BT-Drucksache 15/2775

1. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Katherina Reiche, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU -15/1356- Strategie für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland und Europa 2. zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -15/1332- Leistungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im europäischen Rahmen sichern

Vom 24. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2775
15. Wahlperiode 24. 03. 2004

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(15. Ausschuss)

1. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Katherina Reiche,
Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 15/1356 –

Strategie für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland und Europa

2. zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst,
Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 15/1332 –

Leistungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im europäischen
Rahmen sichern

A. Problem
In der Europäischen Union unterliegen chemische Stoffe, die nach September
1981 in Verkehr gebracht worden sind, einer vergleichsweise differenzierten
Überprüfung auf etwaige Risiken für Umwelt und Gesundheit. Für zuvor in
Verkehr gebrachte chemische Stoffe (Altstoffe) – sie machen mit weit über
90 Prozent den größten Teil der auf dem Markt befindlichen chemischen Stoffe
aus – liegen dagegen im Allgemeinen nur unzureichende Informationen über
die von ihnen ausgehenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken vor. Lediglich ein
kleiner Teil von ihnen wurde seit dem Inkrafttreten der EG-Altstoffverordnung
von 1993 (793/93/EWG) als prioritär eingestuft und einer umfassenderen Ri-
sikoüberprüfung unterzogen. Allerdings ist es angesichts bestehender Verfah-
rensdefizite erst in relativ wenigen Fällen zu einer abschließenden Risiko-
bewertung der entsprechenden Altstoffe gekommen. Vor diesem Hintergrund
ist eine Reform des europäischen Chemikalienrechts dringend geboten.
Aufbauend auf dem von ihr erarbeiteten Weißbuch „Strategie für eine zukünf-
tige Chemikalienpolitik“ vom Februar 2001 (KOM (2001) 88 endg.) und dem
sich auf EU-Ebene anschließenden Diskussionsprozess hat die Europäische
Kommission im Mai 2003 einen Vorentwurf für eine Verordnung (EG) des
Europäischen Parlaments und des Rates über die Registrierung, Bewertung,
Zulassung und Beschränkung von Chemikalien vorgelegt. Kern des neuen
Konzepts ist die Einführung eines einheitlichen Registrierungs-, Bewertungs-

Drucksache 15/2775 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

und Zulassungssystems für alte und neue chemische Stoffe (REACH). Nach
Auswertung der Ergebnisse eines öffentlichen Konsultationsverfahrens zum
Vorentwurf hat die Europäische Kommission am 29. Oktober 2003 einen über-
arbeiteten Verordnungsvorschlag beschlossen (KOM (2003) 644 endg.). Der
Vorentwurf und z. T. auch der überarbeitete Verordnungsvorschlag sind u. a.
aufgrund ihrer Vorgaben zur Datenerhebung und -weiterleitung, der Komplexi-
tät der Verfahrensregelungen und der damit verbundenen finanziellen Belas-
tungen für die Unternehmen auf Kritik gestoßen. Befürchtet werden vor allem
negative Auswirkungen auf die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der
Chemiewirtschaft, insbesondere auch kleiner und mittlerer Unternehmen, und
damit eine starke Beeinträchtigung des Chemiestandorts Deutschland.
Unter Hinweis auf die Bedeutung der Chemiewirtschaft für die Volkswirtschaft
der Bundesrepublik Deutschland enthalten die Anträge – Drucksache 15/1356
vom 1. Juli 2003 sowie Drucksache 15/1332 vom 2. Juli 2003 – z. T. kritische
Feststellungen zu dem seinerzeit vorliegenden Verordnungsentwurf der Euro-
päischen Kommission zur Neufassung des EU-Chemikalienrechts. Hierauf auf-
bauend wird eine Reihe konkreter Forderungen zur Modifizierung des Re-
formansatzes und zur Stärkung des Chemiestandorts Deutschland aus Sicht der
jeweils antragstellenden Fraktion formuliert.

B. Lösung
Ablehnung des Antrags – Drucksache 15/1356 – mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Ablehnung des Antrags – Drucksache 15/1332 – mit den Stimmen der
Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Die Kosten sind Gegenstand der politischen Diskussion (siehe Bericht).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2775

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
1. den Antrag – Drucksache 15/1356 – abzulehnen,
2. den Antrag – Drucksache 15/1332 – abzulehnen.

Berlin, den 10. Dezember 2003

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Vorsitzender

Heinz Schmitt (Landau)
Berichterstatter

Marie-Luise Dött
Berichterstatterin

Dr. Antje Vogel-Sperl
Berichterstatterin

Birgit Homburger
Berichterstatterin

Drucksache 15/2775 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Marie-Luise Dött,
Dr. Antje Vogel-Sperl und Birgit Homburger

I.
Der Antrag – Drucksache 15/1356 – wurde in der 73. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 7. November 2003 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, den Ausschuss für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, den Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Aus-
schuss für Gesundheit und Soziale Sicherung, den Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union überwiesen.
Der Antrag – Drucksache 15/1332 – wurde in der 73. Sit-
zung des Deutschen Bundestages am 7. November 2003 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, den Ausschuss für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und den
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
überwiesen.
Zu dem Antrag – Drucksache 15/1356 – haben die mitbera-
tenden Ausschüsse wie folgt votiert:
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, der Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, derAusschuss
für Gesundheit und Soziale Sicherung, der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und
der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union haben mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tionen der CDU/CSU und FDP empfohlen, den Antrag ab-
zulehnen. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernäh-
rung und Landwirtschaft hat mit den Stimmen der Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stim-
men der Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der
Fraktion der FDP empfohlen, den Antrag abzulehnen.
Zu dem Antrag – Drucksache 15/1332 – haben die mitbera-
tenden Ausschüsse wie folgt votiert:
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit und der Aus-
schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
haben mit den Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP empfohlen, den Antrag abzulehnen. Der
Ausschuss fürVerbraucherschutz,ErnährungundLand-
wirtschaft hat mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Frak-
tion der FDP bei Stimmenthaltung der Fraktion der CDU/
CSU empfohlen, den Antrag abzulehnen.

II.
In der Europäischen Union unterliegen chemische Stoffe, die
nach September 1981 in Verkehr gebracht worden sind, einer
vergleichsweise differenzierten Überprüfung auf etwaige
Risiken für Umwelt und Gesundheit. Für zuvor in Verkehr
gebrachte chemische Stoffe (Altstoffe) – sie machenmit weit

über 90 Prozent den größten Teil der auf dem Markt befind-
lichen chemischen Stoffe aus – liegen dagegen im Allgemei-
nen nur unzureichende Informationen über die von ihnen
ausgehenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken vor. Ledig-
lich ein kleiner Teil von ihnen wurde seit dem Inkrafttreten
der EG-Altstoffverordnung von 1993 (793/93/EWG) als pri-
oritär eingestuft und einer umfassenderenRisikoüberprüfung
unterzogen. Allerdings ist es angesichts bestehender Ver-
fahrensdefizite erst in relativ wenigen Fällen zu einer ab-
schließenden Risikobewertung der entsprechenden Altstoffe
gekommen. Vor diesem Hintergrund ist eine Reform des
europäischen Chemikalienrechts dringend geboten.
Aufbauend auf dem von ihr erarbeitetenWeißbuch „Strategie
für eine zukünftige Chemikalienpolitik“ vom Februar 2001
(KOM (2001) 88 endg.) und dem sich auf EU-Ebene an-
schließenden Diskussionsprozess hat die Europäische Kom-
mission im Mai 2003 einen Vorentwurf für eine Verordnung
(EG) des Europäischen Parlaments und des Rates über die
Registrierung, Bewertung, Zulassung undBeschränkung von
Chemikalien vorgelegt. Kern des neuen Konzepts ist die Ein-
führung eines einheitlichen Registrierungs-, Bewertungs-
und Zulassungssystems für alte und neue chemische Stoffe
(REACH). Nach Auswertung der Ergebnisse eines öffentli-
chen Konsultationsverfahrens zum Vorentwurf hat die Euro-
päischeKommission am29.Oktober 2003 einen überarbeite-
ten Verordnungsvorschlag beschlossen (KOM (2003) 644
endg.). Der Vorentwurf und z. T. auch der überarbeitete Ver-
ordnungsvorschlag sind u. a. aufgrund ihrer Vorgaben zur
Datenerhebung und -weiterleitung, der Komplexität der Ver-
fahrensregelungen und der damit verbundenen finanziellen
Belastungen für die Unternehmen auf Kritik gestoßen. Be-
fürchtet werden vor allem negative Auswirkungen auf die In-
novations- und Wettbewerbsfähigkeit der Chemiewirtschaft,
insbesondere auch kleiner und mittlerer Unternehmen, und
damit eine starke Beeinträchtigung des Chemiestandorts
Deutschland.
Unter Hinweis auf die Bedeutung der Chemiewirtschaft für
die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland enthal-
ten die Anträge – Drucksache 15/1356 vom 1. Juli 2003 so-
wie Drucksache 15/1332 vom 2. Juli 2003 – z. T. kritische
Feststellungen zu dem seinerzeit vorliegenden Verordnungs-
entwurf der Europäischen Kommission zur Neufassung des
EU-Chemikalienrechts. Hierauf aufbauend wird eine Reihe
konkreter Forderungen zur Modifizierung des Reformansat-
zes und zur Stärkung des Chemiestandorts Deutschland aus
Sicht der jeweils antragstellenden Fraktion formuliert.
Durch den Antrag – Drucksache 15/1356 – soll die Bundes-
regierung u. a. aufgefordert werden, sich dafür einzusetzen,
dass zumSchutz kleiner undmittlererUnternehmen nicht un-
verhältnismäßig hohe Anforderungen durch umfangreiche
Verfahren auferlegt werden, dass zu den vorgeschlagenen
Zulassungsverfahren für besonders gefährliche Stoffe (POPs
und CMR-Stoffe) unbürokratische Alternativen entwickelt
werden, dass für Stoffemit einem Import- undVerwendungs-
potential von mehr als 1 000 Tonnen pro Jahr kurzfristige
Regelungen für die Registrierung und Evaluierung getroffen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2775

werden, dass die Sicherheitslücken von Stoffen in importier-
ten Erzeugnissen geschlossen werden, dass die Verantwor-
tungsbereiche von Herstellern und nachgelagerten Verarbei-
tern bei der Risikobewertung genau voneinander abgegrenzt
werden, dass eine Institution zur Beratung kleiner und mitt-
lerer Unternehmen eingerichtet wird, dass die neuen Rege-
lungen so gestaltet werden, dass die Innovations- und Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Industrie
verbessert wird und dass eine Reihe von im Einzelnen spe-
zifizierten forschungspolitischen Maßnahmen zur Stärkung
des Chemiestandorts Deutschland ergriffen wird.
Durch den Antrag – Drucksache 15/1332 – soll die Bundes-
regierung u. a. aufgefordert werden, auf die Neufassung des
europäischen Chemikalienrechts in einem Sinne Einfluss zu
nehmen, wonach im Interesse der in den betreffenden Bran-
chen beschäftigten Menschen dafür Sorge getragen wird,
dass die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deut-
schen Chemiewirtschaft nicht unnötig beeinträchtigt wird,
bei der Informationsbeschaffung zu chemischen Stoffen eine
ausgewogene Lastenverteilung unter den Akteuren entlang
der Wertschöpfungsketten eines Produkts erreicht und dabei
sichergestellt wird, dass insbesondere kleine und mittlere
Unternehmen nicht unangemessen belastet und in ihrer Inno-
vationsfähigkeit behindert werden und dass die Eigentums-
rechte aller Beteiligten an den zur Risikobewertung ermittel-
ten Informationen gewährleistet und sowohl gegenüber den
Behörden als auch gegenüber europäischen und außereuro-
päischenMarktteilnehmern geschützt bleiben bzw. geschützt
werden. Ferner soll die Bundesregierung aufgefordert wer-
den zu verhindern, dass aufgrund der neuen Regelungen ein
unnötiger und kostspieliger bürokratischer Aufwand ent-
steht, der lediglich innovationshemmendwirkt und insbeson-
dere für kleine undmittlere Unternehmen existenzbedrohend
wäre, ohne dass damit entscheidendeVerbesserungen für den
Umwelt- und Gesundheitsschutz verbunden wären.

III.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit hat die Anträge – Drucksachen 15/1356 und
15/1332 – in seiner Sitzung am 10. Dezember 2003 beraten.
Unter Hinweis auf die inzwischen erfolgte Fortentwicklung
des Verordnungsentwurfs hat die Fraktion der FDP einen
Änderungsantrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch und der Arbeitsgruppe
Umwelt der Fraktion der FDP imAusschuss für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag auf Druck-
sache 15/1332 in den Ausschuss eingebracht (Ausschuss-
drucksache 15(15)183; siehe Anlage).
Von Seiten der Fraktion der SPD wurde betont, die Argu-
mentation, Umweltschutz koste Arbeitsplätze und führe zur
Abwanderung von Industrien, sei überholt. Der Verord-
nungsentwurf ziele nicht darauf ab, mehr Bürokratie zu er-
zeugen. Vielmehr sei beabsichtigt, die große Anzahl an Stof-
fen, die vor 1981 zugelassenworden seien, sich noch auf dem
Markt befänden und auf die Verbraucher einwirkten, zu er-
fassen und im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit für Mensch
und Umwelt zu bewerten. Hierbei könne nicht das Mengen-
kriterium dasMaß aller Dinge sein; auch Stoffe, die lediglich
in kleinen Mengen hergestellt würden, könnten dem Men-
schen gefährlichwerden.Wichtig sei, die durch das REACH-
System unmittelbar verursachten Kosten im Gesamtzusam-

menhang zu beurteilen; Schätzungen zufolge werde etwa ein
Prozent aller Krankheitsfälle durch die Einwirkung von Che-
mikalien verursacht. Darüber hinaus gelte es zu berücksichti-
gen, dass das REACH-System nicht schlagartig, sondern in
einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren etabliert werden
solle und dass der vorliegende Verordnungsentwurf das
Ergebnis eines längeren Konsultations- und Abstimmungs-
prozesses sei, in dessen Verlauf bereits eine Reihe von
Einwänden und Kritikpunkten berücksichtigt worden sei.
Gleichwohl gebe es noch Regelungen, die der Modifizierung
bedürften. Insgesamt betrachtet stelle der vorliegende Ver-
ordnungsentwurf einen entscheidenden Schritt zur Verbesse-
rung der Chemikaliensicherheit dar.
Von Seiten der Fraktion der CDU/CSU wurde unter-
strichen, beide Anträge begrüßten die angestrebte Verein-
fachung des komplexen und unübersichtlichen europäischen
Chemikalienrechts. Auch fokussierten sie die Zielsetzung
des Weißbuchs, Innovationen zu fördern und die Wett-
bewerbsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie zu erhö-
hen. In dieser Hinsicht komme der Verordnungsentwurf den
gesteckten Zielen allerdings nicht nach. Vielmehr gelangten
beide Anträge zu dem Ergebnis, dass der Verordnungsent-
wurf gravierende Schwächen aufweise; insbesondere führe
seine Umsetzung zu einer überbordenden Bürokratie und da-
mit zu Innovationshemmnissen und unangemessenen Belas-
tungen für kleine und mittlere Unternehmen. Die zusätz-
lichen Anforderungen an die Unternehmen zeichneten sich
durch eine hohe Zeit- und Kostenintensität aus. Ein weiteres
Mal gehe europäische Umweltpolitik damit zu Lasten der
kleinen und mittleren Betriebe. Auf die besondere Situation
des wirtschaftlichen Mittelstandes werde nicht eingegangen.
Übersehen werde beispielsweise, dass unabhängig von Un-
ternehmensgröße und Umsatz in gleicher Höhe erhobene
Registrierungskosten kleine Unternehmen relativ stärker als
große Unternehmen belasteten. Auch werde nicht berück-
sichtigt, dass in kleinen und Kleinstbetrieben mitunter das
Personal und das Wissen für eine aufwendige Registrierung
fehle und hauptsächlich die kleinen Unternehmen die inno-
vativen Unternehmen seien. Beide Anträge forderten daher,
in den anstehenden Beratungen auf europäischer Ebene die
Einführung unnötiger bürokratischer Vorgaben zu verhin-
dern. Die Bundesregierung sei verpflichtet, im Rahmen der
kommenden Beratungen im Ministerrat (Wettbewerbsfähig-
keit) im Sinne des Standorts Deutschlands tätig zu werden
und sich für eine praktikable, schlanke, bürokratiearme und
mittelstandsfreundliche Regelung einzusetzen. Für die Che-
mieindustrie, den drittgrößten Arbeitgeber in der Europäi-
schen Union und einen der wichtigsten Wirtschaftssektoren
in Deutschland, seien die Förderung von Wettbewerbsfähig-
keit und Innovationsfähigkeit überlebenswichtig. Anderen-
falls drohe die Abwanderung von Produktionsstätten und
hoch kompetenten jungen Fachleuten.
In der Diskussion unberücksichtigt geblieben sei bisher die
Metallindustrie. Diese sei jedoch aufgrund der von ihr in gro-
ßem Umfang verwendeten Legierungen von der Novellie-
rung des europäischen Chemikalienrechts ebenfalls stark be-
troffen. Die Branche setze in ihren Produktionsprozessen in
einem hohen Ausmaß recyclierte, bereits im Rahmen frühe-
rer Produktionsprozesse überprüfte Metallabfälle ein. Daher
stelle sich die Frage, ob für derartige Produkte Ausnahme-
regelungen zu treffen seien. Ferner solle geprüft werden, für
Erze und Erzkonzentrate Ausnahmen von der Registrie-

Drucksache 15/2775 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

rungspflicht einzuführen. Allerdings dürfe die Novellierung
des europäischen Chemikalienrechts keine Wettbewerbsver-
zerrungen zwischen der Metallindustrie und der zu ihr in di-
rektem Wettbewerb stehenden Kunststoffindustrie auslösen.
Es empfehle sich, noch vor Eintritt in die einschlägigen Bera-
tungen imMinisterrat eineAnalyse der wirtschaftlichenAus-
wirkungen des Verordnungsentwurfs anfertigen zu lassen,
um die Verhandlungen auf eine vernünftige Basis stellen zu
können.
Von Seiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wurde unterstrichen, Grundlage und Richtschnur für den
weiteren Diskussions- und Verhandlungsprozess seien die
Positionen, die in der gemeinsamen Stellungnahme der Bun-
desregierung, des Verbandes der Chemischen Industrie e. V.
(VCI) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie,
Energie (IGBCE) zum Konsultationsentwurf der Europäi-
schen Kommission vertreten würden. Im Zuge des Verfah-
rens sei an dem Verordnungsentwurf durchaus berechtigte
Kritik geübt worden. Auch der jetzt vorliegende Verord-
nungsentwurf weise Defizite auf, was die Praktikabilität des
Verfahrens, einzelne Aspekte des Umwelt-, des Gesund-
heits-, des Verbraucher- und des Tierschutzes und insbeson-
dere die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie an-
belange. Diese Defizite gelte es zu beseitigen. Hieran bestehe
von deutscher Seite auch deshalb ein großes Interesse, weil in
Deutschland im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung
der Industrie ein hohes Niveau an Chemikaliensicherheit
habe realisiert werden können. Es liege im Interesse der che-
mischen Industrie Deutschlands, dass dieses hohe Sicher-
heitsniveau auch auf EU-Ebene erreicht werde. Grundsätz-
lich stelle die vorgesehene Verordnung einen bedeutenden
Fortschritt hinsichtlich der Verbesserung der Chemikalien-
sicherheit dar, weil erstmals die Prinzipien der Produktver-
antwortung und Beweislastumkehr Eingang in das entspre-
chende EU-Recht fänden. Dieser Aspekt gewinne ein beson-
deres Gewicht, wenn man berücksichtige, dass in den letzten
zehn Jahren erst 30 Altstoffe abschließend bewertet worden
seien. Was die Metallindustrie anbelange, so sei darauf hin-
zuweisen, dass auch Nichteisen-Metalle vielfach gefähr-
liche, zu Umwelt- und Gesundheitsproblemen führende
Eigenschaften aufwiesen. Daher könne auf eine Einbezie-
hung dieser Stoffe in das REACH-System nicht generell
verzichtet werden. Indem sie einseitig auf den Kostenaspekt
abstelle, berücksichtige die Opposition nicht die großen
Chancen, die mit der Einführung des REACH-Systems ver-
bunden seien, etwa die Erzielung von Kostensenkungen im
Gesundheitswesen. Mit der Einführung des REACH-Sys-
tems werde das Substitutionsprinzip gestärkt werden. Das
Problemmöglicher Doppelregelungen hinsichtlich bestehen-
der Regelwerke werde ernst genommen und müsse im Rah-
men des Rechtsetzungsverfahrens auf EU-Ebene geklärt
werden. Angesichts der positivenWirkungen, die die Einfüh-
rung des REACH-Systems für die menschliche Gesundheit
und die Umwelt habenwerde, fordereman die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP zu einer konstruktiven Haltung gegen-
über der vorgesehenen Verordnung auf.
Von Seiten der Fraktion der FDP wurde die Notwendigkeit
einer zeitnahen Beratung der Vorlagen zur Novellierung des
EU-Chemikalienrechts unterstrichen, um die Verhandlungen
auf EU-Ebene inhaltlich beeinflussen zu können. Trotz der
nach Abschluss des öffentlichen Konsultationsverfahrens
vorgenommenen inhaltlichen Korrekturen werde der Verord-

nungsentwurf der selbst gesetzten Zielsetzung der Europäi-
schen Kommission nicht gerecht, durch eine Neufassung des
EU-Chemikalienrechts die Sicherheit für Mensch und Um-
welt zu erhöhen und zugleich die Innovations- und Wettbe-
werbsfähigkeit der Chemiewirtschaft zu erhalten und zu för-
dern. Maßgeblich für die Sicherheit im Umgang mit Chemi-
kalien seien die mit ihrer Herstellung, Verarbeitung und An-
wendung verbundenen Risiken. Für deren Bewertung seien
vor allem die Art der Anwendung und die bereits getroffenen
Maßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt entschei-
dend. Diesem Aspekt werde im vorliegenden Verordnungs-
entwurf nur völlig unzureichend Rechnung getragen. Ferner
gelte es zu berücksichtigen, dass nicht nur die chemische In-
dustrie, sondern auch eine Vielzahl weiterer Branchen von
der REACH-Verordnung erfasst würden, ihre Wirkung
reiche daher weit über den Bereich der chemischen Industrie
hinaus.
Angesichts der Defizite des vorliegenden Verordnungsent-
wurfs habe man die Bundesregierung aufgefordert, im Sinne
mehrerer, imÄnderungsantrag (Anlage) im Einzelnen aufge-
führter Forderungen auf die Novellierung des europäischen
Chemikalienrechts Einfluss zu nehmen. Eine der zentralen
Forderungen richte sich auf die Informations- und Prüfungs-
anforderungen. Demnach gelte es bei der Informationsbe-
schaffung zu chemischen Stoffen eine ausgewogene Lasten-
verteilung unter den Akteuren entlang der Wertschöpfungs-
kette eines Produkts zu erreichen und dabei insbesondere
sicherzustellen, dass sich die im Verordnungsentwurf be-
schriebenen Mengenschwellen nur auf die Registrierpflicht
der einzelnen Hersteller, Importeure oder nachgeschalteten
Anwender bezögen und nicht als kumulierte Mengen defi-
niert würden. Auch sollten sich die Informations- und
Prüfanforderungen nach den Expositionen und Risiken, nicht
aber nach den Mengen richten, damit vor allem kleine und
mittlereUnternehmen nicht unangemessen belastet und in ih-
rer Innovationsfähigkeit behindert würden. Für den Fall, dass
die Regelungen zum REACH-System in ihrer derzeitigen
Fassung umgesetzt würden, drohe eine Abwanderung zahl-
reicher betroffener Unternehmen inNicht-EU-Staaten, da die
betroffenen Betriebe international arbeiteten. Hieran könne
nicht nur aus wirtschaftlichen und sozialen, sondern auch aus
umwelt- und gesundheitspolitischen Erwägungen kein Inte-
resse bestehen, da dann vor allem eine Verlagerung in Länder
mit deutlich niedrigeren Sicherheitsstandards für den Um-
gang mit Chemikalien zu erwarten sei.
Darüber hinaus müsse im Verordnungsentwurf eine klare
Abgrenzung zu anderen Rechtsbereichen, insbesondere zu
denen des Arbeitsschutzes, der Anlagenzulassung und der
Abfallwirtschaft vorgenommen und Kohärenz zu internatio-
nalen Konventionen und dem Welthandelsrecht gewährleis-
tet werden. In seiner derzeitigen Fassung führe der Verord-
nungsentwurf zu zahlreichen Doppelregelungen zu bereits
bestehenden internationalen oder nationalen Regelwerken;
Beispiele auf nationaler Ebene seien die Düngemittelver-
ordnung, die Sprengmittelverordnung und auch die Störfall-
verordnung. Die Fraktion der FDP fordere daher nachdrück-
lich, Redundanzen oder Doppelregelungen zu bestehenden
Vorschriften für Stoffe und deren Verwendung zu beseitigen.
Scharf zu kritisieren sei, dass die Europäische Kommission
auf Aufforderungen des Europäischen Parlaments, in diesem
Sinne tätig zu werden, ablehnend reagiert habe. Eine weitere
zentrale Forderung der Fraktion der FDP richte sich darauf,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/2775

die Eigentumsrechte aller Beteiligten an den zur Risikobe-
wertung ermittelten Informationen und am unternehmeri-
schen Know-how zu gewährleisten und sowohl gegenüber
den Behörden als auch gegenüber europäischen und außereu-
ropäischenMarktteilnehmern zu schützen. Die geplantenRe-
gelungen brächten insgesamt lediglich mehr bürokratischen
Aufwand, dem keine entscheidendenVerbesserungen für den
Umwelt- und Gesundheitsschutz gegenüberstünden. Die im
Änderungsantrag formulierten Kritikpunkte und Forderun-
gen stimmten im Wesentlichen mit den Positionen überein,
auf die sich auch die Dachverbände von Arbeitgebern und
Gewerkschaften auf EU-Ebene verständigt hätten.
Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSUund FDP, demDeutschenBun-
destag zu empfehlen, denAntrag –Drucksache 15/1356 – ab-
zulehnen.
Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, den Antrag – Aus-
schussdrucksache 15(15)183 (Anlage) – abzulehnen.
Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSUund FDP, demDeutschenBun-
destag zu empfehlen, denAntrag –Drucksache 15/1332 – ab-
zulehnen.

Berlin, den 24. März 2004
Heinz Schmitt (Landau)
Berichterstatter

Marie-Luise Dött
Berichterstatterin

Dr. Antje Vogel-Sperl
Berichterstatterin

Birgit Homburger
Berichterstatterin

Drucksache 15/2775 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Anlage

Änderungsantrag der Abgeordneten Birgit Homburger, An-
gelika Brunkhorst, Michael Kauch und der Arbeitsgruppe
Umwelt der FDP imAusschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Der Ausschuss möge beschließen:
Der vorliegende Antrag der FDP-Bundestagsfraktion
BT-Drucksache 15/1332

„Leistungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft
im europäischen Rahmen sichern“

wird wie folgt geändert:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Umweltministerrat hat im Jahr 2001 Schlussfolgerungen
zu dem von der EU-Kommission zuvor verabschiedeten
Weißbuch „Strategie für eine zukünftige Chemikalienpoli-
tik“ beschlossen. Die Kommission ist in den Ratsschluss-
folgerungen aufgefordert worden, konkrete Vorschläge zur
Umsetzung des Weißbuchs zu erarbeiten. Die Kommission
hat dazu nunmehr den Verordnungsentwurf zur Chemi-
kalienpolitik – „Registrierung, Bewertung, Zulassung und
Beschränkung chemischer Stoffe (REACH)“ KOM (2003)
644 – vorgelegt.
Der Deutsche Bundestag begrüßt das Ziel der Chemikalien-
politik auf europäischer Ebene, die Sicherheit für Mensch
und Umwelt beim Umgang mit Chemikalien zu verbessern.
Ein effektiver Schutz von Mensch und Umwelt muss für die
Gesetzgebung verpflichtend sein und bleiben. Vergessen
werden darf dabei nicht, dass Deutschland schon heute über
ein vorbildliches Sicherheitsniveau beim Umgang mit Che-
mikalien verfügt, welches laufend weiterentwickelt wurde
und wird.
Für die Sicherheit im Umgang mit Chemikalien und damit
für den Schutz dermenschlichenGesundheit und der Umwelt
maßgeblich sind die Risiken, die mit ihrer Herstellung, Ver-
arbeitung und Anwendung verbunden sind. Ausgehend von
der Exposition und den stofflichenEigenschaften chemischer
Substanzen sind für eine Risikobewertung vor allem die Art
der Anwendung und die bereits getroffenen Maßnahmen für
den Schutz von Mensch und Umwelt entscheidend. Das im
Verordnungsentwurf der EU-Kommission vorgesehene ge-
nerelle Substitutionsgebot ist deshalb weder sinnvoll noch
zweckdienlich. Überdies würde sich dadurch die Innovati-
ons- und Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen
verschlechtern. Davon betroffen wären außer der Chemi-
schen Industrie, der Land- und Forstwirtschaft und derMine-
ralölwirtschaft die Stoffhersteller und -verwender in der
gesamten deutschen Industrie, vom Automobilbau über die
Metallerzeugung, Elektrotechnik- und Elektronikindustrie,
Baustoff- und Druckindustrie bis hin zur Lebensmittelher-
stellung. Bei rechtlichen Vorgaben für die Chemiewirtschaft

müssen diese Gegebenheiten jeweils sachgerecht berück-
sichtigt werden um zu vermeiden, dass unnötig bürokratische
Registrierungs- und Zulassungsverfahren erzwungen wer-
den. Diese wären innovationshemmend und insbesondere für
kleine und mittlere Unternehmen existenzbedrohend, ohne
dass Umwelt und menschliche Gesundheit hiervon profitie-
ren würden. Orientiert am Ziel einer Chemikalienpolitik, die
dem Konzept der Nachhaltigkeit verpflichtet ist, müssen alle
zukünftigen Regelungen im Dienst einer praktikablen Aus-
gestaltung gemeinsammit der EU-Kommission, den nationa-
len Behörden und der betroffenen Industrie hinsichtlich ihrer
ökologischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen
überprüft werden. Bei einer Reform der Chemikalienpolitik
in Europa müssen rationale und wirksame sowie möglichst
einfache und praktikable Regelungen gefunden werden.
Trotz vielfacher Abstimmungsbemühungen wird der derzeit
vorliegende Regelungsentwurf der von der Kommission
selbst formulierten Zielsetzung nicht hinreichend gerecht,
sowohl einen besseren Schutz von Mensch und Umwelt vor
der Belastung durch chemische Stoffe zu garantieren als auch
Erhalt und Förderung der Wettbewerbs- und Innovations-
fähigkeit der europäischen Chemieindustrie sicherzustellen.
Vielmehr ist zu befürchten, dass die geplanten Vorschriften
für betroffene Unternehmen erhebliche Belastungen bedeu-
ten. Es drohen negative wirtschaftliche Konsequenzen, die
insbesondere für mittelständische Unternehmen und weiter-
verarbeitende Anwender nicht tragbar wären. So hat eine
Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages
zur Produktionsverlagerung ins Ausland ergeben, dass fast
jedes vierte Industrieunternehmen zumindest Teile seiner
Produktion in den kommenden drei Jahren als Folge von
Standortnachteilen in Deutschland ins Ausland verlagern
will. Vor drei Jahren hatte nur jede fünfte Firma einen solchen
Schritt geplant. Die Bundesregierung ist besonders in der
Pflicht: Die Chemiewirtschaft gehört insbesondere in
Deutschland zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren.
Deutschland besitzt in Europa die mit Abstand größte Che-
mieindustrie, gut ein Viertel des Umsatzes mit chemischen
Produkten in der EU stammt von deutschen Unternehmen.
DieWillensbildung auf europäischer Ebene darf nicht einsei-
tig von EU-Mitgliedsländern bestimmt werden, in denen die
Chemiewirtschaft von eher nachrangiger Bedeutung ist. Es
gilt deshalb sicherzustellen, dass die Neufassung der Chemi-
kaliengesetzgebung von deutscher Seite intensiv begleitet
und beeinflusst wird. Erhebliche und sachlich nicht begrün-
dete Nachteile für den Chemiestandort Deutschland wären
anderenfalls nicht auszuschließen. Dies würde widersinni-
gerweise dazu führen, dass Produktionsstandorte an Attrak-
tivität für die Chemiewirtschaft gewinnen, an denen an die
Sicherheit im Umgang mit Chemikalien vergleichsweise ge-
ringere Anforderungen gestellt werden.
Mit Blick auf den vorliegenden Verordnungsentwurf der EU-
Kommission ist unter anderem zu konstatieren, dass bereits
bestehende Bestimmungen zur Produktion und zumUmgang
mit Chemikalien nur unzureichend berücksichtigt werden.
Die geplanten Vorgaben und Verfahren tragen nicht zu einer
effizienten, integrierten und transparentenNeugestaltung des
EU-Chemikalienrechts bei. Statt dessen wird das stoffbezo-
gene Rechtssystem der Chemikalienpolitik unnötig kompli-
ziert gestaltet. Etabliert werden sollen bürokratische, kost-
spielige und schwerfällige Entscheidungsverfahren bei der
Registrierung, Evaluierung, Autorisierung und Beschrän-

Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit
15. WP
Ausschussdrucksache 15(15)183**

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/2775

kung von Stoffen, indem statt genereller, allgemein verfü-
gender Autorisierungen hauptsächlich individuelle, stoff-
und verwendungsspezifische Anträge einzelner Unterneh-
men und Einzelentscheidungen durch die Behörden vorgese-
hen sind. Dabei entsteht der Eindruck mangelnder Praktika-
bilität und Realitätsbezogenheit der Vorgaben. Nicht zuletzt
ist dabei auch zweifelhaft, ob die Behörden – insbesondere
wegen der Vielzahl und Komplexität der bestehenden stoff-
und produktbezogenen Regelungen – die Einhaltung der avi-
sierten Vorschriften angemessen kontrollieren können. Über-
dies drohen weitreichende Pflichten zur Offenlegung von
Informationen durch einen mangelhaften Schutz von Ge-
schäftsgeheimnissen die Eigentumsrechte Betroffener un-
zulässig zu beeinträchtigen, wobei den Betroffenen bei
unverhältnismäßig hohen Sanktionen nur unzureichende
Möglichkeiten eingeräumt werden, ihre rechtlichen Interes-
sen gegen behördliche Entscheidungen zu sichern bzw.
durchzusetzen.
Im Ganzen entsteht der Eindruck, dass große Teile der ge-
planten Verordnung – trotz imVergleich zur Erstfassung vor-
genommener Änderungen – unangemessen bürokratisch und
kostspielig bzw. von vornherein nicht erfüllbar sind. Produk-
tionsverlagerungen, Behinderung von Innovationen und von
Firmenneugründungen sowie ein Verlust an Flexibilität wä-
ren die Folge. Der zu erwartende Wegfall zahlreicher Roh-
stoffe sowie von Import- und Zulieferprodukten aus Gründen
der Rentabilität würde insbesondere kleine und mittlere Un-
ternehmen sowie Weiterverarbeiter in ihrer Existenz bedro-
hen. Erhebliche negative wirtschaftliche Auswirkungen für
die chemische Industrie und anderer Industriezweige wären
absehbar. Den vorgenannten negativenwirtschaftlichenAus-
wirkungen stehen keine durchgreifenden Verbesserungen im
Umwelt-, Verbraucher- oder Gesundheitsschutz gegenüber.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– unter Beibehaltung des bestehenden Schutzniveaus für

die Bevölkerung und unter Berücksichtigung der vor-
genannten Einwände und Kritikpunkte auf den euro-
päischen Regelungsentwurf zur Chemikalienpolitik in
einem Sinne Einfluss zu nehmen, wonach
– im Interesse der in den betreffenden Branchen be-

schäftigten Menschen dafür Sorge getragen wird,
dass die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Chemiewirtschaft nicht unnötig beein-
trächtigt wird,

– bei der Informationsbeschaffung zu chemischen Stof-
fen eine ausgewogene Lastenverteilung unter den
Akteuren entlang der Wertschöpfungskette eines Pro-
dukts erreicht wird und dabei insbesondere sicher-
zustellen, dass die im Verordnungsentwurf beschrie-
benen Mengenschwellen sich nur auf die Registrier-
pflicht der einzelnen Hersteller, Importeure oder
nachgeschalteten Anwender beziehen und nicht als
kumulierte Mengen definiert werden. Die Informa-
tions- und Prüfanforderungen sollten sich nach den
Expositionen und Risiken, nicht nach den Mengen
richten, damit vor allem kleine und mittelständische
Unternehmen nicht unangemessen belastet und in ih-
rer Innovationsfähigkeit behindert werden,

– im Verordnungsentwurf eine klare Abgrenzung zu
anderen Rechtsbereichen, insbesondere zu denen des
Arbeitsschutzes, der Anlagenzulassung und der Ab-
fallwirtschaft vorgenommen und Kohärenz zu inter-
nationalen Konventionen und dem Welthandelsrecht
gewährleistet wird

– gegebenenfalls bestehende Redundanzen oder Dop-
pelregelungen zu bestehenden Vorschriften für Stoffe
und deren Verwendung beseitigt werden und

– die Eigentumsrechte aller Beteiligten an den zur
Risikobewertung ermittelten Informationen (Doku-
mente, Prüfdaten, Verwendungszwecke) und am un-
ternehmerischen Know-how gewährleistet und so-
wohl gegenüber den Behörden als auch gegenüber
europäischen und außereuropäischen Marktteilneh-
mern geschützt bleiben bzw. geschützt werden.

– zu verhindern, dass aufgrund der neuen europäischen
Regelungen zur Chemikalienpolitik ein unnötiger und
kostspieliger bürokratischer Aufwand entsteht, der inno-
vationshemmend wirkt und insbesondere auch für kleine
und mittlere Unternehmen existenzbedrohend wäre, zu-
mal weder die Umwelt noch die menschliche Gesundheit
hiervon profitieren würden.

Berlin, den 10. Dezember 2003
Birgit Homburger
Angelika Brunkhorst
Michael Kauch

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