiert und dargestellt werden.
7.2 Eine nationale Akademie der Wissenschaften sollte etabliert werden

u. a. als ein unabhängiges Forum zur breiten Diskussion von gesell-
schaftlich bedeutsamen Themen von Forschung und Naturwissenschaft.

7.3 Leistungseliten müssen akzeptiert und gefördert werden.
7.4 Neugier und Kreativität junger Menschen sind früh zu fördern, die

Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik muss in der Schule
geweckt werden, denn hier fallen die Richtungsentscheidungen für die
spätere Studien- und Berufswahl. Eine Stärkung des naturwissenschaft-
lichen, technischen und mathematischen Unterrichts ist unerlässlich.

Berlin, den 27. April 2004
Katherina Reiche
Thomas Rachel
Dr. Maria Böhmer
Dr. Christoph Bergner
Helge Braun
Cajus Caesar
Vera Dominke
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
Volker Kauder
Michael Kretschmer
Helmut Lamp
Werner Lensing
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Bernward Müller (Gera)
Melanie Oßwald
Uwe Schummer
Marion Seib
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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