BT-Drucksache 15/2788

über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 26. bis 30. Januar 2004 in Straßburg

Vom 25. März 2004


cksache 15/2788
25. 03. 2004
Deutscher Bundestag Dru
15. Wahlperiode

Unterrichtung
durch die Delegation der Bundesrepublik Deutschland in der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates

über die Tagung der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates vom 26. bis 30. Januar 2004 in Straßburg

Während des ersten Teils der Sitzungsperiode 2004 vom 26. bis 30. Januar 2004 erörterte
die Parlamentarische Versammlung des Europarates Berichte, behandelte die üblichen
geschäftsordnungsmäßigen Vorgänge und fasste Beschlüsse zu folgenden Themen:

Tätigkeitsbericht des Präsidiums und des Ständigen Ausschusses der Versammlung
Zum Thema „Beobachtung der Parlamentswahlen in der Russischen Föderation“
sprach Abg. Jelena Hoffmann (S. 7)

Bericht des Ministerkomitees
– Vorlage durch den amtierenden Vorsitzenden, den Außenminister der Niederlande,

Bernard Bot

Politische Fragen
– Ansprache des Generalsekretärs des Europarates, Walter Schwimmer

Fragen des Abg. Rudolf Bindig (S. 18) und der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(S. 18)

– Ansprache des Präsidenten von Zypern, Tassos Papadopoulos

– Die Lage auf Zypern (Entschließung 1362 – S. 26, Empfehlung 1642 – S. 29)

Hierzu sprach Abg. Rainder Steenblock (S. 25)

– Ansprache des Präsidenten von Georgien, Mikheil Saakashvili

– Terrorismus – eine Bedrohung für die Demokratien (Empfehlung 1644 – S. 32)

– Ansprache des Präsidenten der Interparlamentarischen Union, Sergio Páez Verdugo

Rechts- und Menschenrechtsfragen
– 3. Jahresbericht über die Arbeit des Menschenrechtskommissars des Europarates

(1. Januar bis 31. Dezember 2002) (Empfehlung 1640 – S. 9)

Ansprache des Menschenrechtskommissars des Europarates, Alvaro Gil-Robles

Hierzu sprach Abg. Rudolf Bindig (S. 7)
– Politische Häftlinge in Aserbaidschan (Entschließung 1359 – S. 15)

– Die Folgen der Erweiterung der Europäischen Union auf die Freizügigkeit zwischen
den Mitgliedstaaten des Europarates (Empfehlung 1648 – S. 45)

– Kandidaten für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Entschlie-
ßung 1366 – S. 49, Empfehlung 1649 – S. 50)

Hierzu sprach Abg. Rudolf Bindig (S. 48)

destag – 15. Wahlperiode
Drucksache 15/2788 – 2 – Deutscher Bun

Fragen betreffend die Einhaltung der von den Mitgliedstaaten des Europarates
eingegangenen Pflichten und Verpflichtungen
– Das Funktionieren demokratischer Institutionen in Aserbaidschan (Entschlie-

ßung 1358 – S. 12)

– Die Einhaltung der Pflichten und Verpflichtungen durch Armenien (Entschlie-
ßung 1361 – S. 21)

– Das Funktionieren demokratischer Institutionen in Georgien (Entschließung 1363 –
S. 29, Empfehlung 1643 – S. 31)

– Die politische Krise in der Ukraine (Entschließung 1364 – S. 40)

Geschäftsordnungsfragen
– Die angefochtenen Beglaubigungsschreiben der parlamentarischen Delegationen

Irlands und Maltas (Entschließung 1360 – S. 17)

Wanderungs-, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen
– Hilfe und Schutz für Asylsuchende in europäischen Häfen und Küstengebieten (Emp-

fehlung 1645 – S. 34)

Wirtschafts- und Entwicklungsfragen
– Die Nutzung des Potenzials Straßburgs als europäische Hauptstadt (Entschlie-

ßung 1357 – S. 10)

Hierzu sprach Abg. Helmut Rauber (S. 10)

– Die Verbesserung der Perspektiven für die Entwicklungsländer: Ein moralisches Ge-
bot für die Welt (Empfehlung 1646 – S. 38)

Hierzu sprach Abg. Klaus Werner Jonas (S. 36)

Ansprache des Ministers für Zusammenarbeit, humanitäre Maßnahmen und Verteidi-
gung und des Ministers für Umwelt von Luxemburg, Charles Goerens

Ansprache der Ministerin für internationale Zusammenarbeit von Kanada, Aileen
Carroll

– Wirtschaftliche Aspekte der Erweiterung der Europäischen Union: die entscheidenden
nächsten Jahre (Entschließung 1365 – S. 42, Empfehlung 1647 – S. 44)

Fragen der Kultur, Wissenschaft und Bildung
– Öffentlich-rechtlicher Rundfunk (Empfehlung 1641 – S. 19)

Zum Ablauf der Tagung
Die Reden und Fragen der Mitglieder der Delegation der Bundesrepublik Deutschland in
der Parlamentarischen Versammlung sowie die Beschlusstexte sind nachstehend im
Wortlaut abgedruckt.

Zu Beginn der Tagung wurde der österreichische Abgeordnete Peter Schieder in seinem
Amt als Präsident der Parlamentarischen Versammlung bestätigt. Der Leiter der deut-
schen Delegation, Abg. Rudolf Bindig (SPD), wurde in seinem Amt als Vizepräsident
der Versammlung bestätigt und der stellvertretende Leiter der deutschen Delegation,
Abg. Eduard Lintner (CDU/CSU), in seinem Amt als Vorsitzender des Ausschusses für
Recht und Menschenrechte. In der Gruppe der Liberalen, Demokraten und Reformer
wurde Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) neu in das Amt der stellvertre-
tenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Den Bericht des Ministerkomitees trug der amtierende Vorsitzende des Ministerkomitees
und Außenminister der Niederlande, Bernard Bot, vor. Der Generalsekretär des Europa-
rates, Walter Schwimmer, legte einen Bericht zur Lage des Europarates vor. Zu der Ver-

sammlung sprachen außerdem der Präsident von Zypern, Tassos Papadopoulos, der Prä-
sident von Georgien, Mikhail Saakashvili, der Präsident der Interparlamentarischen

Deutscher Bundestag – 15
. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2788

Union, Sergio Páez Verdugo, der Menschenrechtskommissar des Europarates, Alvaro
Gil-Robles, der Minister für Zusammenarbeit, humanitäre Maßnahmen und Verteidigung
und Minister für Umwelt von Luxemburg, Charles Goerens, sowie die Ministerin für in-
ternationale Zusammenarbeit von Kanada, Aileen Carroll.

An der Tagung nahmen Beobachter aus Israel, Kanada und Mexiko sowie Parlamentarier
aus dem seit 1997 vom Sondergaststatus suspendierten Belarus als Gäste teil.

Im zweiten Wahlgang wurde Ljiljana Mijovic als Richterin am Europäischen Menschen-
rechtsgerichtshof für Bosnien und Herzegowina gewählt: Zur Klärung von am Rande der
letzten Teilsitzung gegen sie geäußerten mutmaßlichen Anschuldigungen war die Wahl
nach dem ersten Wahlgang bei der Herbsttagung 2003 zunächst ausgesetzt worden. Die
Urheber der Anschuldigungen hatten auf schriftliche Nachfrage von Präsident Schieder
jedoch keine weiteren Informationen vorlegen können, sodass sich Präsident Schieder
vor der Fortsetzung der Wahl im Namen der Versammlung für die Umstände, die zuletzt
zur Aussetzung der Wahl geführt hatten, entschuldigte.

Nachdem die Versammlung im Herbst Beschlüsse betreffend eine ausgewogene Ge-
schlechtervertretung gefasst und die Geschäftsordnung entsprechend geändert hatte, wur-
den bei der Eröffnung der Tagung nun die Beglaubigungsschreiben der nationalen Dele-
gationen von Irland und Malta durch den Gleichstellungsausschuss angefochten: Beide
Länder hatten nur Männer als Delegationsmitglieder benannt. Nach der Vorlage eines Be-
richts durch den Geschäftsordnungsausschuss folgte die Versammlung dessen Votum und
beschloss, die Stimmrechte der irischen und maltesischen Parlamentarier bis zur Ände-
rung der Zusammensetzung der jeweiligen nationalen Delegation zu suspendieren.

Schwerpunkte der Beratungen
Zum Auftakt der Tagung lag der Versammlung im Zusammenhang mit dem Tätigkeits-
bericht von Präsidium und Ständigem Ausschuss eine Stellungnahme des Ausschusses
für die Einhaltung der Pflichten und Verpflichtungen betreffend Liechtenstein vor. Die
Versammlung bestätigte dabei einen am 25. November 2003 in Maastricht gefassten Be-
schluss des Präsidiums der Versammlung, trotz der Änderung der Verfassung von Liech-
tenstein und mit Blick auf die Rolle des Fürsten von Liechtenstein kein Verfahren zur be-
sonderen Überwachung (Monitoring-Verfahren) zu eröffnen und stattdessen einen
besonderen Dialog mit den Behörden von Liechtenstein aufzunehmen. Abgelehnt wurde
damit ein Vorschlag des Monitoring-Ausschusses, ein solches Monitoring-Verfahren zu
eröffnen, um die Vereinbarkeit der Verfassungsänderungen mit den Standards des Euro-
parates und Liechtensteins sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu überwachen.

In Dringlichkeitsdebatten beriet die Versammlung über Terrorismus – eine Bedrohung
für die Demokratien und die Verfassungskrise in der Ukraine. Im Mittelpunkt der Bera-
tungen stand zudem eine verbundene Debatte über das Funktionieren demokratischer
Institutionen in Aserbaidschan und Politische Häftlinge in Aserbaidschan.

Die Dringlichkeitsdebatte über Terrorismus – eine Bedrohung für die Demokratien
fand vor dem Hintergrund von Anschlägen Anfang Dezember 2003 in Istanbul auf Initia-
tive des türkischen Delegationsleiters und auf Antrag des Politischen Ausschusses statt.
Die Mitglieder der Versammlung stellten mit Bedauern fest, dass der rechtliche Rahmen
fragmentiert und unvollständig sei und die Vereinten Nationen trotz entsprechender Be-
mühungen bislang keine umfassende Konvention zur Bekämpfung von Terrorismus ge-
schlossen hätten. Mit Blick auf die größere Homogenität der Mitgliedsländer des Europa-
rates forderten sie die Regierungen dazu auf, die Hindernisse im Rahmen des Europarates
zu überwinden, einschließlich einer Definition von Terrorismus. Das Ministerkomitee
solle unverzüglich mit der Ausarbeitung eines umfassenden europäischen Übereinkom-
mens beginnen. Mehrere Redner betonten, der Terrorismus sei eine Realität. Die Frage
sei, wie im Europarat mit dieser Realität umgegangen und wie im Zusammenhang mit
dem Terrorismus die Einhaltung der Menschenrechte wahrgenommen werde. Der einzige
Weg zum Frieden sei die vollständige Umsetzung der Menschenrechte. Diese dürften
nicht irgendwelchen Ideologien untergeordnet werden. Der Europarat müsse immer wie-

der seine Dienste anbieten, um Versöhnung zwischen Kulturen und Menschen sowie zwi-
schen Völkergemeinschaften zu ermöglichen.

destag – 15. Wahlperiode
Drucksache 15/2788 – 4 – Deutscher Bun

Die äußerst lebhaft geführte Dringlichkeitsdebatte über die politische Krise in der
Ukraine hatte der Monitoring-Ausschuss vor dem Hintergrund des vor kurzem von den
ukrainischen Behörden eingeleiteten Verfahrens zur Änderung der Verfassung beantragt,
da das Verfahren nicht im Einklang mit der Geschäftsordnung des ukrainischen Parla-
ments, der Verkhovna Rada, oder mit Artikel 19 der ukrainischen Verfassung stehe. Die
Mitglieder der Versammlung bedauerten vor allem, dass die ukrainischen Instanzen, ein-
schließlich der Präsident der Ukraine und das Außenministerium, die Aktivitäten des
Europarates, insbesondere das Überwachungsverfahren der Versammlung, die Besuche
der Ko-Berichterstatter des Monitoring-Ausschusses und ihre Erklärungen als „Eingriff
in die internen Angelegenheiten der Ukraine“ betrachteten. Sie verwiesen darauf, dass
die Ukraine die sich aus ihrer Mitgliedschaft im Europarat ergebenden Verpflichtungen
gemäß der Satzung des Europarates freiwillig akzeptiert habe, sodass ein solcher Stand-
punkt nicht gerechtfertigt sei. Die Art der Reformen und das gewählte Regierungssystem
seien in der Tat eine interne Angelegenheit eines jeden souveränen Staates, jedoch nur so
lange, wie sie unter gebührender Achtung des Grundgesetzes des Landes durchgeführt
würden. Die jüngsten Entwicklungen in Verbindung mit den politischen Reformen und
den anstehenden Präsidentschaftswahlen in der Ukraine seien jedoch Besorgnis erregend:
Alle Beschlüsse zur Reform der konstitutionellen Wahlbestimmungen, die vor den Prä-
sidentschaftswahlen gefasst würden, seien wahrscheinlich einseitig und entzweiend, so-
dass der Zeitpunkt der gegenwärtig stattfindenden Debatte über Verfassungsreformen
äußerst unangebracht sei.

Die Versammlung missbilligte die kurzfristigen Ziele, von denen die jüngsten Debatten
geleitet würden: Der wirkliche Grund für die jüngste politische Reformoffensive, die zu
einer parlamentarischen Krise in dem Land geführt habe, sei die Absicht der gegenwärti-
gen Machthaber, jede Möglichkeit einer politischen Alternative für die Machtausübung
in der Ukraine zu ersticken. Allerdings beklagte die Versammlung auch die Mittel, zu de-
nen die Opposition im Gegenzug gegriffen habe, um die reguläre Arbeit des Parlaments
zu blockieren. An die in der Verkhovna Rada vertretenen Parteien erging deshalb der
dringende Appell, ihre Probleme auf friedliche Art und Weise zu lösen durch einen offe-
nen Dialog und eine vollständige Einhaltung der parlamentarischen Regeln und Bestim-
mungen. Alle Verfassungsänderungen im Hinblick auf die Amtszeit und den Wahlmodus
des Präsidenten sollten zudem – wie in Artikel 156 der geltenden Verfassung vorgesehen –
einem landesweiten Referendum unterworfen werden. Der Generalsekretär des Europa-
rates wurde dazu aufgerufen, einen Sondergesandten für die Ukraine zu ernennen, der die
aktuellen politischen Entwicklungen in der Ukraine verfolgen, beratend tätig sein und die
Erfahrung des Europarates zur Verfügung stellen solle, wenn sie gebraucht würden.
Schließlich drohte die Versammlung damit, die Beglaubigungsschreiben der ukrainischen
Delegation anzufechten und darüber hinaus das Ministerkomitee zu ersuchen, die Mit-
gliedschaft der Ukraine im Europarat auszusetzen, falls weitere Versuche unternommen
werden sollten, politische Reformen durch gesetzeswidrige Verfassungsänderungen oder
mit verfassungswidrigen Mitteln durchzuführen, oder sollte die Ukraine keine freien und
fairen Wahlen am 31. Oktober 2004 garantieren.

Zahlreiche Änderungsanträge wurden vor der Beratung über das Funktionieren demo-
kratischer Institutionen in Aserbaidschan, die Einhaltung der Pflichten und Ver-
pflichtungen durch Armenien und das Funktionieren demokratischer Institutionen
in Georgien vorgelegt. In allen drei Ländern des südlichen Kaukasus soll die besondere
Überwachung fortgesetzt werden, im Fall von Armenien vor allem mit Blick auf die De-
fizite im Bereich der pluralistischen Demokratie. Armenien soll nach dem Willen der
Versammlung in diesem Zusammenhang insbesondere beweisen, dass das Land die
nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen unter Einhaltung der internationalen
demokratischen Standards organisieren kann. Von den georgischen Behörden erwartet
die Versammlung eine grundlegende Änderung ihrer Haltung und die Vorlage eines
genauen Zeitplans für die Umsetzung der bei der Aufnahme in den Europarat eingegan-
genen Pflichten und Verpflichtungen, namentlich bei der Korruptionsbekämpfung und
der Reform der für die Durchsetzung von Gesetzen zuständigen Einrichtungen. Besorg-

nis erregend sei die Gefahr einer inneren Destabilisierung von Georgien und die anhal-
tende Bedrohung der territorialen Unversehrtheit des Landes.

Deutscher Bundestag – 15
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Mit Sanktionen drohte die Versammlung im Fall von Aserbaidschan und beriet nicht nur
über dessen Fortschritte bei der Einhaltung seiner bei der Aufnahme in den Europarat
eingegangenen Pflichten und Verpflichtungen, sondern in verbundener Debatte auch über
Politische Häftlinge in Aserbaidschan. Die Versammlung knüpfte damit an Debatten
im Januar 2002 und Juni 2003 an und erinnerte daran, dass die aserbaidschanischen Be-
hörden bereits damals in scharfen Worten aufgefordert worden waren, das Problem der
politischen Häftlinge zu lösen: Die Existenz von politischen Gefangenen sei nicht mit der
Mitgliedschaft Aserbaidschans im Europarat vereinbar. Die Mitgliedschaft Aserbaid-
schans im Europarat werde deshalb in eine kritische Phase eintreten, wenn das Problem
der politischen Häftlinge nicht bis zur diesjährigen Herbsttagung der Versammlung
gelöst sei. Der Generalsekretär des Europarates wurde dazu aufgerufen, die von ihm
ernannten unabhängigen Experten zur möglichst baldigen Erfüllung ihres (zweiten) Man-
dats anzuweisen. Ins Auge gefasst werden solle jedoch darüber hinaus ein drittes Mandat,
um eine zusätzliche Liste mit 88 Namen anderer mutmaßlicher politischer Häftlinge zu
prüfen, die bei der Erstellung der ersten Liste von 716 Namen leider vergessen worden
waren, sowie neue Fälle mutmaßlicher politischer Häftlinge, die zwischen dem 1. Ja-
nuar 2001 und dem 15. April 2002, dem Tag des Inkrafttretens der Europäischen Men-
schenrechtskonvention in Aserbaidschan, ans Licht kamen. Die Parlamentarier mahnten
die Mitgliedstaaten des Europarates zu größter Umsicht, wenn ihnen Auslieferungs-
ersuchen für aserbaidschanische Staatsbürger zugingen.

Trotz eines emotionalen Redebeitrags des Delegationsleiters von Aserbaidschan zog
seine Delegation vor der Abstimmung eine Reihe von Änderungsanträgen zurück, die im
federführenden Ausschuss keine Mehrheit gefunden hatten, sodass der durch mehrere
Anträge geänderte Entschließungsentwurf schließlich ohne Gegenstimmen und bei nur
zwei Enthaltungen angenommen werden konnte.

Bei der Vorstellung des 3. Jahresberichts über die Arbeit des Menschenrechts-
kommissars des Europarates wies der Leiter der deutschen Delegation, Abg. Rudolf
Bindig (SPD), darauf hin, dass der Bericht in die Mitte der sechsjährigen Amtszeit des
Menschenrechtskommissars falle und damit eine wichtige Zwischenbilanz darstelle. Er
begrüßte, dass der Kommissar eine dynamische Interpretation seines Mandates vor-
genommen habe, insbesondere bei den Bestimmungen seines Mandates, die es ihm ge-
statteten, Stellungnahmen auch auf eigene Initiative hin abzugeben. Ausgeweitet werden
solle in Zukunft die Möglichkeit, die Erfahrungen des Kommissars in Monitoring-Ver-
fahren einzubeziehen. In Zusammenarbeit mit den Ausschüssen könne der Kommissar in
Zukunft insgesamt eine aktive Rolle übernehmen: Gefördert werden könnten Gesetzes-
initiativen, die im Anschluss an Urteile des Gerichtshofs erforderlich erschienen, damit
eine Flut von inhaltlich gleichen oder ähnlichen Rechtssachen schon an der Quelle ein-
gedämmt werden könnte, wenn es gelänge, dass die jeweiligen Länder ihre Gesetze wei-
terentwickelten. Die Mitgliedstaaten des Europarates, namentlich Georgien, Moldau und
die Russische Föderation, sollten die Empfehlungen, die der Kommissar an sie richte,
vollständig und auch zügig umsetzen.

Mit nur einer Gegenstimme und bei einer Enthaltung verabschiedete die Versammlung
eine entsprechende Empfehlung mit einer Reihe von weiteren Vorschlägen zur Stärkung
des Amts des Menschenrechtskommissars. Danach soll der Kommissar in Zukunft u. a.
in vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anhängigen Rechtssachen als Inter-
venient auftreten, über die Veröffentlichung seiner Berichte, Empfehlungen und Stellung-
nahmen selbst entscheiden und sachdienliche Informationen anfordern können.

Auf der Grundlage eines von dem Fraktionsvorsitzenden der Gruppe der Liberalen,
Demokraten und Reformer nach politischen Gesprächen in Zypern, der Türkei und
Griechenland vorgelegten Berichts beriet die Versammlung über die Lage auf Zypern.
Die Parlamentarier riefen die Führer der beiden Volksgruppen dazu auf, die Verhandlun-
gen unverzüglich und auf der Grundlage des Annan-Plans aufzunehmen, um bis zum
1. Mai 2004 eine politische Regelung der Zypernfrage zu erreichen. Es sei Aufgabe der
Führer der beiden Volksgruppen, das auf alten Ängsten und Bemühungen um die Erlan-
gung einseitiger Vorteile beruhende Konfrontationsmuster zu überwinden und sich der
Zukunft ihrer Volksgruppen zuzuwenden, die ein einziges Volk mit gemeinsamem Ge-
schick bildeten. Die Europäische Union solle die positive Einbeziehung der Türkei in die

Suche nach einer Regelung der Zypernfrage dadurch fördern, dass den türkischen Behör-
den unter Einhaltung geeigneter Kriterien eine klarere Perspektive für die Eröffnung von

destag – 15. Wahlperiode
Drucksache 15/2788 – 6 – Deutscher Bun

Beitrittsverhandlungen gegeben werde. Darüber hinaus müsse die Europäische Union die
Zugangsbedingungen für Produkte aus dem Nordteil Zyperns zum Gemeinsamen Bin-
nenmarkt erleichtern.

Der deutsche Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) warnte jedoch
vor einer Vermischung des Annan-Plans mit dem EU-Beitrittsplan. Der Beitrittsplan sei
an die Kopenhagener Kriterien gebunden, sodass Vorsicht geboten sei, was Garantie-
erklärungen angehe, die nicht hilfreich seien. Der Beitritt werde durch eine Lösung der
Zypernfrage sicherlich gefördert, doch Garantien werde es nicht geben können. Ande-
rerseits würde jedoch das Nichterreichen der Ziele des Annan-Plans sicherlich den Bei-
tritt der Türkei erheblich beschädigen. Die dreißig Jahre alte Grenze, die Griechen und
Türken auf Zypern trenne und eine Hauptstadt teile, sei ein politischer Anachronismus in
einem trotz aller Schwierigkeiten immer weiter zusammenwachsenden Europa. Der
wichtigste Schlüssel zur Lösung dieses Problems liege in Ankara, in der Türkei.

In seiner Ansprache versicherte der Präsident von Zypern, Tassos Papadopoulos, die
griechisch-zypriotische Seite und er selbst seien bereit, sofort substanzielle Verhandlun-
gen auf der Basis und im Rahmen des Annan-Plans und der einschlägigen Resolutionen
des VN-Sicherheitsrates aufzunehmen, um nach Möglichkeit noch vor dem 1. Mai 2004
zu einer tragfähigen Lösung des Zypern-Problems zu kommen und Zypern die wirkungs-
volle Mitwirkung in der Europäischen Union zu ermöglichen.

Der deutsche Abg. Klaus Werner Jonas (SPD) legte einen Bericht zur Verbesserung
der Perspektiven für die Entwicklungsländer vor und setzte sich dabei mit der Er-
reichung der in der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen im entwicklungspoli-
tischen Bereich genannten Ziele auseinander. Er sprach sich dafür aus, die Arbeit der
Geberländer noch besser zu koordinieren und die Maßnahmen zu bündeln. Auch müssten
bei der Evaluierung höhere Maßstäbe angelegt werden und die Gelder besser abfließen.
Offene Märkte in den Industrieländern seien die Basis für eine nachhaltige positive Ent-
wicklung, Entschuldungsmaßnahmen ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der Millen-
niumsentwicklungsziele.

Für die Aussprache hatten sich sechzehn Redner angemeldet, während kein Änderungs-
antrag eingereicht worden war. Die Mitglieder der Versammlung demonstrierten damit
lebhaftes Interesse und große Einigkeit in Bezug auf eine gemeinsame europäische Ent-
wicklungspolitik. Bereichert wurde die Debatte durch Ansprachen des Ministers
für Zusammenarbeit, humanitäre Maßnahmen und Verteidigung und Minister für
Umwelt von Luxemburg, Charles Goerens, sowie der Ministerin für internationale
Zusammenarbeit von Kanada, Aileen Carroll, die bereits in den vergangenen sechs
Jahren als Beobachterin an der Parlamentarischen Versammlung des Europarates teil-
genommen hatte. Ministerin Carroll wies auf die Zusammenarbeit ihres Landes mit
Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei hin, bei der es in den letzten zwei Jahren
darum gegangen sei, die Fähigkeit dieser Länder als zukünftige Geber zu stärken, damit
in Zukunft eine Kooperation als Geberländer ermöglicht werde.

Berlin, im Februar 2004

Rudolf Bindig, MdB Eduard Lintner, MdB
Leiter der Delegation Stellvertretender Leiter der Delegation

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/2788

Montag, 26. Januar 2004

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Tätigkeitsbericht des Präsidiums und des
Ständigen Ausschusses der Versammlung

(Drucksache 10044 Teile 1 und 2)

Berichterstatter:
Abg. Jonas Cekuolis (Litauen)

Abg. Jelena Hoffmann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi-
dent,

zuerst möchte ich die Möglichkeit wahrnehmen, Ihnen
ganz herzlich zu Ihrer Wahl zu gratulieren. Ich bin sehr
froh, dass Sie mit Ihrer sehr korrekten Arbeit und mit Ih-
rem Engagement weiterhin unserer Versammlung zur
Verfügung stehen.

Nun zu den Wahlen. Am 7. Dezember vergangenen Jah-
res war ich schon zum dritten Mal als Wahlbeobachterin
in Russland, genauer gesagt in Moskau, dieses Mal nicht
als Mitglied der Wahlbeobachtergruppe des Europarates,
sondern als Mitglied eines OSZE-Teams. Nach dem drit-
ten Mal kann man schon Vergleiche ziehen. Dieses Mal
ist mir besonders das Bestreben der Menschen aufgefal-
len, alles dem Gesetz entsprechend durchzuführen –
gleich, ob es Wähler, Mitarbeiter in den Wahllokalen oder
die einheimischen Wahlbeobachter waren. Ich finde, es ist
eine sehr gute Entwicklung in Russland, nicht nach dem
Gefühl zu handeln oder nach dem, was der Chef gesagt
hat. Wir wissen, dass Russen sehr oft Schwierigkeiten ha-
ben, die Gesetze richtig umzusetzen. Ich möchte dies hier
nochmals unterstreichen, denn dieser Punkt ist mir dies-
mal wirklich aufgefallen.

Allerdings passiert natürlich noch einiges, was unserem
europäischen Verständnis nicht entspricht. Zum Beispiel
waren ab und zu einige Familienangehörige in einer
Wahlkabine, sodass man sich manchmal um den Ehefrie-
den Sorgen machen musste. Auch waren in fast allen
Wahllokalen Sicherheitskräfte anwesend. Wenn man je-
doch die Menschen darauf angesprochen hat, waren sie
eigentlich froh, die Wahlen in einer so sicheren Atmos-
phäre durchführen zu können. Sie haben dies nicht als
störend oder bedrohlich empfunden. Die Sicherheitskräfte
der Miliz, der russischen Polizei oder des Katastrophen-
schutzes waren in fast allen Wahllokalen anwesend, in de-
nen ich die Wahlen beobachtet habe. Die von mir genann-
ten Abweichungen vom Wahlgesetz in Russland sind nicht
gravierend. Wir haben meistens mit der Mentalität des rus-
sischen Volkes zu tun. Wir müssen natürlich immer wieder
darauf hinweisen, dass die Situation noch nicht so ist, wie
wir uns das in Europa vorstellen. Ich glaube jedoch nicht,
dass die Wahlen selbst aus diesen Gründen in irgendeiner
Weise beanstandet werden sollten.

Meiner Meinung nach sollten nicht die Durchführungen
der Wahlen intensiv diskutiert werden, sondern die Wahl-
ergebnisse. Diese werfen mehr Fragen auf, und wir kön-
nen weniger Antworten darauf geben. Die erste Frage, die

Medien vor den Wahlen. Mit Bedauern muss man fest-
stellen, dass der Kreml eine strikte Kontrolle der Medien
im Wahlkampf ausgeübt hat. Für Oppositionsparteien und
kleinere Parteien war es kaum möglich, ihre Kandidaten
und Programme in den Medien zu präsentieren, wobei es
die meisten Schwierigkeiten mit den überregionalen Sen-
dern gab, die von der Administration kontrolliert werden.
Herrn Khodorkovskys Verhaftung fällt auch in die Zeit
des Wahlkampfes, und die Vermutung liegt nahe, dass der
Termin der Verhaftung nicht zufällig gewählt wurde. Es
steht mir nicht zu, über die Gründe der Verhaftung zu
urteilen. Deren Art und Weise und die Berichterstattung
in den Medien jedoch sprechen Bände. Am Rande möchte
ich anmerken, dass einige von Herrn Khodorkovskys
Anwälten die Nichteinhaltung der russischen Prozessord-
nung beklagen. Es wird berichtet, dass sich sein Gesund-
heitszustand verschlechtert, da keine ausreichende medizi-
nische Versorgung erfolgt. Ich würde gerne nach Moskau
fahren, um mit eigenen Augen Herrn Khodorkovskys
Haftbedingungen zu sehen.

Die nächste Frage, auf die ich Antworten suche, ist fol-
gende. Was bedeutet diese Verteilung der Stimmen für die
Zukunft Russlands? Einerseits wächst die Gefahr, dass
die demokratische Entwicklung gebremst wird und sich
die gelenkte Demokratie zu einem zu autoritären Regime
entwickelt. Russland hat keine parlamentarische, sondern
eine vom Präsidenten dominierte Demokratie. Anderer-
seits besteht die Chance, eine zwar autoritäre, aber refor-
mistische Politik durchzuführen. Putin kann sich nicht
mehr hinter der Zerrissenheit und Reformunwilligkeit des
Parlamentes verstecken, da alle Entscheidungen des Par-
laments ohne seine Zustimmung undenkbar sind.

Ich glaube, wir müssen uns alle diese Fragen stellen. Wir
müssen uns fragen, in welche Richtung die Demokratie
sich in Russland entwickeln wird. Das ist eine große He-
rausforderung für uns Europäer. Wir haben die Aufgabe,
unseren Kolleginnen und Kollegen in Russland zu helfen,
die Demokratisierung ihres Landes voranzutreiben.

Vielen Dank.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

3. Jahresbericht über die Arbeit
des Menschenrechtskommissars

des Europarates
(1. Januar bis 31. Dezember 2002)

(Drucksache 10024)

Berichterstatter:
Abg. Rudolf Bindig (Deutschland)

Abg. Rudolf Bindig (SPD): Herr Vorsitzender, liebe Kol-
leginnen und Kollegen,

dieser Bericht fällt in die Mitte der Amtszeit von sechs
Jahren und stellt damit eine wichtige Zwischenbilanz dar.
Es ist auch die erste Debatte, die die Versammlung nach

ˆ
sich mir stellt, bezieht sich auf die Ursachen der Wahl-
ergebnisse, zum Beispiel im Hinblick auf die Rolle der

der Schaffung des Amtes zu diesem Thema führt. Es gibt
uns die Möglichkeit, die Erfahrungen auszuwerten und

Drucksache 15/2788 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Empfehlungen für die weitere Entwicklung des Amtes
auszusprechen.

Zunächst möchte der Rechtsausschuss und möchten wir
dem Kommissar Alvaro Gil-Robles für seine Amtsfüh-
rung und Arbeit ganz herzlich danken. Sieht man die
Möglichkeiten des Amtes und berücksichtigt vor allem
auch die Grenzen des Mandates, so kann man sagen, dass
er in hervorragender Weise sein Amt gestaltet und ausge-
führt hat. Die Hauptaufgaben, die ihm zugewiesen wor-
den sind und die er zu erfüllen hat, sind bekanntlich: die
Förderung der Erziehung und die Beachtung der Men-
schenrechte in den Mitgliedsländern des Europarates;
dazu beizutragen, dass es zu einer effektiven Beachtung
der Menschenrechte in den Gesetzen und in der Praxis in
diesen Mitgliedsländer kommt; zur Identifizierung von
Mängeln im Gesetzesbereich und in der Praxis bei den
Menschenrechten beizutragen; und schließlich, die natio-
nalen Menschenrechtsgremien in den Mitgliedsländern zu
unterstützen. Der Kommissar hat durch eine Fülle von
Aktivitäten diese Aufgabe wahrgenommen: durch Be-
richte und Empfehlungen, durch Meinungen, die er geäu-
ßert hat, durch die Organisation und die Teilnahme an Se-
minaren, durch Kontaktbesuche, durch Beziehungen mit
nationalen Ombudsleuten und Menschenrechtsinstitu-
tionen, durch Beziehungen zu den Nichtregierungs-
Organisationen, durch die Kooperation mit internationa-
len Organisationen und durch die Kooperation mit Gre-
mien des Europarates. Auch ist er in schwierigsten Kri-
sensituationen tätig geworden.

Wahrlich, das ist ein breites Aufgabenfeld. Man kann sa-
gen, dass es bemerkenswert ist, wie mit den sehr begrenz-
ten Ressourcen hinsichtlich Personal und Finanzen ein so
großes Aufgabenspektrum wahrgenommen worden ist.
Besonders möchten wir hervorheben, dass wir es begrü-
ßen, dass der Kommissar eine dynamische Interpretation
seines Mandates vorgenommen hat, insbesondere bei den
Bestimmungen seines Mandates, die es ihm gestatten,
Stellungnahmen auch auf eigene Initiative hin abzugeben.
Was die Beziehungen des Kommissars zur Versammlung
angeht, so hat er angeregt, dass seinen Empfehlungen ein
zusätzliches politisches Gewicht gegeben werden könnte,
wenn wir seine Empfehlungen sorgfältig prüfen und ge-
gebenenfalls unterstützen. Ich glaube, wir sollten diesem
Wunsch nachkommen. Auch die Ausschüsse unserer Ver-
sammlung sollten die Erfahrungen und Berichte des
Kommissars nutzen, damit diese konstruktiv weiterent-
wickelt werden können. Wir selbst möchten den Kom-
missar bitten, in Zusammenarbeit mit den Ausschüssen
dann eine aktive Rolle zu übernehmen, wenn es darum
geht, Gesetzesinitiativen zu fördern, die im Anschluss an
Urteile des Gerichtshofs erforderlich erscheinen, damit
man eine Flut inhaltsgleicher Rechtssachen schon an der
Quelle eindämmen kann, wenn es gelingt, dass die jewei-
ligen Länder ihre Gesetze weiterentwickeln.

Wir wollen die Mitgliedstaaten auffordern, die Empfeh-
lungen, die der Kommissar an sie gerichtet hat, vollstän-
dig und auch zügig umzusetzen. Dies ist in der Resolution
vorgesehen, die wir gleich verabschieden wollen. Dies

rung haben, wie das Mandat in der Praxis läuft, wollen
wir dem Ministerkomitee vorschlagen, dass dieses Man-
dat überprüft wird und dass auch die europäische Men-
schenrechtskonvention in einigen Punkten geändert wird.
Es wäre wünschenswert, dass der Kommissar das Recht
hätte, in einigen Fällen als eine Art „Volksanwalt“ diese
dem Gerichtshof vorlegen zu können, wie wir das auch
bereits bei der ersten Diskussion des Amtes hier diskutiert
haben. Wenn das nicht im ersten Schritt möglich ist, so
sollte doch geprüft und überlegt werden, ob er nicht in
solchen Fällen als Intervenient auftreten kann. Wichtig ist
auch, dass die Punkte, die wir bereits bei der ersten Dis-
kussion über dieses Mandat hier gefordert haben, formal
in das Mandat aufgenommen werden. Wann immer der
Kommissar es für angemessen erachtet, dem Minister-
komitee und der parlamentarischen Versammlung zu ei-
ner spezifischen Angelegenheit einen Bericht vorzulegen,
soll er dieses Recht auch förmlich bekommen. Er soll al-
lein die Befugnis haben, seine Empfehlungen, Stellung-
nahmen oder Berichte auch zu veröffentlichen, und er soll
aktiv Informationen anfordern können. Weiter möchten
wir anregen, dass in das Mandat eine Regelung aufge-
nommen wird, die wir auch bei den Richtern haben und
die beim derzeitigen Amtsträger natürlich noch gar keine
Rolle spielen würde. Wir sollten ergänzen, dass ein mögli-
ches Mandat enden sollte, wenn der Amtsinhaber das sieb-
zigste Lebensjahr erreicht. Eine Möglichkeit sollte auch
weiterhin ausgeweitet werden, dass die Erfahrungen des
Kommissars im Monitorverfahren einbezogen werden.

Am Ende meiner Einführung komme ich zu einem ganz
wichtigen Punkt. Wer ein solches Amt schafft und von
diesem Amt erwartet, dass es ein breites Aufgabenspek-
trum erfüllt, der muss dieses Amt auch ausreichend aus-
statten, sowohl mit Personal als auch mit Finanzmitteln.
Wenn wir erwarten, dass der Kommissar in Krisensitua-
tionen tätig werden soll, wenn wir erwarten, dass er eine
Reihe von Seminaren organisiert oder daran teilnimmt,
wenn er wichtige Besuche macht, dann muss man auch
dafür sorgen, dass er dafür die Grundlage hat. Solche Bei-
träge können auf freiwilliger Basis geschehen. Das wäre
ein erster Schritt. Um die Konstanz der Arbeit zu sichern,
wäre es jedoch noch wichtiger, dass dies im regulären
Budget geschieht. Natürlich dürfen mit freiwilligen Spen-
den keine Auflagen verbunden sein. Das Amt müsste auf
diese Weise gestärkt werden.

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen,

alle Redner in der Debatte haben anerkannt, dass die
Schaffung dieses Amtes richtig und wichtig war. Ich
glaube, diesen Punkt sollten wir festhalten. Ich habe ei-
gentlich keine Kritik gehört, weder an der Schaffung des
Amtes, noch an der Amtsführung. Im Gegenteil. In vielen
Debattenbeiträgen ist breit der Wunsch vorgetragen
worden, die Position des Kommissars zu stärken und
seine Arbeitsfähigkeiten auszubauen. Das ist, glaube ich,
eine wichtige Mission.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Debatte war,
dass es ein Gefühl gibt, man solle weiterhin – und viel-
leicht auch noch stärker als bisher – zwischen dem Kom-
gilt insbesondere für Georgien, für Moldau, aber auch für
die Russische Föderation. Nachdem wir nun die Erfah-

missar und der Versammlung zusammenarbeiten. Was
nützt es uns, wenn der Kommissar wichtige Feststellun-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/2788

gen trifft, Empfehlungen niederlegt, und diese dann letzt-
lich weitgehend in einem Papier bleiben? Die angespro-
chenen Länder sollen sie umsetzen, aber auch die
Versammlung hier soll davon Gebrauch machen. Es ist
wichtig, in den Ausschüssen die Erkenntnisse einzubezie-
hen, und in unseren Resolutionen und Texten auf sie zu-
rückzugreifen. Ein Diskutant hat die Problematik ange-
schnitten, ob der Kommissar sein Aufgabenfeld deutlich
ausweiten soll, über die traditionellen bürgerlichen und
politischen Rechte hinaus stärker hinein auch in die wirt-
schaftlichen und sozialen Rechte. Einerseits gehen wir
immer davon aus, dass alle Menschenrechte auf gleicher
Ebene stehen. Trotzdem ist es natürlich notwendig, dass
der Kommissar Schwerpunkte in seiner Arbeit erkennt,
selbst auch in die Kernbereiche der Verletzung von Men-
schenrechten hineingeht und sich mit diesen Fragen be-
fasst. Ich könnte eine Gefahr darin sehen, wenn man dies
zu sehr ausweitet und auch Aspekte der sozialen Rechte
umfangreich mitbehandelt. Bei Flüchtlingen wird das ja
mit berücksichtigt.

Ich freue mich auf weitere Zusammenarbeit. Ich glaube,
die ganze Versammlung hier hat gezeigt, wie wichtig es
ist, dass wir in einem Dialog miteinander stehen und dass
wir mit einer gewissen Regelmäßigkeit hier auch über die
Arbeitsmöglichkeiten, über die Arbeit und die Erkennt-
nisse des Kommissars miteinander debattieren. In diesem
Geiste sollten wir die Debatte mit Ihnen fortführen.

E m p f e h l u n g 1 6 4 0 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: 3. Jahresbericht über die Arbeit
des Menschenrechtskommissars

des Europarates
(1. Januar bis 31. Dezember 2002)

(Drucksache 10024)

1. Die Versammlung nimmt den 3. Jahresbericht des
Menschenrechtskommissars des Europarates („der
Kommissar“) über seine Arbeit im Jahre 2002 zur
Kenntnis und beglückwünscht ihn zu einer Weiterent-
wicklung des Tätigkeitsfelds seines Amtes, die alle
Bestandteile seines Mandats diversifiziert und flexi-
bel einbezieht. Sie weiß die dynamische Interpreta-
tion des Mandats des Kommissars zu schätzen, insbe-
sondere die von Artikel 8 Absatz 1 in dem Sinne,
dass es dem Kommissar gestattet ist, Stellungnahmen
abzugeben – auch auf eigene Initiative.

2. Der Vorschlag des Kommissars, wonach die Ver-
sammlung seinen Empfehlungen durch ihr eigenes
politisches Gewicht mehr Nachdruck verleihen
könnte, verdient Erwägung und Unterstützung. Hat
der Kommissar also in einem bestimmten Fall festge-
stellt, dass ein Staat sich nicht angemessen um die
Umsetzung einer Empfehlung bemüht, so bittet die
Versammlung den Kommissar, sie entsprechend zu

informieren, damit sie dann in geeigneter Form tätig
werden kann.

3. Die von dem Kommissar veranstalteten halbjährli-
chen Podiumsdiskussionen unter Beteiligung von
Ombudsleuten und anderen Menschenrechtsinstitu-
tionen werden von der Versammlung gefördert, die
die Praxis des Kommissars begrüßt, die Versamm-
lung zur Teilnahme an solchen Veranstaltungen ein-
zuladen.

4. Die Jahresberichte des Kommissars werden von der
Versammlung sehr geschätzt, und diese bestärkt ihre
Ausschüsse – insbesondere den Ausschuss für Recht
und Menschenrechte und den Ausschuss für die Ein-
haltung der von den Mitgliedstaaten des Europarates
eingegangenen Pflichten und Verpflichtungen – darin,
sich darauf zu stützen und sie in vollem Umfang zu
nutzen. Vor allem trifft die Versammlung den Be-
schluss, im Anschluss an die ihr zugegangenen Be-
richte des Kommissars geeignete Folgemaßnahmen
zu ergreifen und insbesondere die Berichte zur Kennt-
nis zu nehmen und gegebenenfalls zu beantworten,
um die der Kommissar speziell gebeten wurde.

5. Die Versammlung bittet den Kommissar, in Zusam-
menarbeit mit ihren eigenen zuständigen Ausschüs-
sen und dem Ministerkomitee, in den Mitgliedstaaten
bei der Förderung von Gesetzesänderungen, die im
Anschluss an Urteile des Gerichtshofs als erforder-
lich erscheinen, eine aktivere Rolle zu spielen und so
dazu beizutragen, die Flut inhaltsgleicher Rechts-
sachen schon an der Quelle einzudämmen.

6. Die Versammlung ruft die Mitgliedstaaten des Euro-
parates darum dazu auf, die von dem Kommissar an
sie gerichteten Empfehlungen vollständig und zügig
umzusetzen, wobei diese Empfehlung vor allem Ge-
orgien und der Moldau gilt, an denen im Jahres-
bericht 2002 des Kommissars besondere Kritik geübt
wurde, sowie der Russischen Föderation, die offiziell
die Empfehlungen akzeptiert, sie jedoch noch nicht
umgesetzt hat.

7. Darüber hinaus fordert die Versammlung das Minis-
terkomitee auf,

a. das Mandat des Kommissars zu überprüfen und
die Europäische Menschenrechtskonvention da-
hingehend zu ändern, dass der Kommissar die
Möglichkeit erhält, soweit angemessen Fälle im
Wege einer actio popularis dem Gerichtshof vor-
zulegen, wie dies bereits in der Empfehlung 1606
(2003) der Versammlung vorgeschlagen wurde;

b. ersatzweise als Übergangsmaßnahme das Mandat
des Kommissars zu überprüfen und die Europäi-
sche Menschenrechtskonvention dahingehend zu
ändern, dass der Kommissar, wie dies angemessen
erscheint, in vor dem Gerichtshof anhängigen
Rechtssachen als Intervenient auftreten kann;

c. bei der Überarbeitung des Mandats des Kommissars,
* Debatte der Versammlung am 26. Januar 2004 (1. Sitzung) (siehe

Dok. 10024, Bericht des Ausschusses für Recht und Menschenrech-

wie zuvor schon in der Richtlinie 210 (1999) ange-
regt wurde, folgende Änderungen einzuarbeiten:

te, Berichterstatter: Herr Bindig). Von der Versammlung verabschie-
deter Text am 26. Januar 2004 (1. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

i. Artikel 3.f. durch folgenden Wortlaut zu erset-
zen: „wann immer der Kommissar es für an-
gemessen erachtet, dem Ministerkomitee und
der Parlamentarischen Versammlung zu einer
spezifischen Angelegenheit einen Bericht vor-
zulegen“;

ii. Artikel 8 so zu ändern, dass der Kommissar
die alleinige Befugnis erhält nach eigenem Er-
messen zu entscheiden, ob seine Empfehlun-
gen, Stellungnahmen und Berichte veröffent-
licht werden;

iii. am Ende von Artikel 5 Absatz 1 den Satz hin-
zuzufügen: „Der Kommissar kann sachdien-
liche Informationen anfordern“;

iv. in Artikel 3.e. den Wortlaut „mit ihrer Zustim-
mung bei ihren Bemühungen, Abhilfe zu
schaffen“ durch „dabei Abhilfe zu schaffen“
zu ersetzen;

v. vor der Wahl des nächsten Kommissars
Artikel 10 so zu überarbeiten, dass die Amts-
zeit endet, wenn der Amtsinhaber das
70. Lebensjahr erreicht;

d. in seine Überwachungstätigkeit die Weiterverfol-
gung der von dem Kommissar an die Mitglied-
staaten gerichteten Empfehlungen einzubeziehen;

e. den Kommissar mit den zusätzlichen Mitteln aus-
zustatten, die erforderlich sind, um es seinem Amt
zu ermöglichen, die große Arbeitsbelastung zu be-
wältigen, die sich allein schon aus dem derzeiti-
gen Mandat ergibt (z. B. unter Einbeziehung der
größeren Rolle in Krisensituationen sowie der be-
reits übernommenen zusätzlichen Aufgaben wie
der halbjährlichen Podiumsdiskussionen zwischen
den nationalen Ombudsmann-Einrichtungen) und
die durch eventuell zusätzlich hinzukommende
Aufgaben weiter erhöht wird. Die Versammlung
begrüßt zwar jeden freiwilligen Beitrag der Mit-
gliedstaaten – soweit damit keine Auflagen ver-
bunden sind, die die Unabhängigkeit der Einrich-
tung gefährden könnten –, macht aber besonders
auf die unbedingt notwendige Berechenbarkeit
und Stabilität der dem Amt des Kommissars zur
Verfügung gestellten Mittel aufmerksam.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Die Nutzung des Potenzials Straßburgs
als europäische Hauptstadt

(Drucksache 10023)

Berichterstatter:
Abg. Bernard Schreiner (Frankreich)

Abg. Helmut Rauber (CDU/CSU): Liebe Kolleginnen
und Kollegen,

wir als CDU/CSU des Deutschen Bundestages unterstüt-

päische Hauptstadt zu nutzen. Wir als Deutsche wollen
Straßburg als europäische Hauptstadt. Dabei spielen für
uns nicht nur technische Fragen eine Rolle. In Straßburg
spiegelt sich ein Teil der deutsch-französischen Ge-
schichte mit all ihren Tiefen, aber auch Höhen wider. Die
Straßburger „Relation“ von 1609 gilt neben dem Wolfen-
bütteler „Aviso“ als die älteste deutsche gedruckte Zei-
tung. Was das deutsch-französische Verhältnis betrifft,
trennte Straßburg nicht, sondern vertiefte die deutsch-
französische Freundschaft. Straßburg kann die stabile
Brücke zu unserem Nachbarn und darüber hinaus nur
spielen, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, die
ich hier selbst nicht zu wiederholen brauche.

Wir alle wissen, dass es die Infrastruktur mit all ihren Fa-
cetten ist, die heute über die Zukunftsfähigkeit einer Stadt
und auch einer Region entscheidet. Wir als Europarat
können nur unseren Willen bekunden, dass Straßburg
seine europäische Bedeutung behält, bzw. dass sie weiter
gestärkt wird. Es liegt in erster Linie an der Stadt bzw. in
der nationalen Kompetenz von Frankreich, wie diese At-
traktivität, die ja schon sehr hoch ist, noch verstärkt wer-
den kann. In den letzten Jahren ist ja auch einiges gesche-
hen. Als Saarländer denke ich z. B. an die verbesserte
Zugverbindung vom Saarland in diese Stadt. Es ist eini-
ges geschehen, es ist aber auch noch einiges zu tun.

Die vorhandenen Defizite und auch die Tätigkeitsfelder
sind genannt. Wir teilen die im Antrag formulierten Ziele,
unter anderem die Flug- und Hochgeschwindigkeitsver-
bindung zu verbessern, vorhandene Bildungseinrichtun-
gen auszubauen und zu internationalisieren und über den
Rhein hinaus die gesamte Region zu einem Euro-Distrikt
zu machen. Straßburg selbst ist eine der schönsten Städte
Europas. Sie hat es verdient, weiterhin gefördert und un-
terstützt zu werden.

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 5 7 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die Nutzung des Potenzials Straßburgs
als europäische Hauptstadt

(Drucksache 10023)

1. Seit mehr als einem halben Jahrhundert dient die Stadt
Straßburg Europa als politische Hauptstadt in des
Wortes tiefster Bedeutung – in ihrer Eigenschaft als
Sitz des gesamteuropäischen Europarates mit seinem
Gerichtshof für Menschenrechte wie auch des Euro-
päischen Parlaments. Auf diese Weise leistet die Stadt
einen substanziellen Beitrag zum Gedeihen eines de-
mokratischen, humanistischen, sozial gerechten und
rechtsstaatlichen Europas und ist für die Zukunft des
Kontinents weiterhin von entscheidender Bedeutung.

2. Damit Straßburg diese Aufgabe auch künftig wahr-
nehmen kann, braucht die Stadt jedoch von Frank-

* Debatte der Versammlung am 26. Januar 2004 (1. Sitzung) (siehe
Dok. 10023, Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Entwick-
zen den vorzüglichen Antrag des Ausschusses für Wirt-
schaft und Entwicklung, das Potenzial Straßburg als euro-

lung, Berichterstatter: Herr Schreiner). Von der Versammlung verab-
schiedeter Text am 26. Januar 2004 (1. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/2788

reich in seiner Eigenschaft als Gastland dieser euro-
päischen Institutionen und anderer Interessenten
dringend einen neuen, stärker zukunftsorientierten
und dynamischen Entwicklungsansatz in Form deut-
lich verbesserter Flug- und Hochgeschwindigkeits-
zugverbindungen mit wichtigen europäischen Städ-
ten. Damit erhielten Minister, Parlamentarier und
Sachverständige einen besseren Zugang zu den euro-
päischen Institutionen, und mit besseren Bildungs-
und Kultureinrichtungen könnten alle angezogen
werden, die zur Teilnahme am Aufbau eines verein-
ten Europas aufgerufen sind. Die Versammlung ist
sich über das große Investitionsvolumen im Klaren,
das Frankreich hierfür aufzubringen hätte, doch
würde dieses auch auf die ganz beträchtlichen wirt-
schaftlichen und sonstigen Vorteile, die sich für
Frankreich aus der Präsenz europäischer Institutionen
auf seinem Staatsgebiet ergeben und auf die Gewinne
für die Region bei ihren Bemühungen, internationale
Investoren und Arbeitgeber anzuziehen, aufmerksam
machen.

3. Die Parlamentarische Versammlung begrüßt be-
stimmte Entwicklungen, wie die Einsetzung eines be-
sonderen Lenkungsausschusses „Strasbourg Capitale
Européenne“ durch die französische Regierung, die
Schaffung eines aus Straßburg, seiner deutschen
Nachbarstadt Kehl jenseits des Rheins und nahe gele-
genen Gemeinden bestehenden „Eurodistrikts“ sowie
die auf dem deutsch-französischen Gipfel im
September 2003 eingegangene feierliche Verpflich-
tung, unter der Bezeichnung „TGV-Est“ bis 2007
eine Hochgeschwindigkeitszugverbindung zuerst
zwischen Paris und Metz und möglichst bald danach
bis nach Straßburg fertig zu stellen – einschließlich
einer neuen Eisenbahnbrücke über den Rhein zum
Anschluss des TGV-Netzes an das diesem entspre-
chende deutsche ICE-Netz als Verbindung zwischen
Straßburg und Frankfurt. Die Versammlung begrüßt
die Bestätigung des interministeriellen Ausschusses
für Planung und Stadtentwicklung vom 18. Dezem-
ber 2003, dass der zweite Abschnitt der Hochge-
schwindigkeitszugverbindung „TGV-Est“ gebaut
wird und ermutigt Frankreich, die Arbeiten schnellst-
möglich nach Abschluss des ersten Abschnitts, d. h.
im Jahre 2007, zu beginnen.

4. Hochgeschwindigkeitszugverbindungen werden auch
zwischen Paris über Straßburg und Stuttgart, Mün-
chen, Budapest und Wien im Rahmen des so genann-
ten „Magistrale“-Projekts und nach Süden über eine
TGV-Verbindung Rhein–Rhone benötigt. Die Ver-
sammlung ruft dazu auf, alle diese Verbindungen in
dem neuen Infrastrukturinvestitionsplan, der zurzeit
innerhalb der Europäischen Union erörtert wird, als
vorrangige Projekte zu betrachten. Die Versammlung
begrüßt die am 18. Dezember 2003 auf der Sitzung
des französischen interministeriellen Ausschusses für
Planung und Stadtentwicklung getroffene Entschei-

5. Von noch größerer Bedeutung sind bessere Flugver-
bindungen mit anderen europäischen Städten – falls
erforderlich mit staatlicher Unterstützung Frank-
reichs. In diesem Zusammenhang bedauert die Ver-
sammlung die Einstellung der Ryanair-Verbindung
zwischen London und Straßburg und verweist auf die
Entschließung 1341 (2003) der Versammlung über
„Europäische Luftverkehrspolitik: Wichtige Ent-
scheidungen in einer kritischen Phase“, in der diese
erklärt, dass „das Aufkommen dieser neuen [Bil-
lig]Fluggesellschaften Vorteile für Reisende mit sich
bringt, die nun zu moderaten Preisen Zugang zum
Luftverkehr erhalten“, während sie gleichzeitig
warnt, „dies sollte jedoch nicht zulasten der Sozial-
vorschriften oder der Sicherheit gehen“.

6. Damit Straßburg sich entwickeln kann, müssen
außerdem Bildungseinrichtungen für die Kinder von
Diplomaten, Beamten, Unternehmensleitern und
Führungskräften geschaffen werden, die zunehmend
englischsprachig sind. Die Versammlung ist der Auf-
fassung, dass die Einrichtung spezieller Züge inner-
halb einer staatlichen weiterführenden Schule den Er-
fordernissen nicht hinreichend gerecht wird. Sie
betrachtet die vor kurzem erfolgte und auf eine Pri-
vatinitiative zurückgehende Errichtung einer interna-
tionalen Schule, die kleineren Kindern einen voll-
ständigen Lehrplan in englischer Sprache bietet, als
begrüßenswerten ersten Schritt in die richtige Rich-
tung. Sie möchte allerdings auch darauf hinweisen,
dass an dieser Schule im gegenwärtigen Stadium nur
Grundschulunterricht erteilt wird. Sie bedauert, dass
die französische Regierung diese Initiative finanziell
nicht unterstützt oder die Idee einer Europäischen
Schule verfolgt hat, insbesondere durch die Schaf-
fung des „Eurodistrikts“, um die Einbeziehung der
verschiedenen Bildungsstufen zu ermöglichen und
der Schule den offensichtlich zwingend notwendigen
europäischen Status zu verleihen. Wenn die europäi-
schen Institutionen auf erstklassige Diplomaten und
Beamte anziehend wirken sollen, muss mehr getan
werden, um deren Kindern in Straßburg Bildungsein-
richtungen der verschiedenen Stufen bis hin zur Uni-
versität zu bieten. Der jüngste Beschluss der französi-
schen Regierung mit der Bestätigung, dass die Ecole
Nationale d’Administration (ENA) ihren Sitz in
Straßburg erhalten wird und ihre Bildungsangebote
eine europäische Dimension bekommen sollen, be-
legt sicherlich die zunehmende Einsicht in die Be-
deutung Europas in Straßburg. Als Gastland sollte
sich Frankreich durch Unterstützung der Anstrengun-
gen der regionalen und kommunalen Behörden bei
der Bewältigung dieser Herausforderung verstärkt
engagieren.

7. Die Versammlung weiß die Lebensqualität in Straß-
burg und dem Umland, wo auch hervorragende Kul-
turveranstaltungen stattfinden, zu schätzen. Um den
Einfluss dieser europäischen Hauptstadt zu steigern,
muss das kulturelle Angebot noch breiter gefächert
dung, mit dem Bau der Rhein–Rhone (TGV)-Hoch-
geschwindigkeitsstrecke zu beginnen.

werden. Das könnte durch eine verstärkte Zusam-
menarbeit mit Nachbarstädten der Region, in

Drucksache 15/2788 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Deutschland und in der Schweiz, erreicht werden,
doch wird es wohl auch hier einer nachdrücklicheren
Unterstützung seitens der französischen Regierung
bedürfen.

8. Die Versammlung

i. fordert die französische Regierung auf, umgehend
die nötigen politischen Entscheidungen zu treffen,
um in dieser Lage Abhilfe zu schaffen und es
Straßburg zu ermöglichen, seiner europäischen
Berufung auf Dauer und in vollem Umfang ge-
recht zu werden;

ii. bittet den Generalsekretär des Europarates, die
Umsetzung dieser Entschließung zu verfolgen und
der Versammlung über die erzielten Fortschritte
zu berichten;

iii. beschließt, diese Angelegenheit auf einer der
nächsten Sitzungen des Gemeinsamen Ausschus-
ses der Parlamentarischen Versammlung und des
Ministerkomitees des Europarates zur Sprache zu
bringen.

Dienstag, 27. Januar 2004

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Das Funktionieren demokratischer Institutionen
in Aserbaidschan

(Drucksache 10030)

Berichterstatter:
Abg. Andreas Gross (Schweiz),

Abg. Guillermo Martínez Casañ (Spanien)

in verbundener Debatte mit

Politische Häftlinge in Aserbaidschan

(Drucksache 10026)

Berichterstatter:
Malcolm Bruce (Vereinigtes Königreich)

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 5 8 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Das Funktionieren demokratischer
Institutionen in Aserbaidschan

(Drucksache 10030)

1. Zehn Jahre nach der Erlangung seiner Unabhängig-
keit durchläuft Aserbaidschan erstmals eine politi-
sche Übergangsphase, in der Ilham Alijew bei den
Präsidentschaftswahlen vom Oktober 2003 gewählt

wurde. Die neue Regierung steht vor schwerwiegen-
den Herausforderungen, was die Fortführung der Re-
formen angeht, die zur Erfüllung der Pflichten und
Verpflichtungen Aserbaidschans als Mitgliedstaat des
Europarates erforderlich sind.

2. Nach Ansicht der Parlamentarischen Versammlung
muss der neu gewählte Präsident Gelegenheit erhal-
ten, sein Engagement für europäische demokratische
Werte und Prinzipien unter Beweis zu stellen. Als
ehemaliger Leiter der aserbaidschanischen Delega-
tion bei der Versammlung ist Herr Ilham Alijew mit
den Verpflichtungen vertraut, die sich aus der Mit-
gliedschaft seines Landes im Europarat ergeben. Die
Versammlung hofft deshalb, dass er zügig die nötigen
Reformen auf dem Gebiet der pluralistischen Demo-
kratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der
Menschenrechte einleiten wird.

3. Darüber hinaus bedauert die Versammlung, dass
keine Fortschritte in Richtung auf eine friedliche Lö-
sung der Situation in Bezug auf den armenisch-aser-
baidschanischen Konflikt in Bergkarabach erzielt
worden sind, was die Hauptrechtfertigung dafür war,
Aserbaidschan gleichzeitig mit Armenien zum Bei-
tritt zum Europarat einzuladen.

4. Die Versammlung nimmt mit Befriedigung zur
Kenntnis, dass Aserbaidschan die Europäische Sozial-
charta, das Europäische Rahmenübereinkommen
über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, das
Strafrechtsübereinkommen gegen Korruption und das
Zivilrechtsübereinkommen gegen Korruption, das
Übereinkommen über gegenseitige Amtshilfe in
Strafsachen und seine Zusatzprotokolle und das
Übereinkommen über Geldwäsche und Ermittlung,
Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus
Straftaten ratifiziert hat, aber die Versammlung be-
steht darauf, dass diese Übereinkommen im Hinblick
auf die Einhaltung der Verpflichtungen uneinge-
schränkt umgesetzt werden müssen.

5. Die Versammlung erkennt an, dass Aserbaidschan
seit dem letzten Überwachungsbericht (September
2002) bestimmte Fortschritte bei der Einhaltung sei-
ner Pflichten und Verpflichtungen vorweisen kann.
Sie ist jedoch der Ansicht, dass diese Fortschritte al-
les andere als zufriedenstellend sind, insbesondere
was die Umsetzung neuer Gesetze anbelangt. Sie
erwartet darum von der neuen Regierung die Berück-
sichtigung folgender Feststellungen und Maßnah-
men entsprechend den Empfehlungen der Versamm-
lung.

6. Was die Präsidentschaftswahlen vom 15. Oktober
2003 angeht, ist die Versammlung über folgende
Punkte besonders besorgt:

i. Die ersten Wahlen seit dem Beitritt Aserbaid-
schans zum Europarat haben unter mehreren As-
pekten erneut nicht den allgemein anerkannten
internationalen Standards genügt. Die mangelnde

* Debatte der Versammlung am 27. Januar 2004 (2. Sitzung) (siehe
Dok. 10030, Bericht des Ausschusses für die Einhaltung der von den
Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Pflichten und Ver-
Transparenz des Gesamtprozesses und die
schlechte Arbeit der Wahlämter ermöglichten die

pflichtungen (Überwachungsausschuss), Ko-Berichterstatter: Herr
Gross und Herr Casañ). Von der Versammlung verabschiedeter Text
am 27. Januar 2004 (2. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/2788

Fälschung von Wahlergebnissen und warfen
Zweifel auf hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der
Höhe des Sieges von Ilham Alijew.

ii. Während der Wahlen von 2003 waren erneut au-
toritäre Praktiken wie Einschüchterung von
Wählern, Unterdrucksetzen von Wahlleitern oder
die klare Bevorzugung des Kandidaten der herr-
schenden Partei in den Medien zu beobachten. In
einem Mitgliedstaat des Europarates, der seit
über zehn Jahren unabhängig ist, ist eine solche
Praxis nicht hinnehmbar.

iii. Die am Tag nach den Wahlen ausbrechende Ge-
walt, insbesondere die unverhältnismäßige An-
wendung von Gewalt durch die aserbaidscha-
nischen Sicherheitskräfte, die zum Tode von
mindestens einem und Verletzungen von Hunder-
ten von Protestierenden führten. Der Versamm-
lung sind keine Maßnahmen seitens der Behör-
den zur Untersuchung und strafrechtlichen
Verfolgung der unverhältnismäßigen Anwendung
von Gewalt durch die Sicherheitskräfte bekannt.

iv. Die Welle willkürlicher Verhaftungen von Opposi-
tionsanhängern und Wahlbeamten und Beobach-
tern sowie politisch motivierte Entlassungen, über
die in der Nachwahlzeit berichtet wurde, scheint
sich fortzusetzen. Die Haftbedingungen sind un-
menschlich und nicht hinnehmbar.

v. Weit verbreitete und glaubwürdige Berichte über
Folter, Prügel und inakzeptable Drohungen, die
zur Einschüchterung von Oppositionsführern
und deren Anhänger sowie Menschenrechtsak-
tivisten ausgesprochen wurden. Die Versamm-
lung äußert insbesondere Besorgnis darüber, dass
Berichten zufolge zahlreiche Oppositionsführer
in der Abteilung zur Bekämpfung des Organi-
sierten Verbrechens des Innenministeriums ge-
foltert und misshandelt wurden.

vi. Mehr als hundert Menschen, die Verbindungen
zur Opposition haben, darunter ein früherer Mi-
nisterpräsident von Aserbaidschan, ein Mitglied
des Parlaments von Aserbaidschan, Führer meh-
rerer Oppositionsparteien, der Herausgeber des
wichtigsten Oppositionsblattes in Aserbaidschan
und eine Reihe von führenden Persönlichkeiten
der Zivilgesellschaft sind weiterhin seit den
Wahlen im Oktober in Haft, und ihnen drohen im
Falle einer Verurteilung langjährige Gefängnis-
strafen.

vii. Die aserbaidschanischen Behörden sollten fort-
fahren, die Menschen, die nach dem 15. Oktober
2003 inhaftiert wurden, freizulassen und von
neuen Festnahmen und Inhaftierungen von Men-
schen wegen ihrer politischen Meinungen und
Aktivitäten, persönlichen Gedanken und Über-
zeugungen Abstand zu nehmen.

7. Zur Frage der Gewaltenteilung stellt die Versamm-

und dieses grundlegende Prinzip scheint in der Praxis
nicht befolgt zu werden. Das Parlament muss seine
Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive stärken,
um über die Regierungsaktivitäten Kontrolle auszu-
üben, insbesondere beim Schutz der Menschenrechte.
In einem demokratischen System muss vor allem das
Parlament sein Recht ausüben können, Regierungs-
mitglieder zu befragen und präzise Antworten zur
Umsetzung der Gesetze und der Nutzung der Exeku-
tivvollmachten der Regierung zu bekommen.

8. Was die Medien angeht, beklagt die Versammlung,
dass

i. die zahlreichen Probleme im Medienbereich, über
die im Wahljahr berichtet worden war, nicht an-
gemessen angegangen wurden. Die Arbeit unab-
hängiger Medien in Aserbaidschan wurde extrem
geschwächt. Während des Wahlkampfs boten die
staatlich kontrollierten Medien nicht allen Kandi-
daten die gleichen Chancen und nahmen unbe-
streitbar Partei für die Kandidatur des jetzigen
Präsidenten;

ii. die von Aserbaidschan eingegangene Verpflich-
tung, die beiden bestehenden staatlichen Kanäle
zu wirklich unabhängigen öffentlich-rechtlichen
Rundfunkeinrichtungen umzubauen, nicht er-
füllt wurde. Die Versammlung bedauert, dass der
zurzeit im Parlament behandelte Gesetzentwurf
über das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht zu
einer abschließenden Bewertung dem Europarat
vorgelegt wurde. Darüber hinaus unterstreicht
die Versammlung, dass der für die Regulierung
der privaten elektronischen Medien zuständige
Nationale Hörfunk- und Fernsehrat auf pluralisti-
scher und demokratischer Grundlage arbeiten
und unabhängig, unparteiisch und transparent
handeln sollte.

9. Im Hinblick auf die Grundfreiheiten kann die Ver-
sammlung nur den Schluss ziehen, dass die unter-
nommenen Anstrengungen alles andere als zufrie-
denstellend sind:

i. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde
seit der im September 2002 angenommenen letz-
ten Entschließung weiter beschnitten, und keine
der darin enthaltenen Empfehlungen wurde be-
rücksichtigt. Das Grundrecht der Wähler auf eine
freie Wahlentscheidung wurde durch heimtücki-
schen Druck und mangelnde Geheimhaltung der
Wahlabläufe systematisch untergraben. Berich-
ten zufolge übten Journalisten wegen Einschüch-
terung durch die Exekutivorgane Selbstzensur,
und die nichtstaatlichen Medien wurden mit
administrativen Mitteln schikaniert.

ii. Die Vereinigungsfreiheit gibt weiterhin Anlass
zu großer Sorge. Die zahlreichen Einschränkun-
gen der Vereinigungsfreiheit und Behinderungen
der Wahrnehmung des Bürgerrechts, sich zu Ver-
einen zusammenzuschließen, sind nicht hin-
lung fest, dass die Verfassungsbestimmungen in Be-
zug auf die Gewaltenteilung unzulänglich erscheinen,

nehmbar. Es sollten ein richtiges Eintragungssys-
tem für Vereine und andere rechtliche Einheiten

Drucksache 15/2788 – 14 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

geschaffen und die konkrete Möglichkeit gebo-
ten werden, das Vereinigungsrecht auszuüben.

iii. Die Freiheit, sich friedlich zu versammeln, unter-
liegt immer noch wiederholten und nicht hin-
nehmbaren Einschränkungen, und Behinderun-
gen des Rechts, Wahlkampf zu führen, wurden
während der Präsidentschaftswahlen erneut be-
obachtet. Trotz nachdrücklicher Empfehlungen
der Versammlung hierzu wurde über zahlreiche
Zwischenfälle unangemessener und unverhältnis-
mäßiger Gewaltanwendung gegen Demonstranten
berichtet. Die Versammlung ist der Auffassung,
dass die Lage sich bei dieser Grundfreiheit nicht
in dem Maße bessert, wie dies von einem Land
zu erwarten wäre, das seit mehr als zwei Jahren
dem Europarat angehört.

iv. Es wird immer noch über Verletzungen der
grundlegenden Menschenrechte durch Strafver-
folgungsorgane berichtet, und die Polizeikräfte
reagieren nach wie vor auf unangemessene und
unverhältnismäßige Art und Weise. Die Ver-
sammlung kann nur einmal mehr die Gewaltan-
wendung beklagen, die zum Tode mindestens ei-
nes Menschen führte. Die Versammlung ist der
Ansicht, dass das Ausmaß der Protestbewegung
nach den Wahlen ganz offensichtlich auf feh-
lende demokratische Möglichkeiten schließen
lässt, mit denen die Bevölkerung ihre Anliegen
vortragen kann.

v. Folterungen und Misshandlungen von Häftlingen
gehen weiter. Die Versammlung kann keine Haft-
bedingungen hinnehmen, unter denen den Häft-
lingen Nahrung und Wasser vorenthalten, der
Zugang zu ihren Anwälten verwehrt wird und sie
zur Erzwingung von Geständnissen körperli-
chem und seelischem Druck und Misshandlun-
gen ausgesetzt werden.

10. Im Lichte des oben Dargestellten fordert die Ver-
sammlung die aserbaidschanischen Behörden nach-
drücklich auf,

i. mit Unterstützung und Mitwirkung von Sachver-
ständigen und Parlamentariern des Europarates
einen nationalen parlamentarischen Untersu-
chungsausschuss einzusetzen zur Untersuchung
der Mängel bei den Wahlen und der Menschen-
rechtsverletzungen, die während und nach den
Wahlen stattfanden;

ii. Anhänger und Führer von Oppositionsparteien,
die nach den Wahlen in Haft genommen wurden,
freizulassen oder zügig vor Gericht zu stellen.
Alle Häftlinge müssen Zugang zu ihren Anwäl-
ten erhalten und das Recht auf einen fairen Pro-
zess bekommen. Die Unschuldsvermutung muss
beachtet werden, und die verhängten Strafen
sollten verhältnismäßig sein. Die Behörden müs-
sen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen,
um zu gewährleisten, dass keiner der Fälle, in de-

iii. die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um über
alle Fälle von Misshandlungen und Folterungen
zu ermitteln und, falls erforderlich, eine Strafver-
folgung einzuleiten. Für an solchen Praktiken be-
teiligte Beamte sollte keine Straffreiheit gelten;

iv. Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls ge-
setzgeberisch tätig zu werden, um die Medien,
NGOs, politische Aktivisten oder ihre Angehöri-
gen vor einer Einschüchterung und Schikanie-
rung durch die Behörden zu schützen;

v. Schritte einzuleiten, die es den Printmedien er-
lauben, frei und sachgerecht zu arbeiten, insbe-
sondere was den Zugang zu Papier, Druck- und
Vertriebseinrichtungen angeht;

vi. weiterhin dafür zu sorgen, dass für Wahlbetrug
und andere Verstöße gegen das Wahlgesetz ver-
antwortliche Wahlleiter vor Gericht gestellt wer-
den;

vii. die Wahlergebnisse in vollem Umfang und für
jedes Wahllokal zu veröffentlichen und die
schweren Unregelmäßigkeiten, die während des
Wahlprozesses von 2003 vorkamen, offiziell ein-
zuräumen;

viii. sofort mit der Erstellung eines neuen Zivilregis-
ters zu beginnen, um die zurzeit noch mangelhaf-
ten Wählerverzeichnisse zu verbessern. Dieser
Prozess sollte transparent sein und eine ord-
nungsgemäße Registrierung der Wähler für die
2004 anstehenden nächsten Kommunalwahlen
gewährleisten;

ix. das Gesetz über das Statut des Verfassungsge-
richts zu verabschieden und die einschlägigen
Verfahrensordnungen, die für die sachgerechte
Arbeit dieser neu geschaffenen Institution von
wesentlicher Bedeutung sind, entsprechend wei-
ter zu überarbeiten;

x. die Reform des Gerichtswesens effektiv voranzu-
treiben und unverzüglich umzusetzen, um die
volle Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit die-
ser Institution zu gewährleisten, wobei die Emp-
fehlungen der Sachverständigen des Europarates
vom Dezember 2002 berücksichtigt werden soll-
ten;

xi. zur Bewertung durch den Europarat, in Überein-
stimmung mit den anfänglich festgelegten Pflich-
ten und Verpflichtungen, zu denen sich Aserbaid-
schan bei seinem Beitritt bekannt hatte, zügig
den Wortlaut folgender Gesetze zu übermitteln,
bevor sie von dem Präsidenten unterzeichnet
werden:

– Gesetz gegen Korruption,

– Gesetz über die Eintragung von rechtlichen
Einheiten,
nen ermittelt wird, zu neuen Fällen politischer
Häftlinge führt; – Gesetz über die anwaltliche Tätigkeit,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 15 – Drucksache 15/2788

– Gesetz über den öffentlich-rechtlichen Rund-
funk,

– Gesetz über den Zugang zu Informationen,

um vor ihrem Inkrafttreten sicherzustellen, dass
sie in vollem Umfang den Standards des Europa-
rates entsprechen;

xii. geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die übri-
gen in der Entschließung 1305 (2002) angegebe-
nen Pflichten und Verpflichtungen zu erfüllen.

11. Die Versammlung kann eine Beendigung des derzei-
tigen Überwachungsverfahrens so lange nicht ins
Auge fassen, wie Aserbaidschan bei den offenen Fra-
gen keine substanziellen Fortschritte gemacht hat und
insbesondere nicht unter Beweis gestellt hat, dass es
in der Lage ist, international anerkannten Standards
genügende freie und faire Wahlen abzuhalten.

12. Sie verweist darauf, dass der Abschluss des Überwa-
chungsverfahrens erst dann ins Auge gefasst werden
kann, wenn alle wesentlichen Verpflichtungen erfüllt
sind, wozu unter anderem im Falle von Aserbaid-
schan und Armenien eine Vereinbarung über die
friedliche Regelung des Konflikts in Bezug auf Berg-
karabach und die anderen besetzten Gebiete von
Aserbaidschan gehört, eine Frage, die nunmehr seit
über acht Jahren nicht gelöst ist.

13. Daran erinnernd, dass die Versammlung in der
Stellungnahme Nr. 221 (2002) die Auffassung ver-
trat, der gleichzeitige Beitritt Aserbaidschans und Ar-
meniens könne dazu beitragen, das Klima des Ver-
trauens und der Entspannung zu schaffen, das für
eine friedliche Beilegung des Bergkarabach-Kon-
flikts erforderlich ist und unter Hinweis auf ihren
Aufruf an die aserbaidschanischen und armenischen
Behörden, ihren Dialog fortzusetzen, um der regiona-
len Zusammenarbeit neue Impulse zu geben, die zu
diesem Klima beitragen könnten, ruft die Versamm-
lung das Präsidium der Versammlung auf, zu prüfen,
wie der eingeleitete regionale parlamentarische Dia-
log und die regionale parlamentarische Zusammenar-
beit, an denen auch die Parlamentspräsidenten betei-
ligt sind, möglichst bald wiederhergestellt und
vorangebracht werden können.

14. In der Zwischenzeit erwartet die Parlamentarische
Versammlung von den aserbaidschanischen Behör-
den den eindeutigen Nachweis ihres Eintretens für
die Grundsätze, auf denen der Europarat errichtet
wurde, wie auch für die Werte eines demokratischen,
humanistischen und toleranten Europas. In diesem
Zusammenhang fordert die Versammlung die aser-
baidschanischen Behörden mit größtem Nachdruck
dazu auf, unverzüglich insbesondere die in Absatz 9
dieser Entschließung erwähnten Fragen anzugehen.

15. Die Versammlung fordert außerdem die aserbaid-
schanische Parlamentsdelegation und das gesamte

müssen, um den Empfehlungen der Versammlung
Folge zu leisten.

16. Sollten vor Juni 2004 keine Fortschritte zu verzeich-
nen sein, kann die Versammlung beschließen, die Ra-
tifikation der Beglaubigungsschreiben der aserbaid-
schanischen Parlamentsdelegation beim Europarat
gemäß Artikel 12 der Entschließung 1115 (1997) so-
wie Artikel 9 ihrer Geschäftsordnung erneut zu prü-
fen.

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 5 9 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Politische Häftlinge in Aserbaidschan

(Drucksache 10026)

1. Die Versammlung verweist auf ihre Stellungnah-
me Nr. 222 (2000) und insbesondere deren Ab-
satz 14.iv.b, in der sie Aserbaidschan bat, diejenigen
Häftlinge freizulassen oder erneut vor Gericht zu
stellen, die von für den Schutz der Menschenrechte
arbeitenden Organisationen als „politische Häftlinge“
betrachtet werden, und zwar vor allem Herrn Iskander
Gamidow, Herrn Alikram Gumbatow und Herrn
Raqim Gasijew.

2. In ihrer Entschließung 1272 (2002) fordert die Ver-
sammlung die aserbaidschanischen Behörden nach-
drücklich auf, das Problem der politischen Häftlinge
zu lösen, da die Existenz politischer Häftlinge mit der
Mitgliedschaft Aserbaidschans im Europarat nicht
vereinbar ist.

3. Die auf den von NGOs bereitgestellten Listen aufge-
führten Häftlinge, die begründeterweise als politische
Häftlinge beschrieben werden können, gehören in
verschiedene Kategorien. Es handelt sich insbeson-
dere um Menschen, die vor ihrer Verhaftung politisch
aktiv waren und deren Inhaftierung der Regierung
politisch gelegen kommt; Menschen, die bewusst
oder unbewusst ein führendes Regierungsmitglied
beleidigt hatten; Menschen, die trotz unzureichender
oder strittiger Beweise und glaubwürdiger Geltend-
machung falscher Zeugenaussagen inhaftiert wurden
sowie Freunde und Verwandte bestimmter Leute, de-
ren einzige Zuwiderhandlung in dieser Freundschaft
oder Verwandtschaft bestand. Die Versammlung ist
der Auffassung, dass die festgelegten objektiven Kri-
terien zur Definition des Begriffs „politische Häft-
linge“ in Armenien und Aserbaidschan gelten.

4. Viele der politischen Häftlinge sind wegen Gesetzen
über Landesverrat oder staatsfeindliche Tätigkeiten
angeklagt, bei denen eine überaus subjektive Inter-
pretation möglich ist. Andere behaupten, sie seien
ohne hinreichende Beweise verurteilt worden, was

* Debatte der Versammlung am 27. Januar 2004 (2. Sitzung) (siehe
Dok. 10026, Bericht des Ausschusses für Recht und Menschenrech-
te, Berichterstatter: Herr Bruce, Dok. 10047, Stellungnahme des Po-
Parlament auf, voll und ganz die Maßnahmen zu un-
terstützen, die von den Behörden ergriffen werden

´ )litischen Ausschusses, Berichterstatter: Herr Muratovic . Von der
Versammlung verabschiedeter Text am 27. Januar 2004 (2. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 16 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

selbst der vorsitzende Richter anerkannt habe. Das ist
betrüblicherweise eine der typischen Methoden, derer
sich die früheren kommunistischen Regime bedien-
ten, um Dissidenten aus dem Wege zu räumen.

5. Die Versammlung unterstützt die Initiative des Gene-
ralsekretärs des Europarates, die Arbeit der unabhän-
gigen Sachverständigen, die für die Ermittlung neuer
Fälle politischer Häftlinge zuständig sind, auf der
Grundlage der objektiven Kriterien um ein zweites
Mandat zu verlängern. In diesem Zusammenhang
nimmt sie mit Befriedigung den Zwischenbericht des
Generalsekretärs in Bezug auf die Arbeit seiner unab-
hängigen Sachverständigen vom 9. Januar 2004 so-
wie die bestehende Zusammenarbeit zwischen den
aserbaidschanischen Behörden und den unabhängi-
gen Sachverständigen zur Kenntnis. Die Versamm-
lung begrüßt es, dass die aserbaidschanischen Behör-
den von den 31 Personen, die von den unabhängigen
Sachverständigen bei den insgesamt 73 abschließen-
den Stellungnahmen als politische Häftlinge bezeich-
net wurden, 25 Personen entlassen, die nicht verbüßte
Gefängnisstrafe einer Person um die Hälfte erlassen
und beschlossen haben, die Verfahren für vier Perso-
nen wieder neu aufzurollen.

6. Die Versammlung nimmt die Liste der Fälle mutmaß-
licher politischer Häftlinge (212 Namen) zur Kennt-
nis, die zurzeit von den unabhängigen Sachverständi-
gen geprüft wird und ihr am 3. April 2003 offiziell
zugeleitet wurde. Die Versammlung stellt fest, dass
aus der zuvor erwähnten Liste noch 54 Fälle von den
unabhängigen Sachverständigen zu prüfen sind. Da-
rüber hinaus ist die Versammlung der Auffassung,
dass die unabhängigen Sachverständigen auch die
88 Fälle prüfen könnten, die leider vergessen wurden,
als die anfängliche Liste von 716 mutmaßlichen poli-
tischen Häftlingen erstellt wurde sowie die neuen
Fälle mutmaßlicher politischer Häftlinge, die zwi-
schen dem 1. Januar 2001 und dem 15. April 2002,
dem Tag des Inkrafttretens der Europäischen Men-
schenrechtskonvention in Aserbaidschan, ans Licht
kamen.

7. Die politischen Häftlinge, die von den Sachverständi-
gen auf der letztgenannten Liste als solche identi-
fiziert werden, sind wie die zu behandeln, die zuvor
als solche anerkannt wurden. Dementsprechend ver-
langt die Versammlung die sofortige Freilassung die-
ser Häftlinge.

8. Die Versammlung begrüßt die Begnadigungen, die
von dem Präsidenten der Republik seit der letzten im
Januar 2002 angenommenen Entschließung ausge-
sprochen wurden. Aufgrund dieser Begnadigungen
vom 13. März 2002, dem 27. Mai 2002, dem 28. Ok-
tober 2002, dem 11. Februar 2003, dem 17. Juni 2003,
dem 26. August 2003 und dem 29. Dezember 2003
wurden insgesamt 284 Häftlinge, die von einer Reihe
von Nichtregierungsorganisationen als politische
Häftlinge eingestuft wurden, freigelassen, darunter

dem den Umstand, dass sich unter diesen aufgrund
von Begnadigungen freigelassenen Personen fünf
Häftlinge befinden (Nariman Imranov, Guseynbala
Guseynov, Qalib Abdullayev, Ilgar Safikhanov und
Iskander Gamidow), die auf der Liste der „Pilotfälle“
stehen und von den unabhängigen Sachverständigen
im Oktober 2001 als politische Häftlinge bezeichnet
wurden und begrüßt insbesondere die Freilassung
von I. Gamidow. Darüber hinaus wurden von den
42 von den Berichterstattern besuchten Häftlingen
14 freigelassen.

9. Seit der Verabschiedung der Entschließung 1272
(2002) im Januar 2002 sind fünf politische Häftlinge,
die in dem Sachverständigenbericht vom 24. Oktober
2001 als solche beschrieben wurden, freigelassen
worden. Vier der Personen, die auf der Liste der in
diesem Bericht genannten politischen Häftlinge ste-
hen, sind noch in Haft. Außerdem wurde ein neuer
Prozess für zwei der drei „symbolischen“ Häftlinge
eröffnet.

10. Die Versammlung bedauert, wie die neuen Prozesse
von Gumbatow und Gasijew durchgeführt werden
und glaubt nicht, dass sie den Standards und Prinzi-
pien des Europarates genügen. Nur im Falle von
R. Gasijew, der in Abwesenheit verurteilt wurde,
könnte ein neues Verfahren wirklich gerechtfertigt
sein. Da Herr Gumbatow von den Sachverständigen
als politischer Häftling bezeichnet worden war, sollte
er ohne neues Urteil freigelassen werden. Die Ver-
sammlung bedauert das neue Urteil, das Anfang Juli
gegen Herrn Gumbatow erging, der einmal mehr zu
Lebenslänglich verurteilt wurde. Die Versammlung
bekräftigt ihr Vertrauen in die unabhängigen Sach-
verständigen, die in ihrer Stellungnahme vom Ok-
tober 2001 diese Personen als politische Häftlinge
betrachteten und verlangt erneut die sofortige Freilas-
sung von Herrn Gumbatow und Herrn Gasijew, die
im Dezember 2003 zu 15 Jahren Haft verurteilt wur-
den.

11. Insbesondere fordert die Versammlung die aserbaid-
schanischen Behörden auf, eine dauerhafte Lösung
für dieses Problem zu finden und beklagt die Tatsa-
che, dass die aserbaidschanischen Behörden weiter-
hin behaupten, es handle sich bei dem angesproche-
nen Problem in erster Linie um eine Rechtsfrage, die
Mehrheit der Häftlinge seien außerdem gewöhnliche
Kriminelle und dass es angesichts des – angeblichen –
Drucks der Öffentlichkeit Monate, wenn nicht Jahre
dauern werde, bis alle diese Häftlinge entlassen
seien.

12. Nach Ansicht der Versammlung darf das Problem der
Existenz politischer Häftlinge nicht allein unter dem
rechtlichen Blickwinkel betrachtet werden, sondern
stellt ein reales politisches Problem dar, das auch als
solches behandelt werden sollte. Wenn politische Ak-
teure unangemessenerweise in Haft sitzen oder im
Exil leben müssen und sie daran gehindert werden,
mehr als 60 Häftlinge, die von dem Präsidenten
Ilham Alijew begnadigt wurden. Sie begrüßt außer-

bei Wahlen zu kandidieren, ist die Durchführung fai-
rer Wahlen in Gefahr.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17 – Drucksache 15/2788

13. Nachdem die Versammlung erfahren hat, dass seit
dem Beitritt Aserbaidschans zum Europarat weitere
Häftlinge verurteilt worden sind, die nach Ansicht
bestimmter Nichtregierungsorganisationen, zu denen
der Berichterstatter und die Gemeinsame Arbeits-
gruppe (JWP) fruchtbare Kontakte unterhalten, eben-
falls als politische Häftlinge betrachtet werden soll-
ten und dass einige Personen, die seit den Ereignissen
nach den Wahlen vom 15./16. Oktober 2003 auch zu
künftigen mutmaßlichen politischen Häftlingen wer-
den könnten, wenn sie nicht freigelassen werden,
bringt sie über diese Ereignisse ihre tiefste Besorgnis
zum Ausdruck.

14. Die Versammlung fordert die aserbaidschanischen
Behörden nachdrücklich auf, diejenigen, die nach
den Ereignissen vom 15. und 16. Oktober 2003 nach
den Wahlen inhaftiert wurden, freizulassen oder zü-
gig vor Gericht zu bringen. Allen Häftlingen muss
Zugang zu ihren Anwälten gewährt werden sowie das
Recht auf einen fairen Prozess. Die Unschuldsvermu-
tung muss beachtet werden, und die verhängten Stra-
fen sollten verhältnismäßig sein. Die Behörden müs-
sen alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um zu
gewährleisten, dass keiner der Fälle, in denen ermit-
telt wird, zu neuen Fällen politischer Häftlinge führt.

15. Es gibt neue Fälle von Personen, deren Namen nicht
auf der ersten Liste von 716 mutmaßlichen politischen
Häftlingen stehen, sowie nach dem 1. Januar 2001
verurteilte Personen, die ebenfalls sofort freigelassen
werden sollten.

16. Die Versammlung ermutigt alle mutmaßlichen politi-
schen Häftlinge, die seit der Ratifizierung der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention durch Aser-
baidschan verurteilt worden sind, von ihrem Recht
Gebrauch zu machen, bei dem Europäischen Ge-
richtshof für Menschenrechte eine Individual-
beschwerde einzureichen.

17. Die Versammlung sieht sich zu dem Hinweis ver-
anlasst, dass die Mitgliedschaft Aserbaidschans im
Europarat in eine kritische Phase eintritt, wenn das
Problem der politischen Häftlinge nicht bis zur
Herbsttagung 2004 der Versammlung eine Lösung
gefunden hat.

18. Die Versammlung ersucht die aserbaidschanische Re-
gierung in aller Form um die unverzügliche Freilas-
sung aus humanitären Gründen derjenigen politi-
schen Häftlinge, die sich entweder in einem sehr
schlechten Gesundheitszustand befinden, deren Ver-
fahren zu Unrecht angestrengt wurden oder die politi-
sche Aktivisten bzw. führende Mitglieder früherer
Regierungen waren sowie ihrer Angehörigen,
Freunde oder ihnen nahe stehender Personen.

19. Darüber hinaus ruft die Versammlung die aserbaid-
schanische Regierung auf, die auf der Liste der Sach-

20. Die Versammlung fordert den Generalsekretär des
Europarates auf,

i. seine Sachverständigen zur möglichst baldigen
Erfüllung ihres zweiten Mandats anzuweisen;

ii. die Verlängerung der Arbeit der Sachverständigen
um ein drittes Mandat ins Auge zu fassen, um eine
zusätzliche Liste mit 88 Namen anderer mutmaß-
licher politischer Häftlinge, die bei der Erstellung
der ersten Liste von 716 mutmaßlichen politi-
schen Häftlingen leider vergessen worden waren,
sowie neue Fälle mutmaßlicher politischer Häft-
linge zu prüfen, die zwischen dem 1. Januar 2001
und dem 15. April 2002, dem Tag des Inkrafttre-
tens der Europäischen Menschenrechtskonven-
tion in Aserbaidschan, ans Licht kamen;

iii. die Mitgliedstaaten des Europarates aufzufordern,
mit größter Umsicht zu handeln, wenn ihnen Aus-
lieferungsersuchen für aserbaidschanische Staats-
bürger zugehen;

iv. der Versammlung die Ergebnisse der Arbeit der
Gruppe unabhängiger Sachverständiger, welche
Fälle mutmaßlicher politischer Häftlinge unter-
suchen, zur Verfügung zu stellen, damit sie über
zukünftige Maßnahmen in diesem Bereich einen
Beschluss treffen kann.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Die angefochtenen Beglaubigungsschreiben
der parlamentarischen Delegationen

Irlands und Maltas

(Drucksache 10051)

Berichterstatter:
Abg. František Kroupa (Tschechische Republik)

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 0 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die angefochtenen Beglaubigungsschreiben
der parlamentarischen Delegationen

Irlands und Maltas

(Drucksache 10051)

1. Die Parlamentarische Versammlung nimmt Bezug
auf Artikel 6 Absatz 2 ihrer Geschäftsordnung, wo-
nach in den nationalen Delegationen das unterreprä-
sentierte Geschlecht zumindest in dem gleichen Pro-
zentsatz wie in ihren Parlamenten vertreten sein
sollte und die Delegationen auf jeden Fall ein Mit-
glied jeden Geschlechts umfassen sollten.

2. Die Versammlung stellt fest, dass die parlamentari-
sche Delegation Irlands, die sich aus vier Mitgliedern

* Debatte der Versammlung am 27. Januar 2004 (3. Sitzung) (siehe
Dok. 10051, Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Im-
verständigen bereits angegebenen übrigen politischen
Häftlinge freizulassen.

munitäten, Berichterstatter: Herr Kroupa). Von der Versammlung
verabschiedeter Text am 27. Januar 2004 (3. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 18 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

und vier stellvertretenden Mitgliedern männlichen
Geschlechts zusammensetzt, und die parlamentari-
sche Delegation Maltas, die sich aus drei Mitgliedern
und drei stellvertretenden Mitgliedern männlichen
Geschlechts zusammensetzt, nicht das zuvor ge-
nannte Erfordernis erfüllen.

3. Sie stellt ferner fest, dass der Parlamentspräsident
von Malta in einem Schreiben an den Präsidenten der
Parlamentarischen Versammlung darauf hingewie-
sen hat, dass sich Größe und Zusammensetzung des
maltesischen Parlamentes bislang als Hindernis für
die Aufnahme eines Mitglieds jeden Geschlechts in
die Delegation bei der Parlamentarischen Versamm-
lung erwiesen hätten.

4. Das Sekretariat der irischen Delegation hat ebenfalls
schriftlich Gründe dargelegt, weshalb keine Parla-
mentarierin der Delegation angehört.

5. Die Versammlung stellt fest, dass die Beglaubigungs-
schreiben beider parlamentarischer Delegationen zu-
recht angefochten wurden mit der Begründung, dass
ihnen nicht zumindest eine Vertreterin des weiblichen
Geschlechtes angehört (Artikel 7 Absatz 1.b der Ge-
schäftsordnung).

6. Daher beschließt die Versammlung, die Beglaubi-
gungsschreiben der irischen sowie der maltesischen
parlamentarischen Delegation zu ratifizieren, jedoch
die Stimmrechte ihrer Mitglieder in der Versamm-
lung und in deren Gremien im Einklang mit Arti-
kel 7.3.c so lange auszusetzen, bis die Zusammen-
setzung dieser Delegationen im Einklang mit
Artikel 6.2. steht.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Ansprache des Generalsekretärs
des Europarates,

Walter Schwimmer

Frage des Abg. Rudolf Bindig (SPD):
Ich habe eine Frage in Bezug auf die Beziehungen des
Generalsekretärs zum Gerichtshof. Für die Richter am
Gerichtshof gibt es bisher nur vorläufige Beschäftigungs-
bedingungen, welche ihnen keinen sozialen Schutz ge-
währen. Welche Schritte hat der Generalsekretär seit Be-
ginn seiner Amtszeit unternommen, um seiner rechtlichen
Pflicht nachzukommen, einen Vorschlag zur Überprüfung
dieser vorläufigen Richtlinien vorzulegen, und was sind
die Gründe für sein bisheriges Nichtstun?

Antwort des Generalsekretärs:
Vielen Dank für diese Frage, Herr Bindig. Sie gibt mir
Gelegenheit, die Situation zu klären. Es stimmt, dass das
Ministerkomitee 1997 meinen Vorgänger beauftragt hat,
innerhalb eines Jahres Vorschläge vorzulegen über eine
vollkommen neue Fassung des vorläufigen Statuts für die
Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschen-

Als ich meine Arbeit aufnahm und feststellte, wie die
Sachlage war, habe ich zahlreiche Konsultationen ein-
geleitet. Schließlich hat mir das Ministerkomitee im Jahre
2002 das Mandat übertragen, neue Vorschläge vorzu-
legen.

Ich habe den Präsidenten des Gerichtshofes konsultiert
und habe mit seiner Zustimmung drei unabhängige Sach-
verständige mit dieser Aufgabe betraut. Einer war Richter
am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der
zweite war ein hochangesehener britischer Richter und
der dritte Professor für Sozial- und Arbeitsrecht. Ich habe
sie gebeten, den Fall zu prüfen, und im November 2002
haben sie ihren Bericht vorgelegt. Er enthält Vorschläge
über Sozialversicherungsregelungen, betont jedoch auch,
dass hinsichtlich der entscheidenden Frage der Ruhege-
haltsrechte der Richter, eine versicherungsmathema-
tische Prüfung erforderlich sei aufgrund des Zusammen-
hangs mit den Ausgaben.

Nach Konsultation des Präsidenten des Gerichtshofes und
des Gerichtshofes selbst und mit ihrer Zustimmung habe
ich ein versicherungsmathematisches US-Unternehmen
beauftragt, eine Studie zu erstellen. Dieses Unternehmen
und der Gerichtshof haben unmittelbaren Kontakt zuein-
ander aufgenommen mit dem Ergebnis, dass der Bericht
im Oktober 2003 fertig war. Ich habe unverzüglich den
Direktor für Allgemeine Verwaltung und Logistik ange-
wiesen, Vorschläge auszuarbeiten zur Erörterung mit dem
Ministerkomitee, welches das zuständige Organ für die
Beschlussfassung ist.

In der Zwischenzeit hat der Gerichtshof selbst einen Vor-
schlag für eine neue geänderte Resolution erarbeitet. Es
war daraufhin erforderlich, mit den Ministern im Verbin-
dungsausschuss und im Treffen der Ministerdelegierten
darüber Gespräche zu führen, wie sie die Situation sehen.
Ziel war eine Klärung des Mandates, und vor wenigen Ta-
gen baten sie mich, Vorschläge bis Ende März vorzule-
gen.

Eine Menge Arbeit ist bereits erledigt, und wir hoffen in
wenigen Monaten, abschließende Ergebnisse vorlegen zu
können.

Frage der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP):

Seit einem Jahr ist eine wichtige Personalstelle beim
Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, Kanzler einer
der vier Sektionen, unbesetzt. Angesichts des Arbeitsan-
falls ist dies nicht vertretbar. Werden Sie, Herr General-
sekretär, baldmöglichst die Blockade bei der Besetzung
dieser Position auflösen und die Ernennung auf der
Grundlage des Vorschlags der Richter, die sich für einen
Bewerber im Wahlverfahren ausgesprochen haben, auf-
lösen?

Antwort des Generalsekretärs:
In dieser Frage möchte ich schnellstmöglich weiterkom-
men, und ich habe einige wichtige Maßnahmen ergriffen.
rechte. Es stimmt auch, dass diese Aufgabe nicht abge-
schlossen wurde.

Die Geschäftsordnung des Gerichtshofes sowie die Mit-
arbeiterregelungen sehen eine Ernennung beim Europäi-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 19 – Drucksache 15/2788

schen Gerichtshof für Menschenrechte durch den Gene-
ralsekretär des Europarates mit Zustimmung des
Präsidenten des Gerichtshofes vor, jedoch nicht für das
gewählte Amt des Kanzlers und des stellvertretenden
Kanzlers.

Der Verwaltungsgerichtshof des Europarates hat während
der Amtszeit meines Vorgängers einen Fall behandelt, als
die Arbeitsgruppe „Beförderung“ vorgeschlagen hatte,
eine bestimmte Person zu ernennen. Mein Vorgänger
wollte diese Person ernennen, aber der Präsident des Ge-
richtshofes hat, was sein Recht ist, nicht zugestimmt. Der
Gerichtshof machte meinen Vorgänger für diese Situation
verantwortlich, und er war verpflichtet, der Person, die er
ernennen wollte, einen Schadensausgleich zukommen zu
lassen. Dies ist sicherlich keine befriedigende Situation,
daher habe ich dem Präsidenten des Gerichtshofes und
den Richtern vorgeschlagen, eine Arbeitsgruppe einzu-
setzen, um eine Lösung zu finden.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

(Drucksache 10029)

Berichterstatter:
Abg. Paschal Mooney (Irland)

(Themen: die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks in den entwickelten Demokratien Westeuro-
pas und den neuen demokratischen Staaten Mittel- und
Osteuropas – öffentlich-rechtlicher Rundfunk als Kern-
element der Demokratie in Europa – die Garantie der
wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks – der öffentlich-recht-
liche Rundfunk als Qualitätsmaßstab – die Einbezie-
hung aller Gesellschaftsgruppen – die Abhängigkeit der
Fernsehsender von der Regierung in Russland)

E m p f e h l u n g 1 6 4 1 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

(Drucksache 10029)

1. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein lebens-
wichtiger Bestandteil der Demokratie in Europa, doch
er ist bedroht. Politische und wirtschaftliche Interessen,
zunehmender Wettbewerb durch kommerzielle Me-
dien, Medienkonzentrationen und finanzielle Schwie-
rigkeiten stellen ihn vor Herausforderungen. Ebenso
sieht er sich der Aufgabe gegenüber, sich an die Glo-
balisierung und die neuen Technologien anzupassen.

2. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, ob er nun von
öffentlichen Anstalten oder Privatunternehmen be-
trieben wird, unterscheidet sich vom aus rein kom-

merziellen oder politischen Gründen betriebenen
Rundfunk durch seinen spezifischen Auftrag, der im
Wesentlichen darin besteht, seine Tätigkeit unabhän-
gig von wirtschaftlicher und politischer Macht aus-
zuüben. Er versorgt die gesamte Gesellschaft mit In-
formationen, Kultur, Bildung und Unterhaltung,
bringt die Bürger im sozialen, politischen und kultu-
rellen Bereich weiter und fördert den gesellschaft-
lichen Zusammenhalt. Deshalb ist er im Regelfall bei
den Inhalten wie beim Zugang universell angelegt,
dient als Qualitätsmaßstab, bietet allen gesellschaft-
lichen Gruppen eine beträchtliche Programm- und
Angebotsvielfalt und ist öffentlich rechenschafts-
pflichtig. Diese Grundsätze behalten unabhängig von
allen Veränderungen, die vorgenommen worden sein
mögen, um den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts
zu entsprechen, auch weiterhin ihre Geltung.

3. Es gibt Anlass zur Besorgnis, dass viele europäische
Staaten bisher nicht der Verpflichtung nachgekom-
men sind, die ihre Regierungen 1994 auf der
4. Europäischen Ministerkonferenz in Prag eingegan-
gen waren, ein starkes öffentliches Rundfunkwesen
zu erhalten und auszubauen. Ebenso beunruhigend ist
es, dass das Grundprinzip der Unabhängigkeit des öf-
fentlich-rechtlichen Rundfunks, wie es in der Emp-
fehlung Nr. R(96)10 des Ministerkomitees enthalten
ist, in einer Reihe von Mitgliedstaaten immer noch
nicht fest verankert ist. Darüber hinaus sind Regie-
rungen überall auf dem Kontinent dabei, ihre Me-
dienpolitik angesichts der Entwicklung der Digital-
technologie umzuorientieren, und dabei besteht die
Gefahr, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur
noch unzureichend unterstützt wird.

4. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk entstand in West-
europa und hat sich im Zuge einer natürlichen Anpas-
sung entsprechend den Bedürfnissen einer reifen De-
mokratie entwickelt. In Mittel- und Osteuropa ist er
noch kein Teil des gesellschaftlichen Gefüges, denn er
wurde in ein Umfeld „verpflanzt“, dem es an der nöti-
gen politischen Kultur und Managementkultur fehlte,
dessen Zivilgesellschaft noch schwach ist, über unzu-
reichende Mittel verfügt und dem Wert öffentlicher
Dienstleistungen nicht viel abgewinnen kann.

5. Die Lage in Europa ist unterschiedlich. An dem einen
Extrem untersteht der landesweite Rundfunk weiter-
hin einer strikten Kontrolle seitens der Regierung,
und in absehbarer Zukunft bestehen kaum Aussichten
auf die Einführung des öffentlich-rechtlichen Rund-
funks durch eine entsprechende Gesetzgebung. So trug
zum Beispiel in Russland das Fehlen eines unabhän-
gigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks wesentlich
dazu bei, dass es im Vorfeld der letzten Parlaments-
wahlen, wie die Internationale Wahlbeobachtungs-
mission anmerkte, nicht zu einer ausgewogenen poli-
tischen Diskussion kam. Bei der Verabschiedung der
erforderlichen Gesetzgebung über den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk, die den Anforderungen des
Europarates genügen könnte, sind auch in Aserbaid-

* Debatte der Versammlung am 27. Januar 2004 (3. Sitzung) (siehe
Dok. 10029, Bericht des Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und
schan, Georgien und der Ukraine so gut wie keine
Fortschritte erzielt worden.

Erziehung, Berichterstatter: Herr Mooney). Von der Versammlung
verabschiedeter Text am 27. Januar 2004 (3. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 20 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

6. In Bosnien-Herzegowina und im Kosovo wird der öf-
fentlich-rechtliche Rundfunk immer noch nach Vor-
schriften betrieben, die von außen durch die interna-
tionale Gemeinschaft auferlegt worden sind. Die
Annahme eines regelrechten Gesetzes hat sich in
Bosnien-Herzegowina infolge inneren Widerstands
gegen Strukturveränderungen und im Kosovo auf-
grund von Versuchen verzögert, die Finanzierung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu untergraben.

7. In anderen Ländern sind Gesetze über den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk verabschiedet worden, doch wi-
dersprechen einige Bestimmungen und Praktiken den
europäischen Standards. In Armenien werden alle
Mitglieder des Rats für öffentlichen Hörfunk und
Fernsehen vom Staatspräsidenten ernannt. Es wird
sich zeigen müssen, ob TeleRadio Moldova nach zwei
Gesetzesänderungen im Jahre 2003 in seinem Tages-
betrieb unabhängig sein kann. Die Ernennungen für
eine Serbische Rundfunkbehörde sind von Skandalen
umwittert, die erst noch ausgeräumt werden müssen.

8. Substanziellere Fortschritte sind in anderen Ländern
erzielt worden, auch wenn immer noch Probleme be-
stehen. Änderungen der Rundfunkgesetze, um die
politische Unabhängigkeit und die Finanzkraft zu
stärken, hat der Europarat Bulgarien und der „Ehe-
maligen Jugoslawischen Republik Mazedonien“
empfohlen. Es gibt weitere Versuche, Gesetze zu än-
dern, um sie einer herrschenden Mehrheit genehmer
zu machen, so im Falle des neuen kroatischen Hör-
funk- und Fernsehgesetzes. In großen finanziellen
Schwierigkeiten steckt der öffentlich-rechtliche
Rundfunk in der Tschechischen Republik, Ungarn
und der Slowakei.

9. Auch in Westeuropa wird auf den öffentlich-recht-
lichen Rundfunk Druck ausgeübt. Die BBC wurde
von der britischen Regierung wegen ihrer Bericht-
erstattung über den Irakkrieg attackiert. In Griechen-
land, Italien, Portugal und Spanien haben Verhält-
nisse, die mit unterschiedlichen Bezeichnungen wie
„Klientelpolitik“, „Staatspaternalismus“ und partito-
crazia belegt werden, die vollständige Lösung der öf-
fentlich-rechtlichen Sender aus der direkten, „hand-
greiflichen“ politischen Kontrolle verhindert. Die
Manipulation von Informationen unter politischem
Einfluss führte zu der bisher einmaligen Verurteilung
von TVE (Televisión Española) wegen ihrer Bericht-
erstattung über den Generalstreik im Juni 2002 in
Spanien. Die Politisierung der RAI durch eine einma-
lige Aufteilung der drei italienischen Kanäle auf die
wichtigsten politischen Parteien hat sich unter der jet-
zigen Regierung weiter verschlimmert.

10. Es besteht verstärkt die Neigung, über die bisherigen
Formen der Regulierung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks hinauszugehen und seine Verpflichtungen
präziser zu umreißen, oft durch Verträge, die durch
Rechenschaftsberichte für das Parlament, die Regie-
rung und/oder eine Regulierungsbehörde gestützt
werden. Vermehrte Beachtung finden die finanziellen

sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
mehr Stabilität verleihen, doch sollten sie nicht von
Regierungen als Instrument zur Untergrabung ihrer
finanziellen und satzungsmäßigen Stellung genutzt
werden. In jüngster Zeit in den Niederlanden und in
Frankreich getroffene Regierungsentscheidungen ha-
ben die Finanzierung ihrer öffentlich-rechtlichen
Sender schwerwiegend beeinträchtigt.

11. Manche Regierungen untersuchen mögliche Struk-
turveränderungen, die den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk in seinem Wesenskern treffen würden. Pri-
vatisierungspläne sind in Dänemark und in Portugal
diskutiert worden, ebenso auch in Italien mit dem vor
kurzem eingebrachten Entwurf einer Rundfunkge-
setzgebung („Gasparri-Gesetz“), der seitdem von
dem italienischen Staatspräsidenten wieder an das
Parlament rücküberwiesen worden ist. Im Vereinig-
ten Königreich wächst die Besorgnis über die Hal-
tung der Regierung zur Novellierung der Charta der
BBC, wobei der öffentliche Streit zwischen der An-
stalt und der Regierung diesen Sorgen Nahrung gibt.

12. In der großen Mehrzahl der Länder sind digitale Ka-
näle noch nicht in der Rundfunkgesetzgebung defi-
niert. Ebenso fehlen in den meisten Staaten eindeutig
Rechtsvorschriften über Internet-Aktivitäten des öf-
fentlich-rechtlichen Rundfunks. Das könnte seine Fä-
higkeit beeinträchtigen, sich auf neue Plattformen
auszudehnen.

13. Das Nebeneinanderbestehen öffentlich-rechtlicher
und kommerzieller Medien hat sehr zur Erneuerung
und Diversifizierung der angebotenen Inhalte beige-
tragen und sich positiv auf die Qualität ausgewirkt.
Allerdings sind kommerzielle Interessen bemüht, den
Wettbewerb seitens des öffentlich-rechtlichen Sek-
tors auf ein Minimum zu reduzieren. Oft wird das
EU-Wettbewerbsrecht genutzt, um die Finanzie-
rungssysteme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
anzugreifen. In dieser Hinsicht begrüßt die Versamm-
lung die Entscheidung des Europäischen Gerichts-
hofs in der Rechtssache Altmark in Bezug auf einen
Ausgleich für die Erfüllung öffentlich-rechtlicher
Pflichtaufgaben und fordert, dass mit diesem Urteil
mehr Klarheit für den öffentlich-rechtlichen Rund-
funk entstehen sollte. Kommerzielle Sender wenden
sich auch gegen die Möglichkeit des öffentlich-recht-
lichen Rundfunks, in neue Bereiche und neue Dienst-
leistungen hinein zu expandieren. Zu den jüngsten
Beispielen gehören die Internet-Aktivitäten der BBC
und die Pläne der deutschen ARD, das Internet zu
ihrer „dritten Säule“ zu machen, die unter dem Druck
der Privatsender aufgegeben werden mussten.

14. Kommerzielle Rundfunkanbieter behaupten außer-
dem, mit dem Übergang zum On-Demand-Mehr-
kanalrundfunk, wie die Digitalisierung ihn möglich
macht, könne der Markt alle Bedürfnisse abdecken
und würde damit auch die öffentlich-rechtlichen
Pflichtaufgaben erfüllen, die zurzeit den öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalten übertragen sind. Aller-
Aspekte des Betriebs öffentlich-rechtlicher Sender.
Solche Schritte sind zwar insofern zu begrüßen, als

dings gibt es keine Gewähr für die Qualität und die
Unabhängigkeit eines solchen Angebots oder dafür,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21 – Drucksache 15/2788

dass es unverschlüsselt („free-to-air“) bereitgestellt
wird, weltweit zugänglich ist und über längere Zeit-
räume hinweg ständig verfügbar bleibt.

15. Es wird anerkannt, dass bei populären Programm-
gattungen Überschneidungen mit dem kommerziel-
len Rundfunk vorliegen können. Allerdings gibt die
zunehmende Kommerzialisierung und Konzentra-
tion im Mediensektor mit der daraus folgenden Min-
derung der allgemeinen Qualität, wenn auch die öf-
fentlich-rechtlichen Anbieter sich darauf einlassen
sollten, jenen Recht, die den Missbrauch öffentlicher
Gelder für solche Zwecke kritisieren. Der öffentlich-
rechtliche Rundfunk durchläuft eine Identitätskrise,
da er vielfach versucht, seine öffentlich-rechtlichen
Pflichtaufgaben mit der Jagd nach hohen Quoten und
der Notwendigkeit zu verbinden, genügend Zu-
schauer zu finden, um seinen „öffentlichen“ Charak-
ter zu rechtfertigen oder ganz einfach Werbeeinnah-
men zu erzielen.

16. Die europäischen Staaten und die internationale Ge-
meinschaft ganz allgemein müssen aktiver in Bemü-
hungen eingebunden werden, als Richtschnur für die
nationale Politik auf diesem Gebiet allgemeine Stan-
dards und eine gute Praxis auszuarbeiten.

17. Deshalb empfiehlt die Versammlung dem Minister-
komitee,

i. ein neues politisches Grundsatzdokument über
den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verab-
schieden, dass die Entwicklungen seit der Prager
Ministerkonferenz bilanziert und für die Zukunft
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Standards
und Rechenschaftsmechanismen festlegt. Die an-
stehende Ministerkonferenz über Massenmedien-
politik in Kiew könnte in ihrem Aktionsplan die
Ausarbeitung eines solchen Dokuments vorsehen;

ii. die entsprechenden Strukturen des Europarates
zu mobilisieren, um für sachgerechte, transpa-
rente Überwachung, Hilfestellung und, wo dies
nötig ist, auch den erforderlichen Druck zu sor-
gen, damit die Mitgliedstaaten die geeigneten ge-
setzgeberischen, politischen und praktischen
Maßnahmen zur Unterstützung des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks ergreifen;

iii. spezifische Maßnahmen zu erwägen, um zu ge-
währleisten, dass in Aserbaidschan, Georgien,
Russland und der Ukraine möglichst bald eine
europäischen Standards genügende Gesetzge-
bung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
verabschiedet wird;

iv. eine enge Zusammenarbeit mit anderen interna-
tionalen Organisationen bei der Aufrechterhal-
tung seiner Standards in Bezug auf die freie Mei-
nungsäußerung sicherzustellen;

v. weiterhin darauf zu dringen, dass audiovisuelle
Dienstleistungen bei den WTO- und GATS-

vi. den Versuch zu unternehmen, dafür zu sorgen,
dass der Weltgipfel über die Informationsgesell-
schaft den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als
wichtigen Bestandteil des Aufbaus der Informa-
tionsgesellschaft gebührend anerkennt und zu-
gleich den Schock des damit verbundenen
schnellen Wandels lindert;

vii. die Regierungen der Mitgliedstaaten aufzurufen,

a. ihr Engagement für die Beibehaltung eines
starken, lebenssprühenden öffentlich-recht-
lichen Rundfunks zu bekräftigen und diesen
zugleich an die Erfordernisse des digitalen
Zeitalters anzupassen, zum Beispiel auf der
nächsten Europäischen Ministerkonferenz
über Massenmedienpolitik im Jahre 2004,
konkrete Schritte zur Umsetzung dieses poli-
tischen Ziels vorzunehmen und von jeder Ein-
mischung in die redaktionelle Unabhängig-
keit und institutionelle Autonomie öffentlich-
rechtlicher Rundfunkanstalten abzusehen;

b. einen geeigneten gesetzlichen, institutionel-
len und finanziellen Rahmen für die Arbeit
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie
seine Anpassung und Modernisierung abzu-
stecken, um den Bedürfnissen der Zuschauer
und den Erfordernissen des digitalen Zeit-
alters gerecht zu werden;

c. dem Umfeld der digitalen Medien entspre-
chende Bildungs- und Schulungsprogramme
für Journalisten zu erarbeiten.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Die Einhaltung der Pflichten und
Verpflichtungen durch Armenien

(Drucksache 10027)

Berichterstatter:
Abg. René André (Frankreich),
Abg. Jerzy Jaskiernia (Polen)

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 1 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die Einhaltung der Pflichten und
Verpflichtungen durch Armenien

(Drucksache 10027)

1. Armenien ist seit drei Jahren Mitglied des Euro-
parates. Am 26. September 2002 prüfte die Ver-
sammlung ihren ersten Bericht über die Fortschritte
Armeniens bei der Einhaltung seiner Pflichten und

* Debatte der Versammlung am 27. Januar 2004 (3. Sitzung) (siehe
Dok. 10027, Bericht des Ausschusses für die Einhaltung der von den
Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Pflichten und Ver-
Verhandlungen nicht als bloße „Ware“ betrachtet
werden;

pflichtungen (Überwachungsausschuss), Ko-Berichterstatter: Herr
André und Herr Jaskiernia). Von der Versammlung verabschiedeter
Text am 27. Januar 2004 (3. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 22 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Verpflichtungen. In der Entschließung 1304 gelangte
sie zu dem Schluss, dass „(Armenien) seit seinem
Beitritt zum Europarat … substanzielle Fortschritte
gemacht (hat)“, bedauerte jedoch gleichzeitig, dass
das Land einige grundlegende Verpflichtungen nicht
innerhalb der zuvor vereinbarten Fristen erfüllt habe.

2. 2003 war für Armenien ein ereignisreiches Wahljahr,
was zur Folge hatte, dass bei den gegenwärtigen Re-
formen keine weiteren Fortschritte erzielt wurden.
Dennoch machen die unbestreitbaren Anstrengungen
Armeniens seit September 2003 deutlich, dass sich
das Land einmal mehr verpflichtet fühlt, bei der Ein-
haltung seiner Pflichten und Verpflichtungen voran-
zukommen.

3. Die Versammlung stellt fest, dass Armenien alle
seine Verpflichtungen im Hinblick auf Übereinkom-
men erfüllt hat und begrüßt die erfolgte Ratifizierung
des Protokolls Nr. 6 zur Europäischen Menschen-
rechtskonvention, des Europäischen Rahmenüberein-
kommens über die grenzüberschreitende Zusammen-
arbeit und des Übereinkommens über Geldwäsche
sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung
von Erträgen aus Straftaten sowie die revidierte
Europäische Sozialcharta.

4. Sie ist der Ansicht, dass die Ratifizierung der revi-
dierten Europäischen Sozialcharta in Armenien posi-
tive soziale Fortschritte erlauben wird und bittet die
armenischen Behörden, eine umfassende Debatte
darüber in Gang zu bringen, wie soziale Rechte wirk-
sam gefördert werden sollten.

5. Die Abschaffung der Todesstrafe infolge der Rati-
fizierung des Protokolls Nr. 6 zur Europäischen Men-
schenrechtskonvention im September 2003 bedeutet
einen wesentlichen Fortschritt bei der Einhaltung der
Verpflichtungen und ist zugleich ein positives, star-
kes und symbolkräftiges Signal.

6. In diesem Zusammenhang begrüßt die Versammlung
die im April 2003 erfolgte Verabschiedung eines
neuen Strafgesetzbuchs, das die Todesstrafe nicht
mehr vorsieht und nimmt die Zusicherungen der ar-
menischen Behörden zur Kenntnis, wonach das
Durchführungsgesetz für das Strafgesetzbuch, das
gleichzeitig verabschiedet wurde und die Todesstrafe
für eine Reihe schwerer Straftaten beibehält, nach
dem Inkrafttreten des Protokolls Nr. 6 überholt ist.

7. Sie stellt fest, dass der Präsidialerlass vom 1. August
2003, durch den die Todesurteile für 42 Personen in
lebenslängliche Freiheitsstrafen umgewandelt wur-
den, bei einigen von diesen zu heftigen Protesten ge-
führt hat. Die Versammlung ist der Ansicht, dass
diese Frage fallweise angegangen werden sollte und
fordert die zuständigen Stellen nachdrücklich auf, die
Fälle derjenigen, die um eine Änderung des Urteils
oder einen neuen Prozess gebeten haben, möglichst
bald erneut zu prüfen.

keit seit September 2003 an. Sie begrüßt insbesondere
die Verabschiedung eines neuen Strafgesetzbuchs,
des Ombudsmann-Gesetzes, des Wehrersatzdienst-
gesetzes, des Mediengesetzes und des Hörfunk- und
Fernsehgesetzes.

9. Die Versammlung stellt fest, dass eine Reihe gesetz-
geberischer Verpflichtungen – Ausbau der kommu-
nalen Selbstverwaltung, Einführung eines unabhän-
gigen Ombudsmanns, Einsetzung unabhängiger
Regulierungsbehörden für den Rundfunk, Änderung
der Befugnisse des Verfassungsgerichtshofs und des
Zugangs zu diesem Gerichtshof, Reform des „Judi-
cial Council“ usw. – noch von einer Änderung der ar-
menischen Verfassung abhängen. Die Ablehnung der
Verfassungsreform bei der Volksabstimmung von
Mai 2003 hat das Inkrafttreten dieser grundlegenden
Reformen verzögert, von denen die meisten innerhalb
bestimmter Fristen abgeschlossen werden sollten, die
in der Richtlinie der Versammlung zum Beitritt Ar-
meniens zum Europarat festgelegt worden waren. In-
zwischen sind diese Fristen abgelaufen.

10. Die Versammlung ist der Ansicht, dass diese Ver-
pflichtungen nicht länger aufgeschoben werden dür-
fen und bittet die armenischen Behörden um die Be-
schleunigung der Überarbeitung der Verfassung. Sie
nimmt das Vorhaben der Behörden zur Kenntnis, die
Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft wirk-
lich in Erörterungen über die Zukunft der Institutio-
nen des Landes einzubeziehen. Allerdings erwartet
sie von den armenischen Behörden die Aufstellung
und Einhaltung eines detaillierten Zeitplans und die
schnelle Erarbeitung von Änderungsentwürfen zur
Verfassung, die dem Europarat bis Ende April 2004
zur Begutachtung vorzulegen sind, damit möglichst
bald und auf jeden Fall spätestens im Juni 2005 eine
Volksabstimmung abgehalten werden kann.

11. Die Versammlung stellt fest, dass in dem im Oktober
2003 verabschiedeten Ombudsmann-Gesetz fest-
gelegt ist, dass der Ombudsmann bis zur Novellie-
rung der Verfassung vom Präsidenten der Republik
ernannt wird. Die Versammlung erinnert ausdrück-
lich an ihre Empfehlung 1615 (2003) zur Einrichtung
des Ombudsmanns und ist der Ansicht, dass das vor-
gesehene Ernennungsverfahren keine ausreichenden
Garantien für die Unabhängigkeit des Ombudsmanns
umfasst, der das volle Vertrauen der Bürger genießen
muss. Sie fordert die armenischen Behörden nach-
drücklich auf, ein transparentes und glaubwürdiges
Interimsverfahren einzuführen, dass es der armeni-
schen Nationalversammlung unter Einschluss der
Oppositionsparteien ermöglicht, Kandidaturen zu
prüfen und dazu Stellung zu nehmen, während offi-
ziell das Recht des Präsidenten erhalten bleibt, den
erfolgreichen Bewerber zu ernennen.

12. Was das Recht auf freie und faire Wahlen angeht,
sieht die Versammlung sich gezwungen, ihre tiefe
Enttäuschung über die Durchführung der Wahlen
8. Was die nationale Gesetzgebung angeht, erkennt die
Versammlung die umfangreiche Gesetzgebungstätig-

– der Präsidentschaftswahlen im Februar und März
2003 und der Parlamentswahlen im Mai 2003 – zum

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 23 – Drucksache 15/2788

Ausdruck zu bringen, die mit schweren Unregel-
mäßigkeiten und massiven Betrugsmanövern verbun-
den waren und die internationalen Beobachter zu
dem Schluss gelangen ließen, dass der Wahlprozess
insgesamt gesehen internationalen Standards nicht
genügte. Sie bittet die armenischen Behörden,

i. das Wahlgesetz in enger Zusammenarbeit mit
dem Europarat und der OSZE/BDIMR zu über-
arbeiten, insbesondere die Bestimmungen über
die Zusammensetzung von Wahlausschüssen, die
Rolle und den Status von Beobachtern und die
Transparenz der Stimmauszählung und der Er-
mittlung der Gesamtergebnisse;

ii. Fälle von Wahlbetrug gründlich zu untersuchen
und der gerichtlichen Straffreiheit der dafür Ver-
antwortlichen bis Ende 2004 ein Ende zu setzen.

13. Die Versammlung ist zutiefst darüber beunruhigt,
dass die grundlegenden Reformen im Bereich des
Gerichtswesens und in Bezug auf die Unabhängigkeit
der Richterschaft immer noch nicht abgeschlossen
sind. Sie fordert die armenischen Behörden nach-
drücklich auf,

i. bis April 2004 einen genauen Zeitplan für die ef-
fektive Umsetzung dieser Reformen vorzulegen;

ii. die Gesetze über den Status der Richter, den
„Judicial Council“ und das Gerichtswesen bis
Ende 2004 zu verabschieden und dabei die Emp-
fehlungen und Gutachten des Europarates be-
rücksichtigen.

14. Die Versammlung ist bestürzt darüber, auf welch
skandalöse Weise weiterhin die willkürlichen Ver-
fahren in Bezug auf die Verwaltungshaft angewandt
werden, die im Verwaltungsgesetzbuch vorgesehen
und völlig unvereinbar mit ihrer scharf formulier-
ten Erklärung vom September 2002 in der Entschlie-
ßung 1304 ist, wonach die armenischen Behörden
diese Verfahren nicht mehr anwenden sollten. Sie
verurteilt entschieden die Festnahme und Schuldig-
sprechung von mehr als 270 Menschen – Mitglieder
der Oppositionsparteien, Sympathisanten und Amts-
inhaber –, zwischen den beiden Wahlgängen der Prä-
sidentschaftswahlen und am Ende des zweiten Wahl-
gangs. Sie erwartet von den armenischen Behörden
bis Februar 2004 die Erörterung der Frage der Ver-
waltungshaft im Verwaltungsgesetzbuch in Zusam-
menarbeit mit Sachverständigen des Europarates und
die Einreichung der Änderungsentwürfe für das
Europaratsgutachten bis April 2004.

15. Die Versammlung bittet die armenischen Behörden,
unverzüglich in Zusammenarbeit mit dem Europarat
mit der Prüfung der Frage des Gleichgewichts zu be-
ginnen, das zwischen der Versammlungs- und De-
monstrationsfreiheit und der Wahrung der öffent-
lichen Ordnung gefunden werden muss und ein
Gesetz über Demonstrationen und öffentliche Kund-

16. Was die Strafgesetzgebung angeht, ist festzuhalten,
dass die Versammlung

i. über den Umstand beunruhigt ist, dass die armeni-
sche Nationalversammlung am 5. November 2003
Änderungen des Strafgesetzbuchs verabschiedet
hat, durch die zu Lebenslänglich verurteilte Häft-
linge von einer Amnestie oder bedingten Entlas-
sung ausgeschlossen werden und dazu bemerkt,
dass diese Bestimmungen der Empfehlung 22
(2003) des Ministerkomitees über die bedingte
Entlassung völlig zuwiderlaufen. Sie fordert die
armenischen Behörden nachdrücklich auf, diese
Bestimmungen unverzüglich aufzuheben;

ii. die armenischen Behörden bittet, bis März 2004
in Zusammenarbeit mit Sachverständigen des
Europarates mit der Überarbeitung der
Artikel 135, 136 und 318 des Strafgesetzbuchs
zu beginnen, um jede Möglichkeit auszuschlie-
ßen, Beleidigungen und Verleumdungen mit ei-
ner Haftstrafe zu belegen;

iii. Armenien nachdrücklich auffordert, unverzüg-
lich in Zusammenarbeit mit Sachverständigen
des Europarates und unter gebührender Berück-
sichtigung der bereits ausgesprochenen und noch
zu erwartenden Empfehlungen die Überarbeitung
der Strafprozessordnung in Angriff zu nehmen.

17. Die Versammlung erwartet von den armenischen Be-
hörden weitere Anstrengungen zur Verbesserung der
Haftbedingungen, wozu auch die zügige Umsetzung
der Empfehlungen des Ausschusses für die Verhü-
tung von Folter gehören.

18. Sie bittet die Behörden außerdem, entschlossen und
aktiver als bisher Schritte einzuleiten, um bei Fehl-
verhalten von Strafverfolgern, insbesondere bei Ge-
walttaten, Misshandlungen, Korruption und Be-
stechung, die weiterhin an der Tagesordnung sind, für
Abhilfe zu sorgen. Sie erwartet von den Behörden bis
März 2004 eine Überarbeitung des Polizeigesetzes
entsprechend den Empfehlungen des Europarates.

19. Was die freie Meinungsäußerung und den Medien-
pluralismus angeht, ist die Versammlung über Ent-
wicklungen in den audiovisuellen Medien in Arme-
nien besorgt und äußert ernsthafte Zweifel am
Pluralismus in den elektronischen Medien, wobei sie
vor allem bedauert, dass die Verschwommenheit des
geltenden Gesetzes dazu geführt hat, dass die Staat-
liche Fernseh- und Hörfunkkommission für die Ver-
gabe von Rundfunklizenzen geradezu unbeschränkte
Vollmachten erhalten hat, insbesondere in Bezug auf
den Kanal A1+ TV. Sie stellt allerdings fest, dass im
Dezember 2003 das Gesetz über die Massenmedien
und ein Gesetz zur Änderung des Hörfunk- und Fern-
sehgesetzes angenommen wurden.

20. Was die kommunale Selbstverwaltung angeht, gilt für
die Versammlung, dass sie
gebungen zu verabschieden, welches den Grund-
sätzen und Standards des Europarates voll entspricht.

i. die Empfehlung 140 (2003) des Kongresses der
Gemeinden und Regionen Europas (KGRE) zur

Drucksache 15/2788 – 24 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

kommunalen Demokratie in Armenien zur
Kenntnis nimmt;

ii. von den armenischen Behörden erwartet, bis
April 2004 in voller Zusammenarbeit mit dem
KGRE und den Sachverständigen des Europara-
tes ein Gesetz über den Status von Eriwan, ein
Gesetz über die Territorialverwaltung des Staa-
tes, ein Gesetz über Gemeindepersonal sowie ein
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kom-
munale Selbstverwaltung zu beschließen;

iii. die armenischen Behörden bittet, bis April 2004
einen gezielten und definitiven Zeitplan für die
Umsetzung dieser Reformen vorzulegen.

21. Die Versammlung ist besorgt über das Ausmaß der
Korruption in Armenien, die unerträgliche Dimen-
sionen erreicht hat. Sie erwartet von den armenischen
Behörden eine wirkliche Einstellungsänderung und
die Bekundung eines echten politischen Willens, ge-
gen Korruption wirksam vorzugehen.

Die Versammlung

i. begrüßt die Mitgliedschaft Armeniens in der
Staatengruppe des Europarates gegen die Kor-
ruption (GRECO);

ii. begrüßt es, dass die armenische Regierung eine
nationale Strategie zur Bekämpfung der Korrup-
tion und den Aktionsplan zu ihrer Umsetzung
verabschiedet hat und dass sie diese dem Europa-
rat zur Stellungnahme vorgelegt hat;

iii. fordert die armenischen Behörden auf, eng mit
den Sachverständigen des Europarates zusam-
menzuarbeiten;

iv. erwartet von den armenischen Behörden, dass sie
schnell ein modernes und umfassendes Gesetz
über die Bekämpfung der Korruption ausarbeiten;

v. erwartet von den armenischen Behörden, dass sie
das Strafrechtsübereinkommen gegen Korruption
ratifizieren und das Zivilrechtsübereinkommen
gegen Korruption schnellstmöglich unterzeich-
nen und ratifizieren.

22. Die Versammlung begrüßt die Annahme des Geset-
zes zur Einführung eines militärischen und zivilen
Ersatzdienstes, der sich weitgehend mit der Empfeh-
lung 1518 (2001) über die Ausübung des Rechtes auf
Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissens-
gründen deckt. Sie betrachtet die auf 42 Monate fest-
gelegte Länge des zivilen Ersatzdienstes als unan-
nehmbar und exzessiv und verlangt hier vor dem
Inkrafttreten am 1. Juli 2004 eine entsprechende Ver-
kürzung des Dienstes auf 36 Monate.

23. Sie weist darauf hin, dass Armenien sich beim Bei-
tritt zum Europarat verpflichtete, inhaftierte Wehr-
dienstverweigerer aus Gewissensgründen zu begna-
digen. Sie bekundet ihre Empörung darüber, dass

fortige Freilassung durch eine Begnadigung durch
den Staatspräsidenten bis zum Inkrafttreten des Ge-
setzes über den zivilen Ersatzdienst am 1. Juli 2004.

24. Zur Religionsfreiheit hält die Versammlung fest,

i. dass die Zeugen Jehovas ungeachtet der einge-
gangenen Verpflichtung und der wiederholten
Appelle der Versammlung immer noch nicht als
religiöse Organisation eingetragen sind. Sie bit-
tet um die unverzügliche Vornahme dieser Ein-
tragung, nachdem ihre Satzung den geltenden
Gesetzen angepasst worden ist;

ii. dass sie die Zusicherungen der armenischen Be-
hörden zur Kenntnis nimmt, wonach die Verfü-
gung Nr. 551-A des Innenministeriums, die eine
schwerwiegende Diskriminierung und Beein-
trächtigung der Gewissens- und Religionsfreiheit
mit sich bringt, tatsächlich aufgehoben worden
ist;

iii. dass sie die armenischen Behörden bittet, ein
wirklich unabhängiges Gremium zu schaffen, in
dem alle religiösen Organisationen und Gemein-
schaften Armeniens vertreten sind.

25. Die Versammlung ruft die armenischen Behörden
außerdem dazu auf, in Zusammenarbeit mit den ent-
sprechenden internationalen Organisationen wirk-
same Maßnahmen zu ergreifen, um den Handel mit
Frauen und Minderjährigen zum Zweck der Prostitu-
tion zu verhindern und zu bekämpfen.

26. Im Hinblick auf die Beilegung des Bergkarabach-
Konflikts hält die Versammlung fest,

i. dass die Verhandlungen über eine Beilegung des
Konflikts in Bergkarabach und den besetzten Ge-
bieten Aserbaidschans keine Fortschritte erbracht
haben;

ii. dass sie die armenischen und die aserbaidschani-
schen Behörden aufruft, die Kontakte auf höchs-
ter Ebene zu intensivieren, um bald zu einer
friedlichen Beilegung dieser Angelegenheit zu
gelangen;

iii. dass sie sich über die schwerwiegenden Zwi-
schenfälle beunruhigt zeigt, die sich im Juli und
August 2003 im nordöstlichen Grenzgebiet er-
eigneten und Berichten zufolge 15 Tote gefordert
haben sollen.

27. Unter Hinweis darauf, dass die Versammlung in der
Stellungnahme 221 (2000) die Auffassung vertrat,
der gleichzeitige Beitritt Armeniens und Aserbaid-
schans könne zur Schaffung eines Klimas des Ver-
trauens und der Entspannung beitragen, das für eine
friedliche Lösung des Bergkarabach-Konflikts erfor-
derlich ist, und ihren Aufruf an die armenischen und
die aserbaidschanischen Behörden zur Kenntnis neh-
mend, ihren Dialog fortzusetzen, um der regionalen
Zusammenarbeit, die zu diesem Klima beitragen
könnte, neue Impulse zu geben, ruft die Versamm-
rund 20 junge Leute, die den Wehrdienst verweigern,
immer noch in Haft sind. Sie verlangt darum ihre so-

lung ihr Präsidium auf, die Frage zu prüfen, wie der
angebahnte regionale parlamentarische Dialog und

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25 – Drucksache 15/2788

die entsprechende Zusammenarbeit unter Beteiligung
der Parlamentspräsidenten möglichst bald wieder be-
lebt und vorangebracht werden können.

28. Die Versammlung bekundet ihre Genugtuung über
ihre ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den armeni-
schen Behörden, ihre offene Haltung und die Qualität
des laufenden Dialogs über die Einhaltung der Pflich-
ten und Verpflichtungen.

29. Die Versammlung erkennt an, dass Armenien in
jüngster Zeit beträchtliche Anstrengungen unter-
nommen hat, um die übernommenen Pflichten und
Verpflichtungen zu erfüllen. Angesichts der noch zu
erfüllenden Pflichten und Verpflichtungen, insbeson-
dere in Bezug auf die pluralistische Demokratie, be-
schließt die Versammlung jedoch, das derzeitige
Überwachungsverfahren so lange nicht zu beenden,
wie Armenien keine weiteren substanziellen Fort-
schritte bei den ausstehenden Verpflichtungen erzielt
und insbesondere nachgewiesen hat, dass es die
nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in
Übereinstimmung mit internationalen demokra-
tischen Standards zu organisieren vermag.

Mittwoch, 28. Januar 2004

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Ansprache des Präsidenten von Zypern,
Tassos Papadopoulos

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Die Lage auf Zypern

(Drucksache: 10028)

Berichterstatter:
Abg. Màtyàs Eörsi (Ungarn)

Abg. Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Vielen Dank, Herr Präsident, meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen,

auch ich möchte mich sehr herzlich bei Herrn Eörsi be-
danken für diesen Bericht und ebenso für seine Bemer-
kung, dass man an dieser Stelle nicht objektiv sein kann.
Gerade vor dem Hintergrund meiner deutschen Ge-
schichte fließen natürlich viele Emotionen in diesen Pro-
zess ein, vor dem wir jetzt stehen. Die Trennung eines
Landes zu überwinden, kann nur mit Emotionalität ge-
schehen, mit Kraft, die nicht nur aus dem Verstand, son-
dern auch aus dem Gefühl und aus dem Herzen kommt.
Deshalb glaube ich, dass nicht nur Objektivität, sondern
auch die Kraft der Emotionen gefragt ist. Am 1. Mai,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der Kalte Krieg,
der Europa in Ost und West zerteilt hat, endgültig in die
Geschichtsbücher verwiesen werden. Die Erweiterung
der Europäischen Union beendet die politische Teilung

Teil Europas, wo die politische Eiszeit noch nicht vorüber
ist, wo Stacheldraht und Grenzzaun noch immer ein Land
zerteilen. Diese dreißig Jahre alte Grenze, die Griechen
und Türken auf Zypern trennt und eine Hauptstadt teilt,
ist ein politischer Anachronismus in einem trotz aller
Schwierigkeiten immer weiter zusammenwachsenden
Europa. Dieser Anachronismus muss so schnell wie mög-
lich überwunden werden. Wir kennen nicht alle Schlüssel,
aber der wichtigste Schlüssel zur Lösung dieses Problems
liegt in Ankara, liegt in der Türkei.

Wir haben in den letzten Monaten einen deutlichen Re-
formprozess in der Türkei erlebt, den viele Beobachter so
nicht für möglich gehalten haben und der unsere ganze
Unterstützung verdient. In der Frage der Menschenrechte,
der Minderheitenrechte, der Demokratisierung, der Unab-
hängigkeit der Justiz, des Zurückdrängens des Einflusses
des Militärs hat es erhebliche Fortschritte gegeben, die
die Hoffnung auf eine rasche Klärung der Zypernfrage
genährt haben. Aber so, wie die Wirklichkeit in der Tür-
kei noch Schwierigkeiten hat, den Reformen zu folgen,
und diese Wirklichkeit sich in einigen Punkten immer
noch sehr widersprüchlich darstellt, so hat es im vergan-
genen Jahr in Bezug auf die Zypernfrage in der türkischen
Politik Ereignisse gegeben, die eindeutig in die falsche
Richtung weisen. Ich will diese Ereignisse hier auch nen-
nen. Da war zum einen die sehr massive Wahlunterstüt-
zung für Rauf Denktasch und seine nationalistischen
Freunde, oder auch die problematische Erklärung einer
Zollunion zwischen dem Nordteil Zyperns und der Tür-
kei. Dies ist nicht hilfreich gewesen. Auf der anderen
Seite hat es aber sehr erfreuliche Prozesse gegeben. Hier
ist an erster Stelle die Grenzöffnung zu nennen, die dazu
geführt hat, dass die Menschen wie in anderen Ländern,
etwa in Deutschland, mit den Füßen abgestimmt haben.
Sie sind nicht über diese Grenze gegangen, um sich alte
Geschichten von Trennung zu erzählen, sondern sie ha-
ben sich alte Geschichten von Gemeinschaftserlebnissen
erzählt. Sie haben die bikommunale Zusammenarbeit tat-
sächlich wieder belebt. Sie haben deutlich gemacht, dass
diejenigen, die dieses Land in nationalistischer Manier
ethnisch teilen wollen, historisch gesehen Politiker von
gestern sind, und dass das Volk an dieser Stelle selbst
über seine Zukunft entscheiden kann. Auch die Ent-
schädigung, welche die türkische Regierung in der Frage
Loizidou ermöglicht hat, ist sicherlich ein sehr positives
Ereignis gewesen, denn es hat gezeigt, dass wir in diesem
Wiedervereinigungsprozess Chancen haben.

Ich bin sehr froh, dass die Opposition bei den Dezember-
wahlen die Mehrheit errungen hat. Jeder, der weiß, unter
welch schwierigen Bedingungen die Opposition diesen
Wahlkampf geführt hat, was die Einschränkung von Mei-
nungsfreiheit angeht, der kann ermessen, wie viel es be-
deutet, dass die Opposition die Mehrheit der türkisch-
zypriotischen Bevölkerung hinter sich gebracht hat. Dies
gibt auch den reformorientierten Kräften in der Türkei die
Möglichkeit, konsequenter als bisher an der Lösung der
Zypernfrage zu arbeiten. Die Erklärungen des türkischen
Ministerpräsidenten in Davos geben Anlass zur Hoff-
Europas endgültig, auch wenn uns die ökonomischen Fol-
gen noch lange begleiten werden. Es gibt jedoch einen

nung, dass es jetzt auf der Basis des Annan-Plans tat-
sächlich zu einer Lösung kommen kann, auch wenn die

Drucksache 15/2788 – 26 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Erklärung des türkischen Militärrates gerade in dieser
Frage der Berücksichtigung der Realität auf Zypern nicht
so verstanden werden darf. Wenn sie wirklich so gemeint
war, wäre das ein Schritt in die falsche Richtung. Es wird
keine Lösung auf der Grundlage zweier Staaten in Zypern
geben. Zwei Staaten kann, darf und wird es in Zypern
nicht geben.

Lassen Sie mich noch einen Punkt zur EU-Kompatibilität
anführen. Es darf keine Vermischung des Annan-Plans
mit dem Beitrittsplan geben. Der Beitrittsplan ist an die
Kopenhagener Kriterien gebunden. Wir sollten an dieser
Stelle sehr vorsichtig sein, was die Garantieerklärungen
angeht. Dies wird aus meiner Sicht nicht hilfreich sein.
Der Beitritt wird durch eine Lösung der Zypernfrage
sicherlich gefördert, doch Garantien wird es nicht geben
können. Andererseits würde das Nicht-Erreichen der
Ziele des Annan-Plans sicherlich den Beitritt der Türkei
erheblich beschädigen. Lassen Sie mich zum Schluss sa-
gen, dass wir solidarisch an der Seite derjenigen stehen
müssen, die jetzt die historische Chance nutzen wollen,
die Trennung zwischen Nord- und Südzypern zu über-
winden und die diese Insel, die vielen ja auch als Wiege
Europas bekannt ist, im Interesse aller Zyprioten friedlich
vereinigen wollen.

Vielen Dank.

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 2 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die Lage auf Zypern

(Drucksache: 10028)

1. Zypern ist nun seit mehreren Jahrzehnten geteilt. Seit
der Annahme der Entschließung 1267 (2002) der Par-
lamentarischen Versammlung ist es auf Zypern und
um Zypern herum zu einigen bedeutsamen Entwick-
lungen gekommen, aber Nikosia ist die letzte und
einzige Hauptstadt in Europa, die nicht nur politisch
geteilt ist, sondern auch durch militärische Streit-
kräfte. Die direkten Verhandlungen zwischen den
Führern der zypriotischen Volksgruppen im Rahmen
der guten Dienste von Kofi Annan, dem Generalsek-
retär der Vereinten Nationen, die Magnetwirkung der
Erweiterung der Europäischen Union, die konstruk-
tivere Haltung der Türkei und Veränderungen in der
öffentlichen Meinung im Nordteil Zyperns haben
positive Impulse gegeben und Hoffnungen aufkom-
men lassen, nun lasse sich endlich doch noch eine ge-
rechte und dauerhafte Lösung für die Zypernfrage
finden.

2. Dennoch bleibt die Zypernfrage ungeachtet der Be-
mühungen der internationalen Gemeinschaft und der
Sammlung der zypriotischen politischen Kräfte unge-
löst und die Zyprioten geteilt.

3. Die Versammlung beklagt insbesondere das im März
2003 erfolgte Scheitern der Verhandlungen über die
Regelung der Zypernfrage auf der Grundlage des von
Kofi Annan vorgelegten Plans, als der türkisch-
zypriotische Führer Denktasch den Plan ablehnte,
während Papadopoulos, der Präsident der Republik
Zypern, zur Unterschrift bereit schien. Die Versamm-
lung begrüßt die jüngsten Äußerungen der Führer der
zypriotischen Volksgruppen und der Regierungen
Griechenlands und der Türkei, wonach sie bereit
sind, die Verhandlungen auf der Grundlage des Annan-
Plans wieder aufzunehmen und fordert alle betroffe-
nen Parteien auf, unverzüglich wieder Verhandlungen
aufzunehmen, sie in gutem Glauben durchzuführen
und bereit zu sein, den Besorgnissen der jeweilig an-
deren Seite Rechnung zu tragen und Kompromisse
einzugehen, um noch vor der EU-Erweiterung eine
Regelung zu erzielen.

4. Wenn sich keine Regelung erreichen lässt, wird am
1. Mai 2004 ein geteiltes Zypern der Europäischen
Union beitreten. Die Versammlung befürchtet dann
eine Verhärtung der Positionen der beiden Volksgrup-
penführer und ein Fortbestehen der jetzigen Pattsitua-
tion.

5. Während die griechischen Zyprioten in den Genuss
der Vorteile gelangen werden, die mit dem Beitritt
Zyperns zur Europäischen Union verbunden sind,
werden die türkischen Zyprioten darauf verzichten
müssen, da die Umsetzung des acquis communautaire
im nördlichen Teil Zyperns im Einklang mit dem Pro-
tokoll Nr. 10 zum Vertrag über den Beitritt der Repu-
blik Zypern zur Europäischen Union ausgesetzt wer-
den wird. Es besteht die reale Gefahr, dass die
türkisch-zypriotische Volksgruppe zunehmend an den
Rand gedrängt werden wird, es mit der Wirtschaft
weiter bergab gehen wird und die Spannungen zuneh-
men werden. In diesem Zusammenhang begrüßt die
Versammlung das von der Regierung der Republik
Zypern verabschiedete Maßnahmenpaket mit dem
Ziel, den türkischen Zyprioten die Möglichkeit zu ge-
ben, verschiedene Rechte und Vorteile in Anspruch zu
nehmen, welche die Republik Zypern ihren Bürgern
bietet.

6. Wenn darüber hinaus ein faktisch geteiltes Zypern
der EU beitritt, dürfte dies die Beitrittsaussichten der
Türkei untergraben und damit die Lage in dieser ge-
samten europäischen Region destabilisieren. Hierbei
betont die Versammlung, dass der Türkei bei der Su-
che nach einer zur Wiedervereinigung Zyperns füh-
renden Regelung eine entscheidende Rolle zukommt.
Obwohl die Zypernfrage als solche nicht ausdrück-
licher Teil der Kopenhagen-Kriterien ist, ist die Ver-
sammlung der Auffassung, dass wenn die Türkei
nicht ihre Beziehungen zu Zypern normalisiert, dies
von der EU als mangelnde Bereitschaft aufseiten der
Türkei gesehen werden könnte, die Hindernisse für
Beitrittsverhandlungen völlig auszuräumen. Die Ver-
sammlung begrüßt die aufgeschlossenere und prag-

* Debatte der Versammlung am 28. Januar 2004 (4. Sitzung) (siehe
matischere Haltung der türkischen Regierung zur
Zypernfrage und bittet sie, ihren ganzen Einfluss

Dok. 10028, Bericht des Politischen Ausschusses, Berichterstatter:
Herr Eörsi). Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Ja-
nuar 2004 (4. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 27 – Drucksache 15/2788

zugunsten der Bemühungen des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen um eine Regelung geltend zu ma-
chen. Darüber hinaus ist die Versammlung zuver-
sichtlich, obgleich sie sich der Besorgnisse der Tür-
kei im Hinblick auf die Sicherheit der türkischen
Zyprioten bewusst ist, dass man sich mit diesen Be-
sorgnissen befassen wird, sobald eine Lösung erzielt
sein wird. Zugleich ist die Versammlung der Auffas-
sung, dass die Türkei klarere Garantien dahingehend
erhalten sollte, dass Verhandlungen über eine Mit-
gliedschaft in der Europäischen Union eingeleitet
werden, sobald die Europäische Union die Erfüllung
der Kopenhagen-Kriterien bestätigt hat.

7. Die im Nordteil Zyperns am 14. Dezember 2003 ab-
gehaltenen Wahlen haben gezeigt, dass die türkisch-
zypriotische Volksgruppe im Hinblick auf die Ent-
scheidungen über ihre Zukunft sehr geteilt ist.

8. Die Versammlung stellt mit Genugtuung fest, dass
ein beträchtlicher Teil der türkisch-zypriotischen
Volksgruppe jetzt für eine Regelung auf der Grund-
lage des Annan-Plans und ein der Europäischen
Union beitretendes wiedervereinigtes Zypern eintritt.
Der Beitritt wird immer mehr als Quelle der Hoff-
nung statt als Bedrohung gesehen und die Teilung zu-
nehmend als Hindernis für die Zukunft der türkischen
Zyprioten in Europa statt als Mittel zum Schutz ihrer
Rechte betrachtet. Die Versammlung begrüßt es, dass
die politischen Führer der türkischen Zyprioten, die
diese Ansicht teilen, wachsende Unterstützung von
der Bevölkerung im nördlichen Teil Zyperns erhal-
ten. Die Versammlung ist darüber besorgt, dass
einige politische Führer der türkischen Zyprioten
bestimmte Zugeständnisse als Voraussetzungen für
Verhandlungen betrachten, wogegen die meisten,
wenn nicht sogar alle dieser Zugeständnisse als Folge
erfolgreicher Verhandlungen erreicht werden können.

9. Gleichzeitig ist sich die Versammlung bewusst, dass
viele türkische Zyprioten die griechisch-zypriotische
Volksgruppe nach wie vor als Bedrohung ihrer Si-
cherheit empfinden und in der Türkei die beste Ge-
währ dafür sehen, dass die tragischen Ereignisse der
Vergangenheit sich nicht wiederholen. Dementspre-
chend wecken die Wiedervereinigung der beiden
Teile Zyperns und der Beitritt zur Europäischen
Union ohne die Türkei als EU-Mitglied immer noch
Misstrauen. Einige Führer der türkischen Zyprioten
machen sich dieses Gefühl des Misstrauens noch im-
mer zunutze, um ihre unnachgiebige Haltung zu
rechtfertigen. Unter Hinweis darauf, dass einer der
größten Erfolge der Europäischen Union ihre Fähig-
keit ist, jahrhundertlange Konflikte zwischen Natio-
nen und ethnischen Gruppen zu lösen, vertritt die
Versammlung die Auffassung, dass dieses Gefühl un-
begründet ist. Nachdem sie mit Befriedigung festge-
stellt hat, dass es nach der Öffnung der „Grünen Li-
nie“ keine Zwischenfälle zwischen griechischen und
türkischen Zyprioten gab, ist die Versammlung der
Auffassung, dass die Existenz derartiger Befürchtun-

Vertrauen zwischen den beiden Volksgruppen wieder
herzustellen. Bestimmte Einstellungen und Aussagen
aufseiten der griechisch-zypriotischen Behörden
scheinen diesen Gefühlen leider Nahrung gegeben zu
haben.

10. Es ist Aufgabe der Führer der beiden Volksgruppen,
das auf alten Ängsten und Bemühungen um die Er-
langung einseitiger Vorteile beruhende Konfronta-
tionsmuster zu überwinden und sich der Zukunft ih-
rer Volksgruppen zuzuwenden, die sich dieselbe Insel
teilen und hoffentlich eine gemeinsame Zukunft in
der Europäischen Union haben werden.

11. In diesem Zusammenhang begrüßt die Versammlung
die Schritte der Regierung der Republik Zypern
einerseits und der türkisch-zypriotischen Verwaltung
andererseits, das Vertrauen zwischen den beiden
Volksgruppen zu steigern und ermutigt sie zu weite-
ren Anstrengungen im Zeichen größerer Offenheit.

12. Darum ruft die Versammlung

i. die Führer der beiden Volksgruppen auf,

– auf der Grundlage des Annan-Plans in gutem
Glauben unverzüglich Verhandlungen aufzu-
nehmen, um bis zum 1. Mai 2004 eine politi-
sche Regelung der Zypernfrage zu erreichen;

– weitere Anstrengungen zu unternehmen, um
zwischen den beiden Volksgruppen Vertrauen
aufzubauen;

– auf Schritte in dieser Richtung konstruktiv zu
reagieren unter besonderer Berücksichtigung
der Besorgnisse der anderen Volksgruppe;

ii. die Behörden der Republik Zypern auf,

– ihre Bereitschaft zur Wiederaufnahme von
Verhandlungen auf der Grundlage des Annan-
Plans weiterhin zu bekräftigen mit dem Ziel,
eine umfassende Lösung für das Zypern-
problem vor dem 1. Mai 2004 zu erreichen
und bereit zu sein, Verhandlungen aufzuneh-
men, sobald der Generalsekretär der Verein-
ten Nationen seine Mission der guten Dienste
wieder aufnimmt;

– während dieser Verhandlungen Verständnis
sowie den guten Willen zu zeigen, auf die
Besorgnisse der türkischen Zyprioten einzu-
gehen, auch auf die, die sich auf die Wieder-
ansiedlung der Bevölkerung, die Regelung
von Besitzrechten und die Lebensfähigkeit
der erzielten Lösung sowie auf eine ver-
meintliche politische und wirtschaftliche Do-
minanz der griechischen Zyprioten beziehen;

– von Einstellungen, Handlungen oder Aussa-
gen jeder Art abzusehen, die so ausgelegt
werden könnten, als solle die vorherrschende
Stellung der griechisch-zypriotischen Volks-
gruppe bekräftigt oder die von der türkisch-
gen ein klarer Hinweis darauf ist, dass die griechisch-
zypriotischen Behörden mehr tun müssen, um das

zypriotischen Volksgruppe als Bedrohung
empfunden werden könnten oder Misstrauen

Drucksache 15/2788 – 28 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

und Argwohn aufseiten der türkisch-zyprio-
tischen Volksgruppe und der Türkei erneut zu
wecken oder zu schüren;

– alle verbliebenen Hindernisse für Kontakte
und einen Austausch zwischen den beiden
Volksgruppen zu beseitigen, einschließlich
der strafrechtlichen Verfolgung derjenigen,
die einen Aufenthalt im nördlichen Teil Zy-
perns mit einer Übernachtung verbinden so-
wie die Konfiszierung der dort erworbenen
persönlichen Gegenstände;

– den Handelsverkehr der türkisch-zyprioti-
schen Volksgruppe mit anderen Ländern zu
erleichtern;

– die Beziehungen zur Türkei auszubauen;

– ihr Versprechen weiter zu bekräftigen, sich
nach der Erweiterung der Europäischen
Union nicht gegen den Beitrittsantrag der
Türkei zu stellen;

iii. die türkisch-zypriotischen Behörden auf,

– deutlich zu machen, dass sie bereit sind, den
Annan-Plan als Verhandlungsgrundlage zu
akzeptieren mit dem Ziel, eine umfassende
Lösung des Zypern-Problems vor dem 1. Mai
2004 zu erzielen und bereit zu sein, Verhand-
lungen aufzunehmen, sobald der General-
sekretär der Vereinten Nationen seine Mission
der guten Dienste wieder aufnimmt;

– während dieser Verhandlungen Verständnis
und guten Willen zu zeigen, auf die Besorg-
nisse der griechischen Zyprioten einzuge-
hen, auch auf jene, die sich auf die Wiederan-
siedlung der Bevölkerung, die Regelung von
Besitzrechten und die Lebensfähigkeit der er-
zielten Lösung beziehen sowie die eines
wiedervereinten Zypern und seiner Funk-
tionsfähigkeit im Hinblick auf Entschei-
dungsprozesse und Verantwortlichkeiten ge-
genüber der Europäischen Union;

– Abstand davon zu nehmen, die Politik der
Schaffung eines separaten souveränen „Staa-
tes“ in Zypern weiter zu verfolgen;

– davon abzusehen, Ängste auszunutzen, die
aus der jüngeren oder weiter zurückliegenden
Vergangenheit stammen, um wieder Miss-
trauen und Argwohn gegenüber der grie-
chisch-zypriotischen Volksgruppe und Grie-
chenland zu wecken und zu schüren;

– weiter zur Freizügigkeit über die „Grüne
Linie“ hinweg beizutragen, unter anderem
durch die Aufhebung der Bestimmungen,
wonach die griechischen Zyprioten ihre Pässe

– eine positivere Haltung gegenüber der Euro-
päischen Union einzunehmen;

– weitere Maßnahmen zu ergreifen, um das
Recht der freien Meinungsäußerung und die
Freiheit der Medien zu gewährleisten;

– die Menschenrechte, einschließlich der Besitz-
rechte und deren friedliche Inanspruchnahme,
sowie die Grundfreiheiten aller gesetzes-
treuen zypriotischen Bürger auf dem gesam-
ten Staatsgebiet von Zypern und insbesondere
der Vertriebenen und der in Enklaven leben-
den griechischen Zyprioten zu respektieren;

– bei den Bemühungen zur Feststellung des
Schicksals vermisster Personen zusammen-
zuarbeiten und positiv auf den jüngsten Ap-
pell des Generalsekretärs der Vereinten Nati-
onen vom 3. Dezember 2003 im Hinblick auf
die Reaktivierung des Ausschusses für ver-
misste Personen zu reagieren, was der Präsi-
dent der Republik Zypern bereits mit seinem
Schreiben vom 14. Dezember 2003 akzep-
tiert hat;

iv. die Türkei auf,

– ihren Einfluss zu nutzen, um zur Wiederauf-
nahme und reibungslosen Führung der Ver-
handlungen auf der Grundlage des Annan-
Plans in gutem Glauben beizutragen;

– guten Willen im Hinblick auf die Wiederher-
stellung von Vertrauen gegenüber der Repu-
blik Zypern dadurch zu zeigen, dass sie einen
beträchtlichen Teil ihrer im nördlichen Teil
Zyperns stationierten Truppen, noch bevor
eine umfassende Lösung für das Zypern-Pro-
blem erzielt wird, abzieht;

– Beziehungen zur Republik Zypern zu entwi-
ckeln, unter anderem durch die Aufhebung
des Verbots für Schiffe, die unter dem
Schiffsregister der Republik Zypern regis-
triert sind und für Schiffe, die unter anderen
Flaggen registriert sind und in die Häfen der
Republik Zypern einlaufen, in die Häfen der
Türkei einzulaufen und durch Abschluss
eines Handelsabkommens mit der Republik
Zypern im Einklang mit den Verpflichtungen,
die die Türkei im Rahmen der WTO und im
Rahmen der Zollunion der Türkei mit der
Europäischen Union eingegangen ist;

– wirksam bei den Bemühungen zur Feststel-
lung des Schicksals vermisster Personen in
Zypern zusammenzuarbeiten und das Urteil
des Europäischen Menschenrechtsgerichts-
hofes im Fall Zypern gegen die Türkei (2001)
uneingeschränkt umzusetzen, das sich auf die
tragische Frage der vermissten Personen und
deren Familien bezieht, und sich unverzüglich
an ihre Verpflichtungen und Pflichten, die
vorlegen und „Einreiseerlaubnisse“ erhalten
müssen;

sich aus dem vorgenannten Urteil ergeben, zu
halten und diese zu erfüllen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29 – Drucksache 15/2788

v. Griechenland auf,

– zur Wiederaufnahme von Verhandlungen auf
der Grundlage des Annan-Plans in gutem
Glauben beizutragen und die Behörden der
Republik Zypern zu ermutigen, weiterhin
ihre Bereitschaft zu bekräftigen, den Plan als
Grundlage für eine Regelung anzunehmen;

vi. die Europäische Union auf,

– zu prüfen, wie sie die positive Einbeziehung
der Türkei in die Suche nach einer Regelung
der Zypernfrage dadurch fördern könnte,
dass den türkischen Behörden unter Einhal-
tung geeigneter Kriterien und nach Bestäti-
gung durch die Europäische Union klarere
Garantien für die Einleitung von Beitrittsver-
handlungen gegeben werden;

– ihre Anstrengungen zu verstärken, den Nord-
teil Zyperns näher an die EU heranzuführen;

– die Zugangsbedingungen für Produkte aus
dem Nordteil Zyperns zum Gemeinsamen
Binnenmarkt zu erleichtern;

vii. ermutigt den Generalsekretär der Vereinten Na-
tionen zur Wiederaufnahme seiner Bemühungen,
sobald sich eine Gelegenheit bietet, und fordert
ihn nachdrücklich auf, den Sicherheitsfragen auf
der Insel besondere Beachtung zu schenken, die
die Hauptquelle gegenseitigen Misstrauens sind
und Verhandlungen mit der dabei gebotenen Fle-
xibilität aufzunehmen;

viii. beschließt, die Frage nach der Erweiterung der
Europäischen Union erneut zu prüfen.

E m p f e h l u n g 1 6 4 2 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die Lage auf Zypern

(Drucksache: 10028)

1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf die
Entschließung 1362 (2004) über die Lage auf Zypern.

2. Sie begrüßt die Initiativen des Generalsekretärs und
die Aktivitäten des Europarates, die dem Ziel dienen,
zur Versöhnung der zypriotischen Volksgruppen bei-
zutragen und im Rahmen der Bemühungen der inter-
nationalen Gemeinschaft unter Wahrung der Grund-
sätze und Werte des Europarates eine faire,
funktionsfähigere, lebensfähige und dauerhafte Lö-
sung der Zypernfrage zu erleichtern.

3. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee, im
Namen des Europarates einen aktiveren Beitrag zur Su-
che nach einer Regelung auf Zypern ins Auge zu fassen.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Bericht des Ministerkomitees

(Drucksache 10050 – Parlamentarische Fragen)

vorgelegt vom amtierenden Vorsitzenden,
dem Außenminister der Niederlande,

Bernard Bot

(Themen: Menschenrechte und Monitoringmechanismen,
Integration und sozialer Zusammenhalt als Prioritäten
des niederländischen Vorsitzes – Unterzeichnung und
Ratifizierung des Europäischen Übereinkommens über die
Bekämpfung des Terrorismus – das Europäische Über-
einkommen über Maßnahmen gegen Menschenhandel –
die Ereignisse in Georgien – die Rolle des Europarates in
Tschetschenien – politische Gefangene in Aserbaidschan –
die aktuellen politischen Entwicklungen in der Ukraine –
die Kooperation zwischen dem Europarat und Moldau –
die Reform des Europäischen Gerichtshofes für Men-
schenrechte – die Arbeit des Kommissars für Menschen-
rechte – der dritte Gipfel des Europarates)

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Ansprache des Präsidenten von Georgien,
Mikheil Saakashvili

(Themen: die neue Ära in Georgien nach der friedlichen
Revolution – die gemeinsame Identität Georgiens und
Europas – die Schlüsselrolle Georgiens als Garant der
europäischen Stabilität – Georgiens Ziel einer Vollmit-
gliedschaft in der Europäischen Union – das Problem der
Korruption in Georgien – die Reform des Gerichtswesens
in Georgien – die Beziehung zu den Vereinigten Staaten von
Amerika – die Freundschaft zur Russischen Föderation)

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Das Funktionieren demokratischer Institutionen
in Georgien

(Drucksache: 10049)

Berichterstatter:
Abg. Màtyàs Eörsi (Ungarn),

Abg. Evgeni Kirilov (Bulgarien)

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 3 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Das Funktionieren demokratischer
Institutionen in Georgien

(Drucksache: 10049)

1. Durch die Ereignisse des 22. und 23. November 2003
hat Georgien vor kurzem den dritten Wechsel im Amt

* Debatte der Versammlung am 28. Januar 2004 (4. Sitzung) (siehe

** Debatte der Versammlung am 28. Januar 2004 (5. Sitzung) (siehe
Dok. 10049, Bericht des Ausschusses für die Einhaltung der von den
Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Pflichten und Ver-
pflichtungen (Überwachungsausschuss), Ko-Berichterstatter: Herr
Dok. 10028, Bericht des Politischen Ausschusses, Berichterstatter:

Herr Eörsi). Von der Versammlung verabschiedeter Text am 28. Ja-
nuar 2004 (4. Sitzung).

Eörsi und Herr Kirilov). Von der Versammlung verabschiedeter Text
am 28. Januar 2004 (5. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 30 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

des Staatschefs seit seiner Unabhängigkeit im Jahre
1991 vollzogen. Zum ersten Mal ging dieser Wechsel
jedoch bemerkenswert friedlich vonstatten. Die Ver-
sammlung ist erfreut darüber, dass keine der vertrete-
nen politischen Kräfte auf Gewalt zurückgriff und
dass die Ereignisse unter Kontrolle blieben.

2. Die Versammlung stellt fest, dass die georgische Be-
völkerung und die internationale Gemeinschaft große
Hoffnungen in die neue Regierungskoalition und ihre
Fähigkeit setzen, das Land schnell und dauerhaft zu
reformieren und es auf den Weg der Einhaltung de-
mokratischer Regeln zurückzubringen. Diese Hoff-
nungen dürfen nicht enttäuscht werden.

3. Die Versammlung beabsichtigt, die Entwicklungen
der politischen Lage im Land genau zu verfolgen und
erwartet, dass die Behörden erkennbare Fortschritte
bei der Vorbereitung der anstehenden Parlaments-
wahlen machen, sodass diese Wahlen in völliger
Übereinstimmung mit demokratischen Normen statt-
finden und zu einer freien Meinungsäußerung des ge-
orgischen Volkes und einer dauerhaften Verbesserung
der Funktionsweise seiner Institutionen führen im
Hinblick auf die Gewährleistung einer verstärkten
Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.

4. Die Versammlung erwartet, dass sich die georgischen
Behörden aktiv um die Fortführung eines wirklich
konstruktiven Dialogs mit dem Europarat und seiner
Parlamentarischen Versammlung bemühen und die
Reformen im Einklang mit den Pflichten und Ver-
pflichtungen, die Georgien mit seinem Beitritt zu der
Organisation vor viereinhalb Jahren eingegangen ist,
beschleunigen werden.

5. Was die Wahrung der pluralistischen Demokratie an-
geht,

i. teilt die Versammlung die Schlussfolgerungen
der internationalen Beobachtermission, dass die
Präsidentschaftswahlen und parlamentarischen
Teilwahlen vom 4. Januar 2004 einen beträcht-
lichen Fortschritt im Vergleich zu den vorange-
gangenen Wahlen darstellen und dass sie das
Land an die Verpflichtungen und die internatio-
nalen Normen in Bezug auf demokratische Wah-
len näher heranführen;

ii. erkennt die Versammlung an, dass die Organisa-
tion der Wahl innerhalb eines sehr kurzen Zeit-
raums beträchtliche Anstrengungen sowohl von-
seiten der Behörden als auch der internationalen
Gemeinschaft erforderte und Lob verdient;

iii. erkennt die Versammlung an, dass die georgi-
schen Behörden, insbesondere die Zentrale
Wahlkommission, allgemein einen starken politi-
schen Willen bewiesen haben, die Wahlen am
4. Januar angemessen zu organisieren und Ver-
besserungen beim Wahlprozess zu erzielen;

iv. stellt die Versammlung fest, dass bei der Wahl
am 4. Januar Betrug und Unregelmäßigkeiten in

dass ernsthafte Probleme, insbesondere im Hin-
blick auf die Aktualisierung der Wählerlisten, die
Zusammensetzung der Wahlkommissionen, die
Wahlverfahren und die Verletzung des Wahl-
geheimnisses, fortbestehen.

6. Die Versammlung ist der Ansicht, dass die Parla-
mentswahlen am 28. März 2004 wohl zu einem wirk-
lichen Test für die Fähigkeit der georgischen Behör-
den werden, wahrhaft demokratische, freie, faire,
transparente und konkurrenzfähige Wahlen zu orga-
nisieren, und ein besserer Maßstab sein werden für
Georgiens Bereitschaft, die Grundsätze der pluralis-
tischen Demokratie zu wahren. Sie warnt die Behör-
den und ruft sie dazu auf, die bei den Präsident-
schaftswahlen festgestellten Missstände unverzüglich
zu beheben.

7. Zu diesem Zweck fordert die Versammlung die geor-
gischen Behörden auf, unverzüglich eine Reihe von
Maßnahmen zu verabschieden, die bis zu den anste-
henden Parlamentswahlen am 28. März 2004 voll-
ständig umgesetzt sein müssen, unter anderem:

i. die Änderung der Wahlordnung und der übrigen
Wahlgesetze und -bestimmungen in umfassender
Zusammenarbeit mit den Sachverständigen des
Europarates, insbesondere der Venedig-Kommis-
sion, um

a. die Zusammensetzung der Zentralen Wahl-
kommission und der Wahlkommissionen auf
den unteren Ebenen zu ändern, zur Förderung
des Grundsatzes einer ausgewogenen, fairen
und gleichberechtigten Vertretung aller poli-
tischen Kräfte;

b. die Wahlverfahren zu vereinfachen und den
Grundsatz des Wahlgeheimnisses uneinge-
schränkt zu garantieren;

c. eine klare Trennung zwischen Regierungs-
strukturen und Wahlbehörden zu gewährleis-
ten und grundsätzlich festzulegen, dass letz-
tere völlig unparteiisch sein müssen;

ii. die Überprüfung der Wählerlisten durch bald-
möglichste Erstellung einer einheitlichen, zentra-
lisierten und computergestützten Wählerliste so-
wie die endgültige Beendigung der Praxis,
Wählernamen am Wahltag selbst auf zusätz-
lichen Listen zu registrieren – ein Verfahren, das
ein beträchtliches Betrugsrisiko in sich birgt.

8. Die Versammlung bringt ferner ihre Besorgnis über
die gegenwärtige Neugestaltung des politischen Le-
bens in Georgien zum Ausdruck und die Gefahr des
Fehlens jedweder parlamentarischen Opposition nach
den bevorstehenden Wahlen und damit eines wirk-
lichen institutionellen Gegengewichts. Wenn die
Wahlen dazu führen sollten, dass im Parlament nur
noch die Regierungskoalition vertreten ist, könnten
bei der Versammlung Befürchtungen um die Zukunft
einem sehr viel geringeren Maße auftraten als bei
der vorherigen Wahl am 2. November 2003 und

des demokratischen Pluralismus in Georgien aufkom-
men. Sie empfiehlt den georgischen Behörden daher,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 31 – Drucksache 15/2788

die Verfassung und die entsprechenden Gesetze da-
hingehend zu ändern, dass für einen Einzug in das
Parlament die 7-Prozent-Hürde nach dem Verhältnis-
wahlrecht auf mindestens 5 Prozent gesenkt wird.

9. Was das Funktionieren der Institutionen und die
Wahrung der Rechtsstaatlichkeit anbelangt,

i. äußert die Versammlung große Besorgnis an-
gesichts der Exzesse, die die autokratische Macht-
ausübung in Georgien über Jahre hinweg begleitet
haben: Nichtbeachtung der Rechtsstaatlichkeit,
Dominanz von Günstlings- und Vetternwirtschaft,
durchgängige und weit verbreitete Korruption
auf allen Regierungs- und gesellschaftlichen
Ebenen, fehlende Umsetzung von Gesetzen und
schwache repräsentative Institutionen;

ii. erwartet die Versammlung von den Behörden,
dass sie diesen Auswüchsen ein Ende bereiten
und zu einer Arbeitsweise der Institutionen zu-
rückkehren, die den Normen, Grundsätzen und
Werten des Europarates entspricht;

iii. nimmt die Versammlung den Wunsch der geor-
gischen Behörden zur Kenntnis, rasch eine Reihe
institutioneller Veränderungen durchzuführen
mithilfe konstitutioneller und parlamentarischer
Reformen, um die Beziehungen zwischen Exe-
kutive und Legislative zu rationalisieren und die
Effizienz der Regierungsarbeit und der parla-
mentarischen Tätigkeit zu erhöhen;

iv. fordert die Versammlung die georgischen Behör-
den nachdrücklich dazu auf, so schnell wie mög-
lich die Europäische Kommission für Demokra-
tie durch Recht (Venedig-Kommission) um ihre
Unterstützung und Sachverständigenmeinung zu
Entwürfen von Verfassungsänderungen zu ersu-
chen, ohne deren abschließende Fertigstellung
abzuwarten;

v. bekundet die Versammlung ihre Bereitschaft,
dem georgischen Parlament dabei zu helfen,
seine Geschäftsordnung zu überarbeiten und die
Arbeit seiner Ausschüsse neu zu strukturieren.

10. Was die Einhaltung der Verpflichtungen Georgiens
gegenüber dem Europarat anbelangt, verweist die
Versammlung darauf, dass sie in ihrer Entschlie-
ßung 1257 (2001) betreffend die Einhaltung der
Pflichten und Verpflichtungen Georgiens festgestellt
hatte, dass Georgien weit davon entfernt sei, alle
seine Pflichten und Verpflichtungen als Mitgliedstaat
des Europarates einzuhalten. Sie erwartet daher von
den Behörden eine radikale Verhaltensänderung und
einen genauen der Versammlung vorzulegenden Zeit-
plan für die Umsetzung ihrer Verpflichtungen. Ins-
besondere

i. fordert die Versammlung die georgischen Behör-
den im Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung
nachdrücklich dazu auf, unverzüglich die Emp-
fehlungen der Staatengruppe gegen Korruption

lung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträ-
gen aus Straftaten schnell zu ratifizieren;

ii. fordert die Versammlung die Behörden im Hin-
blick auf die Reform der Strafverfolgungsbehörden
nachdrücklich dazu auf, den Europarat eng mitein-
zubeziehen und ihn schnell um seine Sachverstän-
digenmeinung zu den in Vorbereitung befindlichen
Gesetzesentwürfen zu ersuchen, insbesondere dem
Gesetzesentwurf im Hinblick auf die Polizei und
die Generalstaatsanwaltschaft; sie erwartet von den
Behörden ebenfalls, dass sie die früheren und künf-
tigen Empfehlungen und Sachverständigenmei-
nungen des Europarates zur Strafprozessordnung
in vollem Umfang berücksichtigen.

11. Schließlich äußert die Versammlung große Besorgnis
im Hinblick auf die Gefahren einer innenpolitischen
Destabilisierung Georgiens und die anhaltenden Be-
drohungen der territorialen Unversehrtheit des Lan-
des. Sie erklärt ihr Eintreten für eine wirksame Wah-
rung der Rechtsstaatlichkeit für das gesamte
georgische Staatsgebiet. Sie ruft die betroffenen Par-
teien auf, den Dialog erneut aktiv einzuleiten.

12. Unter Anerkennung der herausragenden Vermittler-
rolle der Russischen Föderation und insbesondere ih-
res Außenministers Igor Ivanow bei der friedlichen
Lösung der politischen Krise am 23. November 2003
ruft die Versammlung die russischen Behörden dazu
auf, ihre auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 ein-
gegangenen Verpflichtungen einzuhalten und ihre
Truppen aus Georgien abzuziehen sowie ihre Militär-
stützpunkte zu schließen. Sie verweist in diesem Zu-
sammenhang auf ihre Empfehlung 1580 (2002) be-
treffend die Lage in Georgien und ihre Folgen für die
Stabilität in der Kaukasus-Region.

13. Aufgrund der außergewöhnlichen Art und Weise, wie
der Übergang in Georgien stattgefunden hat, sieht die
Versammlung die Notwendigkeit, neue Fristen mit
den neuen georgischen Behörden auszuhandeln, die
diese verpflichten, die Verpflichtungen zu erfüllen,
die Georgien mit seinem Beitritt zum Europarat ein-
gegangen ist und beschließt, die Einhaltung dieser
Verpflichtungen zu überwachen.

E m p f e h l u n g 1 6 4 3 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Das Funktionieren demokratischer
Institutionen in Georgien

(Drucksache: 10049)

1. Die Versammlung verweist auf ihre Entschließung
1363 (2004) betreffend das Funktionieren der demo-
kratischen Institutionen in Georgien, in der sie darlegt,

* Debatte der Versammlung am 28. Januar 2004 (5. Sitzung) (siehe
Dok. 10049, Bericht des Ausschusses für die Einhaltung der von den
Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Pflichten und Ver-
pflichtungen (Überwachungsausschuss), Ko-Berichterstatter: Herr
des Europarates (GRECO) umzusetzen und das
Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermitt-

Eörsi und Herr Kirilov). Von der Versammlung verabschiedeter Text
am 28. Januar 2004 (5. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 32 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

dass sie von den georgischen Behörden unter ande-
rem erwartet,

i. aktiv einen Nachweis über ihr Interesse zu er-
bringen, ihr Land entschlossen im Europarat zu
verankern sowie ihre Zusammenarbeit zu ver-
stärken und erneut einen wirklich konstruktiven
Dialog mit dem Europarat und seiner Parlamen-
tarischen Versammlung einzuleiten;

ii. den Auswüchsen ein Ende zu bereiten, die die
auto-kratische Machtausübung in Georgien über
Jahre hinweg begleitet haben, und ein Funktio-
nieren der Institutionen zu gewährleisten, das im
Einklang mit den demokratischen Normen und
den Grundsätzen und Werten des Europarates
steht;

iii. im Einklang mit den Pflichten und Verpflichtun-
gen, die Georgien mit seinem Beitritt zu der Or-
ganisation eingegangen ist, die Reformen zu be-
schleunigen;

iv. ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, die Grund-
sätze der pluralistischen Demokratie zu respektie-
ren, am 28. März 2004 Parlamentswahlen zu ver-
anstalten, die wirklich demokratisch, frei, fair,
transparent und konkurrenzfähig sind und unver-
züglich die bei der Wahl am 4. Januar 2004 fest-
gestellten Missstände zu beheben.

2. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee,
die Zusammenarbeit der Organisation mit den geor-
gischen Behörden zu verstärken, und fordert es auf,
schnell eine umfassende und genaue Evaluierung der
Erfordernisse durchzuführen und auf dieser Grund-
lage sein Programm für Zusammenarbeit und Unter-
stützung im Hinblick auf eine Konsolidierung der
Rechtsstaatlichkeit, die Schaffung wahrhaft demo-
kratischer Institutionen in Georgien und die wirk-
same Umsetzung der Gesetze im Einklang mit den
Normen des Europarates neu auszurichten. Zur
mittelfristigen Beurteilung der Wirksamkeit und der
tatsächlichen Wirkung der durchgeführten Aktivitä-
ten empfiehlt die Versammlung dem Ministerkomitee
ferner, einen sachgemäßen Evaluierungsmecha-
nismus für sein Unterstützungsprogramm festzule-
gen.

3. Die Versammlung empfiehlt dem Ministerkomitee im
Besonderen,

i. was die Wahrung der pluralistischen Demokratie
angeht, den georgischen Behörden dabei zu hel-
fen, ihre Wahlordnung sowie die Wahlgesetze
und -bestimmungen, die im Zusammenhang mit
den parlamentarischen Teilwahlen am 28. März
2004 umgesetzt werden müssen, zu überarbeiten,
insbesondere in Verbindung mit Veränderungen
bei der Zusammensetzung der Wahlkommissio-
nen, der Vereinfachung der Wahlverfahren, der
Wahrung des Wahlgeheimnisses und der Unpar-

ii. was das Funktionieren der Institutionen anbe-
langt, den georgischen Behörden bei der Aus-
arbeitung ihrer Pläne für Verfassungs- und parla-
mentarische Reformen zu helfen und sie
aufzufordern, so schnell wie möglich und noch
vor Fertigstellung der Verfassung Entwürfe für
Verfassungsänderungen an die Europäische Kom-
mission für Demokratie durch Recht (Venedig-
Kommission) zu leiten;

iii. was die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und das
Funktionieren der Strafverfolgungsbehörden an-
belangt, rechtlichen Sachverstand zu verschiede-
nen Bestandteilen der in der Vorbereitung befind-
lichen Gesetzesentwürfe, insbesondere zum
neuen Gesetzesentwurf über die Polizei und zum
Gesetzesentwurf zur Änderung des Gesetzes
über die Generalstaatsanwaltschaft und zur Straf-
prozessordnung, zur Verfügung zu stellen.

Donnerstag, 29. Januar 2004

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Terrorismus – eine Bedrohung für Demokratien

(Drucksache 10056)

Berichterstatter:
Abg. Murat Mercan (Türkei)

E m p f e h l u n g 1 6 4 4 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Terrorismus – eine Bedrohung
für Demokratien

(Drucksache 10056)

1. Die Versammlung verweist auf ihre früheren Texte,
insbesondere auf die Empfehlungen 1534 (2001) und
1550 (2002) sowie auf die Antworten des Minister-
komitees auf diese Empfehlungen, die insgesamt posi-
tiv waren. Die Versammlung begrüßt die vom Minis-
terkomitee am 11. Juli 2002 verabschiedeten Richt-
linien über Menschenrechte und die Bekämpfung des
Terrorismus, in denen Kriterien für die Gewährleis-
tung der Beachtung der Menschenrechte beim Kampf
gegen den Terrorismus festgelegt werden.

2. Sie stellt fest, dass seit den Anschlägen vom 11. Sep-
tember 2001 Terroranschläge von besonderer Grau-
samkeit in verschiedenen Teilen der Welt verübt wur-
den und dass die Existenz einer weltweiten
terroristischen Bedrohung heute eine feststehende
Tatsache ist.

* Debatte der Versammlung am 29. Januar 2004 (6. Sitzung) (siehe
Dok. 10056, Bericht des Politischen Ausschusses, Berichterstatter:
teilichkeit der Wahlbehörden gegenüber den
Exekutivstrukturen;

Herr Mercan). Von der Versammlung verabschiedeter Text am 29. Ja-
nuar 2004 (6. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33 – Drucksache 15/2788

3. Die Versammlung spricht den Familien der Opfer
und allen, die von den jüngsten terroristischen Bom-
benanschlägen in Russland und in der Türkei in Mit-
leidenschaft gezogen oder dabei verletzt wurden, ihr
tief empfundenes Mitgefühl aus und spricht auch den
Familien der Opfer und allen, die durch einen Terror-
anschlag verletzt oder in anderer Weise in Mitleiden-
schaft gezogen wurden, ihr tief empfundenes Mitge-
fühl aus.

4. Während die Verbesserung der internationalen Zu-
sammenarbeit, die Verschärfung der nationalen Si-
cherheitsmaßnahmen und die zunehmende Zahl der
Ratifizierungen der verschiedenen internationalen
Rechtsinstrumente positive Zeichen beim Kampf ge-
gen den Terrorismus sind, existieren weiterhin
Schlupflöcher in der Gesetzgebung, bei grenzüber-
schreitenden Kontrollen sowie Strafverfolgungs- und
Auslieferungsvereinbarungen, die von den Terroris-
ten ausgenutzt werden.

5. In diesem Zusammenhang begrüßt die Versammlung
die Schaffung eines nach Maßgabe der Resolution 1173
(2001) des Sicherheitsrates eingesetzten Ausschusses
der Vereinten Nationen zur Terrorismusbekämpfung,
die Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunkts
und der Rahmenbeschlüsse des Rates der Europäi-
schen Union – ein sehr bedeutender Versuch in Rich-
tung auf einen strukturierten Ansatz zur Terrorismus-
bekämpfung – sowie die Einsetzung eines Ausschusses
der Terrorismusexperten beim Europarat (CODEXTER)
mit dem Ziel einer Verstärkung und Koordinierung
der Maßnahmen der Organisation in diesem Be-
reich.

6. Die Versammlung ist jedoch davon überzeugt, dass
neue Impulse erforderlich sind, um der Öffentlich-
keit ein klares Signal im Hinblick auf die Bedeu-
tung multilateraler Anstrengungen zu geben. Daher
wäre die Ausarbeitung eines allgemeinen Überein-
kommens, das sich aus Teilen bereits existierender
Rechtstexte und erforderlichen neuen Teilen zusam-
mensetzt, von großem Nutzen für die Bekämpfung
des Terrorismus, wie erstmals in der Stellungnahme
Nr. 242 (2003) der Versammlung zum Protokollent-
wurf zum Übereinkommen von 1977 zum Ausdruck
gebracht.

7. Trotz der bislang in dieser Hinsicht erzielten Fort-
schritte besteht so gut wie keine Möglichkeit, dies im
Rahmen der Vereinten Nationen zu erreichen auf-
grund der Schwierigkeiten bei der Definition des Ter-
rorismus. Eine homogenere Staatengruppe wie die
der Mitgliedstaaten des Europarates sollte in der
Lage sein, dieses Hindernis zu überwinden.

8. Die Versammlung ist überzeugt, dass das einem Ter-
rorakt zugrunde liegende Motiv nichts an der Art die-
ses Aktes ändert. Für Terrorismus gibt es keine
Rechtfertigung, und er kann nur als rechtswidrig, ver-

9. Wie die Versammlung in der Vergangenheit immer
wieder festgestellt hat, müssen Maßnahmen zur Be-
kämpfung des Terrorismus jederzeit mit den zu
schützenden Grundfreiheiten und Menschenrechten
vereinbar sein. Dies gilt insbesondere für die Mit-
gliedstaaten des Europarates, die sich auch der tief
verwurzelten Ursachen des sich wandelnden Wesens
des Terrorismus bewusst sein und den Dialog zwi-
schen den Kulturen und den Religionen fördern
sollten.

10. Die Versammlung ist davon überzeugt, dass die
Hauptursachen, die den Nährboden für die Ent-
stehung und die Verbreitung des Terrorismus bilden
– Armut, Ausgrenzung, Ungleichheit und Verzweif-
lung – untersucht werden sollten.

11. Die Versammlung bittet das Ministerkomitee,

i. unverzüglich mit der Ausarbeitung eines umfas-
senden Terrorismus-Übereinkommens des Euro-
parates zu beginnen, basierend auf dem von den
Instrumenten der Vereinten Nationen, des Euro-
parates und der Europäischen Union und anderen
gegebenenfalls weiter zu entwickelnden Texten
gegebenen normativen Besitzstand;

ii. unterdessen die Mitgliedstaaten aufzufordern,

a. die bestehenden Übereinkommen zu ratifizie-
ren oder das Ministerkomitee und die Ver-
sammlung über die Gründe in Kenntnis zu set-
zen, weshalb sie dies nicht tun, insbesondere
das Europäische Übereinkommen zur Be-
kämpfung des Terrorismus (1977) in Verbin-
dung mit seinem Protokoll (2003), das Euro-
päische Auslieferungsübereinkommen (1957)
und seine Zusatzprotokolle (1975 und 1978),
das Europäische Übereinkommen über die
Übertragung der Strafverfolgung (1972) so-
wie das Übereinkommen über Geldwäsche
sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Ein-
ziehung von Erträgen aus Straftaten (1990);

b. nachdrücklich Länder zu verurteilen, die Ter-
roristen ermutigen, ihnen helfen, ihnen finan-
zielle Unterstützung gewähren oder Unter-
schlupf bieten, und wirtschaftliche und
sonstige geeignete Maßnahmen ihnen gegen-
über einzuleiten;

c. bei ihren Außenbeziehungen Demokratie und
Menschenrechte zu fördern und gegenüber
despotischen und aufklärungs- und fort-
schrittsfeindlichen Regimen jegliche durch
strategische und wirtschaftliche Interessen
motivierte Selbstgefälligkeit zu vermeiden;

iii. in Absprache mit der Europäischen Union die
Möglichkeit zu untersuchen, EUROPOL in eine
effiziente gesamteuropäische Behörde umzuwan-
deln, die über angemessene Mittel zur Bewälti-
abscheuungswürdig, inakzeptabel und als Verbrechen
gegen die Menschlichkeit gesehen werden.

gung des Problems des internationalen Terroris-
mus verfügt;

Drucksache 15/2788 – 34 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

iv. erneut an die Mitgliedstaaten zu appellieren, wie
in der Empfehlung 1534 dargelegt, „dringend in
Erwägung zu ziehen, das Römische Statut zu än-
dern und dahingehend zu erweitern, dass die Zu-
ständigkeit des Internationalen Strafgerichts-
hofes sich auch auf Akte des internationalen
Terrorismus erstreckt“.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Hilfe und Schutz für Asylsuchende in
europäischen Häfen und Küstengebieten

(Drucksache 10011)

Berichterstatter:
Abg. Franco Danieli (Italien)

(Themen: das Recht auf Asyl – Harmonisierung der
Gesetze in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union – Anwendung der Europäischen Konvention für
Menschenrechte – Problematik der Identifizierung Asyl-
suchender unter den Migranten – Problem des Men-
schenhandels)

E m p f e h l u n g 1 6 4 5 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Hilfe und Schutz für Asylsuchende in
europäischen Häfen und Küstengebieten

(Drucksache 10011)

1. Die Parlamentarische Versammlung ist tief besorgt
über die immer größere Zahl von Menschen, die ihr
Leben und ihre Sicherheit bei dem Versuch aufs Spiel
setzen, das Staatsgebiet von Mitgliedstaaten des
Europarates an Bord unsicherer und überfüllter Boote
oder in Schiffen versteckt, in Container, Lastzüge
oder andere Vorrichtungen eingeschlossen zu errei-
chen, wobei sie unter extrem schwierigen Bedingun-
gen reisen, die ihnen bisweilen den Tod bringen.

2. Die Versammlung verweist auf ihre Empfeh-
lung 1467 (2000) über die illegale Einwanderung und
den Kampf gegen Menschenhändler, in der sie ihrem
Entsetzen über den Tod von 58 chinesischen blinden
Passagieren Ausdruck gab, die im Hafen von Dover
in einem Container gefunden wurden und bekräftigt
ihre Bestürzung über den Tod acht türkischer Staats-
bürger kurdischer Herkunft, darunter drei Kinder, die
2001 im Hafen von Wexford (Irland) in einem Con-
tainer gefunden wurden. Zu diesen dramatischen
Todesfällen sollten zahllose andere Menschen hin-
zugerechnet werden, die ihr Leben verloren, weil sie
auf der Flucht vor Not, extremer Armut, Diskrimi-

nierung und Verfolgung in der Straße von Gibraltar,
der Adria, der Ägäis und vor der Küste Siziliens er-
tranken.

3. Die Versammlung bekräftigt ihre Empfehlungen für
einen besseren Schutz und eine bessere Behandlung
von Asylsuchenden, insbesondere ihre Empfeh-
lung 1163 (1991) über das Eintreffen von Asylsuchen-
den auf europäischen Flughäfen; ihre Empfeh-
lung 1236 (1994) zum Asylrecht; ihre Empfeh-
lung 1309 (1996) zur Schulung von Beamten, die
Asylsuchende an Grenzübergängen empfangen; ihre
Empfehlung 1327 (1997) über den Schutz und die
Stärkung der Menschenrechte von Flüchtlingen und
Asylsuchenden in Europa; ihre Empfehlung 1374
(1998) über die Lage von weiblichen Flüchtlingen in
Europa und ihre Empfehlung 1440 (2000) über die
Einschränkungen des Asyls in den Mitgliedstaaten des
Europarates und der Europäischen Union.

4. Ungeachtet der von der Internationalen Seeschiff-
fahrts-Organisation (IMO) zusammengetragenen Sta-
tistiken lässt sich nicht sagen, wie vielen Menschen
es gelingt, sich an Bord von Schiffen oder unsicheren
Booten heimlich Zugang zu Mitgliedstaaten des
Europarates zu verschaffen, da die Schifffahrtslinien
Zwischenfälle mit blinden Passagieren und Rettungs-
aktionen nicht systematisch melden. Allerdings zeigt
die wachsende Zahl derjenigen, die bei einem sol-
chen Versuch aufgegriffen werden wie auch die der
unglückseligen Opfer, dass dieses Phänomen nicht zu
vernachlässigen ist.

5. In dem Bewusstsein, dass dieser Zugangsweg von
echten Asylsuchenden wie auch von anderen Migran-
ten genutzt werden kann, weist die Versammlung er-
neut darauf hin, dass Personen, die internationalen
Schutzes bedürfen, weder bestraft noch wegen ihrer
illegalen Einreise oder versuchten Einreise des Rech-
tes beraubt werden sollten, gemäß dem Genfer Über-
einkommen von 1951 über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge einen Asylantrag zu stellen.

6. Die Versammlung ist besorgt, dass der tatsächliche
Zugang von Personen, die in europäischen Seehäfen
oder Küstengebieten eintreffen, durch rechtliche und
praktische Hürden behindert werden könnte, darunter
fehlende unabhängige Rechtsberatung, begrenzte
Verfügbarkeit qualifizierter Dolmetscher und unzu-
reichende Informationen darüber, wie ein Asylantrag
zu stellen ist. Darüber hinaus besteht in Bezug auf
blinde Passagiere die Besorgnis, dass ihr tatsächli-
cher Zugang zum Asylverfahren durch einen unkla-
ren, nicht harmonisierten gesetzlichen Rahmen wie
auch die gleichzeitige Zuständigkeit mehrerer Stellen
behindert werden könnte.

7. Die Versammlung bedauert, dass oft, insbesondere
bei massenhafter Einreise in Küstengebieten, die ein-
zigen Befragungen, die vor der Anordnung einer Ab-

* Debatte der Versammlung am 29. Januar 2004 (6. Sitzung) (siehe
Dok. 10011, Bericht des Ausschusses für Wanderbewegungen,
schiebung stattfinden, ausschließlich zur Ermittlung
der Identität und der Nationalität des Betreffenden

Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen, Berichterstatter: Herr Danieli).
Von der Versammlung verabschiedeter Text am 29. Januar 2004
(6. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 35 – Drucksache 15/2788

dienen – mit der Folge, dass eine Reihe potenzieller
Flüchtlinge unter Verletzung des Grundsatzes des
non-refoulement unter Gefahr für ihr Leben und ihre
Sicherheit zurückgeschickt werden können. Ganz im
Gegenteil sollte der tatsächliche Zugang zum Asyl-
verfahren bedeuten, dass jede Person, die in einen
Mitgliedstaat des Europarates einzureisen versucht,
bei einem Einzelgespräch mit den zuständigen Be-
hörden des jeweiligen Staates Gelegenheit erhalten
sollte, umfassend vorzubringen, weshalb sie diesen
Versuch unternimmt.

8. In ähnlicher Weise befürchtet die Versammlung, dass
die tatsächliche Ausübung des Rechts auf Einspruch
gegen die Ablehnung, einen Asylantrag anzunehmen
oder gegen eine Ausweisung, durch überstürzte
Schnellverfahren, die nicht genug Zeit für eine An-
tragstellung lassen, durch unzureichende Informatio-
nen, Mangel an unabhängiger, kostenloser Rechts-
beratung und anwaltlicher Vertretung sowie
begrenzte Verfügbarkeit qualifizierter Dolmetscher
zunichte gemacht werden kann.

9. Die Versammlung stellt außerdem mit Bedauern fest,
dass trotz der großen Zahl von Asylsuchenden und
Migranten, die jedes Jahr an europäischen Küsten
eintreffen, ständige Aufnahmeeinrichtungen in den
betreffenden Gebieten immer noch die Ausnahme
sind und dass die dortigen materiellen und humani-
tären Gegebenheiten oft unter dem annehmbaren
Standard liegen.

10. Die Versammlung empfiehlt darum dem Minister-
komitee,

i. die zuständigen Ausschüsse anzuweisen, das
Recht und die Praxis der Mitgliedstaaten des
Europarates in Bezug auf den Zugang zum Asyl-
verfahren für in europäischen Küstengebieten
eintreffende Menschen zu überprüfen – insbe-
sondere bei ganzen Gruppen oder ungeordneten
Einreisen („mixed arrivals“) – und auf dieser
Grundlage den Mitgliedstaaten geeignete Emp-
fehlungen zu unterbreiten;

ii. die zuständigen Ausschüsse anzuweisen, das
Recht und die Praxis der Mitgliedstaaten des
Europarates in Bezug auf blinde Passagiere zu
überprüfen, die einen Asylantrag stellen möch-
ten, um so einen Verhaltenskodex zu entwerfen
und auf dieser Grundlage den Mitgliedstaaten
geeignete Empfehlungen zu unterbreiten;

iii. die Mitgliedstaaten aufzufordern,

a. dafür Sorge zu tragen, dass Personen, die in
Seehäfen und Küstengebieten Asyl beantra-
gen wollen, ungehinderten Zugang zum
Asylverfahren – darunter auch durch Verdol-
metschung in ihrer Sprache oder, wenn dies
nicht möglich ist, in einer ihnen verständli-

b. dafür Sorge zu tragen, dass jede Person, die
in Seehäfen oder Küstengebieten die Einreise
begehrt, Gelegenheit erhält, in einem Einzel-
gespräch mit den zuständigen Stellen aus-
führlich zu begründen, weshalb sie diesen
Versuch unternimmt;

c. ein System aufzubauen, das in Seehäfen oder
Küstengebieten die ständige Verfügbarkeit
unabhängiger und qualifizierter Rechtsbera-
tung und anwaltlicher Vertretung auf dem
Gebiet des Asyls und der Migration gewähr-
leistet und seine Qualität zu überwachen;

d. die volle Verantwortung für die Einwande-
rungskontrolle in Seehäfen zu übernehmen,
unter anderem durch Investitionen in Präven-
tions- und Erkennungsmethoden und, soweit
erforderlich, Verstärkung der Polizeikräfte
und Einwanderungsbeamten, wobei partner-
schaftlich mit an Seehafenaktivitäten beteilig-
ten Privatunternehmen zusammengearbeitet
werden sollte;

e. die internationale Zusammenarbeit zwischen
der Polizei, der Justiz und den Einwande-
rungsbehörden durch Austausch von Erkennt-
nissen und Informationen zu verbessern, um
auf diese Weise in Europa und international
tätige Schleusernetzwerke zu zerschlagen;

f. eine harmonisierte Strafgesetzgebung einzu-
führen, um den Schmuggel von Migranten
und Menschenhandel zu ahnden;

g. dafür Sorge zu tragen, dass gefährdete Perso-
nen wie allein reisende/unbegleitete Kinder,
alte Menschen, Kranke sowie schwangere
Frauen, die in Seehäfen oder Küstengebieten
eintreffen, auch wenn sie kein Asyl beantra-
gen, während ihrer Abschiebung oder der
Gewährung eines Rechtsstatus in angemesse-
ner Form Hilfe und eine Unterkunft erhalten;
außerdem sollten allein reisende/unbegleitete
Kinder unter wirksame gesetzliche Vormund-
schaft gestellt werden, sobald die Behörden
eines Mitgliedstaats von ihrer Anwesenheit
Kenntnis erlangen;

h. in Küstengebieten und in der Nähe von See-
häfen geeignete und auf Dauer angelegte
Aufnahmeeinrichtungen aufbauen, um neu
Eingetroffenen, ob sie nun Asyl beantragen
oder nicht, Unterkunft zu gewähren;

i. ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung von
Asylanträgen anzuerkennen, wenn sie der
erste Anlaufhafen auf der vorgesehenen
Fahrroute des Schiffes sind;

j. im Rahmen ihrer Verantwortung für die Ein-
wanderungskontrolle Patrouillenfahrten auf
See so durchzuführen, dass die Flüchtlings-
chen Sprache – sowie zu kostenloser und un-
abhängiger Rechtsberatung erhalten;

konvention von 1951 und die Europäische
Menschenrechtskonvention von 1950 in vollem

Drucksache 15/2788 – 36 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Umfang eingehalten werden, indem vermieden
wird, dass Menschen in Länder zurückge-
schickt werden, in denen ihnen Verfolgung
oder Menschenrechtsverletzungen drohen;

iv. die Entwicklungsbank des Europarates zu bitten,
Finanzierungswünsche von Mitgliedstaaten für
den Bau solcher Aufnahmeeinrichtungen wohl-
wollend zu prüfen;

v. den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen (UNHCR) zu bitten,

a. seine Arbeiten über internationalen Schutz
benötigende blinde Passagiere fortzusetzen;

b. die Zusammenarbeit mit der internationalen
Gemeinschaft und insbesondere der Interna-
tionalen Seeschifffahrts-Organisation und der
Europäischen Union bei der Suche nach ef-
fektiven Lösungen für blinde Passagiere fort-
zuführen, auch unter Betrachtung der Mach-
barkeit eines einheitlichen Rechtsinstruments
für den Umgang mit Asyl suchenden blinden
Passagieren und unter Einschluss von Regeln
für die Ermittlung des für die Bearbeitung
von Asylanträgen blinder Passagiere zustän-
digen Staates, ihre Behandlung an Bord und
die Höchstdauer ihres Gewahrsams an Bord.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Ansprache des Präsidenten der
Interparlamentarischen Union,

Sergio Páez Verdugo

(Themen: die gemeinsamen Ziele des Europarates und
der Interparlamentarischen Union: der Schutz der Men-
schenrechte und die Verbreitung der parlamentarischen
Demokratie – Zusammenarbeit der beiden Organisa-
tionen – der Europarat als älteste ständige internatio-
nale politische Organisation in Europa – Nutzung von
Synergieeffekten zwischen der Arbeit des Europarates
und der Interparlamentarischen Union)

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Die Verbesserung der Perspektiven für die
Entwicklungsländer: Ein moralisches Gebot

für die Welt

(Drucksache 10013)

Berichterstatter:
Abg. Klaus Werner Jonas (Deutschland)

Abg. Klaus Werner Jonas (SPD): Sehr geehrter Herr
Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist mir eine große Ehre, heute zu diesem sehr wichtigen

Carroll – dieser Debatte beiwohnen und sie mit ihren Bei-
trägen bereichern werden.

Die Millenniumserklärung der Vereinten Nationen ist
eine große, wenn nicht vielleicht sogar die größte Heraus-
forderung für die Welt. Die Millenniumserklärung der
Vereinten Nationen samt der darin enthaltenen Ziele im
entwicklungspolitischen Bereich, vor allem den Millen-
nium Development Goals, sind Richtschnur und Mess-
latte für unsere gemeinsame europäische Entwicklungs-
politik. Wir haben ein breites Verständnis von
Armutsbekämpfung, und so unterstützten wir neben den
Maßnahmen im direkten Bezug zu den MDGs auch Pro-
jekte und Programme für Frieden, Sicherheit, Umwelt-
politik, Bevölkerungspolitik und good governments.

Der Kampf für die MDGs, zu denen sich die internatio-
nale Gemeinschaft im Jahr 2000 verpflichtet hat, ist eine
riesige Gemeinschaftsaufgabe. Gemeinsam wollen wir
bis 2015 die weltweite Armut halbieren sowie weitere
zentrale Entwicklungsziele erreichen. Sie stellen einen
wichtigen Baustein in einer globalen Partnerschaft zwi-
schen Industrie- und Entwicklungsländern dar. Es bleibt
festzustellen: In unserer globalen Gesellschaft ist die
Kluft zwischen den wohlhabenden Staaten und den ärms-
ten Ländern der Welt größer geworden. Darauf wird auch
im Bericht eingegangen. Dieses umzukehren muss Ziel
und Aufgabe der Millenniumserklärung sein. Heute – und
das ist die Initiative des Berichts – ist es Zeit, eine Zwi-
schenbilanz zu ziehen. Dabei kann man grundsätzlich
feststellen, dass die Länder Asiens im Wesentlichen auf
einem sehr guten Weg sind. Im Gegensatz dazu herrscht
gerade in Afrika südlich der Sahara in weiten Teilen eine
entsetzliche Armut. Bei meinen eigenen Besuchen in
Zentralasien, Südasien und Afrika konnte ich mir inner-
halb der letzten zwölf Monate vor Ort davon ein Bild ma-
chen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es auch in
denjenigen Ländern gute Ansätze gibt, wo wir heute noch
erschreckende Bilder sehen. Diese Ansätze habe ich zum
Beispiel gerade dieses Jahr bei meinen Besuchen im Su-
dan gesehen.

Was aber ist unsere aktuelle Aufgabe? Zunächst meine
ich, dass die Arbeit der Geberländer noch besser koordi-
niert werden muss. Wir müssen eine größere Effektivität
erzielen und unsere Maßnahmen bündeln. Darüber hinaus
müssen wir auch bei der Evaluierung höhere Maßstäbe
anlegen. Nur eine nachhaltige Entwicklungspolitik kann
im Sinne dieser Länder erfolgreich sein. Des Weiteren
bleibt festzustellen, dass die Gelder auch besser abfließen
müssen. Der Europäische Entwicklungsfonds ist nicht
unbedingt ein positives Beispiel dafür. Ich bin jedoch da-
von überzeugt, dass die Auseinandersetzungen auf euro-
päischer Ebene im letzten Jahr zu künftigen Verbesse-
rungen beitragen werden. Ein weiteres wichtiges Ziel der
Industrienationen muss es sein, dass die ODA-Quote
von 0,7 Prozent nicht aus den Augen verloren wird, wo-
bei ich feststellen muss, dass es gerade die kleineren Län-
der in Europa sind, die dieses Ziel sehr gut im Visier
Thema sprechen zu dürfen, und die Freude wird dadurch
noch größer, dass zwei Minister – Herr Goerens und Frau

behalten und teilweise schon überschritten haben. Das
Land Luxemburg – das Herr Goerens hier vertritt – ist da-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 37 – Drucksache 15/2788

für ein sehr positives Beispiel. Wir dürfen jedoch nicht
nur auf die Zahlen starren. Die Qualität der Entwick-
lungspolitik ist wichtig und muss beachtet werden. Auch
hier gibt es noch viel zu tun und Chancen für effektiveres
Arbeiten zu nutzen. Auch die Offenheit der Märkte in den
Industrieländern ist ein wichtiger Maßstab. Einer Studie
zufolge ist für die Entwicklungsländer durch den Abbau
von Handelshemmnissen ein höherer Beitrag erkennbar
als der, welchen wir über Entschuldungsmaßnahmen und
Entwicklungshilfe leisten können.

Aus meinen Ausführungen folgt zweierlei:

1. Offene Märkte. Sie sind die Basis für eine eigenstän-
dige wirtschaftliche Entwicklung und eine Grundlage
für eine nachhaltige positive Entwicklung und für die
Unabhängigkeit von Geberländern.

2. Die Entschuldung. Die Entschuldungsmaßnahmen im
Rahmen von HIPC sind ein wichtiger Beitrag zur Er-
reichung der MDGs. Mittlerweile läuft in diesem
Rahmen eine Entschuldung von sechsundzwanzig
Ländern mit einem Volumen von knapp 41 Milliar-
den US-Dollar.

Es gibt – so lässt sich für mich bilanzieren – zu der Mil-
lenniumserklärung keine Alternative. Man müsste noch
viele Punkte ansprechen, aber in Anbetracht der langen
Rednerliste will ich versuchen, mich kürzer zu fassen.
Einen Punkt jedoch will ich auf jeden Fall noch aufgrei-
fen. Wir haben heute Morgen über Terrorismus diskutiert.
Ich glaube, die Erreichung der Millenniumsziele ist auch
ein wichtiger Beitrag dazu, dass dem Terrorismus die
Grundlage entzogen wird, wobei ich mir darüber im Kla-
ren bin, dass dies nicht die einzige Grundlage ist.

Ich habe zuvor gesagt, dass wir nicht auf die Zahlen star-
ren dürfen. Wir benötigen über die ODA-Quote hinaus
auch die Unterstützung der Privatwirtschaft. Direktinves-
titionen in diesen Ländern sind ein wichtiger Beitrag für
eine nachhaltige Entwicklung. Aber auch die Entwick-
lungsländer müssen ihre Hausaufgaben machen. Sie sind
aufgefordert, durch weitere Reformen zugunsten armer
und benachteiligter Bevölkerungsgruppen bessere Bedin-
gungen zu schaffen. Es gäbe noch viel zu sagen, doch für
mich ist die wichtigste Aussage in meinem Bericht fol-
gende: Wir können die Millenniumsziele erreichen, wenn
sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer ihre ge-
meinsamen Anstrengungen verstärken. Ich hoffe, dass
wir beim nächsten Bericht eine bessere Zwischenbilanz
werden ziehen können als heute.

Vielen Dank.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

sechzehn Redner stehen auf der Liste, ein Bericht liegt
vor, und es gibt keinen Änderungsantrag. Ich glaube, das
zeigt, dass dieses Thema von allen sehr ernst genommen
wird. Es zeigt aber auch, dass ich durch das Sekretariat
hervorragend bei der Arbeit zur Erstellung dieses Berich-
tes unterstützt worden bin. Deshalb möchte ich als erstes

bedanken. Wir haben diesen Bericht im Ausschuss sehr
intensiv, an einigen Punkten auch durchaus kontrovers
diskutiert, und das Ergebnis dieser Diskussion liegt Ihnen
vor. Erst diese Diskussion hat mich überhaupt in die Lage
versetzt, Ihnen den Bericht in seiner jetzigen Form vorzu-
legen.

An dieser Stelle möchte ich aber auch den beiden anwe-
senden Ministern, Frau Carroll und Herrn Goerens, herz-
lichen Dank sagen. Mit ihren Beiträgen haben sie die Dis-
kussion sehr bereichert. Sie haben mir auch in den
Gesprächen, die wir geführt haben, weitere wichtige Im-
pulse gegeben. Als ich hörte, dass Herr Goerens Wert auf
eine nachhaltige, kohärente und sinnvolle Zusammenar-
beit bei der Entwicklungspolitik legt, fiel mir ein Artikel
aus der deutschen Zeitung „Die Welt“ vom letzten Herbst
ein, die den Titel trug: „Am Ende brennt der Hund“. Hin-
tergrund ist, dass in Afrika Solarzellen installiert wurden,
um Kocher zu bedienen. Es fehlte jedoch an der Ausbil-
dung wie auch an der Befähigung, dieses richtig einzuset-
zen, was zur Konsequenz hatte, dass die Solarzellen
falsch eingesetzt und auf den Schwanz eines Hundes aus-
gerichtet wurden, und dieser Feuer fing. Das zeigt, dass
eine sinnvolle und nachhaltige Zusammenarbeit in der
Entwicklungspolitik dort nicht gewährleistet war. Doch
genau darum geht es. Frau Ministerin Carroll hat einen
auch aus meiner Sicht sehr wichtigen Punkt ange-
sprochen, den ich hier noch einmal aufgreifen will. Auch
Sie legen großen Wert darauf, dass die least developed
countries besondere Aufmerksamkeit erhalten. Ich
glaube, das ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn diese Län-
der brauchen Hilfe am dringendsten und am nötigsten.

Ich möchte auch auf die Kollegin aus Ungarn eingehen,
die einen für mich sehr wichtigen Aspekt ins Spiel ge-
bracht hat. Ungarn war bisher ein Nehmerland. Jetzt wird
es Mitglied der Europäischen Union und sieht sich daher
mit der Herausforderung konfrontiert, zu einem Geber-
land zu werden. Ich glaube, das ist ein positives Zeichen
für eine sinnvolle und nachhaltige Zusammenarbeit in der
Entwicklungspolitik. Ich begrüße Ungarn ganz herzlich
im Club der Geberländer.

Der vorliegende Bericht kann kein Abschlussbericht sein.
Ich weiß nicht einmal, ob wir jemals einen Abschluss-
bericht werden erstellen können. Bis zum Jahr 2015 ist
noch viel Zeit, aber es ist auch ein langer Weg. Ich halte
es für erforderlich, immer wieder Zwischenbilanz und
Schlussfolgerungen zu ziehen, die Entwicklung zu be-
obachten und aktuelle Entwicklungen auch kritisch zu
betrachten. Ich denke dabei insbesondere an die Finan-
zierung einer Peacekeeping-Maßnahme aus dem Europäi-
schen Entwicklungsfonds. Hier stellt sich die Frage, ob es
sinnvoll ist, die Gelder für solche Maßnahmen zur Ver-
fügung zu stellen, wobei ich nicht den Sinn von Peace-
keeping-Maßnahmen infrage stellen will.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal allen Diskus-
sionsteilnehmern ganz herzlich für die interessanten Bei-
träge danken. Ich glaube, alle wichtigen Themen sind an-
dem Sekretariat für die hervorragende Zusammenarbeit
danken. Des Weiteren möchte ich mich beim Ausschuss

gesprochen worden. Ich freue mich auf die weitere
Zusammenarbeit.

Drucksache 15/2788 – 38 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Ansprache des Ministers für Zusammenarbeit,
humanitäre Maßnahmen und Verteidigung und

des Ministers für Umwelt von Luxemburg,
Charles Goerens

Ansprache der Ministerin für internationale
Zusammenarbeit Kanadas,

Aileen Carroll

E m p f e h l u n g 1 6 4 6 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die Verbesserung der Perspektiven für
die Entwicklungsländer: Ein moralisches Gebot

für die Welt

(Drucksache 10013)

1. Ungeachtet feierlicher Erklärungen, die in den letz-
ten Jahren auf nationaler wie auf internationaler
Ebene zu der Notwendigkeit abgegeben wurden, die
Armut in den Entwicklungsländern zu überwinden,
wurden viele Versprechungen bedauerlicherweise
immer noch nicht erfüllt. Die Herausforderungen
sind nicht nur wirtschaftlicher Art – wenn z. B.
mehr als eine Milliarde Menschen mit weniger als
einem Dollar pro Tag überleben soll –, sondern hän-
gen auch mit beklagenswerten sozialen, demographi-
schen, gesundheitlichen und sonstigen Gegebenhei-
ten zusammen.

2. Im Jahr 2000 übernahmen die Vereinten Nationen
mit ihren Millenniumentwicklungszielen die morali-
sche Führung, also bei Aufgaben wie der Beseiti-
gung extremer Armut und des Hungers, der Sen-
kung der Kindersterblichkeit, der Verbesserung des
Gesundheitszustands der Mütter, der Förderung der
Gleichbehandlung der Geschlechter und des allge-
meinen Grundschulunterrichts, dem Kampf gegen
HIV/Aids, Malaria und andere Krankheiten, der Si-
cherung der Stabilität der Umwelt und dem Aufbau
einer globalen Entwicklungspartnerschaft. Dieser
Verpflichtung darf man sich nicht entziehen, zum
einen wegen des Ansehens des weltweit höchsten
Gremiums und zum anderen wegen des Schicksals
der Welt. Die Millenniumentwicklungsziele offenba-
ren eine Schwerpunktverlagerung weg von dem aus-
schließlichen Vertrauen auf die vermeintlich wun-
dertätigen Wirkungen der Marktkräfte allein und hin
zu einem stärker integrativen Ansatz, bei dem sozi-
ale Aspekte und die Partnerschaft mit den In-
teressen der Bürger vor Ort in den Entwicklungs-
ländern betont werden.

3. Ungeachtet der in den letzten Jahrzehnten weltweit
erfolgten generellen und in der Geschichte so noch

nie da gewesenen Schaffung von Wohlstand haben
sich die Bedingungen für die ärmsten Schichten un-
serer globalen Gesellschaft in vieler Hinsicht ver-
schlechtert. Der Bericht der Vereinten Nationen von
2003 über die menschliche Entwicklung enthält die
Schätzung, mehr als fünfzig Länder seien heute är-
mer als noch vor einem Jahrzehnt. Die Globali-
sierung mit ihren unausgewogenen Wirkungen ist zu
einem heftig diskutierten Thema geworden. Für die
wohlhabenden Staaten der Welt ergibt sich daraus die
moralische Forderung, sich für eine gerechtere welt-
weite Einkommensverteilung einzusetzen. Wenn die
internationale Gemeinschaft die versäumten Impulse
aufholen und die Millenniumentwicklungsziele bis
zum Endtermin 2015 erreichen will, ist jetzt ent-
schlossenes Handeln erforderlich.

4. Von dem moralischen Gebot für die Industriestaaten,
gegen die weltweite Armut vorzugehen, einmal abge-
sehen, lassen sich auch stichhaltige Sicherheitserwä-
gungen anführen. Terrorismus ist weniger wahr-
scheinlich in einer Welt mit abnehmender sozialer
Ungleichheit und wirtschaftlichen Möglichkeiten für
alle.

5. Das Wesen und die Ursachen der Unterentwicklung
sind von Region zu Region verschieden. Während
z. B. China, Indien und mehrere andere Staaten in
den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum er-
lebt haben und sich in Teilen Asiens und Lateiname-
rikas viele Dinge deutlich gebessert haben, steckt das
Afrika südlich der Sahara über weite Strecken in ent-
setzlicher Armut. Die Ursachen sind komplex und
unterschiedlich, können aber grob danach aufgeglie-
dert werden, ob sie in inländischen oder internationa-
len Sachverhalten wurzeln.

6. Zu den inländischen Ursachen der Unterentwicklung
gehören

i. schlechte Regierungsführung durch korrupte Eli-
ten und Richter in Verbindung mit dem Fehlen
demokratischer Institutionen, was zu wirtschaft-
licher Instabilität führt;

ii. ein oft explosives Bevölkerungswachstum;

iii. Herausforderungen im Beschäftigungsbereich,
wie hohe Arbeitslosigkeit, ein niedriger Beschäf-
tigungsstand und Kinderarbeit;

iv. Umweltzerstörung und schnelle Verstädterung,
wenn Teile der Landbevölkerung auf Arbeits-
suche in die Städte ziehen;

v. unzulängliche Bildungs- und öffentliche Gesund-
heitssysteme.

7. Zu den internationalen Ursachen der Unterentwick-
lung gehören:

i. ein schlecht funktionierendes Welthandelssys-
tem, das viele Entwicklungsländer in übermä-

* Debatte der Versammlung am 29. Januar 2004 (7. Sitzung) (siehe
ßiger Abhängigkeit von Rohstoffexporten im
Tausch gegen importierte Fertigwaren und

Dok. 10013, Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Entwick-
lung, Berichterstatter: Herr Jonas). Von der Versammlung verab-
schiedeter Text am 29. Januar 2004 (7. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 39 – Drucksache 15/2788

Dienstleistungen hält, während gleichzeitig an-
haltende Exportsubventionen in den Industrie-
staaten, insbesondere für landwirtschaftliche Er-
zeugnisse, den fairen internationalen Wettbewerb
untergraben;

ii. ein lähmender Schuldendienst, der in vielen
Staaten und ganz besonders in Afrika ein Viel-
faches der Ausgaben für Gesundheit und Bildung
beträgt;

iii. eine unzureichende und nicht sachgerecht auf-
gewandte öffentliche Entwicklungshilfe (ODA)
– nur eine Handvoll von Industriestaaten errei-
chen das gesteckte Ziel, 0,7 Prozent ihres BIP für
ODA aufzuwenden, während die übrigen reiche-
ren Länder weit hinter diesem Ziel zurück-
bleiben –, obwohl alle OECD-Mitgliedstaaten
diese Verpflichtung vor mehr als drei Jahrzehn-
ten als Beitrag zur „Entwicklungsdekade“ der
Vereinten Nationen einstimmig eingegangen
waren;

iv. ein Mangel an ausländischen Direktinvestitionen
– und eine ungerechte Verteilung derselben auf
die verschiedenen Länder –, wobei die afrikani-
schen Staaten nur einen Bruchteil der Gesamt-
summe erhalten;

v. ein immer noch unzureichender Beitrag der inter-
nationalen Finanzinstitutionen, wie der Weltbank
und des Internationalen Währungsfonds. In die-
sem Zusammenhang verweist die Versammlung
auf ihre Entschließung 1288 (2002) mit dem Ti-
tel „Der Internationale Währungsfonds und die
Weltbank: Herausforderungen für die Zukunft“,
in der sie ihre Überzeugung zum Ausdruck
brachte, dass diese beiden Institutionen „immer
noch wesentliche Aufgaben zu erfüllen haben,
soweit sie ihre Aktivitäten anpassen und sich im
Inneren reformieren: die Weltbank insbesondere
im Bereich der längerfristigen sozialen Unter-
stützung der Armen und der IWF bei vorbeugen-
den Maßnahmen zur Unterstützung einzelner
Staaten im Tausch gegen Verpflichtungen zur
Durchführung innerer Reformen…“ und dass
„Stimmrechte [bei diesen Institutionen] … nicht
nur die Finanzbeiträge, sondern immer mehr
auch die Wünsche und Bedürfnisse derjenigen
widerspiegeln (sollten), die im Hinblick auf die
mit der Globalisierung einhergehende ungerechte
Einkommensverteilung kein Mitspracherecht ha-
ben.“

8. Die Lösungen für diese Probleme müssen darum so-
wohl aus den Entwicklungsländern als auch aus der
internationalen Gemeinschaft kommen. Die Bevölke-
rung der Entwicklungsländer muss darin bestärkt
werden, von ihren Regierungen Rechenschaft für die
Versprechen zu fordern, auf die Verwirklichung der
Millenniumziele hinzuarbeiten. Die Industriestaaten

men der Doha-Entwicklungsrunde impliziert, bei der
die Botschaft der Entwicklungsländer an die reichs-
ten Nationen der Welt lautete, letztere müssten sich
auf eine neue Agenda der „fortschreitenden Globali-
sierung“ einstellen, um das künftige reibungslose
Funktionieren der Weltwirtschaft zu gewährleisten.
Diese Botschaft klingt wie ein Echo der Feststellung
des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bei der
Verkündung der Millenniumziele im Jahre 2000:
„Die zentrale Herausforderung, vor der wir heute ste-
hen, ist daher, sicherzustellen, dass die Globalisie-
rung zu einer positiven Kraft für alle Menschen der
Erde wird und nicht Milliarden von ihnen im Elend
lässt.“

9. Alle Beteiligten gehen schwierigen Aufgaben entge-
gen. Einige halten es nicht für möglich, die Millen-
niumziele in dem vorgegebenen Zeitrahmen zu er-
reichen. Es sind jedoch Fortschritte festzustellen,
und Beispiele wie der höhere Aufklärungsstand und
der Rückgang der HIV/Aids-Infektionen in be-
stimmten Ländern geben allen Anlass zu Hoffnung.
Es geht um den politischen Willen, sodass der Ein-
beziehung von Parlamentariern auf nationaler wie
auf internationaler Ebene entscheidende Bedeutung
zukommt.

10. In Anbetracht der obigen Ausführungen richtet die
Versammlung die nachfolgenden Empfehlungen an
das Ministerkomitee des Europarates, damit die Mit-
gliedstaaten des Europarates ihre Verpflichtungen
verwirklichen, die Millenniumziele der Vereinten Na-
tionen zu erreichen.

Vorgeschlagene Abhilfemöglichkeiten für die inlän-
dischen Ursachen der Unterentwicklung:

i. Förderung einer guten Regierungsführung, von
Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit, eines unab-
hängigen Gerichtswesens und der Ausmerzung
der Korruption als absolute Prioritäten, da Bemü-
hungen um eine dauerhafte Entwicklung auf an-
deren Gebieten sich sonst als vergeblich erwei-
sen werden;

ii. Unterstützung politischer Maßnahmen zur Ver-
ringerung des Bevölkerungswachstums in den
Entwicklungsländern einschließlich der allge-
meinen Bildung, insbesondere für junge Frauen,
und der Förderung der Frauenrechte;

iii. Schaffung von Anreizen für Beschäftigungspers-
pektiven durch Maßnahmen zur Entwicklungs-
zusammenarbeit in Bereichen wie Infrastruktur-
entwicklung, Ausbildung und aktive Förderung
der friedlichen Konfliktbeilegung, wie dies kürz-
lich von der Europäischen Union in bestimmten
afrikanischen Staaten praktiziert wurde;

iv. Auseinandersetzung mit dem Problem der über-
mäßigen Verstädterung, Verbesserung der Leis-
tungsfähigkeit der Landwirtschaft durch Einfüh-
müssen die scharfe Warnung beachten, die das Schei-
tern der WTO-Ministertagung von Cancún im Rah-

rung moderner Anbaumethoden und Förderung
des Kleinunternehmertums;

Drucksache 15/2788 – 40 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

v. Bemühungen, die Entwicklungsländer dazu zu
bewegen, einen größeren Teil ihrer Haushalte für
folgende Bereiche aufzuwenden:

a. Bildung, insbesondere die Grundschulerzie-
hung – mittels strengerer Rechtsvorschriften
gegen Kinderarbeit – und besondere Unter-
stützung von Schülern der Sekundarstufe und
Studierenden aus benachteiligten Milieus und

b. Gesundheit, einschließlich der Krankheits-
prävention auf dem Wege über Aufklärung,
medizinische Ausbildung für eine größere
Zahl von Ärzten, Programme zur Senkung
der Kindersterblichkeit und Zugang zu preis-
werteren Arzneimitteln, wie dies in der aktu-
ellen Entwicklungsagenda von Doha der
WTO vorgeschlagen wird.

Vorgeschlagene Abhilfemöglichkeiten für die inter-
nationalen Ursachen der Unterentwicklung:

i. Abbau der Handelsschranken, wie z. B. Agrar-
subventionen, zwischen den Industriestaaten und
den Entwicklungsländern und Förderung der
Handelsströme zwischen Entwicklungsländern;

ii. Verkündung eines Schuldenerlasses für die am
wenigsten entwickelten Länder, unbeschadet der
Verwirklichung der oben erwähnten Ziele der öf-
fentlichen Entwicklungshilfe;

iii. Steigerung der Entwicklungsfinanzierung, um
bis 2015 – ggf. in Zwischenetappen – die Millen-
niumentwicklungsziele der Vereinten Nationen
zu erreichen.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Die politische Krise in der Ukraine

(Drucksache 10058)

Berichterstatter:
Abg. Hanne Severinsen (Dänemark),

Abg. Renate Wohlwend (Liechtenstein)

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 4 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die politische Krise in der Ukraine

(Drucksache 10058)

1. Die Versammlung ist äußerst besorgt aufgrund der
jüngsten Entwicklungen in der Verkhovna Rada der
Ukraine in Verbindung mit der Prüfung des Gesetz-

entwurfes über Änderungen an der Verfassung der
Ukraine und verweist in diesem Zusammenhang auf
ihre Entschließungen 1179 (1999), 1239 (2001), 1244
(2001), 1346 (2003) und insbesondere Empfehlung
1451 (2000) betreffend die Reform der Institutionen
in der Ukraine. Sie nimmt zur Kenntnis, dass vor kur-
zem ein Verfahren eingeleitet wurde, das nicht im
Einklang mit der Geschäftsordnung der Verkhovna
Rada oder mit Artikel 19 der ukrainischen Verfas-
sung steht.

2. Die Versammlung bedauert zutiefst, dass die ukrai-
nischen Organe, einschließlich des Präsidenten der
Ukraine und das Außenministerium, die Aktivitäten
des Europarates, insbesondere das Überwachungs-
verfahren der Versammlung, die Besuche der Ko-
Berichterstatter des Überwachungsausschusses und
ihre Erklärungen als „Eingriff in die internen Angele-
genheiten der Ukraine“ betrachten. Sie verweist dies-
bezüglich darauf, dass die Ukraine die sich aus ihrer
Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen gemäß
der Satzung des Europarates freiwillig akzeptiert hat.
Die Versammlung hält einen solchen Standpunkt der
ukrainischen Organe daher für grundlos und unge-
rechtfertigt.

3. Die Versammlung unterstützt alle ernsthaften Bestre-
bungen der exekutiven und der legislativen Instanzen
der Ukraine zur Durchführung demokratischer Refor-
men, die auf eine beträchtliche Stärkung der gesetz-
geberischen Macht und auf eine Stärkung der Unab-
hängigkeit der Justiz abzielen und auf diese Weise zu
einer größeren Gewaltenteilung und zu besseren
Kontrollmöglichkeiten führen, wie es die Normen
des Europarates vorsehen.

4. Die Art der Reformen und das gewählte Regierungs-
system sind eine interne Angelegenheit eines jeden
souveränen Staates, jedoch nur so lange, wie sie unter
gebührender Achtung des Grundgesetzes des Landes
durchgeführt werden.

5. In dieser Hinsicht wiederholt die Versammlung, dass
die gegenwärtige Verfassung, die seit 1996 in Kraft
ist, das wichtigste nationale Rechtsinstrument dar-
stellt, auf dessen Grundlage das Land eine echte De-
mokratie entwickeln kann, und sie beharrt auf einer
strikten Einhaltung ihrer Bestimmungen, insbeson-
dere denjenigen im Hinblick auf Verfassungsände-
rungen, ungeachtet, wie nötig und angebracht diese
auch sein mögen.

6. In diesem Zusammenhang ist die Versammlung da-
von überzeugt, dass alle Beschlüsse zur Reform der
konstitutionellen Wahlbestimmungen, die vor den
Präsidentschaftswahlen gefasst werden, wahrschein-
lich einseitig und entzweiend sind, und hält daher
den Zeitpunkt der gegenwärtig stattfindenden De-

* Debatte der Versammlung am 29. Januar 2004 (7. Sitzung) (siehe
Dok. 10058, Bericht des Ausschusses für die Einhaltung der von den
Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Pflichten und Ver-
batte über Verfassungsreformen für äußerst unange-
bracht.

pflichtungen, Ko-Berichterstatterinnen: Frau Severinsen und Frau
Wohlwend). Von der Versammlung verabschiedeter Text am 29. Ja-
nuar 2004 (7. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 41 – Drucksache 15/2788

7. Die Versammlung bedauert nachdrücklich die Tatsa-
che, dass die Krise in der Verkhovna Rada durch das
Fehlen einer Diskussion über die offiziell registrier-
ten Entwürfe zur Änderung der Verfassung und durch
die von der Opposition gestellten Anträge ausgelöst
wurde. Die Versammlung hält derartige Praktiken für
unangemessen in einem demokratischen Staat, der
von den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit geleitet
wird.

8. Gleichzeitig beklagt sie die Mittel, zu denen die Op-
position im Gegenzug gegriffen hat, um die reguläre
Arbeit des Parlaments zu blockieren.

9. Die Versammlung verweist auf die Stellungnahme
der Europäischen Kommission für Demokratie durch
Recht (Venedig-Kommission) vom 13. Dezember
2003, die die unternommenen Anstrengungen zur
Reform des Regierungssystems zur Annäherung des
ukrainischen Systems an die europäischen demokra-
tischen Standards begrüßte, jedoch zu dem Schluss
kam, dass die genauen Lösungen, die in den ver-
schiedenen Entwürfen gewählt worden sind, noch
nicht ihr Ziel erreicht haben und andere Verfassungs-
änderungen einführen, die als ein Schritt zurück er-
scheinen.

10. Die Versammlung beklagt die Tatsache, dass keine
der Empfehlungen der Venedig-Kommission weder
im Laufe der Überprüfung der drei Gesetzentwürfe
(Nr. 3207-1, 4105 und 4180) durch das Verfassungs-
gericht der Ukraine noch durch den ad hoc eingesetz-
ten parlamentarischen Verfassungsausschuss berück-
sichtigt wurden, bevor der Gesetzentwurf Nr. 4105
zur Debatte in der Verkhovna Rada gestellt wurde.
Die Versammlung fordert daher die zuständigen
ukrainischen Organe nachdrücklich dazu auf, allen
bisher erteilten Empfehlungen der Venedig-Kommis-
sion Rechnung zu tragen und weiterhin einen offenen
und effektiven Dialog mit der Kommission im Hin-
blick auf eine Verbesserung der gegenwärtig disku-
tierten Gesetzentwürfe zu führen.

11. Die Versammlung richtet einen dringenden Appell an
die in der Verkhovna Rada vertretenen Parteien und
Blöcke sowie an die parlamentarischen Fraktionen
und Gruppen, ihre Probleme auf friedliche Art und
Weise zu lösen durch einen offenen Dialog und eine
vollständige Einhaltung der parlamentarischen Re-
geln und Bestimmungen, indem sie

i. die Gesetzmäßigkeit einer konstitutionellen Re-
form sicherstellen, indem sie zugeben, dass in
diesem Fall die Geschäftsordnung der Verkhovna
Rada nicht von allen betroffenen Parteien respek-
tiert wurde, wenn man berücksichtigt, dass eine
„Abstimmung durch Handzeichen“ im Parlament
im Gesetz nicht vorgesehen ist, auch nicht in der
Geschäftsordnung;

4105 und 4180) einleiten, die eine wirkliche In-
formation der Öffentlichkeit und eine landes-
weite öffentliche Diskussion dieser Fragen ein-
schließen würde, vor allem pluralistische
politische Debatten in den nationalen Rundfunk-
und Fernsehprogrammen;

iii. die Empfehlungen der Venedig-Kommission bei
der Änderung der Verfassung vollständig berück-
sichtigen und insbesondere ihre Haltung im Hin-
blick auf das imperative Mandat der nationalen
Parlamentarier, die Begrenzung der Ausübung
des Richteramtes auf zehn Jahre und die Auswei-
tung des Mandats des Generalstaatsanwaltes
noch einmal überdenken, die alle im Wider-
spruch zu den Grundsätzen von Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit stehen;

iv. sicherstellen, dass die nächsten Präsidentschafts-
wahlen wie geplant und für die in der gegenwär-
tigen Verfassung festgelegte Amtszeit abgehalten
werden in Anbetracht der Tatsache, dass eine
Änderung der Wahlmodalitäten unmittelbar vor
Anstehen der Wahlen nur zur Verwirrung der
Wählerschaft führen kann;

v. zustimmen, alle Verfassungsänderungen im Hin-
blick auf die Amtszeit und den Wahlmodus des
Präsidenten einem nationalen Referendum zu un-
terwerfen, wie in Artikel 156 der geltenden Ver-
fassung vorgesehen.

12. Die jüngsten Urteile des Verfassungsgerichts haben
erneut die Verletzlichkeit der Unabhängigkeit der
Justiz in der Ukraine gezeigt. In der ernsthaften Auf-
fassung, dass nur eine völlig unabhängige Justiz die
Stabilität bieten kann, die zur Herstellung der Rechts-
staatlichkeit notwendig ist, ist die Versammlung be-
sorgt über das Urteil des Verfassungsgerichts der
Ukraine vom 25. Dezember 2003 (Nr. 22-rp), da es
weder mit der aktuellen noch mit der vorherigen Ver-
fassung der Ukraine, die in Kraft war, als Präsident
Kutchma 1994 zum ersten Mal gewählt wurde, kon-
form ist. Die Versammlung hofft noch immer, dass
der Präsident der Ukraine demokratische Verantwor-
tung an den Tag legen und zum Ende seiner zweiten
Amtszeit abtreten wird, wie es die Verfassung der
Ukraine vorsieht.

13. Im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschafts-
wahlen im Oktober 2004 teilt die Versammlung die
Besorgnis vieler ukrainischer Bürger, dass die Wahl
nicht wirklich frei, fair, offen und transparent sein
wird. Sie vertritt die Auffassung, dass jegliche Form
autoritärer Praktiken wie die Einschüchterung der
Wähler, Druck auf die Wahlkommissare, Beschnei-
dung der Freiheit der Meinungsäußerung oder Partei-
lichkeit der Medien zugunsten einiger Kandidaten
der regierenden politischen Kräfte eindeutig inakzep-
tabel ist. Wenn all diesen Elementen volle Achtung
ii. eine offene Debatte über alle drei Gesetzent-
würfe zu Verfassungsänderungen (Nr. 3207-1,

gezollt wurde, muss auch das Ergebnis der Wahlen
respektiert werden.

Drucksache 15/2788 – 42 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

14. Die Versammlung ruft den Präsidenten der Ukraine
auf, in sehr naher Zukunft die Namen der vorgeschla-
genen Kandidaten vorzulegen, die die Sitze in der
Zentralen Wahlkommission einnehmen sollen, die
seit dem Auslaufen des Mandats der früheren Amts-
inhaber unbesetzt sind.

15. Im Lichte der vorgenannten Erkenntnisse ruft die
Versammlung den Generalsekretär des Europarates
auf, dringend einen Sondervertreter in der Ukraine zu
ernennen, dessen Mandat darin bestehen sollte, die
aktuellen politischen Entwicklungen in der Ukraine
zu verfolgen, Beratung zu leisten und die Erfahrung
des Europarates zur Verfügung zu stellen, wenn sie
gebraucht wird, und die kontinuierliche Zusammen-
arbeit mit den ukrainischen Behörden allgemein zu
verstärken und zu koordinieren.

16. Sie ist ebenfalls der Ansicht, dass die Aktivitäten in
Verbindung mit dem Medienaktionsplan des Europa-
rates, der mit den ukrainischen Behörden vereinbart
wurde, ausgeweitet werden sollten, um angesichts
der bevorstehenden Wahlkampagne eine bemerkens-
werte Verbesserung des allgemeinen Rahmens, in
dem die Medien operieren, zu erreichen und wesent-
liche Veränderungen in der Medienkultur zu begüns-
tigen.

17. Die Versammlung ist auch besorgt angesichts der
jüngsten Ereignisse in der Stadt Mukachevo im Hin-
blick auf die Bürgermeisterwahlen und fordert nach-
drücklich dazu auf, dieses Problem nach den Ge-
setzen der Ukraine zu lösen. Die Versammlung
empfiehlt dem Kongress der Gemeinden und Regio-
nen in Europa des Europarates, die Überwachungs-
mission über die künftigen Wahlen des Bürgermeis-
ters der Stadt Mukachevo zu übernehmen, damit die
Wahlen frei und unparteiisch ablaufen.

18. Die Versammlung ist der Meinung, dass die jüngsten
Verstöße gegen die Wahlverfahren in der Verkhovna
Rada die Verpflichtungen nach Artikel 3 der Satzung
des Europarates verletzen. Sollten weitere Versuche
unternommen werden, politische Reformen durch
eine Änderung der Verfassung auf eine Art und Weise
durchzusetzen, die nicht im Gesetz festgelegt ist und
mit verfassungswidrigen Mitteln durchgeführt wird,
oder sollte die Ukraine keine freien und fairen Wah-
len am 31. Oktober 2004 garantieren, kann die Ver-
sammlung beschließen, die Beglaubigungsschreiben
der ukrainischen Delegation gemäß Artikel 9 der Ge-
schäftsordnung der Versammlung anzufechten und
folglich entscheiden, das Ministerkomitee zu ersu-
chen, die Mitgliedschaft der Ukraine im Europarat
gemäß Artikel 8 der Satzung des Europarates auszu-
setzen.

19. Die Versammlung wird die Entwicklungen in der
Ukraine weiterhin genau verfolgen und ist bereit,
zu einem wirksamen Dialog zwischen den in der

Freitag, 30. Januar 2004

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Wirtschaftliche Aspekte der Erweiterung der
Europäischen Union: die entscheidenden

nächsten Jahre

(Drucksache 10012)

Berichterstatter:
Abg. Adrian Severin (Rumänien)

in verbundener Debatte mit

Die Folgen der Erweiterung der Europäischen
Union auf die Freizügigkeit zwischen den

Mitgliedstaaten des Europarates

(Drucksache 9979 rev.)

Berichterstatter:
Abg. Vitaly Shybko (Ukraine)

(Themen: die Erweiterung der EU als Wiedervereini-
gung Europas – die Rolle des Europarates als echte
pan-europäische Organisation – die neuen Mitglieder
als Gewinn für die EU – Schwierigkeiten durch die
Erweiterung aufgrund wirtschaftlicher und sozialer
Ungleichheiten – notwendige Reformen im Bereich der
Arbeitsmärkte, Gesundheitssysteme, Rentenpolitik,
Zuwanderung und Landwirtschaft – Reisefreiheit zwis-
chen den Staaten als eines der wichtigsten Ziele des
vereinten Europas – Ziel der Abschaffung der Visums-
pflicht für Reisen in alle europäischen Staaten – Öff-
nung Europas für alle seine Bürger)

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 5 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Wirtschaftliche Aspekte der Erweiterung
der Europäischen Union: die entscheidenden

nächsten Jahre

(Drucksache 10012)

1. Die Parlamentarische Versammlung begrüßt die weg-
weisenden Beschlüsse der Europäischen Union – auf
dem Gipfel von Kopenhagen vom Dezember 2002
und in den Volksabstimmungen der Beitrittsländer –,
die Erweiterung der Europäischen Union auf ins-
gesamt 25 Staaten im Jahre 2004 und 2007 um wei-
tere Staaten sowie um andere Staaten, deren Beitritt
für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen ist, voranzu-
treiben. Da 2004 75 Millionen Menschen und später
noch viel mehr zur Europäischen Union hinzukom-
men werden, wird ganz Europa vor weit reichenden
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausfor-
derungen stehen.

* Debatte der Versammlung am 30. Januar 2004 (8. Sitzung) (siehe
Dok. 10012, Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Entwick-
Verkhovna Rada vertretenen politischen Kräften bei-
zutragen.

lung, Berichterstatter: Herr Severin). Von der Versammlung verab-
schiedeter Text am 30. Januar 2004 (8. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 43 – Drucksache 15/2788

2. Die Versammlung stützt sich auf die Schlussfol-
gerungen des Seminars „Wirtschaftliche Aspekte der
Erweiterung der Europäischen Union: die entscheiden-
den nächsten Jahre“, das im September 2003 auf Ini-
tiative des Ausschusses für Wirtschaft und Entwick-
lung in Budapest veranstaltet wurde und betont die
Verpflichtung der nationalen Parlamente, Brücken-
funktion zwischen den europäischen Bürgern und
den Exekutivorganen zu übernehmen und zu gewähr-
leisten, dass alle Beteiligten angemessen informiert,
Erwartungen vermittelt, bestehende Probleme er-
kannt und geleistete Beiträge rechtzeitig und effizient
berücksichtigt werden.

3. Zwar gehört zur Langzeitperspektive der aufeinander
folgenden Erweiterungen der Europäischen Union
auch die Verheißung größeren Wohlstands für die
jeweiligen Staaten, doch wird eine der bedeutsamen
sofortigen Folgen dieses Prozesses eine viel tiefere
soziale und wirtschaftliche Kluft in der Europäischen
Union sein. Wenn dieses Wohlstandsgefälle in den
nächsten Jahren nicht erfolgreich abgebaut wird,
könnte es in der erweiterten EU zu gesellschaftlicher
Frustration kommen, die das größere Europa schwä-
chen und stärker entzweien könnte.

4. Angesichts seiner gesamteuropäischen Mitglied-
schaft kommt dem Europarat eine einzigartige Rolle
bei der Aufgabe zu sicherzustellen, dass der oben ge-
nannte Prozess nicht zu einem Europa mit zwei Ge-
schwindigkeiten führt, sondern dass alle Staaten sich
auch weiterhin für den Aufbau eines geeinten Euro-
pas einsetzen. Die Organisation sollte deshalb darauf
hinarbeiten, die sozialen und wirtschaftlichen Dispa-
ritäten zwischen ihren Mitgliedstaaten zu verringern,
z. B. durch Anwendung ihrer revidierten Sozialcharta
und die Förderung anhaltender Wirtschaftsreformen,
insbesondere in Bezug auf die Schaffung von Ar-
beitsplätzen, den Umbau der Renten- und Gesund-
heitssysteme, die Harmonisierung des Arbeitsrechts
und innereuropäische Wanderbewegungen.

5. Die Versammlung bekundet ihre Anerkennung für
die Entwicklungsfortschritte der Beitrittsländer und
glaubt, dass ihr positiver sozialer Beitrag sich in der
erweiterten EU in neuer wirtschaftlicher Dynamik
niederschlagen wird. Sie verweist auf die besonderen
Schwierigkeiten aufgrund der gegenwärtigen Ge-
meinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU, die unter den
heutigen Gegebenheiten mittlerweile weder rational
noch fair ist. Die aktuelle Erweiterung sollte als Kata-
lysator für eine längst überfällige Reform der GAP
dienen, nicht zuletzt im Rahmen der moralischen
Verpflichtung der EU gegenüber den Entwicklungs-
ländern. Neben der Notwendigkeit, die Reform der
GAP energischer voranzutreiben und eine Anpassung
der Beitrittsländer an den Wettbewerbsdruck seitens
der anderen EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen, wer-
den zusätzliche Anstrengungen unternommen wer-
den müssen, um Strukturveränderungen in den Bei-

6. Solidaritätsmechanismen werden nicht nur innerhalb
der erweiterten EU, sondern auch, um ein wirklich
ohne Ausgrenzung auskommendes Europa zu schaf-
fen, auf dem ganzen Kontinent gefestigt werden müs-
sen. Die Versammlung wird bei der Förderung des
Dialogs und der Pflege der Grundwerte des Europa-
rates unter seinen Mitgliedstaaten weiterhin eine ent-
scheidende Rolle spielen, um zwischen den Staaten
innerhalb und außerhalb der EU einen fairen Aus-
tausch zu gewährleisten und allen eine „Win-Win-
Situation“ zu bescheren – auch den Staaten, die der
EU nicht beitreten können oder wollen. Die EU-Mit-
gliedschaft sollte nicht als Selbstzweck betrachtet
werden und andere Mechanismen der wirtschaft-
lichen Zusammenarbeit zwischen europäischen Staa-
ten sollten ausgebaut werden, so z. B. über die EWR-
Abkommen oder die vor kurzem von der Europäi-
schen Kommission vorgeschlagene Partnerschaft
„Größeres Europa – Nachbarschaft“.

7. Die erweiterte EU wird einen gemeinsamen Markt
mit über 450 Millionen Verbrauchern und 25 Volks-
wirtschaften mit einem Gesamt-BIP von 10 Milliar-
den Euro bilden – größer als die Vereinigten Staaten
und rund ein Viertel des Welt-BIP. Der Erweiterungs-
prozess selbst wird von 2004 bis 2006 rund 41 Mil-
liarden Euro kosten – hauptsächlich für Strukturfonds
zugunsten der Beitrittsländer. Vor dem Hintergrund
des zurzeit trägen Wirtschaftswachstums in West-
europa, insbesondere in den wichtigsten Staaten der
EWU und der entsprechenden Auswirkungen auf die
Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas, müssen
die fiskalische Disziplin und Solidarität überall ge-
stärkt und gerade in den Beitrittsländern die Fähig-
keit ausgebaut werden, Mittel aufzunehmen. Die Ver-
sammlung registriert mit Genugtuung die fruchtbare
Partnerschaft zwischen der EU-Kommission, der
Europäischen Investitionsbank, der Europäischen
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der
Entwicklungsbank des Europarates bei der Steige-
rung des Investitionsvolumens nicht nur in den Bei-
trittsländern, sondern in ganz Europa.

8. Besondere Beachtung verdienen die anhaltenden Be-
fürchtungen mancher Europäer, Wanderungen von
Arbeitskräften könnten sich in der erweiterten EU de-
stabilisierend auswirken, da Arbeitnehmer in die
wohlhabenderen Länder Westeuropas strömen wür-
den, in denen die Löhne und Gehälter vergleichs-
weise höher sind und es zu einem „Brain Drain“ hoch
qualifizierter Arbeitnehmer aus den Beitrittsländern
kommen könnte. Die Versammlung ist der Auffas-
sung, dass die geschätzten Kosten der EU-Erweite-
rung zwar nicht außer Acht gelassen werden dürfen,
aber vor dem Hintergrund der Vorteile, die sich aus
den neuen Handelschancen in einem größeren ge-
meinsamen Markt ergeben, der gestiegenen Mobilität
der Arbeitskräfte vor dem Hintergrund einer altern-
den Bevölkerung und größerer internationaler Wett-
trittsländern zu fördern und zu begleiten und darüber
hinaus Landwirte zu Unternehmern zu machen.

bewerbsfähigkeit der Europäischen Union gesehen
werden müssen. Die Mitgliedstaaten des Europarates

Drucksache 15/2788 – 44 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

sollten deshalb zusammenarbeiten, um einen generel-
len Anstieg der Beschäftigungsquoten und spezifi-
sche Lösungen anzustreben, die insbesondere hoch
qualifizierte Staatsbürger dazu anhalten sollten, im
eigenen Land zu bleiben, wo sie nach der Erwei-
terung wertvolle Beiträge zur Entwicklung leisten
können.

9. Je größer die EU wird, desto stärker wird auch in den
sie bildenden Ländern und Regionen der Bedarf an
Integration und Einheit werden. In einer Zeit, in der
die Verhandlungen über die künftige Verfassung der
Europäischen Union in eine entscheidende Endphase
eintreten, sollten Besorgnisse über die Komplexität
der Aufgaben nach der Erweiterung gebührend be-
rücksichtigt werden. Die Benennung eines europäi-
schen Kommissars zur Bewältigung der nach der Er-
weiterung anstehenden Aufgaben könnte mehr
Stabilität, Koordinierung und Schwerpunktsetzung in
diesem Bereich bewirken und darüber hinaus die In-
tegration der neuen Mitgliedstaaten erleichtern.

10. Trotz ihrer kühnen Schritte in Wirtschaft, Verwaltung
und Recht müssen die zehn Beitrittsländer in ihrer
Regierungsführung erst noch zahlreiche Mängel und
Schwächen beseitigen, u. a. durch Bekämpfung der
Wirtschaftskriminalität, Stärkung des Gerichtswesens
und Überwindung von Schwierigkeiten bei dem Ge-
setzesvollzug. Korruption und Vetternwirtschaft müs-
sen von allen europäischen Staaten unerbittlich aus-
gemerzt werden.

11. Eingedenk der obigen Ausführungen ruft die Ver-
sammlung die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, die Beitrittsländer, die übrigen Kandidaten-
länder und die am Stabilisierung- und Assoziierungs-
prozess teilnehmenden Staaten auf,

i. die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik zügi-
ger voranzubringen, um die Last der Agrarsub-
ventionen – für den allgemeinen Haushalt der
EU und die Verbraucher in den EU-Staaten und
darüber hinaus – zu verringern und ihre Märkte
für eine gerechtere Handelspartnerschaft mit
Nicht-EU-Ländern, insbesondere in der Dritten
Welt, zu öffnen;

ii. weiterhin eine Reform oder Anpassung des Ren-
tensystems zu betreiben, wie dies angesichts der
Überalterung der Bevölkerung und der gesell-
schaftlichen Langzeitbedürfnisse erforderlich er-
scheint;

iii. die Informationskontakte mit den Bürgern auszu-
bauen, um so die Transparenz der europäischen
Institutionen zu steigern, öffentliche Unterstüt-
zung für langfristige Entwicklungsprojekte zu er-
halten und europäische Ideale und Gefühle zu
fördern;

iv. zu erwägen, einem EU-Kommissar die Aufgabe

v. steuerliche Anreize für lebenslanges Lernen zu
bieten und das Bewusstsein der Öffentlichkeit für
die positiven Auswirkungen der innereuropäi-
schen Wanderung von Arbeitskräften zu steigern;

vi. die Haushaltsdefizite weiter zu verringern, die
Anstrengungen im Hinblick auf eine allmähliche
Konvergenz der Steuerpolitiken fortzusetzen und
die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanz-
politik im Kreise der in die Wirtschafts- und
Währungsunion eingebundenen Staaten zu för-
dern;

vii. sich für besser funktionierende und stärker ver-
netzte Verkehrsverbindungen einzusetzen;

viii. die Steuerpolitik und andere fiskalische Instru-
mente so anzupassen, dass Investitionen in
Europa gefördert werden, statt dass Aktivitäten
von Europa auf andere Kontinente verlagert wer-
den;

ix. politische Maßnahmen auszuarbeiten, die der
Ausweitung lang laufender Kleinkredite, insbe-
sondere für Klein- und Mittelbetriebe, zugute
kommen;

x. sich für den baldigen Beitritt der Europäischen
Union zu den Zivil- und Strafrechtsübereinkom-
men gegen Korruption (ETS Nr. 173 und 174)
des Europarates und die Mitarbeit der Europäi-
schen Union im Rahmen des GRECO-Teilüber-
einkommens des Europarates (Staatengruppe ge-
gen die Korruption) einzusetzen;

xi. den EU-Haushalt in Höhe eines Anteils von 1,24
am Bruttonationaleinkommen (BNE) der EU für
die nächsten Haushaltsperioden beizubehalten.
Dies wird den Zusammenhalt der Mitgliedstaa-
ten, der Beitrittsländer und auch der zukünftigen
Beitrittsländer der EU stärken. Eine Absenkung
des EU-Haushaltes würde dazu beitragen, die
Konvergenz zwischen reichen und armen EU-
Staaten in der EU zu verlangsamen.

E m p f e h l u n g 1 6 4 7 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Wirtschaftliche Aspekte der Erweiterung
der Europäischen Union: die entscheidenden

nächsten Jahre

(Drucksache 10012)

Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre
Entschließung 1356 (2004) über wirtschaftliche Aspekte
der Erweiterung der Europäischen Union: die entschei-
denden nächsten Jahre, und empfiehlt dem Minister-
komitee,

* Debatte der Versammlung am 30. Januar 2004 (8. Sitzung) (siehe
Dok. 10012, Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Entwick-
für die Steuerung der Entwicklung nach der Er-
weiterung zu übertragen;

lung, Berichterstatter: Herr Severin). Von der Versammlung verab-
schiedeter Text am 30. Januar 2004 (8. Sitzung).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 45 – Drucksache 15/2788

1. die Einsetzung eines gemeinsamen Arbeitsausschus-
ses Europarat/Europäische Union mit dem Mandat zu
erwägen, politische Orientierungslinien zu erarbeiten
und die Harmonisierung der europäischen Gesetze
und Politiken zugunsten des sozialen, wirtschaftli-
chen und territorialen Zusammenhalts wie auch der
nachhaltigen Entwicklung im größeren Europa zu
fördern;

2. die Möglichkeit zu prüfen, ein Europäisches Forum
für sozialen Dialog zu schaffen, in dem Vertreter der
wichtigsten europäischen Organisationen, Gewerk-
schaften, Arbeitgeberverbände und der Zivilgesell-
schaft zu regelmäßigen Konsultationen zusammen-
kommen, um die nationalen und europäischen
Politiken zugunsten des wirtschaftlichen und sozialen
Zusammenhalts zu bewerten, die Arbeit regionaler
Kooperationsstrukturen zu unterstützen, den Aus-
tausch bester Praktiken zwischen den Staaten voran-
zubringen und sich für einen parteien- und sektoren-
übergreifenden Dialog auf nationaler, regionaler und
gesamteuropäischer Ebene einzusetzen;

3. die Mitgliedstaaten des Europarates nachdrücklich
aufzufordern,

i. den Rahmen der revidierten Sozialcharta gründ-
lich umzusetzen und besser zum Abbau der so-
zialen und wirtschaftlichen Disparitäten zwi-
schen den Regionen und Staaten zu nutzen;

ii. für die volle Unterstützung der Maßnahmen des
Europarates gegen Korruption und Geldwäsche
zu sorgen, u. a. auch durch uneingeschränkte Be-
folgung der Grundsätze, wie sie in den Zivil- und
Strafrechtsübereinkommen gegen Korruption
(ETS Nr. 173 und 174) und dem Zusatzprotokoll
zu letzterem Übereinkommen (ETS Nr. 191), den
Gemeinsamen Vorschriften gegen Korruption bei
der Parteien- und Wahlkampffinanzierung, dem
Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermitt-
lung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträ-
gen aus Straftaten (ETS Nr. 141), dem Europäi-
schen Übereinkommen über die Rechtshilfe in
Strafsachen (ETS Nr. 030) und dessen beiden Zu-
satzprotokollen (ETS Nr. 099 und 182), den Pro-
jekten Octopus und GRECO, dargelegt werden;

iii. die Mobilität ihrer Arbeitskräfte zu fördern und
gleichzeitig den fairen Zugang zur sozialen Si-
cherheit und die Gleichberechtigung der Arbeit-
nehmer sicherzustellen;

iv. sich weiterhin um höhere Qualität in der öffentli-
chen Verwaltung und eine Konvergenz der
Rechtsvorschriften zu bemühen;

v. mehr in gesamteuropäische Forschungs- und
Entwicklungsnetzwerke zu investieren;

E m p f e h l u n g 1 6 4 8 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Die Folgen der Erweiterung der
Europäischen Union auf die Freizügigkeit

zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates

(Drucksache 9979 rev.)

1. Es besteht die weit verbreitete Befürchtung, nach Mai
2004 werde Europa im Anschluss an die anstehende
Erweiterungsrunde der Europäischen Union (EU) in-
folge der Ausweitung des Schengener Visasystems in
administrativer Hinsicht zweigeteilt sein. In einem
solchen Fall würde der freie Personenverkehr zwi-
schen Mitgliedstaaten des Europarates über Gebühr
behindert, was in einer ganzen Reihe von Bereichen
Folgen hätte, darunter im Fremdenverkehr, bei Ge-
schäftsreisen, der Reisetätigkeit von Diplomaten,
dem grenzüberschreitenden Kleinhandel, der interna-
tionalen Migration von Arbeitskräften sowie bei
kommunalen und kulturellen Verbindungen. Daraus
könnten sich wiederum im In- und Ausland Spannun-
gen aufgrund der Nationalität und der Volkszugehö-
rigkeit ergeben.

2. Wie es in seiner Satzung heißt, beruht der Europarat
auf einem gemeinsamen Erbe geistiger und sittlicher
Werte, die die Völker seiner Mitgliedstaaten verbin-
den und die wahre Quelle der persönlichen Freiheit,
der politischen Freiheit und der Herrschaft des
Rechts darstellen, die der europäischen Demokratie
zugrunde liegen. Für die Erhaltung und die fort-
schreitende Verwirklichung dieser Ideale und zur
Förderung des sozialen und wirtschaftlichen Fort-
schritts muss zwischen den europäischen Ländern
eine engere Verbindung hergestellt werden. Größt-
mögliche Freizügigkeit der Menschen in ganz Europa
ist für dieses Vorhaben wie auch für die Befolgung
unserer gemeinsamen Grundsätze durch die Staaten
wie durch den Einzelnen von wesentlicher Bedeu-
tung. Die internationale Zusammenarbeit unter der
Schirmherrschaft des Europarates wie auch der Euro-
päischen Union hat dazu beigetragen, über den Kon-
tinent hinweg Bande des Verständnisses, des Vertrau-
ens und der Freundschaft zu knüpfen.

3. Diese Grundsätze sind auch heute genau wie der
Einigungsauftrag des Europarates noch von ent-
scheidender Bedeutung und relevant. In dieser Hin-
sicht verweist die Parlamentarische Versammlung
auf ihre Empfehlungen 879 (1979) über den Perso-
nenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-
parates, 990 (1984) über illegale Wanderbewegun-
gen in Europa, 1014 (1985) über von bestimmten
Mitgliedstaaten des Europarates im Falle türkischer

* Debatte der Versammlung am 30. Januar 2004 (8. Sitzung) (siehe
Dok. 9979 rev., Bericht des Ausschusses für Recht und Menschen-
rechte, Berichterstatter: Herr Shybko, und Dok. 10025, Bericht des
vi. nationale Strategien zur Verminderung der rela-
tiven Armut zu erarbeiten.

Politischen Ausschusses, Berichterstatter: Herr Severin). Von der
Versammlung verabschiedeter Text am 30. Januar 2004 (8. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 46 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Staatsbürger verlangte Einreisevisa, 1373 (1998)
über die Freizügigkeit und die Ausstellung von Visa
für Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates und 1579 (2002) über die Erweite-
rung der Europäischen Union und die Region Kali-
ningrad. Die Versammlung nimmt mit Freude das
kürzlich zwischen Litauen, der Russischen Födera-
tion und der Europäischen Union zustande gekom-
mene Übereinkommen über die Region Kaliningrad
zur Kenntnis. Sie nimmt darüber hinaus neuere Do-
kumente und Erklärungen des Europäischen Rates,
des Rates der Europäischen Union und der Europäi-
schen Kommission zur Kenntnis, in denen diese
Grundsätze anerkannt werden und Einigkeit darüber
besteht, die Schaffung neuer Trennlinien unbedingt
vermeiden zu müssen.

4. Das Schengen-System soll innerhalb eines multina-
tionalen Gebiets (des Schengen-Raums) ohne Bin-
nengrenzen die Freizügigkeit im Personenverkehr
einführen. Die sich daraus ergebenden Besorgnisse in
Bezug auf die öffentliche Ordnung und die Sicherheit
werden durch zwei Maßnahmenbündel angegangen:
Das erste betrifft die Visapolitik und die Überwa-
chung der Außengrenzen, wodurch Personen, die
eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder Si-
cherheit darstellen, an der Einreise in das Schengen-
Gebiet gehindert werden sollen. Bei dem zweiten
geht es um die polizeiliche und Sicherheitszusam-
menarbeit, durch die die Fähigkeit der nationalen
Strafrechtssysteme erhöht werden soll, in dem nicht
von Grenzen durchschnittenen Schengen-Gebiet zwi-
schen den verschiedenen Gerichtsbarkeiten zu ope-
rieren, um auf diese Weise besser auf alle Formen der
trans- und internationalen Kriminalität reagieren zu
können.

5. Die Versammlung stellt fest, dass der Europarat
schon seit den ersten Jahren seines Bestehens die
gleichen Ziele verfolgt. Was die Freizügigkeit angeht,
erinnert sie insbesondere an das Europäische Nieder-
lassungsabkommen von 1955 (ETS 19) und das
Europäische Abkommen von 1957 über Rechtsvor-
schriften zum Personenverkehr zwischen Mitglied-
staaten des Europarates (ETS 25) wie auch das Euro-
päische Übereinkommen über die Rechtsstellung der
Wanderarbeitnehmer (ETS 93) und das Europäische
Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften
(ETS 106). Zur Strafgerichtsbarkeit und zur öffent-
lichen Ordnung erinnert sie insbesondere an die Euro-
päische Auslieferungskonvention von 1957 (ETS 24)
mit ihren Zusatzprotokollen (ETS 86 und 98), das
Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in
Strafsachen (ETS 30) mit seinen Zusatzprotokollen
(ETS 99 und 182), die Europäische Konvention von
1970 über die internationale Geltung von Urteilen in
Strafsachen (ETS 70), die Europäische Konvention
von 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (ETS 90)
mit ihrem Änderungsprotokoll (ETS 190) und das

gegen die Korruption aus demselben Jahr (ETS 174)
sowie schließlich die Konvention über die Überstel-
lung verurteilter Personen (ETS 112) und das Über-
einkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Be-
schlagnahme und Einziehung von Erträgen aus
Straftaten (ETS 141). Bezeichnenderweise bilden
mehrere dieser Rechtsinstrumente die Grundlage für
die eigenen Mechanismen des Schengen-Systems.
Die Versammlung nimmt auch die Staatengruppe ge-
gen die Korruption (GRECO) zur Kenntnis.

6. Die Europäischen Union hat zwar einen Integrations-
grad erreicht, der über den im Europarat erreichten
hinausgeht, die Versammlung ist aber dennoch über-
zeugt, dass die Verbindung der Verträge des Europa-
rates auf dem Gebiet der Freizügigkeit und der poli-
zeilichen und justiziellen Zusammenarbeit nicht nur
bei der Zielsetzung, sondern auch bei der potenziel-
len Effektivität einen Vergleich mit dem Schengen-
System ohne weiteres aushält. Eine breitere Ratifizie-
rung sowie eine sachgerechte Koordinierung und, so-
weit erforderlich, Änderung dieser Verträge könnte
zur Schaffung eines Rahmens führen, der im gesam-
ten größeren Europa mehr Freizügigkeit gewähren
würde: mit weniger Einschränkungen als im Schen-
gen-Gebiet, aber ausreichend ausgebaut, um die Ein-
heit und den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten des
Europarat deutlich zu machen.

7. Als einziges demokratisches Organ, das Bürger aus
allen Teilen Europas vertritt, erklärt die Versamm-
lung ihre entschiedene Ablehnung aller Maßnahmen,
die die Völker und Staaten eines Kontinents teilen
könnten, der erst in jüngster Zeit ein historisches Maß
an politischer, sozialer, wirtschaftlicher und kulturel-
ler Einheit und Harmonie erreicht hat. Dementspre-
chend unterstützt sie alle Bemühungen, um eine sol-
che Entwicklung zu vermeiden und schlägt die
nachfolgenden Empfehlungen vor.

8. Die Versammlung empfiehlt den Mitgliedstaaten,

i. größtmögliche Sorgfalt darauf zu verwenden, ei-
nen offenen, konstruktiven politischen Dialog
zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Nicht-
mitgliedstaaten sowie auf subregionaler Ebene
zu führen und zu gewährleisten, dass das Entste-
hen neuer Trennlinien auf dem europäischen
Kontinent unter allen Umständen vermieden und
Freizügigkeit zwischen allen Mitgliedern sicher-
gestellt wird;

ii. die oben in Ziffer 5 aufgeführten Übereinkom-
men, Abkommen und sonstigen Verträge, soweit
dies noch nicht geschehen ist, unverzüglich zu
ratifizieren und umzusetzen und Mitglieder der
GRECO zu werden;

iii. auf der Grundlage von Gegenseitigkeit Bestim-
mungen einzuführen, die Staatsbürgern aus Mit-
gliedstaaten des Europarates, die einen Diploma-
Strafrechtsübereinkommen von 1999 gegen die Kor-
ruption (ETS 173), das Zivilrechtsübereinkommen

ten- oder Dienstpass besitzen, die Möglichkeit zu
geben, Dienstreisen ohne Visum durchzuführen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 47 – Drucksache 15/2788

iv. im Falle der Mitgliedstaaten, die auch EU-Mit-
glieder sind (einschließlich der im Mai 2004
möglicherweise beitretenden Staaten), gegen-
über Bürgern anderer Mitgliedstaaten des Euro-
parates in den nicht in die Zuständigkeit der EU
fallenden Bereichen der Einwanderungspolitik
liberale Maßnahmen zu beschließen, insbeson-
dere zur Vereinfachung von Formalitäten für den
Erhalt von Visa und zur Erleichterung des
Grenzübertritts;

v. im Falle der Mitgliedstaaten, die keine EU-Mit-
glieder sind, dafür Sorge zu tragen, dass sie
Maßnahmen ergreifen, um in auf Gegenseitig-
keit beruhenden Bereichen positive Entwicklun-
gen zu fördern, so z. B. durch Festsetzung niedri-
ger Visagebühren und den Abschluss bilateraler
und multilateraler Rücknahmeabkommen;

vi. den Grenzübertritt zu erleichtern, indem an den
Grenzübergangsstellen spezielle Korridore ein-
gerichtet werden, die für Staatsbürger aus Mit-
gliedstaaten des Europarates reserviert sind;

vii. im Falle der Mitgliedstaaten, deren gemeinsame
Grenzen bereits Außengrenzen der Europäi-
schen Union sind oder infolge der Erweiterung
der Union zu solchen werden, aktiv zusammen-
zuarbeiten, um ihre gemeinsamen Grenzen zu
schützen und zu sichern sowie die Außengren-
zen jener Mitgliedstaaten des Europarates, die
der Europäischen Union beitreten, und sich an
einer institutionalisierten Zusammenarbeit in Be-
zug auf den Informationsaustausch über den ille-
galen Personen- und Güterverkehr zu beteiligen;

viii. ihre Befugnisse dahingehend sinnvoll zu nutzen,
dass sie langfristige nationale Visa für Bürger
aus Mitgliedstaaten des Europarates ausstellen;

ix. Grenzkontrollpersonal auszubilden, insbeson-
dere mit der Absicht, Vorurteile und Stereoty-
pen, die möglicherweise in Bezug auf Ausländer
bestehen, auszuräumen und ihre Kontakte zu
Staatsbürgern ausländischer Staaten, die aus
nachvollziehbaren Gründen reisen, menschli-
cher zu gestalten.

9. Die Versammlung empfiehlt den Vertragsstaaten des
Schengener Abkommens von 1990 außerdem,

i. ihren konsularischen Dienst in anderen Mit-
gliedstaaten des Europarates auszubauen, damit
Visa zügig, effizient und bequem und im Sinne
der Menschenwürde ausgestellt werden. In die-
sem Zusammenhang sollte ein administratives
Kontrollverfahren für die Bearbeitung von Visa-
anträgen eingeführt und in allen Konsulaten ver-
einheitlicht werden;

ii. in Bezug auf die Visumserteilung eine Vermu-
tung zu begründen, wonach jeder, der einen
Visumsantrag stellt, davon ausgehen kann, dass

sind und spezielle Kriterien erfüllen und jeder
Prüfung hinsichtlich Transparenz standhalten;

iii. die Zahl der Grenzübergänge zu nicht der EU
angehörenden Nachbarstaaten zu erhöhen und
die dortigen Einrichtungen zu verbessern, insbe-
sondere mithilfe des Einsatzes moderner elektro-
nischer Technologie;

iv. Maßnahmen zu ergreifen, um in der Öffentlich-
keit die Verfahren bekannter zu machen, mit de-
nen Einzelpersonen die Möglichkeit erhalten,
sich über die Informationen zu informieren, die
über sie im SIS (Schengen Informationssystem)
gespeichert werden und um alle unzutreffenden
Daten dort zu korrigieren.

10. Die Versammlung empfiehlt ferner der Europäischen
Union,

i. bei nächster Gelegenheit die Liste der Drittstaa-
ten, deren Staatsangehörige vom Visazwang be-
freit sind, wenn sie die Außengrenzen des
Schengen-Gebiets überschreiten, auf alle Mit-
gliedstaaten des Europarates auszudehnen, die
nicht der EU angehören und zwischenzeitig

ii. von der Vermutung auszugehen, dass Bürger
von Staaten, die Vertragsparteien der im Schen-
gener Abkommen von 1990 erwähnten Verträge
des Europarates sind (ETS 24, 30 und 112 sowie
der einschlägigen Protokolle), für die Einreise in
das Schengen-Gebiet oder den Aufenthalt in die-
sem Gebiet kein Visum benötigen, wobei diese
Vermutung zusätzlich bestärkt wird, wenn ein
Staat auch anderen Verträgen des Europarates
auf dem Gebiet der öffentlichen Ordnung und
der Sicherheit beigetreten ist (darunter ETS 70,
90, 141, 173 und 174 samt ihrer entsprechenden
Protokolle);

iii. im Falle der Mitgliedstaaten, die nicht in den
Genuss dieser Vermutung gelangen können, die
Visaerteilung und die entsprechenden Verfahren
zu beschleunigen und flexibler zu handhaben,
u. a. durch

a. Förderung der Praxis, insbesondere für Be-
wohner von Grenzgebieten und legalen
grenzüberschreitenden Kleinhandel betrei-
bende Personen Mehrfacheinreisevisa mit ei-
ner Gültigkeitsdauer von fünf Jahren auszu-
stellen;

b. Festsetzung möglichst niedriger Visagebüh-
ren – nach Möglichkeit kostenlose Erteilung;

c. Beschränkung der Anforderung von Doku-
menten für Visaanträge und des persönlichen
Erscheinens auf wirklich notwendige Fälle;

d. Sicherstellung, dass bei der Prüfung von Do-
kumenten und der Durchführung persön-
licher Befragungen die Würde und die Pri-
diesem entsprochen wird. Seine Ablehnung
sollte auf Gründen basieren, die nachvollziehbar

vatsphäre des Einzelnen in vollem Umfang
gewahrt bleiben;

Drucksache 15/2788 – 48 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

e. Ermöglichung der Übermittlung von Visaan-
trägen mit der Post oder auf elektronischem
Wege, soweit die Notwendigkeit der Echt-
heitsprüfung der Dokumente oder persönli-
cher Befragungen dies zulässt;

f. Gewährleistung, dass eine Zurückweisung
von Personen mit gültigem Visum an der
Grenze als außerordentliche Maßnahme nur
bei Vorliegen objektiv ermittelter Gründe er-
folgt;

g. Festlegung besonderer Bestimmungen für
politisch und diplomatisch veranlasste Reisen
von Bürgern derjenigen Mitgliedstaaten des
Europarates, die nicht auch dem Schengener
Abkommen von 1990 beigetreten sind, z. B.
durch Befreiung der Inhaber von Diploma-
tenpässen und in beglaubigtem amtlichem
Auftrag reisender Personen vom Visazwang;

h. Abschluss bilateraler Rücknahmeabkommen
mit denjenigen Mitgliedstaaten des Europa-
rates, die keine EU-Mitglieder sind und mit
denen solche Abkommen noch nicht bestehen;

i. Bereitstellung finanzieller und materieller
Hilfe für die neuen EU-Mitgliedstaaten, um
sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, auf
Visaanträge von Bürgern anderer Mitglied-
staaten des Europarates zügig und effizient
zu reagieren;

j. die Möglichkeit und Machbarkeit der Schaf-
fung von Euro-Konsulaten zu prüfen, deren
Besonderheit darin bestehen würde, Visa für
den Schengen-Bereich auszustellen und ent-
sprechende Anträge zu bearbeiten;

iv. den Ländern, die Nachbarn der erweiterten EU
sein werden, dabei zu helfen ist, ihre Bemühun-
gen zu verstärken, Fälle illegaler Einwanderung
und insbesondere Menschenschmuggel zu ver-
hindern;

v. die Ratifizierung der Verträge des Europarates zu
erwägen ist, die für diejenigen Bereiche der Frei-
zügigkeit, der Strafgerichtsbarkeit und der öf-
fentlichen Ordnung relevant sind, für die sie eine
supranationale Zuständigkeit besitzt und der
GRECO beizutreten sowie

vi. innerhalb dieses gesamteuropäischen rechtlichen
Rahmens eine Einwanderungspolitik auszuarbei-
ten ist, die in ganz Europa ein Höchstmaß an
Freizügigkeit erlaubt und die Integration von
Einwanderern in den Gastgesellschaften und
Gaststaaten ermutigt.

11. Abschließend empfiehlt die Versammlung dem Mi-
nisterkomitee,

i. eine umfassende Studie in Angriff zu nehmen

Ausschüsse, von Vertretern der Europäischen
Union und der Versammlung – und darin der
Frage nachzugehen, wie bestehende Verträge des
Europarates über Freizügigkeit, Strafgerichts-
barkeit und öffentliche Ordnung von mehr Staa-
ten ratifiziert, umgesetzt, koordiniert und (soweit
erforderlich) abgeändert werden können, u. a.
durch die Ausarbeitung, Unterzeichnung und
Umsetzung eines neuen europäischen Überein-
kommens, um einen umfassenden rechtlichen
Rahmen zu schaffen, in dem in ganz Europa ein
Höchstmaß an Freizügigkeit für Personen ge-
währt werden kann;

ii. Grundsätze für die Standardisierung von Reise-
dokumenten von Mitgliedstaaten des Europarates
festzulegen, um Sicherungen gegen Fälschungen
und missbräuchliche Verwendung einzubauen
und so eine Liberalisierung der Visaregelungen
und der jeweiligen Einwanderungspolitik zu er-
leichtern;

iii. Anstrengungen zu machen – unter der Schirm-
herrschaft des Europarates und im Einklang mit
den von der Parlamentarischen Versammlung in
der Empfehlung 1624 (2003) festgelegten Richt-
linien – zur Harmonisierung der Gesetzgebung
und der Verfahren in Bezug auf Migration und
Asyl in den Mitgliedstaaten des Europarates.

Ta g e s o r d n u n g s p u n k t

Kandidaten für den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte

(Drucksache 9963)

Berichterstatter:
Abg. Kevin McNamara (Vereinigtes Königreich)

Abg. Rudolf Bindig (SPD): Herr Präsident, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen,

der Rechtsausschuss ist der Auffassung, dass ein gutes
Funktionieren des Gerichtshofs bei hoher Qualität ein
Kernbereich der Aufgaben des Europarates ist. Deshalb
müssen wir der Auswahl der Richter besondere Aufmerk-
samkeit widmen. Wir danken unserem Kollegen Kevin
McNamara dafür, dass er sich sorgfältig mit diesen Fra-
gen befasst hat und diesen hervorragenden Bericht vorge-
legt hat.

Besonders intensiv haben wir im Ausschuss die Frage
diskutiert, wie es mit der Amtszeit der Richter stehen soll.
Wir sind mit deutlicher Mehrheit zu der Auffassung ge-
kommen, hier den Vorschlag zu machen, die Amtszeit auf
neun Jahre auszudehnen und keine Wiederwahl zu er-
möglichen. Wir sind deshalb deutlich gegen einen Ände-
rungsantrag, der dies wieder zurückdrehen will. Ich bitte
– und zwar unter Einbeziehung der nach den ein-
schlägigen Verträgen des Europarates errichteten

also die Mitglieder, dem Rat des Rechtsausschusses in
diesen Fragen zu folgen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49 – Drucksache 15/2788

E n t s c h l i e ß u n g 1 3 6 6 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Kandidaten für den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte

(Drucksache 9963)

1. Die Parlamentarische Versammlung verweist auf ihre
Empfehlung 1649 (2004), spricht sich weiterhin für
das Verfahren aus, bei dem die Kandidaten gebeten
werden, einen Musterlebenslauf auszufüllen und ist
der Ansicht, dass das zu verwendende Modell von
dem Ad-hoc-Unterausschuss für die Wahl der Richter
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
überprüft werden sollte und dass Änderungsvor-
schläge der Versammlung zur Annahme unterbreitet
werden sollten.

2. Die Versammlung ist nach wie vor überzeugt, dass
der von ihr beschlossene zwölfmonatige Zeitrahmen
allen Beteiligten ein praktikables Modell an die Hand
gibt. Sie beschließt dennoch, ihre Ziele weiterhin lau-
fend zu überprüfen.

3. Die Versammlung beschließt, Kandidatenlisten nicht
zu berücksichtigen, wenn

i. die Fachgebiete, aus denen die Kandidaten aus-
gewählt worden sind, zu eng begrenzt erschei-
nen;

ii. die Liste nicht mindestens einen Kandidaten und
eine Kandidatin aufweist;

iii. eine Prüfung der Kandidaten ergibt, dass

a. sie keine ausreichenden Kenntnisse mindes-
tens einer der Amtssprachen zu besitzen schei-
nen oder

b. sie nicht das Format zu besitzen scheinen, um
die Kriterien nach Artikel 21(1) der Konven-
tion erfüllen zu können.

4. Die Versammlung ist weiterhin der Ansicht, dass die
Befragung zusätzliche Einblicke in die Qualitäten der
Kandidaten liefert und beschließt,

i. dass benannte Kandidaten nach Möglichkeit über
den Zweck der Befragung und die dabei ange-
wandten Verfahren informiert werden sollten;

ii. dass Alternativstandorte für Befragungen erwo-
gen werden sollten, wenn praktische Erwägun-
gen für Gespräche außerhalb von Straßburg und
Paris sprechen;

iii. dass eine weitere Staffelung oder zusätzliche Sit-
zungen des Unterausschusses mehr Zeit für jedes
Gespräch ergeben könnten;

iv. dass die politischen Gruppen bei der Benennung
ihrer Vertreter im Unterausschuss als Zielvor-
gabe mindestens einen Prozentsatz von 40 Pro-
zent an Parlamentarierinnen haben sollten, was
der vom Europarat für notwendig befundene
Mindestanteil an Frauen ist, um beim Beschluss-
fassungsprozess mögliche Probleme in Bezug
auf die Geschlechterverteilung auszuschließen;

v. dass den Kandidaten die Kriterien vor Augen ge-
führt werden sollten, anhand derer der Unteraus-
schuss zu seiner Entscheidung gelangt ist;

vi. dass eines der vom Unterausschuss festgelegten
Kriterien darin bestehen sollte, dass bei gleicher
Eignung der Kandidat den Vorgang erhält, der
dem im Gericht unterrepräsentierten Geschlecht
angehört;

vii. dass ein faires und effizientes Befragungsverfah-
ren für die an der Panelarbeit beteiligten Mitglie-
der und Mitarbeiter eine laufende Schulung und
Reevaluierung erforderlich macht;

viii. dass die Verpflichtung, für ein offenes und
transparentes Verfahren einzutreten, den Unter-
ausschuss veranlassen könnte, seine Empfehlun-
gen und die Rangfolge der Kandidaten zu be-
gründen;

ix. dass es wünschenswert wäre, dem jeweiligen
Kandidaten und dem benennenden Staat mög-
lichst bald Bescheid sagen zu können.

5. Die Versammlung verweist auf ihren Bericht über
das Verfahren bei von der Parlamentarischen Ver-
sammlung abgehaltenen Wahlen (außer der ihres Prä-
sidenten und ihrer Vizepräsidenten), das zurzeit im
Ausschuss für Geschäftsordnung und Immunitäten
ausgearbeitet wird und durch das das Vorgehen bei
Wahlen geändert werden soll, z. B. durch Aufhe-
bung des Erfordernisses einer zweiten Abstimmung,
wenn ein Kandidat bei der ersten Abstimmung keine
Mehrheit erhält oder die Abstimmung unentschie-
den ausgeht.

6. Die Versammlung, die auf die Sicherstellung der Un-
abhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter be-
dacht ist, beschließt, dass deren Benennung für eine
Amtszeit von neun Jahren ohne Möglichkeit der Wie-
derwahl erfolgen sollte.

7. Die Versammlung beschließt, auf nationaler und
europäischer Ebene zu untersuchen, welche Hinder-
nisse sich zurzeit der Ernennung weiblicher Kandi-
daten entgegenstellen, welche Maßnahmen zur För-
derung weiblicher Bewerber ergriffen werden
könnten und zu prüfen, ob Zielvorgaben gemacht
werden sollen, um bei der Zusammensetzung des

* Debatte der Versammlung am 30. Januar 2004 (8. Sitzung) (siehe
Dok. 9963, Bericht des Ausschusses für Recht und Menschenrechte,
Berichterstatter: Herr McNamara, und Dok. 10048, Stellungnahme
Gerichtshofs mehr Gleichheit zwischen den Ge-
schlechtern zu erreichen.

des Ausschusses für die Gleichstellung von Frauen und Männern,
Berichterstatterin: Frau Cliveti). Von der Versammlung verabschie-
deter Text am 30. Januar 2004 (8. Sitzung).

Drucksache 15/2788 – 50 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

E m p f e h l u n g 1 6 4 9 ( 2 0 0 4 ) *

betr.: Kandidaten für den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte

(Drucksache 9963)

1. Ein unabhängiges Gerichtswesen ist für den Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten unverzicht-
bar.

2. Damit der Europäische Gerichtshof für Menschen-
rechte weiterhin das Vertrauen der Öffentlichkeit ge-
nießt, kommt es entscheidend darauf an, dass auch
das Verfahren zur Auswahl und Ernennung der Rich-
ter Vertrauen findet.

3. Die Parlamentarische Versammlung betont erneut,
dass sich in dem Ernennungsverfahren die Grund-
sätze der demokratischen Methode, der Rechtsstaat-
lichkeit, der Nichtdiskriminierung, der Rechenschafts-
pflicht und der Transparenz widerspiegeln müssen.

4. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates
ist nach der Satzung dafür zuständig, auf der Grund-
lage einer Liste von drei Kandidaten, die ihr von den
Hohen Vertragsparteien unterbreitet wird, für jeden
Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskon-
vention einen Richter zu wählen.

5. Zur Verbesserung der eigenen Verfahren für diese
Wahlen beschloss die Versammlung 1996, einen
Musterlebenslauf zu entwerfen, der allen Kandidaten
zugesandt wird und entschied, die Kandidaten zu Ge-
sprächen zu bitten, die von einem Ad-hoc-Unter-
ausschuss des Ausschusses für Recht und Menschen-
rechte über die Ernennung von Richtern geführt
werden sollen.

6. Angesichts der Erweiterung des Europarates und der
steigenden Arbeitsbelastung des Europäischen Ge-
richtshofs für Menschenrechte setzte das Minister-
komitee am 7. Februar 2001 eine Evaluierungs-
gruppe ein, die Möglichkeiten zur Gewährleistung
der künftigen Effektivität prüfen soll.

7. Die Aussprache über notwendige Reformen des Ge-
richtshofs und seiner Verfahren hat sich als frucht-
bringend erwiesen und ist noch im Gange.

8. Die Versammlung stellt fest, dass Nichtregierungsor-
ganisationen zu dieser Aussprache einen wichtigen
Beitrag geleistet haben und regt alle an der Förderung
der Menschenrechte Interessierten zur Teilnahme an.

9. Die Fähigkeit des Gerichtshofs, unerschrocken und
unparteiisch zu handeln, wird gestärkt, wenn seinen
Richtern in angemessener Form Status und Vergü-

tung, die Bedingungen der Amtsausübung und die Si-
cherheit des Amtes bis zum vorgeschriebenen Pen-
sionsalter oder zum Ablauf der festgelegten Amtszeit
gesichert werden.

10. Die Parlamentarische Versammlung ist der Auffas-
sung, dass sie bei der Verbesserung der Beschäfti-
gungsbedingungen, die den Richtern ein effizienteres
Arbeiten ermöglichen werden, eine legitime Rolle zu
spielen hat. Diese ist erforderlich, um

i. sicherzustellen, dass der Status und die Vergü-
tung der Richter der Würde ihres Berufsstandes
und der Last ihrer Verantwortung entsprechen;

ii. geeignete Mitarbeiter und Ausstattung bereitzu-
stellen, die den Richtern ein effizientes Arbeiten
ohne übermäßige Verzögerungen ermöglichen;

iii. alle erforderlichen Maßnahmen für die Sicherheit
der Richter zu ergreifen, darunter Sicherheitsper-
sonal auf dem Gerichtsgelände oder Polizei-
schutz für Richter, die ernsthaft bedroht werden
(könnten);

iv. sicherzustellen, dass die Richter des Gerichtshofs
Anspruch auf Meinungs- und Vereinigungsfrei-
heit haben, allerdings mit der Einschränkung,
dass sie diese Rechte unter Wahrung der Würde
ihres Amtes, ihrer Unparteilichkeit und ihrer Un-
abhängigkeit ausüben.

11. Die Versammlung stellt fest, dass die Arbeitsgruppe
über den Status der Richter die derzeitigen Ruhe-
gehaltsvereinbarungen und sonstigen Sozialversiche-
rungsregelungen für die Richter und ihre Familien im
Vergleich mit anderen internationalen Gerichtshöfen,
leitenden Europaratsmitarbeitern oder nationalen
Richtern für unangemessen befunden hat und dass
zurzeit Verhandlungen im Gange sind.

12. Die Versammlung stellt fest, dass die Amtszeit einer
Hälfte der bei der ersten Wahl gewählten Richter mit
dem Ende ihrer sechsjährigen Amtszeit im November
2004 auslaufen wird und das Auswahl- und Wahlver-
fahren dementsprechend im November 2003 begin-
nen muss.

13. Die Versammlung ist der Ansicht, dass ein neunjäh-
riger Ernennungszeitraum die Effizienz und Konti-
nuität der Arbeit des Gerichtshofs erhöhen und seine
Unabhängigkeit festigen würde. Es sollten Maßnah-
men ergriffen werden, um die Rechte amtierender
Richter zu wahren.

14. Die Versammlung macht die Mitglieder des Gerichts-
hofs erneut auf die Pflicht aller Richter aufmerksam,
mit dem Erreichen des 70. Lebensjahres in den Ruhe-
stand zu gehen. Darüber hinaus fordert sie alle Ver-
tragsparteien der Konvention nachdrücklich auf, bei
einer absehbaren Vakanz Vorkehrungen zu treffen,
um für Kontinuität zu sorgen und sechs Monate vor

* Debatte der Versammlung am 30. Januar 2004 (8. Sitzung) (siehe
Dok. 9963, Bericht des Ausschusses für Recht und Menschenrechte,
Berichterstatter: Herr McNamara und Dok. 10048, Stellungnahme
einer erforderlich werdenden Neubesetzung eine
neue Kandidatenliste einzureichen.

des Ausschusses für die Gleichstellung von Frauen und Männern,
Berichterstatterin: Frau Cliveti). Von der Versammlung verabschie-
deter Text am 30. Januar 2004 (8. Sitzung).

tee zögert, den Entscheidungsprozess in den Mit-
gliedstaaten in Bezug auf die Ernennung von Kandi-
daten zu kommentieren. Sie erinnert an die nicht
immer zufrieden stellenden nationalen Kandidaten-
auswahlverfahren und fordert die Mitgliedstaaten
nachdrücklich auf, ihre Verfahren zur Auswahl von
Kandidaten für den Gerichtshof zu veröffentlichen.

18. Die Versammlung hält es insbesondere nicht für be-
friedigend, lediglich die Aussage zu treffen, die Ge-
schlechterverteilung im Gerichtshof spiegele die Un-
terrepräsentanz von Frauen im Gerichtswesen der
Mitgliedstaaten wider. Es liegt im Interesse der Fair-
ness und der Effektivität des Gerichtshofs, dass das
Ministerkomitee, die Versammlung und die Hohen
Vertragschließenden Parteien sich bei der Prüfung
der Verfahren für die Ernennung von Richtern mit
dieser Frage auseinander setzen und – soweit erfor-
derlich – diese Verfahren verbessern.

19. Zusätzlich zu dem hohen sittlichen Ansehen und der
Erfahrung, die von den Kandidaten zurecht erwartet
werden und die in Artikel 21(1) der Konvention fest-
gehalten sind, empfiehlt die Versammlung dem Mi-
nisterkomitee, die Regierungen der Mitgliedstaaten
zur Erfüllung von sechs weiteren Kriterien aufzufor-
dern, bevor sie Kandidatenlisten für das Richteramt
am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
vorlegen und ausdrücklich dafür zu sorgen,

i. dass in der Fachpresse eine Aufforderung zur
Abgabe von Bewerbungen erscheint;

ii. dass die Kandidaten über Erfahrungen auf dem
Gebiet der Menschenrechte verfügen;

20. Die Versammlung fordert außerdem die Regierungen
der Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, ihre Parla-
mente und ihre entsprechenden Ausschüsse bei der
Aufstellung von Kandidatenlisten für den Gerichts-
hof von ihren Verfahren und Zeitplänen in Kenntnis
zu setzen.

21. Sie bittet das Ministerkomitee anlässlich der anste-
henden Überarbeitung der Konvention um die Auf-
nahme folgender Änderungen:

„Artikel 22 – Wahl der Richter

1. und mindestens einen Kandidaten jeden Ge-
schlechts enthält (ansonsten unverändert).

2. ...

3. Dasselbe Verfahren gilt für die Ersetzung eines
Richters, der sich zum Ausscheiden gezwungen
sieht (ansonsten unverändert).

Artikel 23 – Amtszeit

1. Die Richter werden für neun Jahre gewählt, auch
wenn sie ein eventuell frei gewordenes Amt beset-
zen. Ihre Wiederwahl ist nicht zulässig (ansonsten
unverändert).“

22. Die Versammlung fordert alle an der Arbeitsgruppe
über den Status der Richter Beteiligten nachdrücklich
auf, zügig zu einem allseits zufrieden stellenden
Schluss zu gelangen.

23. Die Versammlung bittet die Nichtregierungsorgani-
sationen, Anregungen zum Verfahren und für poten-
zielle Kandidaten zu unterbreiten.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 51 – Drucksache 15/2788

15. Die Versammlung weist einmal mehr darauf hin, dass
die Hohe Vertragspartei bei jedem – ob durch Amts-
niederlegung, Tod oder einen anderen Umstand – frei
werdenden Amt dafür zuständig ist, durch Vorlage
einer Liste mit drei Kandidaten entsprechend den
vorgeschriebenen Bestimmungen das Nachwahlver-
fahren einzuleiten.

16. Die Versammlung unterstützt das von dem Ausschuss
für Recht und Menschenrechte beschlossene Nach-
wahlverfahren für den Gerichtshof.

17. Die Versammlung stellt fest, dass das Ministerkomi-

iii. dass auf der Liste stets Kandidaten beiderlei Ge-
schlechts aufgeführt sind;

iv. dass die Kandidaten ausreichende Kenntnisse
mindestens einer der Amtssprachen besitzen;

v. dass die Namen der Kandidaten in alphabetischer
Reihenfolge aufgeführt sind;

vi. dass nach Möglichkeit kein Kandidat vorgeschla-
gen werden sollte, dessen Wahl die Benennung
eines Ad-hoc-Richters erforderlich machen
könnte.

Drucksache 15/2788 – 52 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Anlage

Mitgliedsländer der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (45)

Länder mit Sondergaststatus

– zur Mitwirkung in der Parlamentarischen Versammlung ohne Stimmrecht berechtigt

Der Sondergaststatus von Belarus wurde am 13. Januar 1997 ausgesetzt.

Beobachter (3)

Israel

Kanada

Mexiko

Albanien

Andorra

Armenien

Aserbaidschan

Belgien

Bosnien und Herzegowina

Bulgarien

Dänemark

Deutschland

Estland

Finnland

Frankreich

Georgien

Griechenland

Irland

Island

Italien

Kroatien

Lettland

Liechtenstein

Litauen

Luxemburg

„ehem. jugoslawische Republik Mazedonien“

Malta

Moldau

Niederlande

Norwegen

Österreich

Polen

Portugal

Rumänien

Russland

San Marino

Schweden

Schweiz

Serbien und Montenegro

Slowakische Republik

Slowenien

Spanien

Tschechische Republik

Türkei

Ukraine

Ungarn

Vereinigtes Königreich

Zypern

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53 – Drucksache 15/2788

Anhang

Funktionsträger der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Präsident Peter Schieder (Österreich – SOC)
Vizepräsidenten 19, darunter Rudolf Bindig (Bundesrepublik Deutschland – SPD/SOC)
Generalsekretär Bruno Haller (Frankreich)

Politischer Ausschuss
Vorsitzender Roman Jakic (Slowenien – LDR)

Stv. Vorsitzende Dmitry Rogozin (Russland – EDG)

Michael Spindelegger (Österreich – EVP)

Abdülkadir Ate (Türkei – SOC)

Ausschuss für Wirtschaft und Entwicklung
Vorsitzender Evgeni Kirilov (Bulgarien – SOC)

Stv. Vorsitzende Sigita Burbienè (Litauen – SOC)

Antigoni Pericleous Papadopoulos (Zypern – LDR)

Ján Figel’ (Slowakei – EVP)

Ausschuss für Sozialordnung, Gesundheit und Familie
Vorsitzender Marcel Glesener (Luxemburg – EVP)

Stv. Vorsitzende László Surján (Ungarn – EVP)

Christine McCafferty (Vereinigtes Königreich – SOC)

Jirí Maštálka (Tschechische Republik – UEL)

Ausschuss für Recht und Menschenrechte
Vorsitzender Eduard Lintner (Bundesrepublik Deutschland – CDU/CSU / EVP)

Stv. Vorsitzende Dick Marty (Schweiz – LDR)

Jerzy Jaskiernia (Polen – SOC)

Erik Jurgens (Niederlande – SOC)

Ausschuss für Kultur, Wissenschaft und Bildung
Vorsitzender Lluís Maria de Puig (Spanien – SOC)

Stv. Vorsitzende Baroness Hooper (Vereinigtes Königreich – EDG)

Ghiorghi Prisacaru (Rumänien – SOC)

Jerzy Smorawi ski (Polen – EVP)

Ausschuss für Umwelt, Landwirtschaft und kommunale und regionale Angelegenheiten
Vorsitzender Guillermo Martínez Casañ (Spanien – EVP)

Stv. Vorsitzende Alan Meale (Vereinigtes Königreich – SOC)





ˆ

ˆ

ˆ
Renzo Gubert (Italien – EVP)

Walter Schmied (Schweiz – LDR)

Drucksache 15/2788 – 54 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
Stv. Vorsitzende Göran Magnusson (Schweden – SOC)

Andrea Manzella (Italien – SOC)

Christos Pourgourides (Zypern – EVP)

Ausschuss für die Einhaltung der von den Mitgliedstaaten des Europarates eingegangenen Pflichten und
Verpflichtungen (Monitoring-Ausschuss)
Vorsitzende Josette Durrieu (Frankreich – SOC)

Stv. Vorsitzende György Frunda (Rumänien – EVP)

Elene Tevdoradze (Georgien – EDG)

Hanne Severinsen (Dänemark – LDR)

Ausschuss für die Gleichstellung von Frauen und Männern
Vorsitzende Minodora Cliveti (Rumänien – SOC)

Stv. Vorsitzende Rosmarie Zapfl-Helbling (Schweiz – EVP)

Per Dalgaard (Dänemark – EDG)

Anna Curdová (Tschechische Republik – SOC)

SOC Sozialistische Gruppe

EVP Gruppe der Europäischen Volkspartei

EDG Gruppe der Europäischen Demokraten

LDR Gruppe der Liberalen, Demokraten und Reformer

UEL Gruppe der Vereinigten Europäischen Linken

ˆ
Ausschuss für Wanderbewegungen, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen
Vorsitzender John Wilkinson (Vereinigtes Königreich – EDG)

Stv. Vorsitzende Tana de Zulueta (Italien – SOC)

Søren Søndergaard (Dänemark – UEL)

Jean-Guy Branger (Frankreich – EVP)

Geschäftsordnungsausschuss
Vorsitzender Serhiy Holovaty (Ukraine – LDR)
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344
Anlage

x

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